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Die Gabe Kunst zu verstehen

Ich hatte Anfang der 90er Jahre die Aufgabe einen Film über den Maler und Bildhauer Jörg Immendorf zu drehen. In einem großen lichtdurchfluteten Atelier malte der Künstler mit Unterstützung mehrerer Studenten an einem großflächigen Gemälde, ca. 3x3 m.

In einem Interview erklärte er uns seine Idee zu diesem Werk und verriet uns, dass immer eine Biene und ein Affe in seinen Bildern sind. Tatsächlich fand ich bei genauem Betrachten des Bildes ziemlich schnell die beiden Wahrzeichen des Josef Beuys Schülers.

Der Maler saß auf einem Hochstuhl, damit er die obere Hälfte des Bildes gestalten konnte. Für mich war es sehr interessant, dem Künstler bei der Arbeit zuschauen zu können.

Einige Jahre später hatte ich wieder ein Kunstthema zu bebildern, ein Rechtsstreit über ein Kunstwerk von Josef Beuys. Folgendes hatte sich während einer Vortragsreise in den USA ereignet.

Nach einem sehr anstrengenden Vortragstag hatte sich der zu der Zeit bekannteste deutsche Aktionskünstler auf sein Bett gelegt, ohne den Mantel auszuziehen und war eingeschlafen. Zum Glück für die gesamte Kunst und Kulturszene, hatte er eine Tafel Schokolade in seiner Manteltasche vergessen. Herr Beuys, durch und durch Künstler, vollbrachte im Schlaf ein neues Werk. Eigenwärme oder eine zu warme Klimaanlage, niemand weiß es genau, die Schokolade schmolz und lief auf das Bettlaken. Voila, ein neues Kunstwerk war entstanden!

Auf irgendwelchen Wegen, wie auch immer, war das Schokoladenbild jetzt gerahmt, nach Deutschland gelangt und sein rechtmäßiger Besitzer (nicht Herr Beuys) hatte es in einer Garage über Jahre aufbewahrt, sodass dieses Meisterwerk in Vergessenheit geraten war.

Ein anderer Künstler hatte den Besitzer mit der Begründung verklagt, dass Kunst öffentlich sein muss und verlangte die Herausgabe, um es der Öffentlichkeit präsentieren zu können. Jetzt musste ein Gericht darüber entscheiden und ich musste einen künstlerisch hochwertigen Beitrag für den WDR erstellen.

„Komm Lusches, heute machen wir große Kunst.“ Mit schelmischem Blick und bester Laune begrüßte mich mein Kollege Olaf aus der Redaktion. Zuerst fuhren wir nach Marl ins Museum, dort drehte ich einige Themenbilder, Gemälde, Farb- und Lichtinstallationen und ein Interview mit dem Museumsdirektor.

„Kunst sei vielschichtig und schwer zu definieren, was für den einen unbedeutend, kann für den anderen Betrachter ein großes Kunstwerk sein und natürlich wäre es schön, wenn Kunst öffentlich zu betrachten sei!“

Die nächste Station war der Hinterhof meiner Lieblingskneipe Drübbelken in Recklinghausen, dort waren einige Garagen.

Da das Bild mehrere Jahre in einer Garage verbracht hatte, brauchten wir Garagenbilder. Den Künstler, der den Besitzer verklagt hatte, trafen wir am Amtsgericht.

Nachdem er seine Argumente erklärt hatte, positionierte er sich mit einem Pappschild vor dem Gerichtsgebäude. GERECHTIGKEIT war mit großen schwarzen Buchstaben zu lesen. Es hatte angefangen zu regnen, aber der Mann blieb einige Minuten dort stehen, um auf sich aufmerksam zu machen. Der Regen hatte die helle Pappe aufgeweicht und die Farbe der Schrift verlief, wie die Schokolade, ein super Bild!!

Den Höhepunkt unserer filmischen Umsetzung des Themas vollbrachten wir in Olafs Wohnung. Gerade dort angekommen, wuselte unser Redakteur durch seine Zimmer und kam mit leuchtenden Augen und einer Tafel Schokolade in der linken Hand und einem weißen Kopfkissenbezug plus Föhn in der rechten Hand zurück. Ruck zuck wurde das Stofftuch auf einen Tisch gelegt, die Schokolade darauf und der Föhn auf volle Kraft eingeschaltet. Ich drehte bildfüllend, ganz nah im Makrobereich, wie die Schokolade zerfloss. Eine große Freude erfüllte mich.

War in diesem Moment der Künstler in mir geweckt worden?

Im Schnitt wurde alles zusammengefügt und unser Beitrag kam gut an.

Da soll mal einer sagen, wir hätten kein Kunstverständnis!!

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