Читать книгу A Demon's F***ing Heart - Luca Mercedes - Страница 7

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„Eine schmutzige Auktion“


Christopher zitterte am ganzen Körper, als man ihn auf den hölzernen Bretterverschlag zerrte, welcher auf einer Anhöhe mitten im Wald als Tribüne diente.

Es hätte nicht erniedrigender sein können. Nackt. Nur mit einer schweren Eisenkette um den Hals, deren Ende an einem Holzpfahl zu seinen Füßen festgemacht war.

Als ob er ohne diese Eisenfessel ganz einfach und ungehindert davonspaziert wäre.

Er war nicht der Einzige, den man vor das Getümmel ihm unbekannter, gaffender und grölender Kreaturen und Wesen des hiesigen Dunkelwaldes dirigierte. Zusammen mit einem Dutzend anderer, unglückseliger Geschöpfe bot man ihn hier seinem ungewissen Schicksal feil.

Christopher wagte es fast nicht, seinen Blick zu heben und nach vorne zu richten, da manche der in der Menge stehenden Kreaturen so schauderhaft aussahen, dass er sich wirklich nicht ausmalen wollte, was solche Monster mit jemandem wie ihm wohl anfangen konnten. Natürlich war er sehr wohl in der Lage, sich in seiner Fantasie zusammenzureimen, wofür er im schlimmsten Falle alles dienlich sein könnte. Als profanes Abendessen zum Beispiel. Oder als Folteropfer oder wer weiß, was sonst noch alles. Doch was brachte es ihm, weiter darüber nachzusinnen, außer, dass es ihn zutiefst entmutigte? Er versuchte stattdessen, die laute, ihn einschüchternde Geräuschkulisse der johlenden Menge vor sich auszublenden und sich in seine tiefsten Gedanken zurückzuziehen. Dies war eine Fähigkeit, die er bereits seit seiner Kindheit beherrschte und die ihm nun sehr dienlich war. Und das schien ihm angesichts seiner verzweifelten und hoffnungslosen Lage auch das einzig Richtige zu sein. Sich an einen besseren Ort zu denken und die grausame Welt um sich herum auszublenden. Er würde mit großer Wahrscheinlichkeit sowieso sterben. So viel war Christopher bereits klar geworden. Wann genau und auf welche Weise, diese Überlegungen gedachte er sich allerdings nicht weiter anzutun. Es würde mit Sicherheit geschehen und er konnte wohl auch nichts daran ändern. Aber seine letzten Momente wollte er trotzdem nicht damit verbringen, über die mannigfaltigen, grausamen Möglichkeiten seines Ablebens nachzugrübeln. Er flüchtete sich lieber in Erinnerungen seines bisherigen Lebens. Gedachte seiner Kindheit und seiner Eltern, der Großeltern und der vielen Tiere auf ihrem kleinen Hof, die er so gerne versorgt und gepflegt hatte. An sein geliebtes Pferd. Endlos lange Tage mit dem Vieh auf der Wiese am Bach. Regentropfen auf seiner Haut nach einem warmen Sommerregen. Das Lachen seines besten Freundes Taran nach einem wilden Wettrennen, während sie erschöpft nebeneinanderlagen. Der Geruch süßer Walderdbeeren. Seine Hand in Tarans Hand. Christopher wurde schwer ums Herz. Es gab noch so vieles, was er gerne erlebt hätte. So vieles, was er sehen wollte und Sehnsüchte, denen er nie würde nachgehen können, wenn man ihn jetzt seines Lebens beraubte. Doch was konnte er schon tun? Hier, an diesem Ort mit diesen Kreaturen, von denen er sein Leben lang geglaubt hatte, sie würden nur in den Erzählungen und Legenden der Ältesten existieren? Ihm waren die Hände im wahrsten Sinne des Wortes, gebunden. Dabei war er alles andere als ein ängstlicher Typ. In seiner Welt, der einzigen Welt, die er bis jetzt gekannt hatte, war er kein Schwächling oder Angsthase gewesen. Im Gegenteil. Doch nun, hier unter diesen monströsen Wesen, lehrte man ihn wahrhaftig zum ersten Mal das Fürchten.

Wenn er zu seiner rechten oder linken Seite blickte, so sah er neben sich ebenfalls vermeintliche Gefangene, die hier als „Ware“ einen Käufer finden sollten. Im Gegensatz zu ihm waren sie allesamt jedoch keine Menschen, sondern Geschöpfe der Unterwelt. Neben ihm stand zum Beispiel ein schmächtiger und sehr abgemagerter Dunkelelf mit spitzen Ohren und einem ebenso spitzen Kinn, der aus traurigen Augen ins Leere blickte. Sein nackter Oberkörper war von unzähligen Narben übersät. Er trug auch, anders als Christopher, keine Fesseln, mit denen man ihn an Ort und Stelle halten musste. Ebenso wie dessen untersetzte Nachbarin. Eine kleine, dicke Gestalt, die Christopher höchstens bis zu den Knien reichte und mit üppigen, weiblichen Attributen ausgestattet war. Sie schien in ihrem Gemüt das genaue Gegenteil zum jämmerlich wirkenden Elf neben ihr zu sein. Denn sie gab ständig schmutzige Kommentare von sich und zog ihren lumpigen Rock so weit zur Seite, dass die unten stehende, potenzielle Käuferschaft genauestens im Bilde war, was sie zu bieten hatte. Christopher atmete tief ein und versuchte, beim Ausatmen erneut in seinen Gedanken zu versinken, um dieser furchtbaren Situation geistig zu entkommen, als jemand unvermittelt an der Kette um seinen Hals zog. Erschreckt und wie von Sinnen, kam Christopher wieder in der harten Realität an und stolperte beinahe auf die betreffende Person zu, die ihn sozusagen „an der Leine“ hielt. Es war die bucklige Hexe Mera, deren unangenehme Bekanntschaft er bereits in dem stinkenden Erd-Kerker gemacht hatte und die sich nun neben ihn auf die Tribüne gesellt hatte. Ihre schrille Stimme hallte durch die Menge und das Grölen und Johlen stoppte für einige Augenblicke, während sie Christopher voller Inbrunst feilbot. Dieser hörte ihre Worte, doch dann hörte er sie auch wieder nicht. Vielleicht, weil sie ihm zu unwirklich erschienen. Oder, weil er sie einfach nicht wahrhaben wollte. Hätte er die Möglichkeit gehabt, sich die Ohren zuzuhalten, so hätte er es getan. Doch seine Hände waren noch immer hinter seinem Rücken gefesselt. Und so war er regelrecht gezwungen, ihr lautes Anpreisen seiner eigenen Person mitanzuhören. Er fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Ausgerechnet er, der immer stark gewesen war. Und nun war er schwach und seine Beine schienen jeden Moment unter ihm nachzugeben. Fühlten sich an, als wären sie mit Honig gefüllt und nicht von Muskeln und Sehnen umgeben. Irgendwann schien die Ansprache der Hexe beendet zu sein, denn Christopher vernahm alsbald wieder das laute Getöse der immer unruhiger werdenden Menge vor sich. Seine blauen Augen suchten verwirrt und von Schwindel erfasst irgendeinen Punkt in dieser Masse unansehnlicher Kreaturen vor ihm, der ihm irgendeine Form von Halt hätte geben können. Doch all die ungewohnt aussehenden, größtenteils schaurigen Geschöpfe vermischten sich vor seinen entsetzten Augen zu einem bunten Wirrwarr aus breiten Mäulern, widerwärtigen Leibern, Hörnern und entblößten, raubtierhaften Zähnen.

„Das höchste Gebot erhält den Zuschlag! Die Auktion ist hiermit eröffnet, meine grausamen Freunde der Dunkelheit!“

Die alte Hexe ließ die schwere Eisenkette wieder zu Boden gleiten und Christopher hatte alle Mühe damit, dass es ihn nicht erneut von den Füßen riss. Im nächsten Moment hörte er, wie die Zurufe unterschiedlichster Angebote begannen. Er wusste nicht, ob es sich bei den Zahlen, die man in die Runde warf, um eine fremde Währung handelte oder um Gold in irgendeiner ihm unbekannten Handelsform. Und er meinte auch, so etwas wie Tauschanfragen herauszuhören, die ihm jedoch nichts weiter sagten, da er weder die Begriffe noch deren Bedeutung kannte. Am Ende all dieser wild durcheinander gebrüllten Vorschläge, was er nach Meinung dieser Unholde vor ihm denn wert sei, versank Christopher jedoch in schiere Verzweiflung. Denn ausgerechnet zwei besonders furchterregend wirkende Gestalten waren es, die übrig geblieben waren und nun wild gestikulierend miteinander um ihn feilschten. Zuvor hatte er dummerweise noch die klitzekleine, heimliche, wenn auch verschwindend geringe Hoffnung gehegt, dass vielleicht eines der nicht ganz so erschreckend aussehenden Geschöpfe ihn ersteigern würde. Immerhin gab es unter ihnen den einen oder anderen, gegen den er es sich zugetraut hätte, zu kämpfen, hätte sich eine solche Gelegenheit ergeben. Doch bei den beiden Exemplaren da vor ihm schwand diese Aussicht direkt wieder dahin. Auch konnte Christopher sich nicht entscheiden, welchen der beiden er unheimlicher fand. Den großen, kräftigen Hünen, der, abgesehen von unnatürlich stark ausgeprägten Muskeln, von den Füßen bis zum Haupt noch halbwegs „normal“ wirkte. Zumindest, wenn man das stark vernarbte Gesicht nicht allzu genau inspizierte. Und sich zudem die Armbrust auf seinem Rücken und den Morgenstern in seinem Gürtelschaft wegdachte. Oder doch eher der nicht minder muskelbepackte, glatzköpfige Unhold mit der Doppelaxt in den Händen, deren Griff offensichtlich aus nichts Geringerem bestand als echtem Knochen, soweit Christopher das zu beurteilen vermochte. Die Haut des Glatzköpfigen wirkte darüber hinaus auch alles andere als menschlich und wies neben einer recht grauen Farbe eine reptilienartige Struktur auf, beinahe wie die Haut einer Schildkröte. Doch das Schlimmste an ihm waren seine Augen. Zwei echsenartige, schmale Schlitze, durch die er Christopher anstarrte, als wäre er ein Stück saftiges Fleisch. Vermutlich war er das für dieses Monster auch. Sollte dieser Zeitgenosse den Zuschlag bekommen, würde Christopher, oder besser gesagt, Christophers Überreste an Knochen, dann genau so enden? Als Griffe irgendwelcher Waffen? Es war eigentlich fast schon egal. Er konnte sich so oder so nicht aussuchen, welches Schicksal ihn treffen würde. Er stand hier, nackt, schutzlos, von allen guten Mächten und seinem eigenen Gott verlassen, und musste sich dem fügen, was auch immer man mit ihm vorhatte.

Klirrend rasselten urplötzlich und für Christopher völlig unerwartet die Waffen jener beiden unter der Tribüne stehenden Bieter aneinander. Zwei Äxte, deren Klingen sich in der Mitte nur knapp vor den Köpfen ihrer Besitzer trafen und dabei ein brachiales Geräusch von sich gaben. Erschreckt beobachtete Christopher, wie die zwei Kontrahenten ihre Muskeln spielen ließen und wahrhaftig zu kämpfen begannen! Er glaubte zunächst, sich verguckt zu haben. Doch schon wenige Sekunden später rückte die übrige, wartende Menge unterschiedlicher Kreaturen hastig von den beiden Kämpfenden ab, um nicht in deren Reichweite zu geraten. Christopher konnte es nicht glauben. Diese Kerle da kämpften jetzt doch tatsächlich um ihn! Was bei allen heiligen Mächten passierte hier? Was war für sie so derart Besonderes an ihm, dass diese Dunkelwesen sich sogar um ihn stritten? Und das machte ihn noch unsicherer und vor allem furchtsamer. Bevor er es selbst begriffen hatte, wurde ihm gewahr, dass die beiden sich auf Leben und Tod duellierten. Das erkannte er spätestens in dem Augenblick, als der mit Narben übersäte Hüne dem Reptilienmann mit seinem Morgenstern die Hälfte von dessen Gesicht wegriss. Christopher hörte das dumpfe Geräusch und spürte, wie sein nackter Körper von feinsten Blutspritzern getroffen wurde. Erschreckt wich er zurück. Übelkeit kroch beim Anblick des in Fetzen hängenden Gesichts in Christopher hoch und er schloss hastig die Lider. Doch der Kampf war offenbar noch nicht zu Ende. Während Christopher versuchte, nicht die Fassung zu verlieren und die Geräusche jener Klingen und das Ächzen und Stöhnen der Kämpfer auszublenden, vernahm er auch noch neben sich Stimmen. Seine angeblichen „Leidensgenossen“ befeuerten das Duell mit ihren Zurufen, ebenso wie die übrige Bieterschaft zu ihren Füßen. Sie alle grölten und jubelten den sich gegenseitig zu Tode prügelnden Kreaturen zu. Selbst jener schwächlich wirkende dürre Dunkelelf war nun zu neuem Leben erwacht und grinste hämisch über das Geschehen.

„Du kannst dir was darauf einbilden, Menschensohn. Die töten sich sogar gegenseitig, um an dein süßes, unschuldiges Fleisch zu kommen.“ Die spitzohrige Gestalt ihn fast schon neidvoll an, „aber tauschen möchte ich dennoch nicht mit dir!“

Dann bedachte der Elf Christopher mit einem Blick, der diesem deutlich zu verstehen gab, wie es um ihn bestellt war. Offenbar gab es in dieser Welt weder Mitgefühl noch Mitleid oder irgendeine andere Art von gefühlsmäßiger Regung, wenn man von all dem Hass und der Gier, die hier deutlich spürbar waren, einmal absah.

Ja, mag sein, du verbittertes Etwas von einem Elf – dachte Christopher bei sich, aber vielleicht habe ich auch Glück, und diese beiden Unholde metzeln sich jetzt einfach gegenseitig ab und ich komme zu einem dieser kleinwüchsigen, hässlichen Gnome da unten. Dann werde ich mich schon irgendwie aus deren Gewalt befreien und überleben! Also grinse nicht mehr so gehässig und kümmere dich um deine eigenen Probleme.

Am liebsten hätte er es laut ausgesprochen, doch er riss sich zusammen. Diese Kreatur war es gar nicht wert, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Als Christopher es nun wagte und vorsichtig durch seine halbgeöffneten Lider blinzelte, konnte er schemenhaft erkennen, wie sich der narbengesichtige Hüne über dem auf dem Boden liegenden Reptilienmann emporstreckte, eine Axt in beiden Händen. Er holte aus und … Christopher schloss wieder die Augen. Er konnte die Geräusche hören, doch er musste nicht auch noch die Bilder dazu sehen. Immer wieder schien dieser riesige Kerl zuzuschlagen. Dabei musste sein Gegner längst tot sein. Es war bestialisch und unerträglich.

Christopher dachte wieder an Zuhause. An seine Hühner und Kaninchen, die Schafe und Schweine. Sein geliebtes Pferd. Sie alle waren bei dem Massaker vor ein paar Tagen ebenfalls völlig unnötig getötet worden. Er selbst jedoch hatte noch keinem lebendigen Wesen das Leben genommen. Das hatte er nie fertiggebracht. Einem von ihnen ein Haar zu krümmen, wäre ihm grundlos nie und nimmer in den Sinn gekommen. Im Gegenteil. Er war unfähig gewesen, seinen tierischen Freunden die Kehlen durchzuschneiden, nur damit er und seine Familie etwas auf den Tisch bekamen. Diese Aufgabe hatte, wenn überhaupt, stets sein Vater oder sein Großvater übernommen. Zu Christophers Leidwesen, der bereits seit seinem sechsten Lebensjahr kein Fleisch mehr anrührte, so sehr seine Eltern das auch missbilligten. Er wusste zwar nicht, ob dies auch so gewesen wäre, hätten er und seine Familie unter irgendwelchen Hungersnöten gelitten, und wären deshalb auf das Jagen von Wild angewiesen gewesen. Doch dazu war es glücklicherweise nie gekommen. Sie lebten zum einen zwar sehr abgeschottet und isoliert von der Außenwelt, abseits der ländlichen Dörfer und lebhafteren Städte, oder besser gesagt, hatten gelebt. Dafür aber an einem äußerst fruchtbaren und schönen Ort nahe diesen Wäldern eben, in deren Untiefen er vor Kurzem verschleppt wurde. Vermutlich war dies ja überhaupt erst der Grund, warum so wenige sich an jenen für Christopher so paradiesischen Ort niedergelassen hatten. Weil die Warnungen auf tatsächlichen Legenden beruhten und nicht auf „gotteslästernden“ Märchen, wie seine Eltern und Großeltern ihm immer hatten eintrichtern wollen. Immerhin war das ihr Glaube. Ihre Religion. Die Religion der Sanctinier eben, einer kleinen, von der übrigen Bevölkerung oft belächelten Minderheit Pranandos, die die Existenz der Dunkelwesen leugnete. Wie oft waren verirrte Wanderer bei ihnen eingekehrt und zutiefst darüber verwundert gewesen, einen Hof so nahe des äußersten Randes des umstrittenen Dunkelwaldes vorzufinden, den die Menschen für gewöhnlich größtenteils mieden. Im Nachhinein war Christopher nun klar, dass man seine Eltern für geisteskrank gehalten haben musste. Wie hatten sie sich nur jemals so sicher sein können, dass ihr Glaube tatsächlich der einzig Richtige war? Und dass ihre damit einhergehenden Ansichten und Behauptungen über diese Welt derart unfehlbar seien, dass alles andere nicht galt? Obwohl sie sich damit in der absoluten Minderheit befanden! Hatten sie also tatsächlich keine Ahnung gehabt? Nie gezweifelt? Oder aber hatten sie sich und ihren Sohn vielleicht sogar fahrlässig einer Gefahr ausgesetzt, die jederzeit über ihnen allen hätte hereinbrechen können, nur, um auch ja auf ihrer Religion bestehen zu können? War ihnen ihr Glaube demnach wichtiger gewesen als ihre eigene Unversehrtheit und die ihrer Lieben? Und hatten sie sich allesamt aus diesem Grund dem Risiko ausgesetzt, jederzeit auf Dunkelwesen zu treffen und von ihnen angegriffen zu werden? Nein. Christopher hatte eine andere Erklärung für ihr Verhalten. Und die hieß blindes Gottvertauen. Nur so konnte er sich ihr naives Handeln erklären. Doch ihr unumstößlicher Glaube hatte seine Familie an jenem Tag leider nicht retten können. Im Gegenteil. Sie starben alle einen grässlichen Tod. Dabei waren sie doch so gute, anständige Menschen gewesen. Soviel stand fest. Nie hätten sie absichtlich etwas Böses getan noch etwas Böses gewollt. Sie hatten vermutlich einfach einen riesengroßen Fehler gemacht, in dem sie sich in ihrem strengen Glauben verrannt und die eindringlichen und warnenden Worte der „ungläubigen“ Menschen nicht ernst genommen hatten. Sie mussten sich von der ertragreichen Erde und den glitzernden Bächen haben überzeugen lassen, dort wäre ein guter Ort, um in Frieden zu leben. Hatten die Gefahr unterschätzt. Nun waren sie tot, regelrecht dahingemetzelt und außer ihm war nichts und niemand mehr übrig, der von ihrer aller Existenz zeugen konnte. Welch eine Ironie zudem, dass ausgerechnet Christopher das Blutbad als einziger überlebt hatte, obwohl er noch nicht einmal der leibliche Sohn seiner Eltern gewesen war und somit nicht der sanctinischen Blutlinie entstammte. Und doch war er allein es, der noch da war. Wenn er genauer darüber nachdachte, erschien diese Tatsache ihm wie eine zusätzliche Verhöhnung seiner ermordeten, gläubigen Familie. Ja, es war ein hoher Preis, den sie für ihren frommen Glauben gezahlt hatten.

Christopher wurde durch einen langen, barbarisch klingenden Schrei erneut seinen Gedanken entrissen. Rabiat holte der unmenschlich klingende Laut ihn zurück in die Realität und ein eisiger Schauer rieselte ihm den Rücken herunter. Es hörte sich an wie der Urschrei eines wilden Tieres. Er öffnete seine Augen wieder vollends und spähte angstvoll auf die Szenerie vor sich, als er auch schon den Hünen mit der blutigen Axt in der Hand erblickte. Dieser stand schwer atmend da und hielt seine andere Hand triumphierend gen Himmel. An seinem ausgestreckten Arm lief Blut herunter, dessen Ursprung von dem kam, was er da so siegesfreudig in die Höhe hielt. Überhaupt war er von Blut nur so überströmt. Das meiste davon musste das Blut des Reptilienmannes sein, wie Christopher jene Überreste der Kreatur, die dieser einmal gewesen war, noch immer in seinen Gedanken nannte, da er es nun einmal nicht besser wusste. Die unruhige Menge unter ihm jubelte jetzt ebenfalls wieder lautstark und Christopher starrte entsetzt auf den vernarbten Kerl, der sich für seinen grausigen Triumph über den Nebenbuhler ausgiebig feiern ließ. Christopher wagte es nicht, allzu genau auf die blutigen Überreste von dessen besiegtem Kontrahenten zu schauen, da er sonst vermutlich zusammengebrochen wäre. Wenn man zu dem da, zu dieser undefinierbaren Masse, werden konnte … dann hoffte Christopher, dass er selbst zumindest nach dem ersten oder zweiten Axthieb bereits so mausetot war, dass er von dem weiteren Gräuel nichts mehr mitbekommen würde, den man ihm antat.

Er war noch völlig in seinem Entsetzen über diese vorangegangene Situation gefangen, dass er beinahe nicht mitbekommen hätte, wie es mit einem Mal mucksmäuschenstill wurde. So, als wäre gerade etwas derart Wichtiges oder Grandioses passiert, dass man nun voller stillschweigender Begeisterung innehielt. Raunen und Geflüster ging zunächst noch mit dem Verstummen der zuvor lauten Geräuschkulisse einher. Blicke, die sich erwartungsvoll umsahen. Christophers Augen wandten sich angespannt in jene Richtung, in welche nun alle anwesenden Kreaturen sowie sein höchstbietender Käufer schauten. Er glaubte im nächsten Moment, seinen eigenen Sinnen nicht mehr ganz trauen zu können.

Das Wesen, welches da auf sie alle zukam, wirkte so dermaßen deplatziert an diesem Ort, dass es an Absurdität schwer zu überbieten war.

Denn für die neuerliche Stille unter der zuvor so laut und obszön lärmenden Menge war niemand Geringeres verantwortlich, als eine zierliche, hübsche Frau, die bedächtig zwischen den monströsen Gestalten hindurch und mit langsamen Schritten auf die Tribüne zuging.

Es wirkte beinahe so, als wäre sie eine Art Königin oder zumindest jemand Hochgeborenes, dem man Tribut zu zollen hatte. Denn warum sonst sorgte sie für derart viel Wirbel, dass selbst die stärksten dieser Kreaturen mit halb offenen Mündern da standen und sie anstarrten, als wäre sie ihrer aller Herrscherin und Gebieterin? Oder war sie das etwa? Genaugenommen sah sie für Christopher nämlich nicht unbedingt so aus. Eine grazile Erscheinung, sicher, sehr hübsch dazu, dies zweifelsohne bereits aus der geringen Entfernung erkennbar. Nur eben alles andere als Furcht einflößend oder aber besonders kräftig. Mit anderen Worten, auf den ersten Blick relativ hilflos anzuschauen unter dieser Horde Bestien und muskelbepackter Rohlinge.

Und doch rührte niemand sie an, während sie sich zielstrebig ihren Weg durch die Menge bahnte. Sie trug ein langes, schwarzes Cape um ihre zarten Schultern, dessen Kapuze bis jetzt auch nur die Hälfte ihres filigranen Gesichts entblößte. Darunter hatte sie ein außergewöhnliches Kleid an. Es war ebenfalls schwarz, lang bis zu ihren Füßen, doch dabei so eng anliegend, dass sich jede ihrer wohlgeformten Rundungen darunter genauestens abbildete. Zudem besaß es zwei seitlich durchgehende Schlitze, die bis zu ihren Hüften reichten und dabei ihre nackte, ebenmäßige Haut entblößten. Um den zarten Hals schlängelte sich eine prachtvolle, goldene Kette, die sich über ihrer Brust in mehrere Glieder teilte und offenbar irgendwo bei den Brustwarzen und dem Bachnabel zu enden schien. Zumindest zeichnete sich dies ebenfalls unter ihrem geschmeidigen Gewand ab.

Aus dem ledernen Miedergürtel, der ihre schlanke Mitte schmückte, lugten mehrere Hefte unterschiedlicher Waffen, vermutlich Messer und Dolche, heraus und jetzt erkannte Christopher auch, dass sie sogar gleich zwei Schwerter mit sich trug. Deren aufwendig verzierte Griffe blitzten hinter ihrem Rücken auf und versetzten ihn wahrlich ins Staunen. Er fragte sich, ob und wie eine so zart wirkende Person mit derartigen Waffen umgehen konnte.

Als die Gestalt kurz vor der Tribüne und dem narbengesichtigen Hünen angekommen war, machte sie halt und nahm die Kapuze ab. Ein Schwall ebenholzfarbenen, lockigen Haares ergoss sich über ihre Schultern. Dann warf sie Christopher unvermittelt einen Blick zu. Sie lächelte ihn an und zwinkerte ihm zu, als würden sie sich schon Ewigkeiten kennen, bevor sie sich dann an den Hünen wandte. Zunächst ohne ein Wort zu verlieren, klatschte sie langsam, aber laut und deutlich in ihre mit schwarzen Ornamenten verzierten Hände.

Christopher beobachtete das ungewöhnliche Treiben zu seinen Füßen und wusste nicht, ob er nun wieder Angst haben oder neue Hoffnung schöpfen durfte. Was würde als Nächstes geschehen? Ein weiterer Kampf?

„Im Namen aller teuflischen Dämonen, ich bin beeindruckt!“, sprach die Schönheit mit ungewöhnlich fester und rauer Stimme, die so gar nicht zu ihrem lieblichen Äußeren passen wollte.

„Was seid ihr Kerle hier bloß für … starke Krieger.“

Der spöttische Unterton war für Christopher nicht zu überhören und sie hätte auch sagen können: Was seid ihr hier bloß für völlig unterbelichtete Barbaren. Das wäre fast auf dasselbe herausgekommen bei der Art, wie sie mit dem muskelbepackten Koloss vor sich sprach. Doch dieser schien, zu Christophers Verwunderung, nur umso ehrfürchtiger zu werden.

„Ravanna!“, kam es ihm sogleich von den Lippen und er starrte das weibliche Wesen vor ihm demütig an. Er sprach ihren Namen geradezu wie ein düsteres Gebet aus.

„Ich habe schon so viel von dir gehört, aber dich nun wahrhaftig vor mir zu sehen, straft alle Erzählungen und Beschreibungen deiner Schönheit Lügen ... du ...“

Noch bevor der von Blut besudelte Hüne weitersprechen konnte, trat die alte Mera aus dem Hintergrund hervor und fuhr ihm streng über den Mund: „Ach sei doch still, du Trottel von einem Riesen!“

Dann baute sie sich in all ihrer krummen Größe vor der jungen Schönen auf und ließ ihren missbilligenden Blick einige Male an dieser auf und abgleiten.

„Woher gebührt uns die Ehre für solch hohen Besuch?“

Christopher konnte an der Tonlage der Alten heraushören, dass sie nicht begeistert vom Auftauchen der Fremden namens Ravanna war, auch wenn sie vordergründig den Anschein erwecken wollte. Die Schöne musste also irgendjemand Besonderes sein. Woher wüsste man ansonsten hier ihren Namen und behandelte sie vergleichsweise ehrerbietig wie eine Prinzessin?

„Oder hast du dich etwa in unseren dichten Wäldern verlaufen, Ravanna?“, säuselte Mera arglistig, während sie sich leicht nervös immer wieder so unauffällig wie möglich umsah.

Ravanna erkannte Meras boshafte Gedanken und nahm ihr sogleich den Wind aus den Segeln, während sie ihre Lippen schürzte und lächelnd ihren Kopf schüttelte.

„Keine Sorge. Ich kenne diesen Wald wie meine Westentasche, Mera. Das weißt du ganz genau. Jemand wie ich verirrt sich nicht hierher. Er wird hier geboren. Wenn du verstehst, was ich meine.“

Mera nickte lächelnd, doch ihre schwarzen Augen verrieten, dass sie der um vieles jüngeren Hexe ihr gegenüber feindlich gesonnen war. Und beleidigt hatte Ravanna sie gerade auch noch vor ihrer gesamten Knechtschaft und den vielen anwesenden Kreaturen der Unterwelt. Und doch blieb Mera nichts anderes übrig, als erst einmal weiterhin gute Miene zum für sie unschönen Spiel zu machen. Die Stimmung zwischen ihr und Ravanna war jedoch spürbar angespannt. Es wirkte auf Christopher sogar so, als würde Mera am liebsten direkt auf die schöne Hexe losgehen. Aus welchem Grund auch immer. Doch irgendetwas hielt sie scheinbar davon ab. Offenbar war dieser Ort hier zwar Meras Herrschaftsgebiet. Doch vor irgendjemandem schien auch sie sich zu fürchten.

Ravanna formte nun unvermittelt mit Daumen und Zeigefinger vor ihren vollen Lippen einen Kreis und pustete anschließend kräftig dagegen. Ein lautes Pfeifen kam so zustande und im nächsten Augenblick erschien auch schon Bo. Er trabte langsam zwischen den dichten Tannen, Kiefern und Eichen dieser Lichtung hervor und ließ dabei völlig unaufgeregt seine Muskeln spielen. Seine ansonsten dunkelbraunen Augen leuchteten für einen kurzen Moment warnend glutrot auf, um sich dann wieder ins ursprüngliche Braun zurück zu verwandeln.

Ravanna zwinkerte ihrem Hundedämon zu und wandte sich erneut an Mera.

„Er ist heute nicht besonders gut drauf. Wie an beinahe jedem Tag. Ich hoffe, du hast genug Fleischvorräte da, um ihn zu besänftigen?“

Sie lächelte selbstsicher, auch wenn ihr angesichts der Horde an größtenteils relativ minderbemittelten und einfach gestrickten Ogern und Orks, Alben, Elfen, Gnomen, Goblins und Formwandlern ein wenig unwohl zumute war. Ohne Bo an ihrer Seite hätte sie nicht ihre Hand dafür ins Feuer gelegt, dass man sie nicht augenblicklich angegriffen hätte, auch, wenn sie immerhin einem der mächtigsten Dämonen diesseits und jenseits dieser Gefilde unterstand und somit dessen Schutz genoss. Aber diesen unmanierlichen, einzig und allein ihren niedersten Instinkten und Trieben nachgehenden Wesen hier rings um sie herum konnte man dennoch nicht vertrauen. Deshalb hatte sie ja auch Bo mitgenommen.

„Nun gut“, krächzte Mera, um einzulenken, „so will ich euch beide denn willkommen heißen in meinem Etablissement! Meras Welt der Lüste! Ich gehe natürlich davon aus, dass du auf der Suche nach etwas bist, wenn du hier einkehrst. Bei mir bekommst du all das, was das dunkle Herz begehrt! Frisches Blut, Körper jeden Geschlechts und alles, was dir sonst noch so beliebt!“

Sie entblößte grinsend ihre Raubtierzähne und machte eine einladende Handbewegung in Richtung Tribüne.

„Leider hast du gerade meinen allerneusten Fang verpasst. Denn wie du ja gesehen hast, ist das erste Bieterverfahren offiziell bereits beendet und der Käufer steht genau vor dir. Aber vielleicht findest du Gefallen an einer meiner anderen ‚Hostien‘?“

Die alte Hexe wollte voranschreiten und gab Ravanna mit einem Nicken zu verstehen, dass sie mitkommen sollte. Doch diese blieb an Ort und Stelle stehen und spähte zu jenem vernarbten Hünen und von ihm wiederum vor sich auf den Waldboden und die dort verteilten Überreste von dessen Kontrahenten.

„Ja“, sagte sie mit leicht angewiderter Stimme, „das habe ich mitbekommen. Und wie ich vorhin schon sagte, bin ich wirklich … beeindruckt von so viel Kraft und Kampfgeist“, log sie und sah zur Tribüne hoch und auf den nackten Mann mit der Eisenkette um den Hals, welcher sie mit einem entsetzten Blick anschaute.

Dann drehte sie sich dem Vernarbten zu und sagte mit fester Stimme:

„Doch ich bin ebenfalls an dem Menschen interessiert!“

Jetzt ging ein Raunen durch die Menge und Mera schüttelte vehement mit dem Kopf, während der Hüne Ravanna mit ernst gewordener Miene bedachte.

„Ich kaufe im Übrigen nicht für mich. Sondern für meinen Meister. Und ihr alle wisst, wen ich damit meine. Er wird vermutlich nicht begeistert sein, wenn ich ihm statt diesem Jüngling dort einen der abgemagerten Elfen mitbringe.“

„Der Mensch gehört mir!“, fiel der Muskelprotz Ravanna nun mit regelrecht erboster Stimme ins Wort und starrte sie dabei aus blitzenden Augen an.

„Ich habe ihn, wie es die hiesigen Regeln des Bietens verlangen, ersteigert und bin somit sein rechtmäßiger Besitzer!“

Ravanna lächelte wieder süffisant.

„Ja, aber natürlich, das ist vollkommen richtig. Ich würde auch nie gegen die geltenden Regeln verstoßen.“

Sie blickte den Hünen aus großen Augen an und tat so, als würde sie sich tatsächlich ängstigen.

„Doch ich denke, meinen Herrn und Meister wird das mal wieder wenig interessieren. Ich mache mir schon jetzt große Sorgen, dass er sich anschließend selbst um diese Angelegenheit kümmern wird. Und wie das jedes Mal ausgeht, weiß ich leider.“

Sie streckte eine Hand zu dem Hünen vor ihr aus und berührte mit ihren schlanken, langen Fingern seinen Oberarm, während sie weiter säuselte:

„Es ist nur so schade, dass es ausgerechnet einen so starken und gut gebauten Kerl wie dich erwischt. Ein echter Jammer, wenn man mich fragt!“

Dabei bedachte sie das Narbengesicht mit einem sehnsuchtsvollen, verführerischen Blick aus ihren großen, blauen Augen und fuhr sich lasziv mit einer Hand über die Kette um ihren filigranen Hals, bis hinunter zu ihren üppigen Brüsten.

Der Hüne wirkte einen Moment lang verwirrt. Doch dann legte sich seine Stirn in überlegende, wenn auch skeptische Falten. Dies fiel auch Ravanna auf und sie nutzte seine kurzzeitige Irritation, um ihre Absichten noch klarer zu machen. Sie trat sehr nah an ihn heran und flüsterte ihm ins Ohr:

„Ich könnte dir jetzt anbieten, dass du mit meinem guten Gefährten Bo um den Jüngling kämpfst. Aber ich denke, wenn ich einfach den doppelten Preis zahle, wäre das vermutlich die bessere Alternative für dich.“

Der Kerl zögerte einen Augenblick. Dann schaute er sich zu Christopher um, betrachtete ihn noch einmal eindringlich, bevor er sich wieder Ravanna zuwandte. Er bedeutete ihr, mit ihm ein paar Schritte zur Seite zu gehen, damit sie außer Hörweite von Mera und der sie noch immer beobachtenden Menge ungestört verhandeln konnten.

„Du sagst also, du willst mir das Doppelte zahlen, was ich an Mera zu zahlen habe?“

„Ja. Ganz richtig.“

„Das ist ja schön und gut. Aber ich hatte bereits meine Pläne mit dem Menschensohn. Wenn du verstehst, was ich meine. Und ich weiß nicht, ob ich diese Pläne wirklich einfach so aufgeben möchte.“

Er sah die schöne, junge Halbhexe nun mit lüstern aufleuchtendem Blick an.

„Es gibt für jemanden wie mich schlussendlich nicht oft eine solche Gelegenheit. Du konntest dich ja eben mit eigenen Augen von der übrigen, Ware überzeugen, die hier angeboten wird. Ein solches Prachtexemplar wie der da oben auf der Tribüne kommt an einem Ort wie diesem nicht oft unter den Hammer. Da sieht man auch schon mal vom Geschlecht des Angebotenen ab. Obwohl mir natürlich ein durch und durch weibliches Wesen, wie du es ohne jeglichen Zweifel bist, hundertmal lieber wäre. Doch man nimmt, was man kriegen kann.“

Seine Blicke glitten bei diesen Worten noch einmal genüsslich über Ravannas schlanke Gestalt, hingen eine ganze Weile wie hypnotisiert auf ihren üppigen Brüsten fest, bevor er ergänzte: „Aber ich kann dich durchaus auch verstehen. Du bist deinem Meister untergeben und musst tun, was er von dir erwartet und verlangt.“

Ravanna sah dem Hünen fest in die Augen. Dabei rollte sie innerlich genervt mit ebendiesen und schickte einen stummen Fluch gen Himmel. Für sie war längst klar, dass sie den großen Lüstling da vor sich bereits am Haken hatte. Jetzt kam es nur noch auf eine für sie halbwegs akzeptable Einigung zwischen ihnen an.

„Dennoch habe ich den Menschen rechtmäßig ersteigert und er gehört demnach mir.“ Er lächelte sie hämisch an.

„Aber ich bin unter gewissen Voraussetzungen durchaus an einem Geschäft mit dir interessiert, Ravanna. Ich habe immerhin schon viel von dir gehört. Von dir und deinen speziellen Künsten.“

Seine Augen wanderten erneut begierig über ihren Körper.

„Du sagst, du zahlst mir das Doppelte an Gold. Gut, abgemacht. Aber das ist mir noch nicht genug. Von dem Jüngling da hätte ich immerhin eine ganze Zeit lang etwas gehabt und das ist auch mit dem doppelten an Gold längst nicht abgegolten. Das musst du selbst doch auch zugeben. Also“, er sah sie verlangend an und lächelte über sein gesamtes vernarbtes Gesicht, „Ist es nur angebracht, dass du mir diesen Verlust irgendwie bezahlst. Und ich denke dabei ganz konkret an deine hier in dieser Gegend selbst nach all der vergangenen Zeit noch immer so hochgelobten Fähigkeiten bestimmter, körperlicher Zusammenkünfte.“

Seine Augen blitzten sie begehrlich an und Ravanna atmete innerlich auf. Sie hatte den narbengesichtigen Hünen um den Finger gewickelt. Die Angelegenheit war so gut wie besiegelt. Ihrem ihr hier noch immer vorauseilenden Ruf aus längst vergangenen Zeiten sei Dank. So sehr sie diese verlorenen Jahre ansonsten gerne aus ihrem Gedächtnis verbannt hätte – für dieses Geschäft war ihr ihr wildes und ungezügeltes Vorleben doch noch einmal zugutegekommen. Ravanna gab sich dennoch gelassen und betont geduldig vor dem Kerl. Sie tat so, als würde sie nun doch lieber noch einmal darüber nachdenken wollen. Schürzte die vollen Lippen und legte die Stirn in kleine, nachdenkliche Falten.

„Wenn ich’s mir recht überlege …“

Ihre rechte Hand glitt wie zufällig über ihren zarten Hals und sie lenkte die Aufmerksamkeit des Kerls mit dieser Geste gezielt dorthin, wo ihre Halsschlagader unter ihren schlanken Fingern vibrierte. Sie rieb immer wieder über genau diese empfindsame Stelle und sah den Hünen dabei mit laszivem Blick und halb geöffneten Lippen an.

„Wenn ich daran denke, was mein Meister wohl zu so viel Gold sagen wird, wo ich selbst doch zu meinen eigenen Zeiten gut und gerne das Dreifache verlangen konnte … für eine einzige Nacht, versteht sich.“

Sie schüttelte den Kopf, während sie sich dabei in ihre gelockten, ebenholzfarbenen Haare griff, um sie in einem Schwung gekonnt über die zarte Schulter zu werfen. „Nein, er wird alles andere als begeistert sein, wenn ich so unverhältnismäßig viel für den sterblichen Burschen da bezahlen würde! Das Gold, was du für den Jüngling an Mera löhnen musst, das kann ich dir geben. Sicher. Abgemacht. Mehr aber auch nicht. Eine zusätzliche Nacht mit mir ist einfach zu teuer für dich und mein Meister hat mir strengstens verboten, mich unter Wert zu verkaufen. Das würde nämlich meinem Ruf schaden. Und du kennst diesen Ruf ja offenbar sehr gut, also wirst du mich verstehen!“

Ravanna lauerte darauf, innerlich ein klein wenig angespannt, ob ihr Trick nun auch aufgehen würde,, blieb äußerlich jedoch völlig entspannt.

„Dabei gäbe es eine Lösung, die weder dir noch mir schaden würde. Und die ich auch meinem strengen Meister erklären könnte.“

Sie schüttelte wieder gespielt überlegend den Kopf.

„Aber das wäre ein zu großes Risiko für mich. Immerhin ist es mein Ruf, der auf dem Spiel steht, wenn ich dir eine Nacht mit mir anbieten würde. Im Tausch für den Jüngling, versteht sich. Eigentlich verlange ich immerhin mehr als dreimal so viel wie dich der Bauernjunge auf der Tribüne kostet.“

Sie senkte gespielt enttäuscht ihre Lider:

„Wie schade. Dann muss ich meinem Meister eben sagen, dass ein großer, starker, sehr gut gebauter Hüne mir den Jüngling vor der Nase weggeschnappt hat. Wenn du Glück hast, kannst du dich ein paar Tage vor Ash Phalidos und seinem unbändigen Zorn verstecken. Und so lange deine Beute genießen. Das solltest du jedenfalls. Denn finden wird er dich irgendwann!“

Ravanna drehte sich gerade herum, als der Hüne sie aufhielt.

„Warte.“

Mehr hatte die listige Hexe nicht hören wollen. Zutiefst befriedigt lauschte sie danach den vor Aufregung und Wollust bebenden Worten des Hünen, der aufgrund Ravannas Pheromone bereits völlig in ihren Bann gezogen war:

„Ich bin einverstanden mit deinem Angebot! Und ich verspreche dir, dass dein Ruf nicht beschmutzt wird. Ich werde niemandem erzählen, dass ich deine Dienste so günstig habe in Anspruch nehmen können.“

Er sah sie ein wenig angstvoll an, als fürchtete er, diesen Handel nicht mehr vollziehen zu können, und streckte ihr eilig seine Hand mit dem bereits angetrockneten Blut vom vorangegangenen Kampf mit dem Reptilienmann daran entgegen:

„Ich gebe dir hiermit mein Wort! Und verlange im Gegenzug deines, um unseren Tauschhandel auf der Stelle endgültig und unwiderruflich zu besiegeln.“

Ravanna lächelte triumphierend in sich hinein und nahm die grobe Hand des Hünen entgegen, obwohl sich ihr beim Anblick des Blutes daran die kleinen Nackenhaare aufstellten.

„Abgemacht!“

Sie sah ihm noch einmal eindringlich in die Augen.

„Eine Nacht mit mir im Tausch für den Jungen! Und dein absolutes Stillschweigen darüber!“

Der Handel war somit beschlossene Sache. Ravanna rollte zwar erneut innerlich mit den Augen, als der Hüne sie gierig begaffte und sich in seiner Vorstellung womöglich schon ausmalte, was er alles mit ihr anstellen würde. Doch das war ihr nun gleich. Immerhin hatte sie bekommen, was sie wollte. Vielleicht hätte sie einfach den doppelten Preis zahlen sollen, anstelle die eigenen Dienstleistungen anzubieten, dachte sie bei sich. Nun war der Kerl immerhin so dermaßen aufgegeilt, dass sie ihn nicht lange würde hinhalten können. Sicher, sie hatte diese Begehrlichkeiten in ihm durch ihr laszives Auftreten ja geschürt. Und eigentlich suchte sie sich ihre Liebhaber immer noch gerne selbst aus. Doch sie war nun einmal keineswegs daran interessiert gewesen, den nackten Jüngling da oben aufzugeben. Er war einfach zu perfekt und sie hatte sich in den Kopf gesetzt, ihn Ash als ihr Geschenk von diesem ansonsten völlig nutzlosen Ausflug in den Sukkura Forest und nach Innubà, mitzubringen. Sie würde wohl oder übel mit dem Verlauf der Dinge leben müssen. Ein Geschäft war ein Geschäft und sie nahm sich vor, das Beste aus der Situation zu machen.

„Du solltest Mera jetzt lieber ihr Gold zahlen. Ich habe gehört, mit ihrer Geduld soll es nicht weit her sein“, forderte Ravanna von dem Unhold, während dieser sie noch immer verlangend betrachtete, „und danach machen wir uns auf die Suche nach einem netten, ungestörten Plätzchen für die Nacht“, ergänzte der Hüne voll freudiger Erwartung.

„Sicher. Aber zuerst will ich den Menschen bei meinem Hundedämon in Sicherheit wissen.“

Der Hüne nickte nur und zahlte das Gold an die wartende Mera, welche kurz darauf einen ihrer Lakaien anwies, den nackten jungen Mann von der Tribüne zu holen.

Christopher, der nicht hatte mitanhören können, was die Halbhexe namens Ravanna und der Muskelprotz da miteinander ausgehandelt hatten, verfiel in angstvolles Zittern, als man ihn die Anhöhe herunterzerrte. Doch Ravanna kam sogleich auf ihn zu und betrachtete ihn voll Bewunderung. Allem Anschein nach war sie es also, die den „Zuschlag“ für ihn erhalten hatte. Irgendetwas in Christopher war einerseits erleichtert. Anderseits wusste er damit noch lange nicht, was dieses Schicksal nun für ihn bereithielt. War diese äußerlich so schön anzuschauende Gestalt im tiefsten Inneren ebenso abartig und grausam wie jene anderen Kreaturen dieses Ortes? Oder hatte sie ihn womöglich vor einem schrecklichen Los gerettet? Und wenn ja, warum hatte sie das getan? Was mochte der Grund dafür sein?

Als ihn jener grobe Oger unter Meras Befehl der zierlichen Ravanna übergab, konnte er sich noch nicht im Geringsten ausmalen, was ihm in der nächsten Zeit bevorstehen würde.

A Demon's F***ing Heart

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