Читать книгу Und eines Tages öffnet sich die Tür - Louise Boije af Gennäs - Страница 7

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Am Tag nach meinem Ausgehabend mit Eva kam ich nach Hause, ohne überhaupt an den Anrufbeantworter zu denken. Es schien völlig uninteressant, ob jemand angerufen hatte oder nicht. Ich warf die Post auf die Kommode in der Diele – Reklame und Rechnungen –, ging in meine winzige Küche und kochte schnell ein paar Makkaroni. In einer Ecke fand ich einen uralten Comic, stellte ihn gegen mein Milchglas, und dann schaufelte ich, wie gewöhnlich, die Makkaroni direkt aus dem Topf in mich hinein. Gerade als ich den Mund voll hatte, klingelte plötzlich das Telefon. Ich war so verwundert, daß ich mich nicht aufraffen konnte hinzugehen, und nach dem zweiten Signal sprang der Anrufbeantworter an.

»Hallo, hier ist Christos. Du bist offensichtlich noch immer nicht zu Hause. Ich versuch es vielleicht noch mal heute abend ...«

Mit einem Ruck sprang ich auf, so daß der Stuhl hinter mir umkippte, und kaute wie eine Besessene, während ich zum Telefon stürzte. Ich war gezwungen, einen Moment zu warten, um alles hinunterzuschlucken.

»...sonst rufe ich dich morgen an. Meine Nummer ist dieselbe, wie ich vorhin gesagt habe ...«

Ich riß den Hörer hoch.

»Hallo?«

»Tag! Du bist zu Hause?«

Mein Herz hämmerte wie wild. »Nein, ich bin gerade gekommen. Ich meine, ich war zu Hause, aber ich habe nicht gedacht, daß jemand angerufen hat. Also ich meine, ich habe den Anrufbeantworter nicht abgehört.« Eine kleine rote Drei leuchtete im Halbdunkel.

»Ich habe gegen fünf angerufen«, sagte Christos. »Wenn du das Band abhörst, erfährst du, was ich wollte.«

»Kannst du es mir denn jetzt nicht sagen?«

Er lachte. Es klang sogar ein bißchen verlegen. »Ich habe nur gesagt, daß ich deine Nummer von Karin habe. Und ich wollte wissen, ob du Lust hast, mich zu treffen.«

Ihn zu treffen! Er, Christos, wollte mich treffen!!! Ich war total sprachlos. Gleichzeitig galoppierten meine Gedanken den Gefühlen davon. Wie üblich. Karin war ganz offensichtlich an Christos interessiert. Wenn ich mich mit ihm verabredete, wäre sie wütend. Sollte ich ihr gegenüber loyal sein und ablehnen? Wenn sie in der gleichen Situation wäre, würde sie aus Rücksicht auf mich bestimmt nicht nein sagen. Aber schließlich war sie doch meine Freundin! Andererseits wollte ich mich doch gern mit ihm treffen. Ich wollte Christos treffen, wollte es mehr als sonst irgendwas seit sehr langer Zeit. Die Gefühle holten auf.

Er wollte mich treffen! Mich treffen!!!

»Ja, warum nicht.«

»Du hörst dich nicht gerade begeistert an.«

»Doch, das bin ich, ich meine, das bin ich wohl.«

Er lachte wieder.

»Was hältst du davon, wenn ich dich morgen zum Kaffee einlade? Gegen drei, im ›Ritorno‹?«

»Klingt gut. Aber du brauchst mich nicht einzuladen.«

Er lachte. »Diese Schwedinnen! Mein Gott, ihr könnt wahrscheinlich nicht anders. Darf ich nicht ein bißchen Mann sein und du Frau?«

Me Tarzan. You Jane. Meine schmale, blasse Hand in seiner Hand, weich, warm und trocken.

»Doch.«

»Okay. Dann sehen wir uns morgen?«

»Ja, in Ordnung.«

Als wir aufgelegt hatten, stand ich sekundenlang einfach nur da und starrte das Telefon an. Christos wollte sich mit mir treffen! Wollte mich treffen, mich, nicht Karin! Es gab einen Gott, das war ganz eindeutig. Es war der Küchengott einsamer, Makkaroni essender Mädchen. Und dieser Gott hatte ein Einsehen mit mir! Ich drückte auf die Abhörtaste und hörte Christos’ Mitteilung. Er klang lieb, lustig, charmant und intelligent, alles auf einmal. Dann nahm Mutters Stimme das Zimmer ein.

»Maja, ich weiß, daß wir das schon beredet haben, aber jetzt hat der Chefarzt der Geriatrischen Klinik schon wieder angerufen. Er will unbedingt denjenigen sprechen, der zur Zeit nach Großmutter sieht. Und da ich mich unmöglich freimachen kann, habe ich gesagt, du bist es. Morgen um drei habe ich für dich einen Termin bei ihm festgemacht, und ich hoffe, das geht in Ordnung, denn er war schon furchtbar ausgebucht. Ruf mich heute abend an.«

Ich schritt langsam zurück in die Küche zu meinen Makkaronis und dem Comicheft. Morgen um drei würden mich keine zehn Pferde zu diesem verdammten Chefarzt bringen. Morgen um drei würde ich auf halbem Weg ins Paradies sein, mit einer dampfenden Tasse Kaffee in der Hand, und der herzliche, schöne, charmante Christos säße mir gegenüber. Wenn ich es mir recht überlegte, würde ich wohl einen Café au lait bestellen. Sorry, Großmutter. Mich interessieren die Lebenden, nicht die Toten. Du und dein Chefarzt, ihr müßt wenigstens bis übermorgen warten, falls ich da Zeit habe. Wenn Christos mich dann nicht mit nach Griechenland genommen hat, für einen zweiwöchigen Urlaub auf seiner Luxusjacht. Gelingt es mir, ihn zu überzeugen, daß wir ebensogut am Samstagabend fahren können, werde ich mit deinem Joghurt und dem Buch vorbeikommen, aus dem ich dir laut vorlesen werde, und dann werde ich zu dem Klinikheini reinschauen und hören, ob er was berichten kann, was wir nicht schon wissen. Nämlich, daß du bald gesund wirst, wieder redest, lachst und zurück in das Haus in Äppelviken ziehst und daß du uns nur alle an der Nase herumgeführt hast.

Entschuldige, Großmutter. Aber ich muß die Lebenden vorziehen.

*

Es nieselte, als ich Freitag nachmittag zum ›Ritorno‹ trabte. Mit dem Pauken war es im Grunde genommen schiefgegangen, und ich hatte keine Ahnung, wie ich die Prüfung schaffen sollte. Ich war früh aufgestanden und hatte versucht zu lernen, aber die ganze Zeit ertappte ich mich dabei, von Christos zu phantasieren. Schließlich hatte ich es aufgegeben und statt dessen darüber nachgegrübelt, was ich anziehen sollte. Ich hatte eine ziemliche Zeit vor dem Spiegel gestanden und mich zu entscheiden versucht. Hatte eine unsägliche Kombination nach der anderen anprobiert, aber wie gewöhnlich endete es damit, daß ich wieder das anzog, was ich zuerst angehabt hatte. Auf Schminke wollte ich jedenfalls verzichten. Ich war nicht geschminkt gewesen, als Christos mich das erste Mal gesehen hatte, und dann konnte ich schließlich auch so weitermachen.

Die frische entschlossene Röte des gestrigen Abends war von einer gewissen kranken nachdenklichen Blässe abgelöst worden. Wie groß waren eigentlich die Chancen, daß wir miteinander auskamen? Was überhaupt wies darauf hin, daß Christos an mehr als nur einer freundschaftlichen Beziehung mit mir interessiert war? Warum sollte einem hübschen Mann wie ihm eine graue Maus wie ich gefallen? Und, übrigens, warum sollte eigentlich er mir gefallen? Hübsche Männer waren beinahe nie interessant oder nett und umgekehrt. Vermutlich war Christos, wenn man ihn erst näher kennenlernte, eingebildet und beschränkt.

In dem einsetzenden Dämmerlicht leuchtete mir das ›Ritorno‹freundlich entgegen. Es war immer wieder schön, dort hineinzuschlüpfen und bei einer Tasse Kaffee die Zeitung zu lesen. Man fühlte sich wie eine richtige Intellektuelle, auch wenn man nur ein ganz gewöhnliches Mädchen war wie ich. Angeblich saßen die Intellektuellen oft im ›Ritorno‹ und erörterten Weltprobleme, das hatte ich in einer Zeitschrift gelesen. Zwar hatte ich dort drinnen nie jemanden gesehen, der richtig intellektuell aussah, sondern meist nur eine Menge Mütter mit Kleinkindern und Kinderwagen, außerdem eine erhebliche Anzahl Exhibitionisten mit lustigen Schlipsen und komischen Frisuren, aber warum nicht. Der ganze Ort vermittelte das Gefühl, weit weg vom Alltag zu sein, gerade weil man direkt in den Alltag hineingegangen war, hinter die Schale des Tristen. Der Kitsch und die Caféstimmung der fünfziger Jahre führten einen irgendwie in die Tristesse hinein und auf der anderen Seite wieder hinaus, in eine höhere Sphäre, wo Tristesse einfach schick war. ›Bonjour Tristesse‹ hieß ein Roman der Fünfziger, den ich mal gelesen habe. Es war ein langweiliger Roman, was man eigentlich schon dem Titel hätte entnehmen können. Trotzdem war er zu seiner Zeit einfach schick. Langeweile war schick, wenn man sie auf die richtige Weise hatte. Bei mir persönlich war es meist auf völlig falsche Weise langweilig. Aber vielleicht würde ich es eines schönen Tages auch lernen, wie man seine Tristesse ansprechend werden ließ. Im ›Ritorno‹ zu sitzen war jedenfalls ein Schritt in die richtige Richtung.

Christos war nicht da, das sah ich fast sofort. Schüchtern begrüßte ich den Typen hinter dem Tresen und ging dann durch den äußeren Nichtraucherteil in das stickige Raucherzimmer, um zu sehen, ob er vielleicht hinter einer Zeitung steckte. Das war nicht der Fall. Es war jetzt genau drei Uhr. Was, wenn er nun nicht kam? Wenn er mich an der Nase herumgeführt hatte? Wenn Karin und er jetzt gegenüber im Vasapark im Dunkel der Bäume standen, gemeinsam eine Zigarette rauchten und sich vor Lachen bogen? Ich holte tief Luft und versuchte, mich zu beruhigen. Warum sollten sie? Karin war schließlich meine Freundin, und Christos wirkte nett und freundlich. Das waren nur dumme Gedanken.

Ich ging wieder nach vorn, bestellte einen Kaffee und eine Schachtel Zigaretten, Marke light. Genau sechs Minuten dauerte es, beides zu bezahlen, das Kleingeld und die Schachtel Zigaretten zu bekommen, den Kaffee zu holen und an einem kleinen Tisch im hinteren Zimmer Platz zu nehmen. Christos war noch immer nicht erschienen. Nach weiteren zwei Minuten holte ich mir die heutige Dagens Nyheter, die ein Stück weiter weg an einer Holzstange hing. Ich setzte mich wieder hin, öffnete die Zigarettenschachtel, zündete mir eine Zigarette an und vertiefte mich, so gut ich konnte, in einen Artikel über Nervenheilanstalten im ehemaligen Jugoslawien. Der Artikel war interessanter, als ich geglaubt hatte, und zum ersten Mal an diesem Tag fühlte ich, wie sich mein Interesse von mir selbst und meinem bevorstehenden Treffen mit Christos löste und sich etwas Größerem außerhalb meiner selbst zuwandte. Was spielten meine lächerlichen Probleme eigentlich für eine Rolle? Menschen wurden wie Tiere behandelt, und die Umwelt stand da und guckte zu.

Plötzlich fühlte ich einen leichten Schlag auf der Schulter. Da stand Christos, verlegen, abgehetzt und völlig außer Atem.

»Entschuldige! Die U-Bahn war steckengeblieben!«

Er war genauso braunäugig und reizend, wie ich ihn in Erinnerung hatte, appetitlich wie ein frischgewaschener, grüner Apfel. Wir gaben uns die Hand, und wieder hatte ich das Gefühl, in einem sicheren, warmen Händedruck zu verschwinden. Inzwischen blickte er mit gespieltem Verdruß auf meine Kaffeetasse.

»Hast du auch schon bezahlt?« fragte er.

»Du warst ja nicht hier«, erwiderte ich. Christos schüttelte den Kopf.

»Das bedeutet nur, daß wir die Sache bald wiederholen müssen«, sagte er mit einem kleinen Lächeln, das mir Bauchgrummeln verursachte.

Christos ging sich eine Tasse Kaffee holen. Jetzt fand ich den Artikel plötzlich total uninteressant. Ich drückte nervös den Rest der Zigarette aus. Im selben Augenblick kam Christos zurück.

»Willst du noch Kaffee haben?« Er wartete die Antwort nicht ab, sondern ging und füllte meine Tasse nach. Ich versuchte, tief durchzuatmen. Und dann saßen wir plötzlich einander gegenüber.

»In Cafés warte ich gern«, sagte ich, um mich selbst zu beruhigen. »Da kann ich in aller Ruhe Zeitung lesen, ohne mich deshalb schämen zu müssen.«

»Du liest viel, was?« fragte Christos.

Ich zuckte die Schultern. »Ja, einiges. Es macht mir Spaß.«

»Mir auch«, sagte er und lächelte wieder.

»Die Menschen in den Büchern scheinen manchmal viel wirklicher zu sein als die im Leben«, sagte ich. »Sie sind wie Freunde.«

»Sie vertreiben die Einsamkeit«, sagte Christos. »Man hat irgendwie das Gefühl, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen.«

»Vielleicht, weil sie einen besser verstehen«, erwiderte ich grinsend. »Auch wenn es dumm klingt.«

»Es klingt nicht dumm«, sagte Christos. »Ich weiß genau, was du meinst.«

Wir sahen uns schweigend an. Ich fühlte, daß ich rot wurde, aber das spielte in diesem Licht keine Rolle. Außerdem spielte es sowieso keine Rolle.

»Schade, daß es draußen so kalt ist«, sagte ich, um das Schweigen zu brechen.

»Hmm«, antwortete Christos. »Sehr schade.«

Sein Lächeln wurde breiter. Er hatte mich eingefangen, hielt mich mit einem Griff, der mit jeder Sekunde fester wurde. Mir wurde heiß und kalt, ich konnte die Augen nicht von ihm wenden. Meine Mundwinkel zogen sich nach oben, und ich lächelte, breit und albern, wie ein kleines Mädchen. Und dann legte Christos seine warmen Hände über die meinen, führte sie an seinen Mund und küßte sie.

»Du bist schön«, sagte er. »Einer der schönsten Menschen, den ich je gesehen habe. Dein Mund, dein Haar. Deine Art zu denken.«

»Das kannst du nicht wissen«, brachte ich heraus. »Du weißt nichts von mir.«

»Doch«, antwortete Christos. »Ich weiß es.«

Er küßte wieder meine Hände. Jubel stieg in meinem Körper auf wie der Saft in der Birke. Es war nicht wahr, was er da sagte. Es war nicht möglich, daß er das meinte. Es klang lächerlich, und noch lächerlicher wäre es, wenn ich mich darüber freute. Dennoch begann, leise und vorsichtig, ein Glücksgefühl in mir zu brodeln, das ich nicht gewohnt war.

»Wir kennen uns nicht«, sagte ich still.

Christos lächelte. »Doch«, sagte er. »Wir kennen uns. Aber das ist nichts im Vergleich dazu, wie gut wir uns noch kennenlernen werden.«

Nach einer Stunde hatte es angefangen zu regnen, und die Dunkelheit vor den Fenstern des ›Ritorno‹ war nahezu kompakt. Christos und ich gingen Seite an Seite bis zum Odenplan, der Regen lief über unsere Gesichter, in die zusammengekniffenen Augen und unsere weit offenen, lachenden Münder. Es war ein eiskalter Novemberregen, aber auf mich wirkte er wie lauer Frühlingsregen. Wir sprachen nicht einmal darüber, wohin wir unterwegs waren, wir gingen nur die Odengata geradeaus bis zur Roslagsgata, wo wir links abbogen und vier Häuser weitergingen bis zu dem Haus, in dem Christos Wohnung lag. Im Fahrstuhl zur dritten Etage hatte er mir schon Jacke und Pullover ausgezogen und die meisten Knöpfe meines Hemdes aufgeknöpft, was eine wirkliche Leistung war, wenn man bedenkt, daß meine Arme die ganze Zeit um seinen Hals lagen und unsere Münder sich in einem tiefen, intensiven und zärtlichen Kuß trafen.

*

Es war ein ziemlich großer Unterschied, nur mit jemandem zu schlafen oder jemanden zu lieben. Darüber redete man nicht gerade viel, vermutlich weil schwedische Frauen trotz allem oberflächlichen Gequatsche über Sex selten ernsthaft über die wirkliche Liebe sprachen. Man redete von G-Punkten und Stellungen, von Empfängnisschutz und Abort, aber man sprach nicht viel über das, was jenseits der praxisbezogenen Dinge an Tiefe existierte. Und dennoch gab es sie. Dennoch gab es den Unterschied zwischen Beischlaf und Liebe, und er war groß.

Mit Männern hatte ich schon früher geschlafen und zwar nicht gerade selten, genau wie die meisten anderen Mädchen in meinem Alter. Man schlief mit Typen, die man nicht besonders gut kannte, egal ob man sie schon vor vielen Jahren kennengelernt hatte oder nicht. Das bedeutete immer eine Menge Nervosität, die man nicht zeigen durfte. Wie sah man aus? Die Brüste, gefielen sie ihm? Waren sie zu klein? Oder zu groß? War man zu dick oder zu dünn? Leistung war wichtig. Fand er, man sei gut? Was für Vorlieben hatte er, diese oder jene? Langweilte es ihn? Oder hielt er die Augen geschlossen, weil es schön war? Und man fragte sich die ganze Zeit, ob man, rein strategisch, das Richtige tat. Würde er sich nach dieser Sache wieder melden? War es zu früh, schon jetzt Sex zu haben, würde er einfach abhauen? War es zu spät mit dem Sex, hatte man zu lange nein gesagt? Merkte er, daß man mit Gewalt versuchte, sein Interesse wachzuhalten, indem man mit ihm vögelte?

Man hatte einfach nicht sehr viel davon. Man fummelte mit Kondomen herum. Es tat weh. Man war nicht entspannt. Der Typ war genauso nervös wegen all der unausgesprochenen Forderungen. Die Beziehung war für ihn genauso neu, und in seinem Kopf schwirrten dieselben Fragen und Überlegungen herum, wenn auch aus männlicher Perspektive. Er durfte nicht zu grob sein, aber auch nicht zu zaghaft. Er sollte Mann sein, aber er mußte auch zeigen, daß er empfindsam war. Er sollte zugleich sexy, Macho und sich des Feminismus bewußt sein.

Man vögelte verbissen, so schnell wie möglich, nach einem sachgemäß ausgeführten kleinen Vorspiel, mit dem er beweisen wollte, daß er kein unerfahrener Typ war, während man selbst betonen wollte, daß man nicht frigide war und eine Ewigkeit gestreichelt werden mußte. Und dann rein, raus, rein, raus, und bestenfalls kam er ziemlich schnell, jedenfalls bevor man wund gerieben war. Man selbst kam nie beim ersten Mal. Dann, wenn der Beischlaf erst erledigt war, konnte man aufatmen. Dann konnte man endlich eine Tasse Tee trinken, einschlafen oder Frühstück machen und sich wieder anlächeln, erzählen und die eigentliche Beziehung beginnen. Das war Liebe auf Schwedisch: der Beischlaf als Methode, eine Beziehung anzufangen. Man hatte gerade miteinander geschlafen, aber man hatte sich absolut nicht geliebt.

Sich zu lieben hingegen war ein heiliges Ritual. Der Akt war sich selbst genug, wirkte merkwürdig unschwedisch. Es gab keine Fragen, es gab nur Antworten und Handlungen; Bewegungen, Zärtlichkeiten, im selben Augenblick ausgeführt, in dem sie gedacht wurden, eine nach der anderen, eine lange Reihe, die reine Selbstverständlichkeit. Lieben war sich ganz zu öffnen, von innen befeuchtet zu werden, vor Begierde zu keuchen, eine Begierde, die gelöscht werden mußte, und man selbst war ganz und gar verantwortlich für jede einzelne Regung, auch die geringste, ohne deshalb auch nur einen Augenblick Zweifel oder Einsamkeit zu empfinden. Sich zu lieben war, sich mit einem Partner in einem Tanz zu bewegen, der wie von selbst ablief. Es war ein Ritual mit zwei nackten Hohepriestern, die sich umeinander schlangen und mit einer nicht zu übertreffenden Besessenheit kämpften, um zusammen das Heilige auszuführen. Wenn man liebte, war der Körper perfekt, jede Liebkosung ein Genuß, keine Fehler konnten gemacht werden, die nicht unmittelbar von der nächsten Liebkosung ausgelöscht wurden. Alles war Geschlecht, Trieb und Gefühl. Alles war starker Geruch, war ungeniert nackt und weit offen, Laute, die nicht zurückzuhalten waren, und Bewegungen, die ihre eigenen Gesetze hatten. Strategien gab es nicht. Für sie war weder Zeit noch Raum.

Nach zwei Tassen Kaffee und insgesamt vier Stunden Bekanntschaft gingen Christos und ich zu ihm nach Hause und liebten uns besinnungslos in seinem Bett, auf dem Fußboden und in der Küche. Er berührte mich auf eine Weise, wie ich nie zuvor von einem schwedischen Mann berührt worden war. Er faßte meinen ganzen Körper mit einer Selbstverständlichkeit an, als sei ich schon die Seine, als bestätigten wir nur etwas, was völlig selbstverständlich war. Er fuhr mit der Zunge über meine Handflächen, küßte meine Fußsohlen, aß sich durch meine Achselhöhlen, Schamlippen und Schlüsselbeine. Er blickte mir tief in die Augen, als er sich in mir bewegte, als sollte ich wissen, daß er wirklich anwesend, sich dessen ganz bewußt, daß er da war in jedem Augenblick unserer Begegnung. Er rührte an etwas, das so tief in mir begraben lag, daß ich nie geglaubt hätte, jemand könnte dorthin gelangen. Als ich kam, fing ich an zu weinen, und da hielt er mich umarmt und streichelte mich, bis ich mich beruhigt hatte. Dann küßte er mich wieder, und ich wurde von seiner Gier mitgerissen und wollte nur immer wieder von vorn anfangen.

Ich hatte nie etwas Ähnliches erlebt. Ich hatte in meinem ganzen Leben keinen »one night stand« gehabt. Aber das hier war natürlich etwas anderes. Es war, als würde ich Christos schon kennen, jeden Zentimeter seiner Haut, jede Regung seiner Seele. Daß wir uns sofort liebten, war völlig natürlich. Er mußte in mir sein, er gehörte dorthin und ich in ihn. So hatte es zu sein, so mußte es um jeden Preis werden. An Verhütung dachten wir nicht, aber das spielte keine Rolle. Ich wollte nicht, konnte kein Verhütungsmittel anwenden, wie kopflos das auch erscheinen mochte. Nichts durfte zwischen uns sein. Ich mußte seine nackte Haut an mir fühlen, und ich wollte, daß er tief in mir kam, immer wieder, damit ich mit seinem Kind schwanger werden konnte.

Hinterher saß ich in seinem Bett, atemlos, mit glänzenden Augen, in ein Laken gewickelt und schaute ihn nur an. Er hatte Kerzen angezündet, und jetzt waren sie zur Hälfte heruntergebrannt. Die Flammen spiegelten sich in seinen dunklen Augen. Um sein behaartes Handgelenk trug er noch immer die Armbanduhr. Sie zeigte halb zwölf Uhr nachts. Christos nahm mein Gesicht zwischen seine Hände und schüttelte leicht den Kopf. Dann küßte er mich auf den Mund und ging nackt in die Küche hinaus, um Milch, ein halbes Brot, eine Packung Buttermargarine und ein Glas Apfelsinenmarmelade zu holen. Ich sah ihn von hinten, als er aus dem Zimmer ging, und von vorn, als er mit den auf dem Brett gestapelten Lebensmitteln wieder hereinkam, und ich dachte: Jetzt passiert es. Jetzt ist es schließlich passiert. Mein Gott, es ist passiert. Lieber, lieber Gott; laß es nicht kaputtgehen.

Meine Hände zitterten, als ich die Brotscheibe entgegennahm, und wir lachten beide, weil ich nicht einmal Milch trinken konnte, ohne mich zu verschlucken.

Und eines Tages öffnet sich die Tür

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