Читать книгу Die Jutta saugt nicht mehr & Voll von der Rolle - Lotte Minck - Страница 6
Kapitel 2
ОглавлениеOb ein Frühstück positive Lebensgeister oder einen zähnefletschenden Dämon weckt, hängt immer davon ab, woraus es besteht
Meine Laune war nicht die beste, als der Wecker am Montagmorgen zu piepsen begann.
Erst kürzlich hatte ich mir einen sogenannten Tageslichtwecker angeschafft, also strahlte das Ding sanftes Licht aus, als ich die Augen aufschlug. Besonders im Winter sollte er mir das Aufstehen erleichtern, denn als passionierte Langschläferin kam ich nur schwer aus den Federn. Und ich hasste es besonders, im Stockdunklen aufzuwachen.
Außer dem nervtötenden Piepsen bot der Wecker diverse weitere Optionen an: zum Beispiel Vogelgezwitscher, das allerdings nicht die allergeringste Chance hatte, mich aufzuwecken und zum Verlassen meines Bettes zu animieren. Wie auch? In den Bäumen vor dem Schlafzimmerfenster wohnten zahllose Piepmätze, die regelmäßig bei Sonnenaufgang mit ihrem hysterischen Zwitscherkonzert loslegten. Daran hatte ich mich längst gewöhnt. Eine weitere Möglichkeit war das Geräusch strömenden Regens, was leider mein bevorzugtes Schlaflied war. Regen entspannte mich mehr als alles andere und ließ mich sanft einschlummern, todsicher.
Miiiep miiiep miiiep miiiep …
Ich seufzte ergeben, schwang die Beine aus dem Bett und starrte den Terror-Wecker an. Ob es wohl meine Laune heben würde, wenn ich ein wenig auf ihm herumtrampelte? Nein, dachte ich dann, das würde es nicht. Im Gegenteil: Ich müsste mir einen neuen Wecker besorgen.
Ich stellte das Ding also ab, und das Licht erlosch. Es war stockdunkel. Beste Voraussetzungen, mich noch einmal ein wenig hinzulegen … nur fünf kleine Minütchen vielleicht …
»Maaaoooooooooh.«
Nicht nur ich hatte den Wecker gehört, sondern auch Baghira. Für ihn das Startsignal, vor der Schlafzimmertür herumzuquengeln. Ich muss ihm zugutehalten, dass er sich wirklich erst meldet, wenn es piepst. Aber dann heißt es auch umgehend Flotti Karotti, wenn er höflichst bitten dürfte. Leerer Fressnapf am Morgen, wenn der Mensch wach ist? Geht gar nicht.
Ich öffnete die Schlafzimmertür, und der Kater flitzte vor mir her ins Bad. Baghira kannte das Ritual: Erst geht der Mensch aufs Töpfchen, und danach gibt es Fressi. Im Bad saß er schweigend vor mir und starrte mich an, während ich … nun ja. Kaum hatte ich die Spülung betätigt, ging es auch schon im Schweinsgalopp in die Küche, wo ihn dann der Veitstanz packte, bis endlich das gefüllte Schüsselchen vor ihm stand. Erst wenn das Tier zufrieden schmatzt, kann ich meinen Espresso aufsetzen und mich auf den Tag vorbereiten.
Manchmal hatte so ein Montagmorgen im November das Potenzial, der schlimmste Morgen des Jahres zu werden. So wie dieser hier. Er war der erste Morgen einer mehrwöchigen Phase ohne meinen Liebsten. Das war schon mal ein Bombengrund für miese Laune, wie ich fand. Wenn alles gut ging, würde er Weihnachten wieder da sein.
Außerdem fielen im November endgültig die allerletzten Blätter von den Bäumen. Irgendwann gab es den finalen Herbststurm, der sich so richtig gewaschen hatte, und danach waren die Äste kahl.
Dann gab es noch diese Novembertage, an denen sich alles in mir dagegen aufbäumte, dass es morgens dunkel war. Mal mehr, mal weniger, aber immer fand ich das eine Frechheit. Ab der Wintersonnenwende kurz vor Heiligabend konnte ich mich immerhin psychologisch damit überlisten, dass die Nächte ab sofort wieder kürzer wurden. Das klappte natürlich im November nicht; da waren wir noch in der Jeder-Tag-einige-Minuten-kürzer-Phase, und das allgegenwärtige Grau um mich herum verstärkte sich noch durch die Wolke, die permanent über meinem Haupte zu schweben schien und aus der immer mal kleine Blitze zuckten.
Nein, der November war definitiv nicht mein Lieblingsmonat.
»Was ist mit dir denn los? Hast du heute Morgen die Böse Hexe des Westens gefrühstückt?«, fragte Dennis und ahnte nicht einmal, wie knapp er an einem tätlichen Angriff meinerseits vorbeischrammte.
»Clowns waren aus«, gab ich pampig zurück.
Erwin grinste, und Dennis schlug sich vor Lachen auf die Schenkel, während ich ihn lauernd anstarrte und nur darauf wartete, dass er sich noch weitere kecke Bemerkungen traute.
Wir hatten uns zur ›Montagsrunde‹ im Büro der Detektei eingefunden. Was sich nach einer Podiumsdiskussion mit nationalen Entscheidungsträgern und hochrangigen Politikern anhört, ist in Wirklichkeit die Besprechung zum Wochenbeginn, die Erwin eingeführt hat. Aus Ermangelung an Aufträgen gab es meist zwar nichts zu besprechen, aber dann schwelgten wir immerhin in Zukunftsvisionen darüber, wie wir spektakuläre Fälle lösten.
Übers Wochenende hatten sich offenbar Heinzelmännchen im Büro zu schaffen gemacht, denn die vorherige Kargheit war durch eine beinahe schon wohnzimmerhaft-penetrante Gemütlichkeit abgelöst worden. Plötzlich lag da ein Teppich, auf dem sich vier abgewetzte, braune Ledersessel um einen niedrigen Tisch gruppierten. Erwin hatte bei ebay eingekauft, schloss ich messerscharf. Oder Dennis hatte in seiner Scheune noch ausgemustertes Mobiliar stehen gehabt. Die großen Pflanzen und die Bilder von Fördertürmen und sonstiger Ruhrpott-Romantik an den Wänden hingegen trugen Täubchens Handschrift, die natürlich wollte, dass ihr Erwin es hübsch kuschelig hatte.
Mehrere hohe Birkenfeigen standen in einer Reihe und bildeten einen blickdichten Sichtschutz zu den beiden schlichten Schreibtischen und den Regalen. Auf der Grenze zwischen den beiden Bereichen hatte sich zudem eine Holzkommode materialisiert, auf der eine Kaffeemaschine stand.
»In der hübschen Kommode da sind Tassen, Gläser und Getränke. Für Klientenbesuch«, sagte Erwin, der amüsiert verfolgt hatte, wie ich das Büro und die Neuerungen darin scannte. »Und Plätzchen«, fuhr er fort. »Hat mein Täubchen gebacken.«
»Bisschen früh für Weihnachtsbäckerei, oder?«, maulte ich. »Außerdem: welcher Besuch?«
Wie gesagt: Die Kunden rannten uns bislang nicht gerade die Bude ein. Unsere Referenzliste war kurz: zwei untreue Ehemänner beobachtet, fotografiert und somit überführt, einen inmitten eines Trennungsdramas entführten Hund aufgespürt und dem Besitzer zurückgebracht, eine lange verdächtigte Nachbarin einer Kundin beim nächtlichen Müll-in-den-Vorgarten-Werfen auf frischer Tat ertappt, in einem beschaulichen Vorort einem eifrigen Schlüpfer-von-der-Wäscheleine-Klauer aufgelauert und ihn der Ordnungsbehörde übergeben.
Noch nie seit der Existenz der Detektei hatte sich ein potenzieller Kunde in unser Büro verirrt. Wir hatten alles per Telefon, Mail oder an neutralen Treffpunkten mit den jeweiligen Kunden abgekaspert, also hatte bisher auch nicht die Notwendigkeit bestanden, das bisherige karge Messehallen-Ambiente in eine Wohlfühl-Oase für Spießer zu verwandeln.
Aber nein, das war unfair.
Es war durchaus gemütlich. Und die Sessel waren überaus bequem, wie ich merkte. Als ich kurz davor war, mich zusammenzurollen und ein kleines Nickerchen zu machen, meldete Erwin sich wieder zu Wort.
»Aufwachen, Schlafmütze. Wir haben gleich einen Termin. Jemand benötigt unsere Dienste. Und eines kann ich jetzt schon verraten: kein Fremdgeher, kein Hund, kein Müllterrorist, kein Schlüppidieb.«
Zack, war ich hellwach und saß kerzengerade. Noch immer schlecht gelaunt, aber wach. Deshalb also die wundersame Verwandlung, die mir zuerst so unmotiviert erschienen war. Ich konnte buchstäblich hören, wie Doris gesagt hatte: In dieser ungemütlichen Klitsche empfangt ihr mir keinen Klienten, verstanden? Was sollen denn die Leute von euch denken? Und dann hatten Dennis und Erwin bedröppelt auf ihre Schuhspitzen gestarrt, sich von ihr auf Trab bringen und so lange nerven lassen, bis alles zu ihrer Zufriedenheit erledigt war. Danach dürfte Doris in einer Nachtschicht Plätzchen gebacken haben. Bestimmt stand für Notfälle welcher Art auch immer zusätzlich eine Plastikdose mit Frikadellen im Kühlschrank der Personalküche des Callcenters.
Kaum vorstellbar, dass ein Klient zufällig gerade am Rande des Hungertodes entlangmanövrierte oder derart unterzuckert war, dass er umgehend einen herzhaften Happen benötigte, damit ihm nicht die Sinne schwanden. Aber man konnte schließlich nie wissen.
Außerdem war Doris eine leidenschaftliche Verfechterin der Theorie, dass essen immer half. Egal, bei welchem Gemütszustand. Es geht dir schlecht? Hier, nimm ein halbes Dutzend Frikadellchen, dann wird’s gleich wieder besser. Sollte ein Klient also in seelischen Nöten sein – was gar nicht so unwahrscheinlich war, wie ich zugeben musste –, stand Nervennahrung bereit, um das bedauernswerte Wesen kulinarisch zu trösten.
Das gesamte Personal im Callcenter profitierte von ihrer vorauseilend-mütterlichen Sorge um unser aller Wohlbefinden. Irgendwas gab es immer zu picken, das aus ihrer heimischen Küche stammte: Kuchen, Plätzchen oder eben ihre legendären und zu Recht heiß begehrten Frikadellchen, für die auch ich jedes drei Stunden lang bei Niedrigtemperatur geschmorte Kalbsbäckchen in die Tonne treten würde. Ob ich mal rasch im Kühlschrank nachsehen sollte …?
»Bist du überhaupt nicht neugierig?«, fragte Erwin und riss mich damit aus meinen lukullischen Fantasien.
»Doch, natürlich. Wir bekommen Besuch.«
»So ist es.« Erwin nickte und ließ seine stahlgrauen Minipli-Löckchen tanzen. »Eine Frau Berger. Waltraud Berger. Sie hat mich am Freitag angerufen. Sie braucht Hilfe.«
»Na, das ist aber mal eine faustdicke Überraschung. Jemand ruft eine Detektei an, weil er Hilfe benötigt? Verrückte Welt.«
Dennis musterte mich mit gerunzelter Stirn. »Herrje, komm mal klar, Loretta. Ich kenne ja deine spitze Zunge, aber heute versprühst du reine Salzsäure. Jetzt weiß ich auch, was du gefrühstückt hast: das Monster aus Alien.«
»Ich an deiner Stelle würde meine Stirn lieber nicht so in Falten legen«, fauchte ich. »Du siehst gerade aus wie ein Klingone. Und wenn dann plötzlich dein Gesicht so stehenbleibt, musst du immer so rumlaufen. Für den Rest deines Lebens. Alle Kinder werden weinen und schreiend weglaufen, wenn sie dich sehen.«
»Alter Falter«, murmelte Dennis sichtlich beeindruckt. »Zwei Monster, mindestens.«
»Auf Toast. Mit Käse überbacken. War lecker. Aber jetzt hab ich ein bisschen Sodbrennen.«
Ich zuckte mit den Schultern.
Bisher hatte ich ihnen noch nichts davon erzählt, dass ich meinen Liebsten schon jetzt fürchterlich vermisste – und ich würde es auch nicht tun. Jedenfalls heute nicht.
Ich atmete tief durch. »Tut mir leid, Jungs. Ist heute einfach nicht mein Tag.«
Erwin lachte. »Dann geh mal wacker zu meinem Täubchen und bitte sie um ihr Schminktäschchen, damit du dir ein freundliches Gesicht aufpinseln kannst.«
»Pfff. Wozu? Am Telefon kann keiner sehen, ob ich eine Fresse ziehe. Das mag ich an dem Job ja so.«
»Nix Telefon«, warf Dennis ein. »Du wirst gleich mit Erwin diese Frau empfangen. Und du wirst so sanft wie ein Lämmchen sein. Wir wollen doch einen guten Eindruck machen, oder?«
Ach, so war das. Ich sollte Miss Moneypenny geben.
»Und das stellt ihr euch genau wie vor? Kaffee servieren und dann mit dem Stenoblock auf den Knien dasitzen?«
»Quatsch«, sagte Erwin, »ich hätte dich einfach gerne dabei. Ich schätze dein Einfühlungsvermögen, das weißt du doch. Frau Berger hörte sich am Telefon ziemlich … ich weiß nicht … verzagt an, das trifft es wohl am besten. Ich hatte den Eindruck, dass es sie enorme Überwindung gekostet hat, mich anzurufen. Sie schien mir sehr unsicher. Und ich will sie nicht gleich wieder verjagen.« Er sah mich bittend an und fuhr fort: »Am liebsten wäre mir, du würdest mit ihr reden, und ich halte mich ein bisschen zurück, weißt du?«
»Befürchtest du etwa, dass du in deine alten Muster zurückfällst und die Ärmste einem hochnotpeinlichen Verhör unterziehst? Gestehen Sie, Sie sind entlarvt!« Ich kicherte. »Und dann sehen wir von ihr nur noch den Kondensstreifen.«
»Wer hätte es gedacht – es kann ja doch lachen.« Dennis schüttelte grinsend den Kopf. »Ich dachte echt schon, die Körperfresser hätten über Nacht von dir Besitz ergriffen.«
»Genau!« Ich hob die Hand und klatschte mit ihm ab. »Wer sind Sie, und was haben Sie mit Loretta gemacht?«, fügte ich mit Grabesstimme hinzu.
Erwin beobachtete unser albernes Gegacker einen Moment lang, dann sagte er: »Fertig mit euren Film- und Fernsehzitaten?« Er blickte auf die große Bahnhofsuhr, die – wie ich erst jetzt bemerkte – ebenfalls neu in unseren heiligen Hallen war. »Frau Berger kommt um neun. Wir haben also noch eine Viertelstunde, um uns vorzubereiten.«
Ich war so glücklich über meine Stimmungsaufhellung, dass ich am liebsten weiter herumgealbert hätte. Aber ich riss mich zusammen. Jetzt ging es um Business.
»Hat diese Frau Berger denn schon verraten, worum es bei ihrem Auftrag geht?«, fragte ich.
Erwin schüttelte den Kopf. »Nicht so richtig. Sie braucht Hilfe, hat sie gesagt, und dass es um jemanden geht, den sie schon lange nicht mehr gesehen hat.«
»Also ist alles möglich: von einem Vater, der kurz nach ihrer Geburt das Weite gesucht hat, bis zum entflogenen Wellensittich«, erwiderte ich.
Dennis stand auf und wandte sich der Tür zu, die ins Callcenter führte. »Ich werde dann mal.« Grinsend hob er beide Daumen. »Toi, toi, toi. Ihr macht das schon.«
Tür auf, Dennis weg.
»Was meinst du – soll ich mal Kaffee machen?«, fragte ich. Erwin zuckte mit den Achseln. »Könnte nicht schaden.«
Wie man sieht: Weder er noch ich hatten auch nur die geringste Vorstellung, wie man sich als Detektiv verhielt, wenn Kundenbesuch anstand. Handbücher zu diesem Thema gab es meines Wissens nicht. Detektiv werden für Dummies – das wäre doch mal eine Idee, oder? In den alten Hollywoodschinken hatte der hartgesottene Privatermittler immer eine Pulle Whisky aus seiner Schreibtischschublade gezaubert, um die obligatorische Dame in Nöten zu beruhigen. Das erschien mir irgendwie nicht angemessen. Außerdem waren wir ja auch nicht in Schwarz-Weiß.
Bereits wenige Minuten später ging die Türglocke. Praktischerweise verfügte dieses Büro über eine Tür zum Parkplatz, und Erwin hatte dort ein glänzendes Schild mit der Aufschrift Detektei Schneider angebracht.
Als ich öffnete, sah ich mich einer Dame von circa Mitte fünfzig gegenüber, die mich von Kopf bis Fuß musterte.
»Bin ich hier richtig? Ich habe einen Termin mit einem Herrn Schneider«, sagte sie.
Ich widerstand dem Impuls, auf das Schild zu zeigen, und bat sie mit einer Geste hinein.
»Frau Berger, nicht wahr? Schönen guten Morgen, Sie sind hier absolut richtig. Herr Schneider erwartet Sie bereits. Mein Name ist Luchs.«
Sie ging an mir vorbei ins Büro, und der zweifelnde Ausdruck in ihrem Gesicht verstärkte sich noch. Ihr Blick flog über den Teppich und die abgewetzten Ledersessel. Erwin tauchte hinter der Grünpflanzenwand auf und streckte die Hand aus.
»Erwin Schneider, guten Morgen.«
»Herr Schneider.« Frau Berger schüttelte ihm beinahe geistesabwesend die Hand und sah an ihm vorbei auf die Glasscheibe, durch die man ins Callcenter und somit auf die eifrig telefonierenden Damen gucken konnte.
Ach du Schande – wir Idioten hatten vergessen, die Jalousie zu schließen!
Mit einem beherzten Schritt war ich am Fenster und stellte die Lamellen auf blickdicht. Dann drehte ich mich zu unserer Besucherin um. »Wie Sie sehen, arbeiten wir Tür an Tür mit einem Dienstleister, an den wir zuweilen Rechercheaufträge weiterreichen. Uns fehlt meist die Zeit, stundenlang am Telefon zu hängen.«
Innerlich dankte ich auf Knien der Tatsache, dass Wände, Fenster und Türen schalldicht waren. Ich wollte mir erst gar nicht Frau Bergers Gesicht vorstellen, wenn sie gewahr wurde, welcher Art die Dienstleistungen der Damen waren, auf die sie einen kurzen Blick erhascht hatte. Ziemlich unwahrscheinlich, dass man bei Recherchetätigkeiten laut stöhnte und versaute Dinge sagte.
Erwin warf mir einen erleichterten Blick zu. »Aber nehmen Sie doch bitte Platz, Frau Berger. Darf ich Ihnen den Mantel abnehmen?«
Zögernd und beinahe widerwillig trennte sie sich von ihrem schützenden Kleidungsstück, das Erwin erst auf einen Bügel – Doris dachte wirklich an alles – und dann an einen der rustikalen Garderobenhaken beförderte.
»Ein Käffchen für Sie?«, fragte er dann.
Sie nickte und ließ sich von Erwin zu einem Sessel geleiten. Ich goss zwei Tassen Kaffee ein – auf dem Tisch stand schon alles bereit. Mir selbst nahm ich ein Glas Wasser.
Dann setzte ich mich zu den beiden und nahm Block und Stift zur Hand. Miss Moneypenny wäre dann so weit.
Kerzengerade saß Frau Berger auf der Sesselkante, die Knie unter ihrem schmalen Kostümrock eng zusammengepresst. Ihre Kleidung war bieder, aber keineswegs billig, ihre bereits ergrauten Haare tadellos frisiert. Schräg oberhalb der linken Braue hatte sie ein kleines, dunkles Muttermal. Es wirkte wie ein verirrter Schönheitsfleck, der vom Wangenknochen aus – wo er eigentlich hingehörte – einfach mal frech auf Wanderschaft gegangen war.
Nervös nippte sie an ihrem Kaffee; Zucker und Milch hatte sie nicht angerührt.
Erwin ließ ihr Zeit, sich zu sammeln, dann fragte er in seinem sanftesten, vertrauenerweckendsten Exbullen-Bariton: »Was führt Sie zu uns, Frau Berger?«
Unsere Besucherin stellte die Tasse mit einem lauten Klirren auf die Untertasse zurück. Sie atmete tief durch, und die Augen hinter der randlosen Brille füllten sich mit Tränen.
»Die Jutta saugt nicht mehr«, sagte sie.