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Wer gar nicht mehr weiß, wohin mit sich, bucht eine Weinreise #4 Lieber Ludwig

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Um es gleich am Anfang zu sagen, gegen anstoßen hab ich nichts. Auch nicht gegen Wein. Aber ich bin bekennende Nicht-Wein-Kennerin. Denn wenig langweilt mich mehr, als Leute, die sich mit Wein auskennen.

Damit meine ich nicht Winzerinnen und Winzer, sondern die Menschen, die über Wein sprechen. Wer länger als 20 Minuten über Wein sprechen kann, hat einfach keinen Sex mehr.

Du hast deine Theorie zum Wein geäußert. Das Gleiche will ich auch tun. So wie ich das erlebe, haben Konsum und Status für ältere Menschen einen höheren Stellenwert. Und beide Bedürfnisse lassen sich durch Wein befriedigen.

Beginnen wir beim banalen: Den Wein kann man konsumieren. Und ich sag, wie’s ist, manches ist mit einem gepflegten Räuschlein einfach erträglicher.

Dann ist auch schon das Kaufen des Weins ein Happening. Weinhändler, Weingut, Weinmesse, Weinschiff. Und wenn man wirklich gar nicht mehr weiß, wohin mit sich, dann macht man eine Weinreise. Rheinhessisches Hügelland, Piemont, Toskana, Südafrika.

Es wird sogar noch besser: Man kauft sich nicht nur Wein, sondern man kann auch seinem Wein gleich noch Sachen kaufen. Weingläser, Dekantierkaraffe, Weinthermometer oder einen Weinklimaschrank. Mit eingebautem Sichtfenster und beleuchtetem Innenraum, damit man den ganzen Tag seine wohltemperierten Weinflaschen anschauen kann.

Wein ist eben auch Statussymbol. Man definiert sich über Wein, zeigt, dass man Geschmack hat. Das ist für Leute wie mich recht nützlich. Anhand der Art, wie jemand über Wein spricht, kann ich die Person recht zuverlässig einer soziokulturellen Klasse zuordnen.

Ich weiß genau, was das für Leute sind, die sagen, für einen gelungenen Abend brauchen sie ein gutes Glas Wein und ein feines Stück Fleisch. Sie heißen Monika und Christian, sind länger verheiratet als nicht und haben sich auch sonst nichts mehr zu sagen. Darum der Wein, über irgendwas muss man ja sprechen. Und sonst ist man immerhin betrunken, das macht ja auch vieles leichter.

Insofern sind wir uns wohl einig: Wein gehört ab einem gewissen Alter dazu, taugt wunderbar zur Ersatzhandlung. Weil es lästig wäre, sich mit seinen wirklichen Problemen zu konfrontieren.

Du fragst, wozu wir Jungen unser Bier brauchen. Ja, Durst nach mehr hätten wir schon. Doch im Moment haben wir andere Probleme. Die Pandemie zieht wieder an, und verstärkt ein Lebensgefühl, dass viele von uns ohnehin schon kennen. Wir haben keinen Plan, wie wir durch das Heute kommen, und wissen gleichzeitig, dass das Morgen erst das ist, was richtig zäh wird.

Vielleicht war ich deshalb etwas zynisch mit der ganzen Weingeschichte. Du siehst mir das nach, ja?

Wie ist das bei dir? Wird dein Leben auch grad wieder enger, erlebst du auch ein unangenehmes Déjà-vu?

Samantha

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