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WAS WIR UNS NICHT ERKLÄREN KÖNNEN

Vor vier oder fünf Minuten war Thomas noch skeptisch. Er weigerte sich zu glauben, dass ich ihm gleich die Pik Vier und das Herz Ass aufdecken würde; genau die Karten, die er sich am Anfang ausgesucht hatte. Fünf Minuten später jedoch strahlte Thomas wie ein Honigkuchenpferd und konnte es kaum fassen: »Wie hast du das nur gemacht?«, fragte er ganz aufgeregt (und überhörte vermutlich, dass ich ihm antwortete: »Sehr gut hab ich das gemacht …«).

So geht es mir häufig; wenn ich nicht gerade gebucht und entsprechend angekündigt werde, lassen sich die Zuschauer eigentlich immer in drei Gruppen unterteilen: die Vorfreudigen, die Interessierten und die Skeptischen. Thomas war ein »Skeptiker« – und zugegeben – mit diesen Menschen ist es manchmal herausfordernd. Nicht etwa, weil es mir keinen Spaß machen würde, sondern weil hier viel Energie aufgewandt wird in Fragestellungen, die bei einem Vorfreudigen keine Rolle spielen.

Die Frage, die diese Skeptiker umtreibt, ist die, ob es Zauberei nun wirklich gibt – oder ob alles nur eine große Trickschau ist. Entgegnen würde ich darauf: »Es kommt drauf an!«

Klingt etwas unbefriedigend, hm?

Glauben Sie an eine höhere Macht, die alles bestimmt, lenkt und leitet? Glauben Sie an eine Art Schicksal? Vermutlich würden Sie so etwas entgegnen wie: »Kommt drauf an.« Dass es ein Schicksal gibt, lässt sich weder beweisen noch widerlegen, es ist eine Sache des Betrachters. Manche Menschen glauben an das Schicksal, andere nicht oder an andere Formen.

Noch klarer wird es mit einem Selbstversuch: Sie müssen dazu nicht die Jalousien runterlassen und die Türen schließen; bleiben Sie einfach sitzen und lockern Sie Ihren Geist. Stellen Sie sich vor, ich säße spontan neben Ihnen im Wohnzimmer. Einfach so!

Nachdem Sie sich wieder beruhigt hätten (bestimmt würden Sie sich ziemlich erschrecken!), würde ich Sie um Folgendes bitten: »Zeigen Sie auf irgendeinen beliebigen Gegenstand hier in Ihrem Wohnzimmer!«

Dann würden Sie vielleicht auf eine leere PET-Flasche zeigen (der Umwelt zuliebe muss die eh weg …) oder auf die Fernbedienung Ihres Fernsehers, vielleicht auch auf eine alte Armbanduhr, die Sie seit Monaten nicht mehr getragen haben, da ihre Zeiger stehen geblieben sind.

Und dann? Würde ich dieses Objekt vor Ihren Augen verschwinden lassen.

Eins, zwei, drei – Peng! Weg!

Sie wären erstaunt, nicht wahr? Sie hätten keinen Schimmer, wie ich das gemacht hätte – und das Objekt wäre tatsächlich weg! Sie würden in die Innenseite meines Anzugs greifen, um zu prüfen, ob ich Ihr Objekt einfach nur fingerfertig in meine Tasche abgelegt hätte.

Oder Sie würden unter Ihrem Sofa nachschauen.

Aber nein – das Teil wäre wie vom Erdboden verschluckt.

Ich weiß, alles in allem ein etwas skurriles Szenario, aber es ist wichtig, dass Sie gedanklich bei mir bleiben.

Ihre Fernbedienung wäre jetzt also weg – und nun? Was würden Sie sagen? War das jetzt Zauberei, pure Magie – oder nur »ein Trick«?

Meinetwegen lasse ich Ihre Fernbedienung hinterher auch wieder auftauchen, aber die Frage bleibt: Würden Sie das Ganze als »magische zwei Minuten« einordnen oder eher als Trickschau?

Worauf ich hinaus möchte: Ob Zauberei wirklich existiert, beruht auf der subjektiven Einschätzung des Rezipienten.

Sogar dann, wenn ich Ihnen sagen würde, wie ich das Objekt habe verschwinden lassen, kann es sich für Sie immer noch wie Magie angefühlt haben. Und genau darum geht es, genau deshalb habe ich die Zauberei zu meinem Beruf gemacht: Weil ich es liebe, in Menschen gute Gefühle zu erzeugen.

Manchmal kommt es vor, dass ein Zuschauer nach einer Show auf mich zukommt und sich von der Mentalmagie, die ich präsentiert habe, beeindruckt gibt. »Aber wissen Sie, Herr von Eckstein …«, fängt er dann an zu erzählen, »… ist es möglich, dass Sie mir meine Zukunft voraussagen? Ist es möglich, dass Sie mir sagen, ob ich meine Tochter jemals wiedersehen werde?«

An einem solchen Punkt bleibe ich hart und professionell, auch wenn es mir menschlich schwerfällt. Natürlich würde ich ihn gerne beiseitenehmen und mir seine Geschichte anhören. Noch lieber würde ich ihm helfen und ihm seine Sorge nehmen – aber ich bin weder Wahrsager noch Hellseher und gebe auch keine Zukunftsprognosen, die von außen betrachtet leicht als »dubios« eingestuft werden könnten. Damit würde ich meinen Status als Mentalmagier untergraben und, noch viel schlimmer, ich würde Schaden bei denjenigen anrichten, die ihre Hoffnung in mich gelegt haben. Die Zauberei war für mich immer Begeisterung und Freude, ich möchte Menschen für ein paar Minuten aus ihrem sorgenvollen Alltag entführen. Ich liebe weit aufgerissene Augen und erstaunte Gesichter, in denen ich Überraschung, Ungläubigkeit und Freude erkenne. Ich möchte aber keine Projektionsfläche für die sein, die glauben, mit meiner Hilfe ihre eigenen Probleme und die der Menschheit lösen zu können.

Vielleicht ist das ein guter Zeitpunkt, um mir auch etwas in die Karten schauen zu lassen. Nein – ein Zauberkünstler wird niemals seine Geheimnisse verraten, und er wird niemals einen vollumfänglichen Blick hinter die Kulissen gewähren. Aber um einen guten Übergang zu schaffen, will ich ein kleines Detail enthüllen: Körpersprache.

Die Körpersprache ist der Dreh- und Angelpunkt all meiner Mentalillusionen und bringt mich zu all den fantastischen Ergebnissen, mit denen ich die Zuschauer regelmäßig verzaubere. Sie glauben gar nicht, wie viel Ihre Körpersprache über Sie verrät.

In diesem Buch wird es viel um Körpersprache gehen, aber hier schon mal ein kleiner »Live-Test«: Wann immer Sie das nächste Mal auf einen Menschen treffen (vielleicht schon gleich in den nächsten Minuten), beobachten Sie ihn. Achten Sie darauf, wie er sich bewegt, wie er atmet, wie entspannt er wirkt. Sammeln Sie Daten und Informationen darüber, wie sich der andere Mensch gibt. Wie »fühlt« er sich an? Warm oder kalt? Gestresst oder entspannt? Aufmerksam oder behäbig? Ist er »im Moment« oder eher »in Gedanken versunken«?

Alle diese Eindrücke können Sie sich gedanklich notieren.

Angenommen, die von Ihnen beobachtete Person würde Sie daraufhin auf Ihren Eindruck von ihr ansprechen und Sie würden ihr Ihre Einschätzung mitteilen – vermutlich würden Sie mit vielen Ihrer Interpretationen gar nicht so falsch liegen. Der Grund dafür liegt in Ihren Genen! Bereits als Baby spüren Sie, was gerade in Ihrer Umgebung passiert. Als Neugeborenes können Sie sich noch nicht artikulieren, aber in einem Klima voller Freude werden Sie sich als Baby wohlfühlen und tendenziell weniger schreien als in einer Umgebung voller Unsicherheit, Anspannung, Angst und Gefahr. Da Sie noch nicht sprechen können, ist das auch nötig; schließlich könnten Sie sonst nicht an dieser Welt teilhaben. Auf körpersprachlicher Ebene sind Sie fest mit Ihrer Mutter verbunden, Sie spüren, was sie spürt – und Ihre Mutter spürt, was Sie spüren.

Wenn Sie größer werden, aufwachsen und der Spracherwerb beginnt, sinkt allmählich die Fähigkeit, Körpersprache zu interpretieren. Zwar können Sie immer noch unterscheiden, ob Ihre Eltern gerade wütend, traurig oder fröhlich sind, aber die Notwendigkeit ist nicht mehr da, alles bis in die feinsten Nuancen zu differenzieren. Es ist wie ein Muskel, der mit der Zeit immer weniger beansprucht und dadurch kleiner wird. Menschen wie ich, Illusionisten und Zauberkünstler, trainieren genau diesen Muskel, lassen ihn wieder erstarken und sorgen dafür, dass er »in Übung« bleibt. Würde ich Sie anschauen, würde ich die Veränderung Ihrer Mimik erkennen, wenn Sie etwa an bestimmte Erlebnisse zurückdenken oder vorfreudig in die Zukunft schauen. Oder, ich formuliere anders: Ich würde es genauso gut erkennen wie jeder »Ungeübte«, aber ich würde andere Schlüsse daraus ziehen und diese zu meinem Vorteil verwenden können.

Denken Sie an eine Verkaufssituation; der Verkäufer, der blitzschnell erkennt, wie sich bei gewissen Verkaufsargumenten oder Beschreibungen die Mimik und Gestik des Interessenten ändert, hat einen Vorteil gegenüber seinem Verkaufskollegen, der nicht um diese Techniken weiß und einfach weiterverkauft und seine Interessenten damit überfordert.

Vielleicht befanden Sie sich ja auch schon mal in beiden Situationen: Bei einem Verkäufer, bei dem das Kaufen ein angenehmes Erlebnis war, und bei einem Verkäufer, der Sie verstört hinterließ …

Man wird es im Nachhinein nicht mehr klären können, aber es ist denkbar, dass der »gute« Verkäufer besser auf Ihre Mikroreaktionen eingegangen ist.

Vielleicht aber war er damals auch einfach nur geduldig … was es damit auf sich hat, erfahren Sie auf den nächsten Seiten!

Der Wahrheits-Code

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