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Im Krankenhaus

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Als Robert wieder zu sich kam, war das Erste, was er erblickte, ein weißes, steriles Zimmer, das nicht viel größer war, um ein Bett mit Nachttisch und einen Stuhl hineinzustellen. Es dauerte nicht lange, bis er begriff, wo er war. Natürlich in einem Krankenhaus. Und so langsam überkamen ihn wieder die Erinnerungen von der Brücke und Maik, wie er röchelnd und zerquetscht zwischen den beiden Autos lag. Bei dem Gedanken an seinen Freund kamen Robert die Tränen. Es war hart, ihn sterben zu sehen und nichts dagegen unternehmen zu können. Seine Gedanken unterbrechend öffnete sich die Tür des zu klein geratenen Zimmers und eine Schwester um die vierzig stand vor seinem Bett. Es war ihm peinlich, dass er weinte, und er wischte sich die Tränen weg.

„Das wurde aber auch Zeit!“, sagte die Schwester. „Wir dachten schon, Sie würden gar nicht mehr aufwachen.“

„Wie lange war ich denn weg?“, fragte er neugierig.

„Fast zwei Wochen. So lange haben Sie sich auf unsere Kosten ein schönes Leben gemacht.“

Von der Taktlosigkeit und dem fehlenden Feingefühl der Schwester abgestoßen blickte er kommentarlos aus dem Fenster, das direkt neben dem Bett die Außenwelt ins Zimmer ließ.

„Aber das hat uns ja keine Mühe bereitet! Haben wir ja gerne getan für so einen gut aussehenden Mann wie Sie.“

Dass die Schwester ihn anlächelte und offenbar ihren Fauxpas wiedergutmachen wollte, bemerkte Robert nicht, denn er würdigte sie keines Blickes mehr.

„Okay, dann geh ich jetzt wieder. Mein Name ist übrigens Schwester Hildegard. Wenn Sie irgendwas brauchen, müssen Sie nur klingeln. Dann eile ich sofort herbei.“ Mit den Worten verließ sie das Zimmer.

Kurz darauf bekam Robert Besuch vom Stationsarzt, der ihm erklärte, dass er eine Kopfverletzung erlitten hatte und deshalb im Krankenhaus lag. Dies musste geschehen sein, als er ohnmächtig auf die Fahrbahn geknallt war. Nach einigen Untersuchungen und Fragen, versicherte er ihm, dass er keine bleibenden Schäden davongetragen hätte, und verschwand so schnell, wie er gekommen war.

Anschließend blieb Robert stundenlang im Bett liegen und starrte aus dem Fenster, bis er plötzlich gegen Abend eine Stimme vernahm. Es schien die von Maik zu sein, aber das war doch unmöglich!

Sie flüsterte: „Ey, Robert, jetzt guck doch nicht so traurig!“

Sicher, dass es sich nur um eine Einbildung handelte, achtete er nicht weiter darauf und legte sich schlafen. Es war komisch ‒ obwohl er angeblich fast zwei Wochen ohne Bewusstsein im Bett gelegen hatte, war er hundemüde. Diese Nacht schlief er sehr unruhig. Dauernd schreckte er auf, weil er meinte, eine Berührung gespürt zu haben. Und er hätte schwören können, dass jemand in der Ecke des Zimmers stand, der ihn beobachtete.

Am nächsten Morgen um sechs Uhr öffnete sich die Tür und Schwester Hildegard beendete die ruhelose Nacht mit ihrer schrillen Stimme. „Guten Morgen! Und wie haben wir geschlafen?“

„Wie Sie geschlafen haben, weiß ich nicht, aber ich habe schlecht geschlafen!“, gab er ihr forsch zur Antwort.

Etwas irritiert von der Anspielung fragte sie sich, ob er noch immer sauer wegen des gestrigen Fauxpas sei.

„Fehlt Ihnen irgendwas? Oder wieso haben Sie schlecht geschlafen?“

Er mochte die Schwester nicht. Natürlich fehlte ihm was! Nämlich sein bester Freund.

„War die Nachtschwester heute Nacht bei mir im Zimmer?“, fragte er, anstatt zu antworten.

Verdutzt von der Gegenfrage schaute sie in ihre Unterlagen und antwortete nur mit einem kurzen „Nein“. Dann sagte sie kurz angebunden: „Frühstück gibt es um acht und gegen halb zehn wird der Chefarzt nach Ihnen sehen“, schloss ihre Unterlagen, die sie in der Hand hielt, und verließ das Zimmer.

Für einen kurzen Augenblick dachte er sich, ob er nicht zu weit gegangen war. Sie machte ja schließlich nur ihren Job. Aber er hatte seine eigenen Probleme, und es war ihm egal, ob die Schwester ihn nicht leiden konnte. Dies beruhte dann zumindest auf Gegenseitigkeit.

Frühstück um acht und die dumme Pute weckt mich schon um sechs, dachte er empört. Und nun zwang ihn auch noch seine gefüllte Blase, aufzustehen. Nach zwei Wochen in der Waagerechten stellte der kurze Gang ins Badezimmer eine große Herausforderung dar. Nach wie vor müde und unsicher auf den Beinen machte er sich auf den Weg.

Das Bad glich dem Zimmer: Es war viel zu klein und nur dürftig ausgestattet, aber für seine Zwecke sollte es reichen. Nachdem er mit großer Erleichterung seine Blase entleert hatte, wusch er sich das Gesicht und putzte sich die Zähne. Er brauchte nie lange im Badezimmer, was ihm bei seinen Beziehungen immer einen großen Pluspunkt einbrachte. Doch irgendwie schaffte er es selten, eine Bindung länger als ein paar Monate einzugehen, deshalb wartete niemand zu Hause auf ihn. Der Einzige, den er jemals hatte, war Maik gewesen. Immer noch sauer über Schwester Hildegard, die ihn schon so früh aus dem Bett geholt hatte, trottete er aus dem Badezimmer und setzte sich auf den Bettrand. Auf dem Nachttisch lagen ein paar alte, abgegriffene und mit Eselsohren versehene Zeitschriften. Es handelte sich überwiegend um Magazine für Frauen mit Kochrezepten und Schönheitstipps. Aber sie mussten reichen, um die Zeit bis zum Frühstück zu überbrücken. Zu allem Überfluss waren schon alle Kreuzworträtsel ausgefüllt worden, sodass ihm nichts anderes übrig blieb, als sich die langweiligen Rezepte und die 100 % Erfolg versprechenden Schönheitstipps durchzulesen.

Während er sich das Rezept für eine Gulaschsuppe mit Tofu durchlas und innerlich fragte, wer so etwas essen würde, nahm er eine Bewegung hinter sich wahr. Doch als er sich umdrehte, blickte er ins Leere. Nicht einmal ein Schatten an der Wand war zu sehen. Es schien, als ob seine Sinne ihm böse Streiche spielten. Um sich selber zu beruhigen, redete er sich ein, dass es leichte Nachwirkungen des Traumas auf der Brücke seien und dass sie mit der Zeit wieder verschwinden würden. Trotz seiner These, die ihn beruhigen sollte, machte sich ein ungutes Gefühl in ihm breit. Er überblätterte das Tofu-Gulasch-Gericht und schaute sich eine Werbung von Ford an. Auf dem Bild war genau der gleiche Wagen abgebildet, wie Maik ihn gefahren hatte. So alt waren die Zeitschriften hier also schon. Die Überschrift pries den Wagen als sichersten seiner Klasse an. Doch Robert wusste es besser, während er auf das Auto starrte und über die Ereignisse auf der Brücke nachdachte. Während er sich fragte, ob er die Katastrophe hätte verhindern können, strich etwas an seinem Nacken entlang, was ihm die Härchen zu Berge stehen ließ. Als er mit der Hand danach griff und sich gleichzeitig umdrehte, um zu sehen, was ihn berührt hatte, schaute er wieder ins Leere und spürte zugleich, wie sich die Gänsehaut unter seinen Fingern ausbreitete. Zusammen mit einem kalten Schauer, der den Rücken hochkroch, legte sie sich schnell über seinen gesamten Körper. Blass und noch immer mit der Hand im Nacken stand er auf und drehte sich im Kreis, um jede Ecke im Zimmer genau zu untersuchen, ob es nicht doch jemand geschafft hatte, unbemerkt hineinzugelangen, um ihm einen Streich zu spielen. Und wie es der Zufall wollte, rauschte in diesem Moment die Schwester mit dem Frühstück ins Zimmer.

„Geht es Ihnen gut? Fehlt Ihnen etwas?“, fragte sie besorgt und stellte das Tablett mit dem Essen beiseite.

„Jemand ist hier und versucht, mich zu ärgern“, stieß Robert hervor.

Er sah die Schwester zwar an, aber er schien durch sie hindurch zu blicken, als ob er mit jemandem hinter ihr geredet hätte.

Dieser Blick und das wirre Gerede verschafften ihr nun auch eine Gänsehaut. Sie nahm Robert bei der Hand und setzte ihn aufs Bett. „Es ist niemand hier. Haben Sie keine Angst! Sie befinden sich in guten Händen.“

Die sanfte und beruhigende Stimme der Schwester bewirkte, dass sich Robert wieder sammeln konnte und er langsam klarer im Kopf wurde. In dem Moment schaute er sie das erste Mal bewusst an. Es war zum Glück nicht Schwester Hildegard. Diese Krankenschwester war um einiges jünger und sah freundlicher aus als die unsensible Alte mit ihren schlechten Witzen und dummen Fragen. Bevor er auf dem Namensschild ihren Namen lesen konnte, stellte sie sich schon selber vor.

„Ich bin Schwester Melanie. Ich bringe Ihnen das Frühstück.“ Sie war höchstens vierundzwanzig und hatte ein Lächeln, das selbst den wildesten Mann handzahm gemacht hätte.

„Es tut mir leid. Ich bin noch etwas gestresst. Ich hoffe, ich hab Sie nicht erschreckt“, rechtfertigte sich Robert.

„Nein, nein, kein Problem! Essen Sie erst mal was, danach geht es Ihnen bestimmt wieder besser.“ Sie stellte ihm das Tablett mit dem Frühstück auf den Nachttisch und bedeckte damit die noch aufgeschlagene Ford-Werbung. Dann legte sie noch einmal ihr entzückendes Lächeln auf und ging zur Tür hinaus.

Robert schämte sich beim Gedanken daran, wie er wohl ausgesehen haben musste, mit einer Hand im Nacken, während er sich wie ein Irrer im Kreis gedreht hatte. Aber es war nun mal geschehen, woran nichts mehr zu ändern war. Das Frühstück, das jetzt vor ihm auf dem Teller lag, fiel alles andere als üppig aus. Eine Scheibe Vollkornbrot, eine Scheibe Pumpernickel, ein kleines Päckchen Butter und etwas Wurst und Käse. Dazu ein Kännchen Kaffee, worin gerade so viel reinpasste, um eine Tasse damit zu füllen. Erst in eineinhalb Stunden würde der Chefarzt eintreffen, um nach ihm zu sehen. Da er aber keine Lust hatte, sich beim Warten weitere Tofurezepte und Kosmetiktipps durchzulesen, ließ er sich Zeit beim Essen, auch wenn es nicht sonderlich schmeckte. Um circa halb neun beendete er seine Mahlzeit. Gerade rechtzeitig, denn kurz darauf kam Schwester Hildegard, um das Tablett zu holen.

„Und? Hat es uns geschmeckt?“

Erschrocken und genervt von der Anwesenheit der Schwester antwortete er nur: „Wie es Ihnen geschmeckt hat, weiß ich nicht, aber ich habe schon besser gegessen.“ Mit diesen Worten wandte er sich abweisend zum Fenster hin und kehrte ihr den Rücken zu.

Sichtlich verärgert und ohne einen weiteren Kommentar schnappte sie sich das Tablett und stampfte beleidigt zur Tür hinaus. Er war froh, dass sie nichts mehr gesagt hatte. Er ertrug diese nervtötende Stimme einfach nicht. Stattdessen dachte er über Schwester Melanie nach, über ihre wohltuende Stimme und ihr hübsches Gesicht.

*

Es war bereits zwanzig Minuten vor zehn, und der Chefarzt war noch immer nicht aufgetaucht, um nach Robert zu sehen. Die Minuten zogen sich zu Stunden. Er hasste es zu warten ‒ doch was blieb ihm anderes übrig? Dann endlich um Viertel vor elf öffnete sich die Tür und ein etwa ein Meter neunzig großer Mann in den mittleren Jahren und mit krausem Haar betrat das Zimmer. An seiner Seite, wie sollte es anders sein, stand Schwester Hildegard! Der Mann sah müde aus. Sein etwas zu kurz geratener weißer Kittel flatterte beim Gehen hinter ihm her. Bevor Robert etwas sagen konnte, stellte der Mann sich vor. Die Art, wie er sprach, wirkte, als ob er die Zeilen auswendig gelernt hätte.

„Guten Morgen, ich bin Doktor Braun, der leitende Chefarzt hier, und …“

Noch bevor er seinen Satz zu beenden vermochte, fiel Robert ihm ins Wort: „Ich dachte, wir wären um halb zehn verabredet gewesen?“

Wenig beeindruckt von Roberts vorwurfsvoller Frage blickte er kurz zu Schwester Hildegard hinüber, die nur flüchtig mit den Augen rollte. Dann sah er wieder zum Patienten 246 und antwortete:

„Ja, wir haben viel zu tun, da kann es sich schon mal ein bisschen verzögern.“

Robert starrte ihn nur kommentarlos an.

„So, kommen wir mal zu Ihrem Gesundheitszustand. Haben Sie irgendwelche Schmerzen? Oder sonstige Beschwerden?“

Der hastige Tonfall des Arztes gefiel Robert gar nicht, und nach kurzem Überlegen würdigte er der Frage nur einer knappen Antwort. „Nein, nicht dass ich wüsste.“

„Gut, wie es aussieht, sind Sie physisch auf dem Weg der Besserung. Doch wir werden Sie trotzdem noch eine Woche zur Beobachtung hierbehalten.“

Noch eine ganze Woche? Das gefiel Robert gar nicht. Er wollte so schnell wie möglich aus diesem Krankenhaus verschwinden.

„Aber da Sie ein schweres traumatisches Erlebnis hinter sich haben, wird sich zumindest in der Woche, in der Sie bei uns sind, ein Psychiater um Sie kümmern.“

Was? Ein Seelenklempner? Das hat mir gerade noch gefehlt!, dachte sich Robert und schaute wieder frustriert aus dem Fenster.

Doktor Braun und Schwester Hildegard tauschten leise ein paar Worte aus, ehe sie sich verabschiedeten.

So, also ein Psychiater soll sich um mich kümmern? Na wunderbar! Und wann kommt er das erste Mal? Diese Idioten! Egal, er wäre eh’ zu spät erschienen, so muss ich zumindest nicht auf ihn warten.

Der Rest des Tages verlief ruhig. Gegen zwölf Uhr servierte man ihm eine undefinierbare weiche Masse, die das Mittagessen darstellen sollte. In jeder Obdachlosenmission wäre das Essen besser gewesen. Nur mit gutem Willen und unter Protest seiner Geschmacksnerven würgte er das Zeug hinunter. Noch bis zum Abendessen rebellierte sein Magen gegen diese ungenießbare Pampe, die ihm vorgesetzt worden war. Mehrere Male musste er auf die Toilette laufen und ständig plagten ihn Magenschmerzen. Er verfluchte dieses Krankenhaus, besonders die Küche. Das Abendessen rührte er nicht an. Und ihm grauste es bei dem Gedanken, dass er noch die ganze Woche den Fraß ertragen musste. Allerdings schlief er in dieser Nacht recht gut. Keine Geräusche und Gestalten in der Ecke oder Berührungen. Er schlief tief und fest bis zum Morgen durch.

Um sechs Uhr öffnete sich die Zimmertür, aber diesmal kam Schwester Melanie herein, um ihn zu wecken. Schon früh am Morgen in dieses hübsche Gesicht zu blicken und ihre wohltuende Stimme zu hören ‒ was konnte er sich mehr wünschen? Sie informierte ihn, dass um zehn Uhr der Psychiater zu ihm kommen würde und dass es wie gewohnt um acht Uhr Frühstück gäbe.

Diesen Tag ging Robert mit etwas mehr Elan an. Er schlenderte gemütlich ins Badezimmer und gönnte sich erst einmal eine heiße Dusche. Geduscht, frisch rasiert und bereit, den Tag anzugehen, frühstückte er gemütlich und ging danach auf Erkundungstour.

Das Krankenhaus war nicht sonderlich groß, aber im Erdgeschoss gab es eine Cafeteria mit Zeitschriften und einem kleinen Fernseher in der Ecke. Dort hätte er am liebsten den ganzen Vormittag verbracht. Aber er hatte um zehn Uhr einen Termin. Auch wenn er sich sicher war, dass der Seelenklempner nicht pünktlich erscheinen würde, machte er sich rechtzeitig auf den Weg zurück ins Zimmer. Doch zu seiner großen Überraschung wartete der Psychiater schon auf ihn. Es war ein kleiner dicker Mann mit einer Halbglatze und einem Schnauzer.

„Ah, da sind Sie ja! Ich bin Doktor Smith, aber Sie können mich ruhig Steve nennen.“

Steve Smith? Was für ein blöder Name, dachte sich Robert.

„Ich bin hier, um ein bisschen mit Ihnen zu reden.“

„Worüber?“, wollte Robert wissen.

„Das überlasse ich Ihnen. Erzählen Sie mir, was Sie möchten; ich höre zu.“ Der Mann hatte eine unaufdringliche Art an sich, obwohl er darauf beharrte, sich zu unterhalten.

Also fing Robert an, über das Erste zu reden, was ihm einfiel.

„Ich mag Schwester Hildegard nicht!“

Verdutzt über den Anfang der Unterhaltung zögerte Steve kurz, aber erwiderte dann:

„Ja, sie hat mir schon erzählt, dass Sie sich nicht so gut verstehen. Ich muss sagen, dass sie manchmal ein bisschen schwierig im Umgang ist.“

„So, hat Sie das?“

Steve merkte, dass es nicht einfach war, zu Robert durchzudringen. Er blieb genau eine Stunde und in der Zeit lästerten beide eigentlich nur über Hildegard. Steve hatte zwar immer mal wieder versucht, die Geschehnisse auf der Brücke anzusprechen, doch Robert ignorierte dies stets. Er fühlte sich noch nicht bereit, darüber zu sprechen.

„So, ich muss jetzt weiter, aber es war schön, mit Ihnen zu reden. Ich komme morgen um die gleiche Uhrzeit wieder, okay?“

Robert mochte Steve. Mit ihm konnte man so herrlich lästern.

„Alles klar! Ich werde da sein.“

Steve reichte ihm die Hand und machte sich auf den Weg. Nun, da Robert keine Verpflichtungen mehr für den Tag hatte, stiefelte er wieder runter in die Cafeteria und schaute bis zum Abendessen fern. Er ließ mit voller Absicht das Mittagessen ausfallen. Dafür hatte er sich in der Cafeteria zwei Stücke Kuchen und etwas Kaffee gegönnt. Er wollte gar nicht sehen, welche Grausamkeit die Küche dieses Mal servierte. Das Essen vom Vortag reichte ihm völlig.

Wieder auf seinem Zimmer angekommen wurde es ihm schnell langweilig. Er fing an, über die Ereignisse auf der Brücke und Maik nachzudenken.

Hätte ich ihn nicht gerufen, um ihn zu warnen, wäre er weitergegangen und hätte dem herannahenden Auto noch ausweichen können, machte er sich immerzu Vorwürfe. Den ganzen Abend verlor er sich in seinen Gedanken und Schuldgefühlen. Der Rest der Woche im Krankenhaus verlief unerwartet gut. Jeden Morgen um zehn konnte er sich mit Steve unterhalten, obwohl er nie mit ihm über die Geschehnisse auf der Brücke sprach. Und dann zog er sich bis zum Abend in die Cafeteria zurück. Gelegentlich flirtete er mit Melanie und war unverschämt und garstig zu Hildegard, sodass mit der Zeit nur noch Erstere zu ihm kam.

An seinem letzten Tag im Krankenhaus war Robert richtig gut gelaunt. Die Ereignisse auf der Brücke verdrängte er erfolgreich und endlich konnte er raus aus diesem Haus der Langeweile und weit weg von Schwester Hildegard. Das Einzige, was er vermissen würde, war das angenehme Wesen von Schwester Melanie und die Gespräche mit Steve. Zu seiner großen Freude teilte dieser ihm bei ihrem letzten Termin mit, dass sie sich weiterhin einmal pro Woche treffen sollten, und zwar in seiner Praxis in der Stadt. Jeden Donnerstag um achtzehn Uhr waren sie von nun an verabredet. Steve reichte ihm eine Visitenkarte, auf der Telefonnummer und Anschrift der Praxis standen.

Nach ihrem Gespräch fing Robert an, sein bisschen Hab und Gut, was er im Krankenhaus in den Schränken verstaut hatte, zusammenzupacken. Im Anschluss wollte er wieder runter in die Cafeteria, um etwas fernzusehen und dem Mittagessen auszuweichen. Doch als er auf dem Weg war, das Zimmer zu verlassen, stand Dr. Braun in der Tür. Sein krauses Haar war struppig und sein Kittel schmutzbefleckt. Sein Anblick erinnerte mehr an einen Landstreicher als an einen Arzt.

„So, Herr Schröder, ich habe Ihre Entlassungspapiere fertig und Ihnen ein Taxi rufen lassen. In fünfzehn Minuten wartet es am Eingang auf Sie. Die nächsten zwei Wochen habe ich sie noch krankgeschrieben, ihre Firma erhält die Krankmeldung per Post.“

Robert war es nicht gewohnt, mit seinem Nachnamen angesprochen zu werden. Aber es freute ihn, dass er jetzt schon nach Hause durfte.

„Vielen Dank …“ Er wollte eigentlich noch mehr sagen, aber es fiel ihm nichts ein. Also blieb es dabei. Der Arzt hätte es ohnehin nicht mehr mitbekommen. Er war genau wie beim letzten Mal kurz angebunden und verschwand sofort wieder. Bevor sich Robert aus dem Staub machte, musste er noch einmal mit Schwester Melanie reden, weshalb er auf seinem Weg zum Taxi im Schwesternzimmer vorbeischaute. Dort saßen Melanie und Hildegard an einem kleinen Tisch, unterhielten sich und tranken einen Kaffee.

„Hallo, ich wollte mich nur bei Ihnen verabschieden, Schwester Melanie, und mich für die gute Betreuung bedanken.“

Mit ihrem wunderbaren Lächeln im Gesicht antwortete sie: „Vielen Dank! Das war doch selbstverständlich. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.“

„Danke. Ich Ihnen auch.“ Dann sah er zu Schwester Hildegard rüber, die ihn erwartungsvoll ansah und offensichtlich darauf wartete, dass sie ihre Lobeshymne oder zumindest eine Entschuldigung für sein abweisendes Verhalten ihr gegenüber bekommen würde. Doch es blieb bei einem kurzen Blick. Kommentarlos ging er wieder aus dem Schwesternzimmer hinaus und in Richtung des Taxis, das unten schon auf ihn warten musste.

Existo

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