Читать книгу Der Grimmepreis kann warten - Ludger Bussmann - Wigger - Страница 11
ОглавлениеDie weinende Madonna
Anno Domini, 1995 trat in einer Stadt in den Niederlanden folgendes Phänomen auf. Eine hölzerne Madonnenstatue, ca. 60-70 cm hoch, hatte auf ihrer Wange eine Träne, die sich ganz langsam entwickelt hatte. Nachdem diese von ihrem Besitzer bemerkt worden war und er es seinen Nachbarn gezeigt hatte, war es mit der Ruhe in der typisch holländischen Reihenhaussiedlung vorbei. Ein riesiger Hype setzte ein und die Presse trug dazu bei, dass aus der beschaulichen Straße ein neuer Wallfahrtsort entstand.
„Fahrt da mal hin und geht der Sache auf den Grund!“
So lautete das Briefing aus der Redaktion, angedacht war ein Beitrag für das Mittagsmagazin. Frohen Mutes und mit einem geschärften Sinn für spirituelle Erscheinungen, rauschten wir von Essen nach Holland.
Wir erreichten unser Ziel und am Ende der Straße, an einer kleinen Kreuzung sah ich eine Ansammlung Menschen. Einige tanzten auf der Straße, und an einer Häuserecke war ein Polizeiwagen geparkt.
Hier musste es sein, wir parkten mit etwas Abstand. Ich schnappte meine Kamera und ging zu dem Haus, indem sich die Madonna befand. Vor dem Haus tanzten einige Personen singend, betend und wild mit den Armen rudernd, in einer Art von Ekstase. Der Rhythmus ähnelte ein wenig den Hare Krishna Gesängen, nur wilder und zwischendurch wurden immer wieder Wortsalven gen Himmel gerufen. Ich drehte sofort los, denn mir war sofort klar, dass hier etwas Besonderes passierte.
Einige Passanten standen dort und schauten sich die Harre Harre Tänzer, so möchte ich sie mal nennen, erstaunt an. Ruck zuck wurden ein paar O - Töne (Interviews) gemacht und dann wurden wir von den Bewohnern in die Wohnung gebeten. Im Wohnzimmer neben einer Eckbank, auf der die Familie saß, stand die Madonna. Man habe die Statue hereingeholt, vorher hatte man sie neben der Haustür auf einem Altar für die Leute ausgestellt. Doch beim Anblick der weinenden Madonna wären viele Menschen angefangen zu weinen oder vor Glück ausgeflippt. Untergangstheorien wären entwickelt worden.
„Das ging nicht mehr!“; sagte uns der Hausherr. Seine Frau und zwei Kinder nickten zustimmend und dann erzählten sie, dass die Madonna jahrelang einen guten Job als Schutzpatronin gemacht habe, bis sich die Träne aus dem Nichts herausgebildet hätte. Das dieses alles zu so einem mystisch, spirituellen Wunderszenario führen würde, hätten sie nicht erwartet.
Detailaufnahmen der Madonna zeigten die Träne so groß es ging.
Ich holte alles aus der Kamera heraus, die Makro-schraube im Anschlag. Leicht bräunlich befand sich die Träne auf der glatten Holzoberfläche des freundlichen Madonnengesichts. Kein Zweifel, keine Frage, diese Madonna weinte.
So lieber Leser, ich nehme die Lösung mal vorweg. Die Madonna wurde im Labor untersucht, das Ergebnis ergab, dass die Träne aus normalem Harz bestand, welches sich bei Wärmedifferenzen bildet.
Naturwissenschaftlich erklärt: keine Träne, nur ein Tropfen, kein Wunder!!
Doch das wussten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Das wirklich erstaunliche an dieser Geschichte ist jedoch die Frage: Was lösen solch unerklärbaren Phänomene aus?
Wieso flippen normale Leute aus und werden zu ekstatischen Derwischtänzern?
Sind wir alle immer auf der Suche?
Ist der Mensch empfindlich für Phänomene unerklärlicher Art?
Fragen dieser Art beschäftigten mich, als unser Tontechniker, während wir unser Equipment ins Auto packten, mich zurück in die Realität holte.
„Jetzt essen wir erst mal eine Patat speciaal, wenn wir schon mal in Holland sind!“
Kamerateams haben immer Hunger. Gehen sie mal auf eine Pressekonferenz und schauen sie sich hinterher das Buffet an.
Da bleibt nichts übrig, gar nichts!
Wir steuerten die nächste Pommesbude an und kauften ordentlich ein. Frikandel, Patat speciaal und vieles mehr. Die Ergebnisse unserer Dreharbeiten sorgten für beste Laune.
„Die sind total drauf, die Holländer!“, brachte es unser Tonkollege auf den Punkt. Kurz wurden noch die Vorteile Hollands durchdiskutiert: Käse, Lakritz, das Paradiso und das Melkweg in Amsterdam, die liberale Einstellung und natürlich die Coffeeshops.
Dann fuhren wir zurück. Ich dämmerte auf dem Rücksitz vor mich hin und machte mich, nachdem wir alles ausgeladen hatten, auf den Weg in die Redaktion.
Coole Story befand unser Redaktionsleiter und teilte mir die Schnittzeiten für den nächsten Morgen mit.
Im analogen Zeitalter habe ich sehr viele meiner Geschichten selbst geschnitten.
Für heute war Feierabend, ich fuhr nach Hause und musste an die Madonna und die Harre Harre Tänzer denken.
Die Welt ist wie eine Wundertüte, man weiß nie was drinsteckt.
Auf jeden Fall sind Harre Harre Tänzer drin, das hatte ich an diesem Tag gelernt!!