Читать книгу Kleine Frauen, Band 3: Kleine Männer - Louisa May Alcott - Страница 4
I. NAT
Оглавление"Bitte, Sir, ist das Plumfield?", fragte ein zerlumpter Junge den Mann, der das große Tor öffnete, vor dem der Bus ihn abgesetzt hatte.
"Ja, wer hat dich geschickt?"
"Mr. Laurence. Ich habe einen Brief für die Dame des Hauses."
"Na gut, geh zum Haus und gib ihn ihr; sie wird sich um dich kümmern, kleiner Kerl."
Der Mann sprach freundlich mit ihm, und der Junge, den diese Worte sehr aufmunterten, ging weiter. Durch den milden Frühlingsregen, der auf sprießendes Gras und knospende Bäume fiel, sah Nat ein großes, quadratisches Haus, ein gastfreundlich aussehendes Gebäude, mit einer altmodischen Veranda, breiten Stufen und Licht, das aus vielen Fenstern schien. Weder Vorhänge noch Fensterläden verbargen den fröhlichen Schimmer; und als er einen Moment innehielt, bevor er läutete, sah Nat viele kleine Schatten an den Wänden tanzen, hörte das angenehme Summen junger Stimmen und meinte, es sei kaum möglich, dass das Licht, die Wärme und die Heimeligkeit im Inneren für einen obdachlosen "kleinen Kerl" wie ihn bestimmt sein könnten.
"Ich hoffe, die Dame des Hauses wird mich empfangen", dachte er bei sich und betätigte schüchtern den großen Klopfer aus Bronze, der wie ein lustiger Greifenkopf aussah.
Eine Dienerin mit rosigem Gesicht öffnete die Tür und lächelte, als sie den Brief nahm, den er ihr schweigend entgegenhielt. Sie schien es gewohnt zu sein, fremde Jungen zu empfangen, denn sie zeigte auf eine Stelle in der Vorhalle und sagte mit dem Kopf nickend:
"Setz dich da hin, da kannst du auf die Matte tropfen, während ich das hier zu Missis bringe."
Nat hatte keine Probleme, sich zu beschäftigen, während er wartete; er starrte neugierig auf seine Umgebung, genoss das, was er sah, freute sich aber auch, dies unbeobachtet in der dämmrigen Nische bei der Tür tun zu können.
Im Haus schien es von Jungen, die sich in der verregneten Dämmerung die Zeit mit allerlei Vergnügungen vertrieben, nur so zu wimmeln. Überall waren Knaben, "oben und unten und im Zimmer der Dame", denn die verschiedenen offenen Türen zeigten fröhliche Gruppen aus großen, kleinen und mittelgroßen Jungs bei allen möglichen abendlichen Zeitvertreiben, um nicht zu sagen überschwänglichen Spielen. Zwei große Zimmer auf der rechten Seite waren offensichtlich Schulräume, in denen Schreibtische, Karten, Tafeln und Bücher verstreut waren. Ein offenes Feuer brannte auf der Feuerstelle, und mehrere faulenzende Burschen lagen davor auf dem Rücken und diskutierten so angeregt über einen neuen Cricketplatz, dass ihre Stiefel durch die Luft wirbelten. Ein großer Junge übte in einer Ecke auf der Flöte, gänzlich ungestört von dem Lärm um ihn herum. Zwei oder drei andere hüpften über die Tische, hielten inne, um Luft zu holen, und lachten über die skurrilen Skizzen eines kleinen Witzbolds, der den ganzen Hausstand auf einer Tafel karikierte.
Im Raum zu seiner Linken war ein langer, mit Abendbrot gedeckter Tisch zu sehen, auf dem große Krüge mit frischer Milch, ganze Haufen von Vollkorn- und Weißbrot und Stapel dieser glänzenden Lebkuchen, die Jungs so sehr lieben, dargeboten wurden. Der Geruch von Toast lag in der Luft, ebenso ein Hauch von gebackenen Äpfeln – sehr verlockend für ein empfindsames Näschen und einen hungrigen kleinen Magen.
Die Vorhalle war jedoch die Attraktion schlechthin, denn im oberen Hausflur wurde gerade ausgelassen Fangen gespielt. Auf einem Treppenabsatz wurde mit Murmeln gespielt, auf einem anderen Dame, während auf der Treppe ein Junge las, ein Mädchen seiner Puppe ein Wiegenlied vorsang, zwei Welpen und ein Kätzchen miteinander spielten und eine nicht enden wollende Schar kleiner Jungs das Geländer herunterrutschte, sehr zum Schaden ihrer Kleidung und höchst gefährlich für ihre Gliedmaßen.
Nat war so begeistert von diesem aufregenden Rutschen, dass er sich immer weiter aus seiner Ecke herauswagte; und als ein sehr lebhafter Junge so schnell herunterrutschte, dass er sich nicht mehr halten konnte, sondern so heftig vom Geländer fiel, dass jeder Kopf dabei gebrochen wäre, außer einem, der durch elf Jahre ständiges Anstoßen fast so hart wie eine Kanonenkugel geworden war, vergaß sich Nat und rannte, in der Erwartung, ihn halbtot vorzufinden, auf den Gestürzten zu. Der Junge blinzelte jedoch nur kurz, lag dann ruhig da und schaute mit einem überraschten "Hallo" zu dem neuen Gesicht auf.
"Hallo!", erwiderte Nat, da er nicht wusste, was er außerdem sagen sollte, und diese Form der Antwort für kurz und angemessen hielt.
"Bist du ein Neuer?", fragte der am Boden liegende Junge, ohne sich zu rühren.
"Das weiß ich noch nicht."
"Wie ist dein Name?"
"Nat Blake."
"Ich heiße Tommy Bangs; komm doch mit hoch und mach bei uns mit!" Mit diesen Worte stand Tommy auf, als würde er sich plötzlich an die Gebote der Gastfreundschaft erinnern.
"Lieber nicht, denn ich weiß ja nicht, ob ich bleiben darf", erwiderte Nat, der deutlich spürte, dass der Wunsch zu bleiben jeden Moment stärker wurde.
"Hey, Demi, hier ist ein Neuer. Komm und stell dich vor", sagte der aufgeweckte Thomas und nahm mit unverminderter Freude seine körperliche Betätigung wieder auf.
Auf seinen Ruf hin schaute der Junge, der auf der Treppe las, mit großen, braunen Augen auf, klemmte nach einer kurzen Pause, in der er ein wenig schüchtern wirkte, das Buch unter seinen Arm und kam langsam herunter, um den Neuankömmling zu begrüßen, der in dem angenehmen Gesicht dieses schlanken Jungen mit den sanften Augen etwas sehr Anziehendes fand.
"Hast du Tante Jo schon getroffen", fragte er, als ob es sich dabei um eine wichtige Zeremonie handeln würde.
"Ich habe noch niemanden außer euch Jungs gesehen; ich warte noch", antwortete Nat.
"Hat Onkel Laurie dich geschickt?", fuhr Demi höflich, aber ernst, fort.
"Nein, Mr. Laurence."
"Das ist Onkel Laurie; und er schickt immer nette Jungs."
Nat wirkte erfreut nach dieser Bemerkung und lächelte auf eine Weise, die seinem dünnen Gesicht sehr gut stand. Da er nicht wusste, was er als nächstes sagen sollte, standen beide in freundschaftlichem Schweigen da und starrten einander an, bis das kleine Mädchen mit ihrer Puppe im Arm auftauchte. Sie sah Demi sehr ähnlich, war aber nicht so groß, und hatte ein runderes, rosigeres Gesicht und blaue Augen.
"Das ist meine Schwester Daisy", verkündete Demi, als ob sie ein sehr seltenes und kostbares Geschöpf wäre.
Die Kinder nickten einander zu, und im Gesicht des kleinen Mädchens entstanden Grübchen, als sie freundlich sagte:
"Ich hoffe, du bleibst. Wir haben so viel Spaß hier; nicht wahr, Demi?"
"Natürlich; deswegen hat Tante Jo ja Plumfield."
"Dies scheint in der Tat ein sehr schöner Ort zu sein", bemerkte Nat, der meinte, diesen liebenswerten Kindern antworten zu müssen.
"Es ist der schönste Ort der Welt, nicht wahr, Demi?", sagte Daisy, die ihren Bruder offensichtlich als Fachmann in allen Fragen betrachtete .
"Nein; ich denke, dass Grönland, wo es Eisberge und Robben gibt, noch interessanter ist. Aber ich bin gerne in Plumfield, und es ist wirklich ein sehr schöner Ort", antwortete Demi, der gerade ein Buch über Grönland gelesen hatte. Er wollte Nat gerade die Bilder zeigen und erklären, als der Diener zurückkam und mit einem Nicken zur Stubentür sagte:
"In Ordnung, es ist so weit."
"Da bin ich froh; komm mit zu Tante Jo." Daisy nahm ihn mit einer behütenden Geste bei der Hand, was Nat sofort ein Gefühl von Zuhause gab.
Demi nahm sich wieder seinem geliebten Buch an, während seine Schwester den Neuankömmling in ein Hinterzimmer führte, wo ein stämmiger Herr mit zwei kleinen Jungs auf dem Sofa herumtollte und eine schlanke Dame gerade den Brief beendete, den sie anscheinend zum zweiten Mal gelesen hatte.
"Hier ist er, Tantchen!", rief Daisy.
"Das ist also mein neuer Junge? Ich freue mich, dich zu sehen, mein Lieber, und hoffe, dass du hier glücklich wirst", sagte die Dame, zog ihn zu sich und strich ihm mit sanfter Hand und mütterlichem Blick die Haare aus der Stirn, was sie bei Nat gleich sehr beliebt machte.
Sie war nicht wirklich gutaussehend, aber sie hatte ein fröhliches Gesicht, das gewisse kindliche Verhaltensweisen und Ausdrücke nicht vergessen zu haben schien, ebenso wenig wie ihre Stimme und ihr Benehmen; und diese Dinge, die schwer zu beschreiben, aber sehr deutlich zu sehen und zu fühlen waren, machten sie zu einem angenehmen, liebenswerten Menschen, mit dem man leicht zurechtkam und der im Allgemeinen "lustig" war, wie Jungs sagen würden. Sie sah das kleine Zittern auf Nats Lippen, als sie sein Haar glättete, und ihre scharfen Augen wurden sanfter; aber sie zog die verwahrlost wirkende Gestalt nur näher zu sich heran und sagte lachend:
"Ich bin Mutter Bär, dieser Herr da ist Vater Bär, und das sind die beiden kleinen Bärchen – Kommt her, Jungs, und begrüßt Nat.
Die drei Ringer gehorchten sofort, und auch der stämmige Mann, auf dessen Schultern jeweils ein pummeliges Kind saß, kam her, um den neuen Jungen zu begrüßen. Rob und Teddy grinsten ihn nur an, aber Mr. Bär schüttelte ihm die Hände, zeigte auf einen niedrigen Stuhl in der Nähe des Feuers und sagte mit herzlicher Stimme:
"Dort ist ein Platz für dich, mein Sohn; setz dich hin und trockne sofort deine nassen Füße."
"Nass? Das stimmt! Mein Lieber, raus mit den Schuhen, und ich besorge dir im Nu ein paar trockene Sachen ", rief Mrs. Bär, die so energisch umherschwirrte, dass Nat mit trockenen Socken und warmen Pantoffeln an den Füßen in dem gemütlichen, kleinen Stühlchen saß, bevor er Zeit gehabt hätte, auf drei zu zählen – selbst, wenn ihm dies in den Sinn gekommen wäre. Stattdessen sagte er "Danke, Ma'am"; und er sagte dies so hingebungsvoll, dass Mrs. Bärs Augen schon wieder sanft wurden, und sie etwas Fröhliches sagen musste, um Ihre Rührung zu verstecken.
"Das sind Tommy Bangs Hausschuhe; aber er zieht sie grundsätzlich nie im Haus an, also braucht er sie auch nicht. Sie sind dir zu groß, aber das ist umso besser; denn so kannst du nicht so schnell vor uns weglaufen, als wenn sie passen würden.
"Ich will nicht weglaufen, Ma'am." Mit einem langen, zufriedenen Seufzer breitete Nat seine schmutzigen, kleinen Hände vor dem gemütlichen Feuer aus.
"Das ist gut! Jetzt werde ich dich einmummeln und versuchen, diesen grässlichen Husten loszuwerden. Wie lange hast du den schon, mein Lieber?", fragte Mrs. Bär, während sie in ihrem großen Korb nach einem Streifen Flanell wühlte.
"Schon den ganzen Winter. Ich bekam eine Erkältung, und die wollte irgendwie einfach nicht besser werden."
"Kein Wunder, wenn man in so einem feuchten Kellerloch lebt und kaum einen Lumpen am Körper hatte", sagte Mrs. Bär leise zu ihrem Mann, dessen Augen den Jungen eingehend betrachteten und denen weder die dünnen Schläfen und fiebrigen Lippen, noch die heisere Stimme und die häufigen Hustenanfälle entgingen, die die gebeugten Schultern unter der zusammengeflickten Jacke erschütterten.
"Robin, mein Bester, zottle mal zum Kindermädchen und sag ihr, sie soll dir den Hustensaft und das Mittel zum Einreiben geben", sagte Mr. Bär, nachdem seine Augen mit denen seiner Frau telegrafiert hatten.
Nat beobachtete die Vorbereitungen mit etwas Sorge, vergaß aber seine Ängste mit einem herzlichen Lachen, als Mrs. Bär ihm mit einem drollig anmutenden Blick zuflüsterte:
"Hör mal, wie mein kleiner Schurke Teddy sich gerade abmüht, einigermaßen zu husten. In dem Sirup, den ich dir gleich gebe, ist nämlich Honig drin; und den will er haben."
Als endlich die Flasche kam, war der kleine Ted schon rot im Gesicht vor lauter Strapazen, und durfte den Löffel ablutschen, nachdem Nat eine große Ladung eingenommen hatte und sich das Stück Flanell um den Hals legen ließ.
Diese ersten Versuche einer schnellen Heilung waren kaum abgeschlossen, als eine große Glocke läutete und ein lautes Herumtrampeln in der Vorhalle das Abendessen ankündigte. Der schüchterne Nat bebte bei dem Gedanken, so viele fremde Jungen zu treffen, aber Mrs. Bär streckte ihm ihre Hand entgegen und Rob sagte väterlich: "Hab keine Angst, ich kümmere mich um dich.
Zwölf Jungs, sechs auf jeder Seite des Tisches, standen hinter ihren Stühlen und tänzelten vor Ungeduld, während die großen, flötenspielenden Jungen versuchten, ihre Begeisterung zu zügeln. Aber niemand setzte sich, bis Mrs. Bär an ihrem Platz hinter der Teekanne stand, Teddy zu ihrer Linken und Nat zu ihrer Rechten.
"Das ist unser neuer Junge, Nat Blake. Nach dem Abendessen könnt ihr 'Hallo' sagen. Aber sachte, Jungs, sachte."
Während sie sprach, starrten alle auf Nat und stürzten sich dann auf ihre Plätze, wobei der Versuch, dies einigermaßen geordnet zu tun, völlig daneben ging. Die Bärs taten ihr Bestes, damit sich die Jungs bei den Mahlzeiten gut benahmen, und das gelang ihnen im Allgemeinen auch, denn ihre wenigen Regeln machten Sinn, und die Jungs, die wussten, dass sie es nur gut mit ihnen meinten, taten ihr Bestes, um sie zu beachten. Aber es gibt Zeiten, in denen hungrige Jungen nicht ohne etwas Grausamkeit zurückgehalten werden können, und ein Samstagabend, sozusagen nach einem halben Feiertag, war eine dieser Zeiten.
"Liebe kleine Seelen, lasst ihnen einen Tag, an dem sie nach Herzenslust schreien, toben und herumalbern können. Ohne Freizeit und Spaß ist ein Feiertag kein Feiertag, und einmal in der Woche sollen sie dies genießen können", sagte Mrs. Bär für gewöhnlich, wenn sich die spießigen Leute wunderten, warum unter dem einstmals so ehrenwerten Dach von Plumfield Rutschen auf dem Treppengeländer, Kissenschlachten und alle möglichen anderen lustigen Spiele erlaubt waren.
Manchmal schien es so, als ob besagtes Dach in Gefahr war, wegzufliegen; aber das tat es nie, denn ein Wort von Vater Bär reichte, um sofort Ruhe zu schaffen, und die Jungs hatten gelernt, dass sie ihre Freiheiten lieber nicht missbrauchen sollten. So gedieh die Schule trotz vieler düsterer Vorhersagen, und die Schüler lernten Manieren und Moral, ohne dass sie genau sagen hätten können, wie dies passierte.
Nat fand sich hinter den großen Krügen sehr gut aufgehoben, und Tommy Bangs, der gleich um die Ecke saß, und Mrs. Bär in dessen Nähe, sorgten dafür, dass leere Teller und Becher so schnell wie möglich aufgefüllt wurden.
"Wer ist der Junge neben dem Mädchen am anderen Ende des Tisches?", flüsterte Nat seinem jungen Nachbarn im Schutz eines allgemeinen Lachanfalls zu.
"Das ist Demi Brooke. Mr. Bär ist sein Onkel."
"Was für ein seltsamer Name!"
"Sein richtiger Name ist John, aber sie nennen ihn Demi-John, weil sein Vater ebenfalls John heißt. Das Ganze ist ein Ulk, verstehst du?", sagte Tommy, der ihm alles freundlich erklärte. Nat verstand es trotzdem nicht, lächelte aber höflich und fragte interessiert:
"Er scheint mir ein sehr netter Junge zu sein!"
"Ich versichere dir, das ist er; er weiß viel und liest so ziemlich alles."
"Wer ist der Dicke neben ihm?"
"Oh, das ist Pummelchen. Sein richtiger Name ist George, aber wir nennen ihn Pummelchen, weil er so viel isst. Der kleine Kerl neben Vater Bär ist sein Sohn Rob, und dann ist da noch der große Franz, sein Neffe; er gibt Unterricht und kümmert sich auch irgendwie um uns."
"Er spielt Flöte, nicht wahr", fragte Nat, nachdem er sich von seiner Sprachlosigkeit erholt hatte, als Tommy sich mit einem Schlag einen ganzen Bratapfel in den Mund steckte.
Tommy nickte und sagte, früher als man es unter den gegebenen Umständen für möglich gehalten hätte: "Oh ja, nicht wahr? Und manchmal tanzen wir und turnen zu Musik. Ich selbst mag die Trommel und möchte so schnell wie möglich lernen, darauf zu spielen."
"Ich mag die Geige am liebsten, und kann die auch spielen", sagte Nat, der bei diesem, für ihn reizvollen Thema, mehr und mehr Vertrauen fasste.
"Echt jetzt?", antwortete Tommy, der mit großem Interesse in seinen runden Augen über den Rand seines Bechers starrte. "Mr. Bär hat eine alte Fiedel, und er lässt dich bestimmt darauf spielen, wenn du willst."
"Meinst du? Oh, das würde ich sehr gerne. Weißt du, ich habe mit meinem Vater und einem anderen Mann auf der Straße gespielt – bis Vater starb."
"War das nicht lustig – also das Herumziehen?", rief Tommy, der sehr beeindruckt schien.
"Nein, es war schrecklich; so kalt im Winter und heiß im Sommer. Und ich war ständig erschöpft; und die beiden hatten manchmal Streit, und ich nicht genug zu essen." Nat hielt inne, um sich eine großzügige Portion Lebkuchen einzuverleiben, als wolle er sich versichern, dass die schweren Zeiten nun vorbei seien; dann fügte er bedauernd hinzu: "Aber ich habe meine kleine Geige geliebt, und ich vermisse sie. Nicolo hat sie mir weggenommen, als Vater starb, und wollte mich nicht mehr bei sich haben, weil ich krank war.
"Du kannst bei unserer Band mitmachen, wenn du gut spielst. Wirst schon sehen."
"Habt ihr eine Band hier?" Nats Augen funkelten.
"Aber hallo; wir haben sogar eine sehr fröhliche Band, alles Jungs, und sie geben Konzerte und so weiter. Pass mal auf, was morgen Abend passiert."
Nach dieser erfreulich aufregenden Bemerkung widmete sich Tommy wieder seinem Abendessen, und Nat versank über seinem vollen Teller in glückselige Träume.
Mrs. Bär hatte alles mitangehört, was sie sagten, obwohl sie anscheinend ins Nachfüllen von Bechern vertieft war und auf den kleinen Ted aufpasste, der so schläfrig war, dass er sich den Löffel ins Auge steckte, den Kopf wie eine rosarote Mohnblume sinken ließ und schließlich fest einschlief, eine Wange auf einem weichen Brötchen. Mrs. Bär hatte Nat neben Tommy gesetzt, weil dieser kugelrunde Junge eine offene und sehr nette Art hatte, geradezu ideal für schüchterne Menschen. Nat spürte dies und war während des Abendessens sehr vertraulich geworden, was Mrs. Bär mehr Einsichten in den Charakter des neuen Jungen vermittelte, als wenn sie selbst mit ihm gesprochen hätte.
In dem Brief, den Mr. Laurence Nat mitgegeben hatte, stand:
"LIEBE JO, – hier kommt ein Fall ganz nach deinem Herzen. Dieser arme Junge ist jetzt ein Waisenkind, krank und ohne Freunde. Er war ein Straßenmusikant, und als ich ihn in einem Keller fand, trauerte er um seinen toten Vater und seine verlorene Geige. Ich glaube, es steckt etwas in ihm, und irgendetwas sagt mir, dass wir diesem kleinen Mann helfen sollten. Heile du seinen überforderten Körper, Fritz seinen vernachlässigten Geist, und wenn ihr das geschafft habt, werde ich mal sehen, ob er wirklich ein Genie ist oder nur ein talentierter Junge, der vielleicht sein eigenes Brot verdienen kann. Versucht es mit ihm, um eures eigenen Jungen willen,
"TEDDY."
"Natürlich werden wir das!", rief Mrs. Bär, als sie den Brief gelesen hatte; und als sie Nat sah, spürte sie sofort, dass ein einsamer, kranker Junge vor ihr stand, der genau das brauchte, was sie gerne gab, nämlich ein Zuhause und mütterliche Fürsorge – ganz egal, ob Genie oder nicht. Sowohl sie als auch Mr. Bär beobachteten ihn in aller Stille, und trotz der zerlumpten Kleidung, schlechten Manieren und des schmutzigen Gesichts sahen sie viel in Nat, was ihnen gefiel. Er war ein dünner, blasser Junge von zwölf Jahren, mit blauen Augen und einer ausgeprägten Stirn unter dem spröden, verfilzten Haar; manchmal auch ein verängstigtes, trauriges Gesicht, als ob er eine Schimpfkanonade oder Schläge erwarten würde; und ein empfindsamer Mund, der bebte, wenn jemand ihm einen freundlichen Blick schenkte. "Der Arme soll den ganzen Tag lang fiedeln, wenn ihm danach ist", sagte Mrs. Bär zu sich, als sie den begierigen, glücklichen Ausdruck auf Nats Gesicht sah, während Tommy von der Band erzählte.
Nach dem Abendessen, als die Jungs für noch mehr ausgelassene Blödeleien ins Unterrichtszimmer strömten, erschien Mrs. Jo mit einer Geige in der Hand, sprach kurz mit ihrem Mann, und ging dann zu Nat, der in einer Ecke saß und das Schauspiel mit großem Interesse beobachtete.
"Nun, kleiner Mann, spiel uns ein kleines Liedchen vor. Wir möchten eine Geige in unserer Band, und ich denke, du könntest diese Rolle übernehmen."
Sie erwartete, dass er zunächst zögern würde; stattdessen ergriff er in Windeseile die alte Geige und behandelte sie so liebevoll, dass man seine Leidenschaft für die Musik sofort bemerkte.
"Ich werde mein Bestes tun, Ma'am", war alles, was er sagte; und dann bewegte er den Bogen so elegant über die Saiten, das diese die geliebten Töne ohne großen Widerstand freigaben.
Im Raum war es sehr laut, aber als ob er nur seine eigenen Töne hören würde, spielte Nat leise vor sich hin und blendete in seinem Genuss seine gesamte Umgebung aus. Es war nur eine einfache Melodie der Sklaven, wie sie die Straßenmusikanten spielten, aber sie schlich sich sofort in die Ohren der Jungen und brachte sie zum Schweigen, bis sie überrascht und gleichzeitig hocherfreut zuhörten. Nach und nach kamen sie immer näher, und auch Mr. Bär ging auf den Jungen zu, um ihn zu beobachten; als wäre er jetzt in seinem wahren Element, spielte Nat wie besessen und achtete auf niemanden; seine Augen leuchteten, seine Wangen röteten sich und seine dünnen Finger flogen hin und her, während er die alte Geige umarmte und sie dazu brachte, in der Sprache, die er so sehr liebte, zu allen Herzen zu sprechen.
Ein grandioser Applaus belohnte ihn mehr als ein Pennyregen, und als er innehielt und um sich blickte, schien er sagen zu wollen:
"Ich habe mein Bestes gegeben; ich hoffe, ihr fandet es toll."
"Mein lieber Mann, das war ja erstklassig", rief Tommy, der Nat als seinen Schützling betrachtete.
"Du wirst die erste Geige in meiner Band spielen", fügte Franz mit anerkennendem Lächeln hinzu.
Mrs. Bär flüsterte ihrem Ehemann zu:
"Teddy hat recht: Es steckt etwas in diesem Kind." Und während Mr. Bär nachdrücklich mit dem Kopf nickte, klopfte er Nat auf die Schulter und sagte herzlich:
"Du spielst gut, mein Sohn. Komm und spiel jetzt etwas, auf das wir singen können."
Es war die stolzeste und glücklichste Minute im Leben des armen Jungen, als er zum Ehrenplatz am Klavier geführt wurde, und die Jungs sich um ihn herum versammelten, ohne auf seine ärmliche Kleidung zu achten, sondern ihn respektvoll beäugten und begierig darauf warteten, ihn wieder spielen zu hören.
Sie wählten ein Lied, das er kannte, und nach ein oder zwei Fehlstarts ging es richtig los, als Geige, Flöte und Klavier einen Chor von Knabenstimmen anführten, der das alte Dach wieder zum Klingen brachte. Es war zu viel für Nat, der schwächer war, als er wahrhaben wollte, und als der letzte Ton verstummte, begann es in seinem Gesicht zu arbeiten; er ließ die Fiedel fallen, drehte sich zur Wand und schluchzte wie ein kleines Kind.
"Mein Lieber, was ist los?", fragte Mrs. Bär, die aus voller Kraft mitgesungen und dabei versucht hatte, den kleinen Rob davon abzuhalten, mit seinen Stiefeln den Takt zu schlagen.
"Ihr seid alle so nett – und es ist so schön hier – ich kann nichts dafür", schluchzte Nat und hustete, bis er außer Atem war.
"Komm mit mir, mein Lieber; du gehörst ins Bett und solltest dich ausruhen; du bist erschöpft, und hier ist es zu laut für dich", flüsterte Mrs. Bär; und brachte ihn in ihr eigenes Wohngemach, wo sie ihn in Ruhe ausweinen ließ.
Dann brachte sie ihn dazu, ihr all seine Sorgen zu erzählen, und hörte sich mit Tränen in den Augen seine kurze Geschichte an, obwohl diese nicht neu für sie war.
"Mein Kind, du hast jetzt einen Vater und eine Mutter, und das hier ist dein Zuhause. Denke nicht mehr an diese traurigen Zeiten, sondern werde gesund und glücklich; und sei dir sicher, dass du nie wieder leiden musst, wenn wir es verhindern können. Dieser Ort ist wie geschaffen für alle Jungs, so verschieden sie auch sein mögen; man kann hier Spaß haben, aber auch lernen, sich selbst zu helfen und starke Männer zu werden, wie ich hoffe. Du sollt so viel Musik haben, wie du willst, nur musst du erst einmal gesund werden. Wir gehen jetzt rauf zum Kindermädchen, dann nimmst du ein Bad, gehst ins Bett, und morgen werden wir gemeinsam ein paar nette, kleine Pläne schmieden.
Nat hielt ihre Hand fest in der seinen, brachte aber kein Wort heraus und ließ stattdessen seine dankbaren Augen für ihn sprechen, als Mrs. Bär ihn in einen großen Raum führte, wo eine stämmige, deutsche Frau wartete, deren Gesicht so rund und fröhlich war, dass es wie eine Art Sonne aussah, deren Strahlen die breiten Rüschen ihrer Haube waren.
"Das ist Nanny Hummel, und sie wird dir ein schönes Bad verpassen, dir die Haare schneiden und es dir 'wohlig' machen, wie Rob sagen würde. Dort drüben ist das Badezimmer; und an einem Samstagabend schrubben wir immer zuerst alle kleinen Jungs und packen sie ins Bett, bevor die großen mit dem Gesang beginnen. Also dann, Rob, rein mit dir."
Während sie sprach, hatte Mrs. Bär Robs Kleidung ausgezogen und ihn in eine lange Badewanne in dem kleinen Raum gesteckt, der sich zum Kinderzimmer hin öffnete.
Es gab zwei Wannen, außerdem Fußbäder, Waschbecken, Duschrohre und alle möglichen anderen Vorrichtungen, um sich zu säubern. Bald entspannte sich Nat in der anderen Badewanne, und während er dort vor sich hin köchelte, sah er den Bemühungen der beiden Frauen zu, die vier oder fünf kleine Jungs schrubbten, beim Abziehen der Nachthemden halfen und die Kinder anschließend ins Bett packten; natürlich veranstalteten die Racker unterdessen alle möglichen Kapriolen und sorgten für einen Sturm der Belustigung, der erst abflaute, als sie in ihren Betten lagen.
Als Nat schließlich gewaschen war, eingemummelt in einer Decke beim Feuer saß, und das Kindermädchen ihm die Haare schnitt, kam eine neue Gruppe Jungs an und wurde ins Badezimmer verfrachtet, wo sie so viel plätscherten und Lärm machten wie ein ganzer Schwarm junger Wale beim Spielen.
"Nat sollte hier schlafen, damit du ihm einen ordentlichen Schluck Leinsamentee einflössen kannst, wenn er in der Nacht hustet", sagte Mrs. Bär, die wie eine überforderte Henne mit einer großen Schar lebhafter Küken umherschwirrte.
Das Kindermädchen fand den Plan gut, steckte Nat in ein Nachthemd aus Flanell, gab ihm ein warmes und sehr süßes Getränk, und packte ihn dann in eines der drei kleinen Betten, die im Zimmer standen; er sah aus wie eine zufriedene Mumie und hatte das Gefühl, dass ihm nichts mehr zu seinem Glück fehlte. Sauberkeit an sich war schon ein neues und tolles Gefühl, aber Flanellkleidung war in seiner Welt bisher gänzlich unbekannt gewesen; viele Schlucke von "gutem Zeug" linderten seinen Husten ebenso angenehm wie freundliche Worte sein einsames Herz; und das Gefühl, dass sich jemand um ihn kümmerte, ließ dem obdachlosen Kind dieses schlichte Zimmer wie eine Art Himmel erscheinen. Es war wie ein behaglicher Traum, und Nat schloss oft die Augen, um zu sehen, ob er nicht verschwinden würde, wenn er sie wieder öffnete. Es war zu verlockend, ihn schlafen zu lassen, und selbst, wenn er es probiert hätte, wäre es ihm nicht gelungen, denn nur wenige Minuten später wurde seinen erstaunten, aber dankbaren Augen einer der eigentümlichen Bräuche von Plumfield offenbart.
Nach einer kurzen Ruhepause bei den Wasserspielen flogen plötzlich aus allen Richtungen Kissen, geworfen von weißen Kobolden, die tobend aus ihren Betten sprangen. Die Schlacht wütete in mehreren Räumen, die alle im oberen Stockwerk lagen, und wurde manchmal sogar im Kinderzimmer gefochten, wenn ein schwer belagerter Krieger dort Zuflucht suchte. Niemand schien dieser Aufruhr auch nur im Geringsten zu stören; niemand verbot ihn oder schaute gar überrascht. Das Kindermädchen hängte weiterhin ihre Handtücher auf, während Mrs. Bär saubere Kleidung suchte – so gelassen, als ob die perfekte Ordnung herrschen würde. Nein, sie scheuchte sogar einen ganz verwegenen Jungen aus dem Zimmer und feuerte ihm das Kissen hinterher, das er ihr heimtückisch nachgeworfen hatte.
"Werden sie sich nicht wehtun?", fragte Nat, der sich vor Lachen bog.
"Oh jemine, nein! Wir erlauben Samstagabend immer eine Kissenschlacht. Die Bezüge werden morgen sowieso gewechselt; und nachdem die Jungs gebadet haben, können sie sich nochmals austoben; ich finde das Ganze auch sehr lustig", sagte Mrs. Bär, die inzwischen mit mindestens einem Dutzend Socken beschäftigt war.
"Was für eine wunderschöne Schule das hier ist!", bemerkte Nat voller Bewunderung.
"Schon eher eine seltsame Schule", lachte Mrs. Bär, "aber wir glauben nicht, dass Kinder mit zu vielen Regeln und zu viel Lernen gequält werden sollten. Am Anfang habe ich diese Nachthemden-Partys verboten; aber, du lieber Gott, es hat nichts genützt. Ich konnte diese Jungs genauso wenig in ihren Betten halten wie den berühmten Springteufel in der Hutschachtel. Also traf ich eine Vereinbarung mit ihnen: Ich würde jeden Samstagabend eine fünfzehnminütige Kissenschlacht erlauben, und sie versprachen im Gegenzug, an jedem anderen Abend gesittet ins Bett zu gehen. Ich habe es probiert, und siehe da, es funktionierte. Wenn sie ihr Wort nicht halten, gibt es auch kein Herumtollen; ansonsten schaue ich einfach weg, stelle die Lampen an einen sicheren Ort und lasse sie herumtoben, so viel sie wollen.
"Das ist ein prima Plan", sagte Nat, der gerne mitgemacht hätte, sich aber nicht traute, gleich in der ersten Nacht danach zu fragen. Also lag er da und genoss das lebhafte Schauspiel vor seinen Augen.
Tommy Bangs führte die Angreifer an, und Demi verteidigte sein Zimmer mit Ausdauer und Mut, sammelte Kissen hinter sich, so schnell diese geworfen wurden und bis die Belagerer keine Munition mehr hatten, und die ganze Gruppe auf ihn losstürmte und ihre Waffen zurückholte. Es gab ein paar kleinere Zwischenfälle, aber niemand kümmerte sich darum; jeder steckte Treffer genauso gut gelaunt weg, wie er welche austeilte, und die Kissen flogen wie große Schneeflocken, bis Mrs. Bär auf die Uhr schaute und rief:
"Aus die Maus, Jungs. Alle Mann in die Kojen, oder zahlt die Strafe!"
"Was ist denn die Strafe?", fragte Nat, der fast vor Neugier platzte, um zu erfahren, was mit den Unglücklichen passieren würde, die dieser eigentümlichen, aber durchaus sozialen Schulleiterin nicht gehorchten.
"Es gibt kein nächstes Mal", antwortete Mrs. Bär. "Sie bekommen fünf Minuten, um herunterzukommen, dann lösche ich das Licht und erwarte Ruhe. Aber es sind ehrenwerte Schurken und sie halten ihr Wort."
Das war ganz offensichtlich, denn die Schlacht endete so abrupt, wie sie begonnen hatte – ein oder zwei Würfe zum Abschied, ein letzter Jubelschrei, als Demi das siebte Kissen auf den sich zurückziehenden Gegner abfeuerte, ein paar Racheschwüre fürs nächste Mal, dann herrschte Ordnung; nur noch ein gelegentliches Kichern oder ein unterdrücktes Flüstern unterbrachen die Ruhe, die auf den samstagabendlichen Spaß folgte, als Mutter Bär ihren neuen Jungen küsste und ihn den glücklichen Träumen vom Leben in Plumfield überließ.