Читать книгу Die Jutta saugt nicht mehr & Voll von der Rolle - Lotte Minck - Страница 16
Kapitel 12
ОглавлениеManchmal erweisen sich Entscheidungen im Nachhinein als besonders vorausschauend, auch wenn das nicht die ursprüngliche Absicht war
Mit allem hatte ich gerechnet, aber nicht mit Frau Berger. Was hatte die denn hier oben zu suchen – bei dem Mann, den sie für den Mörder ihrer verschwundenen Freundin hielt?
Mir wurde spontan übel bei dem Gedanken, dass sie plante, ihn mit ihrem Verdacht zu konfrontieren. Was versprach sie sich davon?
Und Dengelmann?
Wieso lud er sie zum Essen ein, wenn sich laut Frau Berger ihr Kontakt doch darauf beschränkte, dass er sie beschimpft und verkündet hatte, froh zu sein, sie nie wieder sehen zu müssen? Und ihr empfohlen hatte, sich um ihren eigenen Dreck zu kümmern?
Dem Backofen entströmte würziger Duft, der jeden Moment ins Verbrannte umkippen würde.
Herrje … die Feigen! Hektisch riss ich die Klappe auf und den Rost heraus. Das hätte jetzt noch gefehlt, dass ich das Essen versaute.
Während ich die Feigen mit dem in ihnen gratinierten Ziegenkäse auf zwei Teller setzte und mit Honig beträufelte, rasten meine Gedanken.
Ich hatte absolut keine Ahnung, was ich machen sollte. Einfach den Abend durchziehen? War es klug, wenn die Berger von meiner Anwesenheit wusste – oder vielleicht gerade nicht? Wusste sie vielleicht ohnehin davon? Dass ihre Wohnung dunkel gewesen war, musste kein zwingender Beweis für ihre Abwesenheit sein.
Als die Küchentür sich plötzlich öffnete, wäre ich vor Schreck beinahe unter den Tisch gehechtet.
»Das duftet aber lecker«, sagte Dengelmann, dessen Blick wohlgefällig auf den Tellern mit den hübsch angerichteten Feigen ruhte.
»Die … die sind auch lecker«, erwiderte ich und unterdrückte ein hysterisches Gackern. Innerlich dankte ich welcher höheren Macht auch immer, dass ich mich erfolgreich dagegen gewehrt hatte, das Essen zu servieren. Dann hätte ich jetzt schön blöd dagestanden. Von der Berger ganz zu schweigen. Immerhin hatte sie Erwin und mir gegenüber kein Wort darüber verloren, dass sie sich mit Dengelmann zu treffen gedachte.
»Guten Appetit«, fügte ich lahm hinzu, als er mit dem Servierwagen abdackelte.
So gern ich Erwin angerufen hätte – mir fehlte die Zeit, denn ich musste umgehend mit der Zubereitung des Hauptgangs beginnen. Und wie gern ich erst belauscht hätte, was die beiden im Esszimmer zu bequatschen hatten …
Mühsam raffte ich meine fünf Sinne zusammen, um mich auf das zu konzentrieren, was jetzt anlag. Wenn der Hauptgang auf dem Tisch stand, hatte ich ein wenig Verschnaufpause, um die überraschende Entwicklung der Ereignisse zu überdenken.
Ich briet das Fleisch an, bedeckte die Medaillons mit der Nusskruste und verfrachtete sie in den Backofen. Zum Bratensatz in der Pfanne kamen etwas Brühe und Rotwein, die von allein zu einer Soße einreduzieren würden.
Fleisch: erledigt.
Was als Nächstes?
Die Möhren. Putzen, ein wenig Grün stehen lassen, mit etwas Butter in eine weitere Pfanne, fünf Minuten dünsten: erledigt. Immer wieder drifteten meine Gedanken weg, immer wieder musste ich mich zur Ordnung rufen. Das Püree fehlte noch, verdammt. Der abgegossenen, weich gekochten Mischung aus Kartoffeln und Sellerie verabreichte ich einen ordentlichen Klotz Butter und etwas Muskatnuss, dann rückte ich ihr mit einem Stampfer zuleibe. Es tat gut, ordentlich Kraft aufwenden zu müssen – so konnte ich ein wenig von dem Adrenalin abbauen, das mir durch den Körper schoss.
»Perfektes Timing«, sagte ich, als Dengelmann mit dem Servierwagen in die Küche kam. »Sie können den Hauptgang gleich mitnehmen.«
Er sah mir zu, wie ich die Teller anrichtete. »Wollen Sie nicht wissen, wie die Vorspeise angekommen ist?«
Herrje – nichts auf der Welt interessierte mich im Moment weniger.
Ich rang mir ein Lächeln ab und vermied es, ihn anzusehen. »Niemand hat unter Protest und türenschlagend die Wohnung verlassen oder hat die Küche gestürmt, um sich zu beschweren. Ganz gut also, schätze ich.«
Dengelmann lachte leise. »Mir hat es wunderbar geschmeckt. Wirklich gut.«
»Und Ihr Gast? War die Dame auch zufrieden?«, fragte ich in der Hoffnung, dass er irgendetwas Verräterisches antworten würde.
»Ihr Teller ist leer, wie Sie sehen.«
Alles klar – kryptischer ging es nicht. Oder nein, eigentlich war es vielmehr entlarvend, denn der Subtext war folgender: Mir ist schnurzpiepegal, ob es dieser Frau geschmeckt hat. Das Essen ist der einzige Grund, weshalb ich diesen Abend mit ihr überstehe.
Ich stellte die Teller auf den Servierwagen und nickte. »Kann losgehen. Ich hoffe, es schmeckt Ihnen beiden.«
»Mir bestimmt, da bin ich ganz sicher«, erwiderte er und schob ab.
Hastig schloss ich die Tür hinter ihm. Mit dem Hauptgang würden sie erst einmal beschäftigt sein, also konnte ich Erwin endlich anrufen. Mit fliegenden Fingern fummelte ich mein Handy aus der Jacke, die Gott sei Dank nicht an der Garderobe, sondern über der Lehne eines Küchenstuhls hing. Es dauerte einen Moment, aber schließlich ging Erwin ans Telefon. Im Hintergrund hörte ich den Fernseher lärmen.
»Wieso rufst du denn jetzt schon an? Bist du etwa schon fertig?«, fragte er sofort.
»Nein, die sind beim Hauptgang«, flüsterte ich und setzte mich – mit Blick auf die Tür, natürlich – an den Tisch.
»Wie bitte? Warum flüsterst du?«, brüllte er. »Ich kann dich kaum verstehen!«
»Mach die Glotze leiser, verdammt. Ich kann nicht lauter sprechen«, zischte ich.
Ich hörte, wie er mit seinem Täubchen sprach, dann verstummte der Fernseher.
»So«, sagte er dann in normaler Lautstärke. »Was ist los?«
»Rate mal, wer die geheimnisvolle Dame ist, die gerade mit Dengelmann drüben im Esszimmer sitzt.«
»Was? Woher soll ich das denn bitte wissen?«
»Ich lasse dich nicht ohne Grund raten, Erwin. Du musst jetzt nicht auf gut Glück irgendeinen Namen nennen. Du kennst sie.«
»Woher sollte ich denn …«
»Hallo, einer zu Hause, McFly? Du wiederholst dich. Welche Dame kennen wir im Zusammenhang mit Dengelmann? Genau eine einzige! Okay, ich gebe noch einen Hinweis: Sie wohnt im selben Haus wie er.«
Verblüfftes Schweigen, dann: »Mach keine Witze. Du meinst doch nicht etwa …«
»Doch, ebendie meine ich. Ich koche heute Abend für Dengelmann und die Berger. Ist das krass, oder was?«
»Allerdings, das ist es. Hat sie ...«
Ich zuckte erschrocken zusammen, weil plötzlich die Küchentür aufging.
Bämm – neuer Adrenalinschub, na danke.
»Nein, Schatz, keine Ahnung, wann ich zu Hause sein werde. Du, kleinen Moment mal …«, plapperte ich ins Telefon, dann nahm ich es vom Ohr und sagte ziemlich laut: »Irgendwas nicht in Ordnung mit dem Essen, Herr Dengelmann?«
Er schüttelte den Kopf. »Für mich ist alles bestens. Aber mein Gast hat nach Salz gefragt.«
Aha, die Dame schätzte es also würzig. Und er sprach ums Verrecken nicht ihren Namen aus.
Ich rührte mich nicht vom Fleck und blickte mich betont ratlos in der Küche um. »Ich fürchte, Sie wissen besser als ich, wo hier ein Salzstreuer zu finden ist.«
»Oh, natürlich. Natürlich.«
Er stakste los und öffnete einen der Hängeschränke, dem er eine elektrische Gewürzmühle entnahm.
Gerade wollte er die Schranktür wieder schließen, aber ich sagte: »Nehmen Sie doch sicherheitshalber auch gleich Pfeffer mit. Dann müssen Sie nicht noch einmal laufen, falls sie danach fragt.«
… dann stören Sie mich verdammt noch mal nicht ein weiteres Mal bei meinem Telefonat und jagen mir einen Todesschreck ein, meinte ich natürlich damit.
Er holte also auch eine Pfeffermühle aus dem Schrank, schloss die Tür, grinste verlegen und verzischte sich wieder aus der Küche. Er hatte es zwar nicht gerade eilig, zurück zu seinem Gast zu kommen, wie mir schien – aber was blieb ihm übrig? Er konnte schließlich nicht einfach hier bei mir bleiben und die Berger alleine im Esszimmer hocken lassen. Mit meinem Essen, das ihr offenbar zu lasch gewürzt war.
»Okay, er ist wieder weg«, wisperte ich in den Hörer, nachdem Dengelmann die Küchentür hinter sich geschlossen hatte. Trotzdem traute ich mich nicht, in normaler Lautstärke mit Erwin zu sprechen. Vielleicht presste Dengelmann ja gerade sein Ohr an die Tür und …
Herrje – allmählich wurde ich paranoid. Warum sollte der Mann mich belauschen? Ich hatte ihn glauben lassen, dass ich mit meinem Freund telefonierte.
»Die Berger hat dir also nichts davon gesagt, dass sie heute Abend ein Date mit Dengelmann hat?«, fuhr ich fort.
»Natürlich nicht! Denkst du, das hätte ich dir verschwiegen? Vielleicht, um dir den Überraschungseffekt nicht zu verderben?«
»Aber was bedeutet das?«
»Was?«
»Na, beides! Erstens, dass sie uns nichts davon gesagt hat. Und zweitens, dass sie hier überhaupt sitzt. Was soll das?«
»Ich habe keine Ahnung«, murmelte er.
»Was soll ich denn jetzt machen? Wie soll ich mich verhalten?«
»Du machst überhaupt nichts. Hat sie dich gesehen?«
»Nein, sie weiß nicht, dass ich hier bin. Es sei denn, er hätte ihr gegenüber meinen Namen erwähnt. Ich wüsste aber nicht, weshalb er das tun sollte. Ich hatte im Vorfeld nicht den Eindruck, dass es hier um einen lockeren Abend geht, ganz im Gegenteil. Er war eher …«
Boing – Tür auf, Auftritt Dengelmann samt Servierwagen mit abgegrasten Tellern.
»Schatz«, zwitscherte ich in den Hörer, »ich hab zu tun, der Nachtisch ist fällig. Bis später, Schatz!«
Ich legte auf und wusste, ab jetzt würde Erwin darauf warten, dass ich mich noch einmal meldete.
»Sie können das Dessert gleich mitnehmen, wenn Sie wollen«, sagte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Ich muss kurz ins Bad, dann komme ich wieder.«
Vor mir aus auch das.
Als er zurückkam, hatte ich auf den Tellern bereits kleine Kunstwerke aus Schokocremenocken, Zimtsahne und Himbeersoße angerichtet, die ich im Finish noch mit ein wenig Zimtzucker bestreuselte und mit ein paar Himbeeren ausgarnierte. Wirklich, es sah ausgesprochen hübsch aus – das hätte mir jetzt auch geschmeckt. Ich schielte zu der noch halb vollen Schüssel mit der Schokocreme … Zimtsahne und Himbeersoße gab es ebenfalls noch.
»Reiß dich zusammen«, murmelte ich mit zusammengebissenen Zähnen, »erst wird klar Schiff gemacht.«
Ich packte die Reste auf einen Dessertteller, dann machte ich mich ans Aufräumen. Ursprünglich hatte ich vorgehabt, nach dem Kochen so schnell wie möglich die Biege zu machen, aber nun ließ ich mir Zeit.
Ich war von Frau Bergers Anwesenheit noch immer zutiefst verunsichert. Ich hatte keinen Schimmer, wie ich mich verhalten sollte.
Was, wenn Dengelmann tatsächlich ein ruchloser Mörder und sie gerade in höchster Gefahr war, weil sie ihn mit ihrem Verdacht unter Druck setzte? Falls ja – was würde sie damit erreichen wollen? Einfach herausfinden, was mit ihrer Freundin Jutta geschehen war? Oder ging es um mehr? Wollte sie ihn dazu bringen, dass er sich stellte?
Soll ich versuchen, in dieser Wohnung zu bleiben, bis ich sie außer Gefahr weiß?, grübelte ich, während ich die Spülmaschine im Schneckentempo einräumte, um Zeit zu schinden. Auf der anderen Seite konnte es ihr schon allein das Leben retten, dass ich von ihrer Anwesenheit wusste – immerhin war ich dadurch eine Zeugin. Nein, sie war nicht in Gefahr.
Verdammt. Ich wusste nicht mehr, was ich denken sollte.
Viel Zeit würden sie für das Dessert nicht brauchen. Ein wenig Creme, ein paar Himbeeren, Sahne – wie lange konnte es schon dauern, diesen Hauch von Dessert zu verspeisen?
Als ich mit der Küche so weit fertig war, setzte ich mich an den Tisch und begann, die Nachspeise zu löffeln. Töpfe und Pfannen hatte ich mit der Hand gespült und bereits weggeräumt. Ich musste nur noch das Geschirr vom Nachtisch in die Spülmaschine stellen, dann war ich hier fertig.
Ich musste nicht lange warten.
Dengelmann brachte die Teller herein und blickte sich um. »Sie haben ja schon aufgeräumt! Den Rest stelle ich selbst in die Spülmaschine. Sie sind bestimmt froh, dass Sie endlich Feierabend haben.«
Ja und nein, dachte ich. Woher sollte ich einen Grund nehmen, weiterhin in seiner Wohnung herumzulungern?
Da mir keiner einfiel, streckte ich die Waffen und nickte. »War denn alles zu Ihrer Zufriedenheit?«, fragte ich.
»Es hat großartig geschmeckt«, antwortete er und lächelte. »Wir sehen uns dann am Montag?«
Wieder nickte ich. Dann schlüpfte ich in meine Jacke, und er ließ mich hinaus. Zack – schon stand ich im Hausflur, und Frau Berger war nach wie vor in seiner Wohnung. Hatte er gerade beim Abschied nicht irgendwie irre gegrinst? So wie ein verrückter Mörder, der endlich mit seinem nächsten Opfer allein war?
Ich konnte hier nicht ewig stehen bleiben, verdammt. Zumindest musste ich jetzt bald mal die Haustür ins Schloss fallen lassen. Widerwillig verließ ich das Haus und ging zu meinem Auto, das einige Meter vom Hauseingang entfernt geparkt war. Dennoch hatte ich einen exzellenten Blick auf beide Wohnungen. Ich sah sein erleuchtetes Esszimmerfenster, in Frau Bergers Wohnung war alles dunkel.
Ich setzte mich ins Auto und rief Erwin an.
»Wo bist du?«, fragte er.
»Ich sitze vor dem Haus im Auto. Die Berger ist noch oben bei Dengelmann.«
»Worauf wartest du denn noch? Ist noch irgendwas passiert?«
»Nein, nichts. Ich habe nur das Gefühl, als müsste ich auf sie aufpassen.«
»Vom Auto aus? Wie soll das gehen?«
Ich zuckte mit den Schultern; dann fiel mir ein, dass er das nicht sehen konnte. »Keine Ahnung. Ich warte einfach, bis sie unten in ihrer Wohnung ist.«
Erwin schnaubte leise. »Bei dieser Kälte? Viel Vergnügen. Und wenn sie die Nacht bei ihm verbringt?«
Zuerst verstand ich nicht, was er meinte – dann fing ich an zu lachen. »Wie bitte? Die beiden?«, prustete ich. »Niemals.«
»Wer weiß, vielleicht spenden sie einander Trost.«
»Pfff. Ganz sicher nicht. Wenn sich jemand nicht auf diesen Abend gefreut hat, dann Dengelmann. Jetzt ist mir auch klar, warum er die ganze Zeit so wirkte, als wäre dieses Essen für ihn nur eine lästige Pflicht. Er hatte keinen Bock darauf. Als hätte er eine Wette verloren und müsste jetzt mit dem hässlichsten Mädchen der Schule auf den Abschlussball gehen. Ich frage mich, wie sie ihn dazu gebracht hat, sie in seine Wohnung zu lassen. Und warum sie uns gegenüber den Eindruck erweckt, als wären sie sich spinnefeind. Warum hetzt sie uns ihm auf den Hals? Und was soll dieser gestörte Alleingang heute?«
»Das alles wirst du heute nicht mehr herausfinden, Loretta. Wir besprechen uns in Ruhe, und dann überlegen wir uns, ob wir sie darauf ansprechen. Sie hat ja keine Ahnung, dass wir über diesen Abend Bescheid wissen.«
»Stimmt«, murmelte ich geisteswesend, weil in diesem Moment im Haus das Flurlicht anging. »Erwin, es tut sich was. Ich glaube, sie … Moment.«
In Frau Bergers Wohnung flammte Licht auf, dann erschien sie am Fenster und starrte in die Dunkelheit hinaus. Unwillkürlich duckte ich mich tiefer in den Sitz, obwohl sie nicht einmal in meine Richtung sah. Sie stand bewegungslos da, bis sie schließlich mit heftigen Bewegungen die Vorhänge schloss. Selbst aus der Entfernung konnte ich erkennen, dass sie aufgebracht war.
»Alles klar, sie ist in ihrer Wohnung. Ich fahre jetzt nach Hause«, sagte ich.
»In Ordnung. Wir reden morgen in Ruhe, ja? Schlaf gut, Loretta.«
»Du auch. Grüß dein Täubchen.«
Ich steckte das Handy ein und startete den Motor. Während ich langsam die stille Vorortstraße entlangfuhr, stellte ich mir nur eine einzige Frage: Was hatte Frau Berger aufgeregt?