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Ist nicht ganz gebacken, wer nicht selber backt? #9 Liebe Samantha
ОглавлениеErtappt! Es geht auf meine 77. Weihnachten zu – und noch nie habe ich selber gebacken, keinen Kuchen, keine Guetzli, nichts. Massenhaft gegessen, klar. Da bin ich ein Fossil, nie wollte mir in den Kopf, was es bringen soll, wenn alle alles machen. Ich mag Arbeitsteilung. Macht jede und jeder, was sie richtig gut können, profitieren alle gegenseitig. Was ich richtig gut kann? Den Christbaum herrichten. Mache ich seit Jahrzehnten, stundenlang hänge ich ihn voll mit Kugeln, Glocken, Barockengeln, Robotern, Kerzen, bis er seine geheimnisvollen Geschichten erzählt.
Also ja: Backen = Frauensache, in meiner Generation sicher. Mit Backen lässt sich spielend assoziieren: Küche, Ofen, Wärme, Weizen, Hefe, Butter, Ei – quasi die Backstube des Lebens, traditionell typisch weiblich. Typisch für alte Männer dagegen: durch den Wald stiefeln, Tannenbaum fällen, Reh erlegen – und den Rest als Familienoberhaupt herumsitzen. Du stellst dir vor, das wäre für uns »cool« gewesen, so cool, dass wir null Anreiz verspürten, die Ehe, also die Machtverhältnisse zu modernisieren.
Hat etwas. Nur: Wer zu cool drauf, ist bald weg vom Fenster. Das »Oberhaupt« geriet in die sogenannte »Dialektik von Herr und Knecht«: Der Herr regiert, der Knecht schuftet. Ist praktisch für den Herrn, mühsam für den Knecht. Die Mühe aber lohnt sich, langfristig beherrscht der Knecht all die Techniken, die das Leben braucht und liebt. Der Herr beherrscht nur den Knecht – und auch ihn stets weniger; da er selber nichts kann, wird er komplett abhängig vom Können des Knechts. Am Ende kippt das Verhältnis – es bestimmt der Knecht, der Herr wird pensioniert, bestenfalls.
Kippt auch das Verhältnis zwischen Mann und Frau? Weil der Mann zu cool war, nicht backen wollte? Heute backen Buben, aber reicht das? Die Frau hat Vorsprung, sagen Hirnforscher: Das Corpus callosum, der kleine feine Steg zwischen den beiden Hemisphären unseres Hirns, sei bei Frauen auffällig dicker. Das heißt leitfähiger, es läuft mehr hin und her, zwischen rationalen und emotionalen Kräften, zwischen Analyse und Inspiration, zwischen Geradeaus und Abschweifung.
Kurz: Frauen switchen besser. Im 21. Jahrhundert matchentscheidend. Da wird alles derart komplex, dass cooler Verstand nicht mehr hinreicht, jetzt brauchen wir ein situatives Gespür fürs Zufällige, Unberechenbare. Mit dem Unberechenbaren aber – Kinder! Kunst! Kuchen! – haben Frauen mehr Übung, sind besser trainiert im kreativen Handeln. Inzwischen mehrheitlich auch besser ausgebildet. Warum übernehmt ihr nicht einfach?
Weißt du, was ich glaube? Ihr seid zu schlau, ihr hütet euch vor der Rolle als Oberhaupt. Ihr wisst, was blüht. Siehe Landesmuseum, aktuelle Schau: »Der erschöpfte Mann«.
Ludwig