Читать книгу Rassimus kommt vom Teufel - der ist aber kein Rassist - Lucian Vicovan - Страница 7

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Wieder geweckt wurde ich von der Autohupe, die keine fünfzig Zentimeter von meinem Kopf entfernt erschallte. Nicht einmal, nicht zweimal. Viermal. Wobei diese beim letzten Mal nicht mehr ausgelassen wurde. Ich sprang auf wie von der Tarantel oder dem Skorpion gestochen oder einer schwarzen Mamba gebissen. Ich muss ehrlich gestehen, zu jener Zeit wusste ich nicht, bei welchem dieser Lebewesen hier in Kenia die höchste Möglichkeit einer Begegnung bestand. Doch keines von dieser Liste hätte so einen Lärm veranstaltet. Die hätten sich eher lautlos und unbemerkt an ihre Beute herangepirscht. Anita jedoch packte die Fanfaren aus.

„Einen wunderschönen guten Morgen wünsche ich dir, Göttin aller Götter!”, rief ich ihr zu, nachdem ich den Vorhang zur Seite riss und sofort von der Sonne geblendet wurde.

Sie stand neben ihrem Auto und griff durch das offene Fahrerfenster zur Hupe, ließ dies aber los, sobald ich den Vorhang bewegte.

„Blasphemisch des Nachts, blasphemisch am Morgen, sehr gut Luczizcki! Hop-hop – raus aus dem Bett! Wir wollten doch Kaffeetrinken gehen.”

Soweit ich mich erinnerte, war es ursprünglich mein Vorschlag. Jetzt tat sie auf einmal so, als hätte sie mir diesen unterbreitet.

„Ich brauche vier Minuten!”

„In vier Minuten geht das Gehupe wieder los, Luczizcki, tu den anderen Nachbarn doch den Gefallen und trödle nicht zu lange.”

Ich mochte sie mehr und mehr. Eine Bosslady also, falls mir gestattet wird, einen solch hippen Ausdruck zu verwenden. Dabei merke ich, dass hip auch zum modernen Anglizismus gehört. Wie dem auch sei. Eine in den Boden stampfende Berta, die meint zu wissen wo der Hammer hängt und die damit den Galeerensklaven ein hübsches Tempo vorgibt. Eine Alpha-Ute,... Gut, gut, ich denke es ist klar, worauf ich hinaus möchte.

Natürlich habe ich Angst vor solchen Frauen, genauso gut weiß ich auch, dass wir aneinander zerschellen werden und ein Scherbenhaufen entstehen wird, dem nicht einmal die Wiener Magistratsabteilung 48 gewachsen ist. Gleichzeitig liegt aber genau darin auch der Reiz. Fragen Sie doch einen Paragleiter, wieso der sein Leben so gerne aufs Spiel setzt, oder einen Kletterer, der freihändig und ohne Sicherungsseil Klippen erklimmt: „Wieso macht ihr das?” Ihre Antwort wird jemandem, der sich mit einem Bausparvertrag und einem Sparkonto, in welchem die Cent von den Endbeträgen im Supermarkt aufgerundet und gespart werden, auf der sicheren Seite des Lebens fühlt, unverständlich erscheinen. Die Logik steht dabei hinten an, vielleicht sogar der Selbsterhaltungstrieb.

Innerhalb von drei Minuten und siebenundvierzig Sekunden schaffte ich es, ein bisschen lauwarmes und nach Kalk riechendes Wasser über meinen Körper laufen zu lassen, über jeden Zahn zumindest einmal mit der Zahnbürste zu fahren und etwas Frisches anzuziehen. Alle Flaschen, denen ich während diesem ganzen Prozedere begegnete, waren bis auf den letzten Tropfen ausgetrunken.

Ich trat genau dann aus dem Haus hinaus, als Anita schon wieder beim Fahrerfenster stand und ihre Uhr überprüfte.

„Sehr gut, Luczizcki! Ich liebe es, wenn meinen Aufforderungen Folge geleistet wird.”

„Ich liebe es, wenn meine Einladungen nicht abgeschlagen werden.”

„Bilde dir ja nichts ein, Luczizcki, es bist nicht du, der meine Neugierde geweckt hat, sondern deine Worte.”

„Damit kann ich leben!”

„Steig ein und lass uns endlich fahren, wir haben noch einen weiten Weg vor uns.”

Ich stieg ein und wir fuhren los. Die ersten fünf Minuten sprach keiner. Wir steuerten in südlicher Richtung und waren schnell aus Malindi raus. Dann hielt sie am Straßenrand und sah mich eindringlich, aber trotzdem flüchtig an.

„Öffne das Handschuhfach, darin findest du eine Sonnenbrille. Setz sie auf, damit du zumindest den Eindruck erweckst, als hättest du Geld.”

Ich tat wie mir befohlen, kommentierte ihre Aussage aber nicht. Wir fuhren weiter.

Kurz vor Watamu war eine Straßensperre eingerichtet. Wir mussten anhalten und ein Polizist beugte sich zu ihr. Sobald er Anita erkannte, die ihr Gesicht hinter einer dieser riesigen Sonnenbrille versteckt hielt, begann er schon fast entschuldigend zu wirken. Ich konnte kein Wort verstehen, doch bevor wir uns wieder in Bewegung setzten, packte der Beamte Anitas Hand und küsste sie hingebungsvoll. Eine eindeutige Geste, die ich ebenfalls unkommentiert ließ.

Gesprochen wurde erst wieder nachdem wir in der Nähe des Strandes parkten. Das gab mir die Gelegenheit, mir diese Frau während der Fahrt aus nächster Nähe und eingehend anzusehen, zumindest die Züge, die nicht von ihrer Sonnenbrille verdeckt wurden. Ihre Zähne waren strahlend weiß, mit einer kleinen Zahnlücke zwischen den vorderen Schneidezähnen. Ich wünschte mir so sehr, dass sie mehr lächeln würde, doch bis auf die höflichen Lacher, die sie für den Polizisten zur Schau stellte, blieb ihr Gesicht ernst und ihre Augen auf die Straße gerichtet. Sie musste mein Starren spüren, ich wollte, dass sie mein Starren spürte - doch sie ging nicht darauf ein. Würde ich nicht ihre Sonnenbrille tragen, könnte ich ebenso gut auch ein Anhalter gewesen sein, den sie am Straßenrand aufgeklaubt hatte. Ihre Lippen waren so voll, ich sah sie schon um mein Glied auf- und abwandern. Ihre Hautfarbe ein glänzendes Braun, ihr Haar schwarz wie Onyx. Wie alt sie wohl sein mochte? Ich hätte sie Anfang zwanzig geschätzt, ihr Verhalten und Gehabe aber brachten mich dazu, meine Einschätzung zu bezweifeln.

„Ich möchte sehen ob du mir Glück bringst, Luczizcki!”, kündigte sie an, nachdem sie den Motor abstellte und bevor sie ausstieg. Ich folgte ihr - erneut kommentarlos.

Eine Tafel über dem Eingang kündigte an: Casino Watamu.

Ich musste schmunzeln, war doch überrascht. Sie befahl mir zu warten und kehrte mit einem Körbchen voller Chips zurück.

„Lass uns zum Roulettetisch gehen!”, forderte sie und deutete mir mit Fingerschnippen, ihr zu folgen. Ich folgte kommentarlos.

„Die Hälfte der Chips sind für dich, mach das Beste draus.”

Wir verloren alles innerhalb einer Viertelstunde, sie nahm ihre Sonnenbrille ab und funkelte mich böse an.

„Nun gut, Luczizcki. Pech im Spiel - Glück in der Liebe! Lass uns den Kaffee trinken.”

Wir setzten uns an den Pool. Das gesamte Casino war eine Ansammlung von kleinen Hütten, in jeder davon standen verschiedene Maschinen, einarmige Banditen oder Spieltische, wir waren die einzigen Anwesenden. Wir bekamen unseren Kaffee. Ich beäugte meine Tasse und ein unheimliches Misstrauen machte sich in mir breit. Ich rief einen Kellner herbei und bestellte ein Bier. Anita beobachtete dies alles, hatte aber genug Anstand mit dem Ausfragen bis auf das Eintreffen des Bieres zu warten.

„Woher kommst du, Luczizcki?”

„Aus Österreich.”

„Wieso bist du hier?”

„Du willst nicht wissen, wo Österreich liegt?”

„Luczizcki, die meisten Touristen, die wir hier haben, kommen aus Italien - Österreich liegt nördlich davon. Es ist unvermeidlich, dass die Italiener von ihrem nördlichen Nachbarn mit den schönen Bergen und den vielen Tunneln sprechen.”

„Wir haben auch eine weitaus bessere Küche als die Italiener und unser Trinkwasser ist viel reiner und schmackhafter. Unser Sozialsystem besser, so auch unsere Infrastruktur, die Politiker sind weniger bestechlich...”

„Was hat dich nach Malindi getrieben, Luczizcki?”

„Mombasa war mir zu überfüllt.”

„Luczizcki! Hör auf mir auszuweichen! Wieso bist du in Kenia?”

„Wenn ich das wüsste, meine liebe Nachbarin, dann hätte ich sicher auch etwas zu tun und würde nicht am helllichten Tag fremdes Geld einem Casino in den Rachen schieben.”

„Du weißt also nicht, wieso du hier bist?”

„Ich weiß kaum, wieso ich auf Erden bin, Göttin aller Götter, vielleicht weißt du mehr?”

„Bei unserer letzten Unterhaltung meintest du noch zu wissen, wieso du hier bist.”

„Ach so, ja, natürlich - um dich zu treffen und immer bei dir zu bleiben.”

Ich nahm ihre Hand und wollte sie ebenso wie der Polizist zuvor, küssen. Sie entriss sie mir.

„Lass das, Luczizcki, du bist kein Hund!”

„Der Polizist aber schon?”

„Der Großteil der Männer!”

„Ich jedoch nicht.” Ich sagte dies mit leiser Stimme - mehr zu mir selbst, als zu ihr.

„Du meintest, du wärst nicht wie alle anderen. Du sagtest, du wärst ein Luczizcki, hast damit impliziert, etwas ganz Neuartiges zu sein. Das möchte ich sehen!” Nach einer kurzen Pause fügte sie noch „und spüren…” hinzu.

„Und? Regt sich schon was?”, fragte ich, ohne mir ein Grinsen unterdrücken zu können.

Sie holte eine Packung dieser dünnen und langen Zigaretten aus ihrer Tasche hervor und rauchte sich eine an. Dann schob sie ihre Sonnenbrille bis zur Nasenspitze vor und sah mich wieder über die Brillenränder an. Ihre Augen hatten die Form, die normalerweise Disney ihren Charakteren gibt, wenn sie wollen, dass man sie mag. Also dem Aschenputtel, Dornröschen, Bambi, Susi aus Susi und Strolch, usw. - sie waren voller Wärme und ganz gegensätzlich zu der Härte, die sie an den Tag zu legen versuchte.

„Also gut, Luczizcki, einem vom Flug müden Vogel ist jeder Baum recht. Ich bin bereit, dir eine Chance zu geben. Solltest du mich enttäuschen, will ich dich niemals mehr vor meinen Augen sehen. Solltest du mich betrügen, bringe ich dich um!”

Ich wusste nicht, dass sie Ngugi wa Thiong´o zitiert hatte, genauso wenig wie ich auch wusste, wie ernst sie die ausgesprochenen Drohungen meinte - also grinste ich dämlich.

„Luczizcki, überlege es dir gut, ich möchte keine Antwort von dir hören, nicht heute. Morgen reden wir darüber. Du musst eine Nacht drüber schlafen, nur dann kann ich deine Entscheidung als durchdacht akzeptieren. Lass uns jetzt nach Hause fahren.”


Rassimus kommt vom Teufel - der ist aber kein Rassist

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