Читать книгу Rassimus kommt vom Teufel - der ist aber kein Rassist - Lucian Vicovan - Страница 5

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„Auntie T wird mich umbringen!”, war das Erste, was das Mädchen von sich gab, nachdem wir um die nächste Ecke bogen und aus dem Blickwinkel des “Mama Coco´s” verschwunden waren.

„Wie heißt du denn überhaupt und vor allem, wie alt bist du?”

„Roxette, und ich bin achtzehn.”

„Hübsches Ding, mich brauchst du nicht anlügen. Ich bin der Luczizcki, und ich bin keiner von denen!”, belehrte ich sie und deutete mit dem Kinn in die Richtung, aus der wir gerade kamen.

„Ihr Mzungus, ihr seid doch alle gleich”, sagte sie trotzig und zog sofort ihren Kopf ein, so als würde sie die nächste Ohrfeige erwarten.

„Ich bin der Luczizcki und kein Mzunugu, ich bin also nicht wie die!”

Mzungu war der Begriff, den die Menschen hier für alle Weißen verwendeten. Ich konnte mich nicht damit anfreunden, dass dieser Begriff kaum negativ untermalt war. Wenn ich daran dachte, wie viel Negativität und böses Blut der Ausdruck Neger in sich trägt, frage ich mich doch, wieso es umgekehrt nicht ebenso läuft. Schließlich beschreiben beide ein und dieselbe Sache - die Hautfarbe. Überhaupt musste ich mit Bedauern und nicht selten mit Entsetzen feststellen, wie bereitwillig die Einheimischen ihre Rolle des vermeintlich Schwächeren annahmen, während die Europäer auf den Straßen herumspazierten, als hätten sie den Hodensack erfunden. Die Geschichte hat uns doch allen schon eindrucksvoll bewiesen, dass solange ein Unterjochter nicht selber aufbegehrte und das Joch abwirft, der Unterjochende niemals freiwillig einen Schritt in diese Richtung setzen würde. Was ich jedoch sah, war breites Grinsen, gesenkte Häupter und eine unterwürfige Haltung, sobald der Weiße mit seinem dicken Geldbeutel herangetänzelt kam. Traurig - ja, geradewegs entsetzlich.

„Und, was wollen Sie jetzt tun, Luczizcki? Auntie T wird mich umbringen, oder noch schlimmer, aus dem Haus jagen und mich auf die Straße setzen. Ich heiße Tana Nkata. Ich komme aus Busia, das ist an der Grenze zu Uganda. Ich bin vor zwei Jahren von daheim ausgebrochen und hierhergekommen. Meine Eltern würden mich niemals wieder aufnehmen. Ich weiß nicht einmal mehr, ob sie noch leben. Ohne Auntie T wäre ich auch schon lange nicht mehr am Leben. Jetzt wird sie mich aus dem Haus werfen… Ich bin verloren!” Sie entriss mir ihre Hand und fing herzzerreißend zu weinen an. „Alles wegen Ihnen, Luczizcki, wieso können Sie nicht einfach Ihr Bier trinken und sich aus den Angelegenheiten anderer heraushalten?”

„Aber, aber, kleines Ding, du musst jetzt nicht weinen! Ich werde mit Auntie T schon reden und ihr alles erklären. Du hast ja das Geld bekommen, deine Auntie wird nichts vom Geschäft einbüßen müssen.”

„Dieser Fettsack wird ihr alles erzählen! Sie wird mich umbringen!” Die junge Hure Tana heulte noch lauter.

„Ich werde mit ihr reden!”

„Wie wollen Sie mit ihr reden, Luczizcki? Wie wollen Sie das anstellen? Niemand weiß, wer hinter diesen Namen überhaupt steckt. Wir bekommen ihre Aufträge per Textnachricht und unseren Anteil von ihren Haudegen überreicht, die auch zum Geldeintreiben kommen. Wenn eine von uns Mist baut, schauen diese vorbei und verprügeln uns oder schmeißen uns aus dem Haus. Wenn das passiert, sind wir gebrandmarkt! Wir dürfen dann nie mehr arbeiten, nicht hier in Malindi, nicht in Watamu, nicht einmal in Lamu oder Mombasa! Auntie T kontrolliert alles! Wer es sich mit ihr verscherzt, ist so gut wie tot, auch wenn ihre Schergen sie noch am Leben lassen sollten.”

„Das ist doch alles nur ein Hirngespinst, Tana, das weißt du doch. Das sind Geschichten um euch zu erschrecken. Nichts weiter als das.”

„Luczizcki, woher wollen Sie das wissen? Dieser Fettsack wird sicherlich auch Ihnen wehtun wollen, ich bin sowieso schon so gut wie tot.”

„Bist du wirklich schon achtzehn, Tana?”

„Achtzehn?” Sie lachte laut auf. „Ich wäre da schon längst verheiratet und würde irgendwo in Europa oder Kanada oder sogar Australien wohnen. Ich bin sechzehn, Luczizcki, und wegen dir werde ich sicher auch kaum viel älter.”

In diese unglückliche Unterhaltung vertieft, bemerkte ich gar nicht, wohin sie mich führte. Plötzlich standen wir vor einem Gebäude in einer Straße, wo Bauarbeiter versuchten eine asphaltierte Straße über den Schotterweg zu legen. Es wurden Kanäle gegraben, Fundamente gelegt. Gleichzeitig fuhren Motorräder, Tuk-Tuk´s und Autos zwischen all diesen Gruben und Löcher hindurch. Ich traute mich zu wetten, dass die Arbeiter unmöglich innerhalb der nächsten zwei Jahre mit ihrer Straße fertig werden würden.

Das Gebäude hatte drei Stockwerke und sah so aus, als hätte man auch dieses Projekt frühzeitig aufgegeben. Die Wände waren, bis auf die Fassade, unverputzt, die Stromkabel hingen überall lose heraus, es gab keine Fenster, nur Moskitonetze und der Eingangstüre fehlte ein Schloss.

„Das ist das Haus, aus dem du Angst hast, rausgeschmissen zu werden?”, fragte ich ungläubig, während ich meinen Blick über die vergilbte grüne Fassade auf- und abschweifen ließ.

„Sie verstehen gar nichts, Luczizcki, gar nichts!”

Ich wanderte mit meinem Blick über die angrenzenden Gebäude und bemerkte schnell, dass Tanas Haus in einem vergleichsweise guten Zustand war. Vielleicht hatte sie ja recht und ich verstand wirklich nichts.

Sie schob die Tür auf und ein Geruch nach Katzenpisse und Moder strömte in die sowieso schon heiße und verstaubte Luft hinaus. Auf den Treppen, die sich dahinter befanden, saß ein Mädchen welches etwas älter als Tana sein musste. Sie hatte ein Netz über ihre Haare gespannt, ihre Titten hingen wie zwei zur Seite deutende Schläuche in ihrem Tanktop und sie machte sich gerade die Nägel.

„Spinnst du Tana? Du darfst keine Kunden hierher mitbringen!” Sie sprang erschrocken auf. „Verzeihung, ich meinte natürlich Roxette!”, fügte sie hinzu, nachdem sie mich noch einmal ansah und eingehender musterte.

„Das ist kein Kunde, der Luczizcki hat mich vor dem Fettsack gerettet, der anfing, mich im `Mama Coco´s´ zu verprügeln.” Danach sprach sie in Kisuaheli weiter, wahrscheinlich schilderte sie ihrer Freundin, die sich später als Zola alias Joyce vorstellte, den Hergang.

„Auntie T wird dich verbannen, wenn nicht gar umbringen”, befand die, sobald Tana am Ende ihres Berichts angekommen war und ihr das Bündel Geld zeigte, welches ich ihr überreicht hatte. „Am besten nimmst du das Geld und machst dich sofort aus dem Staub.”

„Wo soll ich denn hin?”, fragte Tana schluchzend, setzte sich auf die Treppen und fing wieder das Weinen an. Von oben kamen noch Jamila alias Jessica, Amani alias Jennifer und Malaika alias Barbara.

Letztere hatte auch die ausgeflippteste Idee: „Luczizcki, Sie haben Tana in diese Scheiße hineingeritten, Sie sollten ihr da jetzt auch heraushelfen. Nehmen Sie Tana mit zu Ihnen und verstecken Sie sie vor den Schergen der Auntie T!”

Unerhört!

„Also hat niemand von euch jemals mit dieser Auntie T gesprochen, sie gesehen oder auch nur die leiseste Vermutung, wer sie sein könnte?”

Sie alle schüttelten den Kopf.

„Diese Nachrichten schickt sie uns immer”, belehrte mich Malaika und hielt mir ein altes Handy unter die Nase. Darin stand: „Mister Eder Lucracelli, Mwembe Resort Malindi, 20.00 Uhr!”

„Und ihr geht da einfach hin und fragt an der Rezeption nach dem jeweiligen Herrn?”

„Also meistens warten die schon am Eingang auf uns. Dann fragt er mich einfach: ,Barbara?' und ich sage: ,Ja.' Er umarmt mich und wir gehen Abendessen. Nur selten haben die Kunden es so eilig, dass sie gleich aufs Zimmer wollen. In diesen Fällen schreiben wir das Auntie T und sie verlangt dann auch die Kosten eines Abendessens von ihnen, so bekommen auch wir etwas mehr Geld.”

„Faszinierend. Und wenn der Kunde handgreiflich wird?”

„Jede von uns weiß, dass der Fettsack ein Grobian ist. Der war ja schon sein halbes Leben im Gefängnis, drüben bei ihm in Amerika. Auch Auntie T weiß es, darum verdienen wir an ihm auch das meiste Geld. Seit einem Jahr schon wohnt er hier in Malindi, er brennt daheim in der Badewanne seinen eigenen Schnaps, aus allen möglichen Früchten die man hier so finden kann.”

„Ist das legal? Wieso geht ihr nicht zur Polizei? Verratet den Mistkerl!”

„Er bringt das meiste Geld ein und auch viele neue Kunden. Wenn Auntie T erfahren würde, dass wir ihn verpetzt haben, würde sie uns den Hals umdrehen. Und Auntie T erfährt immer alles.”

„Ihr spinnt! Lasst mich doch einmal die Nummer wählen.”

Nur widerwillig und nachdem ich ihnen hoch und heilig versprach, niemandem zu verraten, woher ich die Nummer hatte, rückte Zola sie endlich raus.

Ich rief an.

„Auntie T Seafood! Was kann ich für Sie tun?” Es war eine angenehme Stimme, nicht jene einer Tyrannin, auch nicht die von einer Person, die mit Leichtigkeit Todesurteile ausspricht.

„Ich möchte bumsen, aber mit keinem eurer Mädchen, sondern mit dir persönlich!”

Es herrschte kurz Ruhe in der Leitung.

„Sir, ich verstehe nicht richtig.”

„Ihr habt doch Mädchen, oder nicht?”

„Ja, Sir, suchen Sie eine Bestimmte?”

„Ja, dich, höchstpersönlich.”

„Sir, bitte rufen Sie hier nie wieder an!” Sie legte auf.

Ich würde morgen noch einmal anrufen müssen, also verabschiedete ich mich von den mich schockiert ansehenden Mädchen. Sie alle bestanden darauf, mich zu umarmen. Ich schloss sie schnell in mein Herz, da von ihnen sicherlich nur die wenigsten volljährig waren und bis über die Ohren hilflos erschienen. Mit Sicherheit hatten sie alle dramatische Geschichten zu erzählen, ähnlich derer, die mir Tana in kurzen Worten beschrieben hatte.

Mit traurigem Herzen setzte ich mich vor eine schmutzige Bar, die gegenüber von dem Haus der Mädchen zwei Tische mit Gartenstühlen auf die Straße gestellt hatte. Ich bestellte zwei Bier und zwei Kurze, wurde gefragt, ob noch jemand kommen würde, ich sagte Nein und erntete einen schiefen Blick vom Besitzer. Dieser Blick sollte einem entsetzten Platz machen, sobald ich den ersten Kurzen und das erste Bier noch vor ihm auf Ex trank.

Es dauerte keine Stunde, ich war beim dritten Bier vor der ärmlichen Bar und beim neunten insgesamt, als zwei Muskelpakete um die Ecke kamen und mit geraden Schritten auf das Haus der Mädchen zugingen. Einer davon stieß die Tür so stark auf, dass sie gegen die Wand krachte. Ich hörte kein Klatschen, ich hörte keine Schreie. Fünf Minuten später kamen sie wieder heraus und lachten so, wie jemand lacht, der gerade hinter einen Altar gepinkelt hat. Ein kleines Aufmucken eines Verantwortungsgefühls versuchte mich anzutreiben hinzugehen und nachzusehen, was geschehen war. Das ganze Bier und die zahlreichen Shots verbaten mir jedoch, diesen Impulsen Folge zu leisten. Der aufsteigende Nebel in meinem Kopf ließ mich wissen, dass ich gerade noch imstande war, nach Hause zu finden. Die Sonne war schon im Begriff unterzugehen. Innerhalb weniger Minuten würde alles stockdunkel sein, was meinen Heimweg erheblich erschweren würde.

Ich zahlte und ging, daheim wartete ja noch eine Flasche Mombasa Club auf mich - ein würdiger Abschluss für einen unwürdigen Tag.



Rassimus kommt vom Teufel - der ist aber kein Rassist

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