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Die Gegenwart, Monterey, Kalifornien

»Fuck!« Der drahtige alte Mann mit den grauen Haaren spürte, wie ihm die Augen vor Staunen regelrecht hervortraten. Jasper blickte finster drein. Jetzt ärgerte er sich wirklich schwarz. Mochte er auch einen Buckel haben und beim Gehen hinken, so ließ er sich dennoch nichts gefallen.

Irgendein fetter Dreckskerl hatte hinterrücks seine Arme um ihn geschlungen. Vor seinen Augen sah er weiße Berge von feuchtem Speck, während es nach Erbrochenem stank. Auch fühlte er den massiven, schmierigen Wanst und die Brüste des Mannes an seinem Rücken. Gewaltige Rollen von kaltem, verschwitztem Fleisch umgaben ihn, und ihn schauderte.

Er hasste Umarmungen, besonders von anderen Männern, und solche von schwitzenden Fettsäcken waren absolut unerträglich. Er trug seinen besten Hammer mit Pike bei sich, einen guten, alten Craftsman von anno dazumal, als die Schlitzaugen sie noch nicht hergestellt hatten, und brannte geradezu darauf, ihn zu benutzen. Der fette Wichser brüllte ihm ins Ohr: »Ich liebe dich! Ich liebe dich, Mann!«

»Ah, hör auf!« Jasper wand sich aus dem labbrigen Kokon und trat mehrere Schritte zurück. Was er sah, widerte ihn an. Es war ein hochgewachsener, dicker Jungspund, einen Kopf größer als er, was ihn wie ein Riesenbaby aussehen ließ, völlig haarlos und weichlich. Dabei grinste er wie ein Idiot, und das brachte Jasper noch weiter auf die Palme. Essensreste waren im Gesicht des Typen verschmiert und Fett rann in Strömen an seinem Doppelkinn hinunter, dann über die Titten und den Bauch. Jasper bekam den Gedanken nicht aus dem Kopf, der ganze Dreck klebte nun überall an seinem Rücken. Jetzt würde er sein Hemd verbrennen und lange heiß duschen müssen.

Der dicke Bursche trug nur ausgeleierte, weiße Unterwäsche, die mit Schweiß getränkt war. Jasper bekam von der nassen Kälte an seinem Rücken Gänsehaut. Sein Flanellhemd haftete an ihm wie ein klammer Badeanzug.

»Ich liebe dich, Mann!« Der fette, große Kerl grinste, während er auf ihn zukam, um ihn ein weiteres Mal zu umarmen.

»Ah, fick dich!« Trotz seines fortgeschrittenen Alters bewegte sich Jasper flink und behände, was er seinen vielen Jahren als Zimmermann danken durfte. Er ließ den Spitzhammer auf dem Kopf des Jungen niedergehen, der ohne Widerstand zusammenbrach. Ihm gefiel das Gefühl, Schädel zu zertrümmern, bloß vergeudete er ungern Zeit darauf, es zu tun.

Der Dicke fiel auf den Betonboden wie ein nasser Sack. Er grinste immer noch, was Jasper ein wenig die Freude daran nahm, ihm die Birne eingeschlagen zu haben. Er wünschte sich, jedem Arschloch auf Erden mit seinem altbewährten Hammer die Hölle heißmachen zu können. Schließlich blickte er zurück, um sich zu vergewissern, dass ihn nicht noch ein anderer Penner umarmen wollte.

Eine Frau kam auf ihn zu. Sie heulte so laut, dass sie die Menge übertönte, während sie mit ihren Brüsten wackelte. Auch sie tötete er mit einem Hieb zwischen die Augen. Ihm reichte dieser Scheiß; nachdem er spaßeshalber noch ein paar Köpfe eingeschlagen hatte, wurde ihm langweilig. Es war stets das Gleiche: Zwanglos eins übergebraten, und die Deppen brachen immer noch lächelnd zusammen.

Auf den Straßen wimmelte es vor Menschen, und alle spielten verrückt. Jasper wollte einfach nur nach Hause. Anscheinend versammelte man sich in der Innenstadt, strömte aus den angrenzenden Siedlungen herbei. Die Menschen bewegten sich Arm in Arm in großen Gruppen, sowohl nackt als auch bekleidet, tanzten und herzten einander. Jasper wurde übel davon, so richtig kotzübel.

Als er versuchte, ebenfalls ins Stadtzentrum zu gelangen, verlor er sich beinahe in der Menge. Die Menschen drängelten und schoben sich gegenseitig gegen Türen, bis diese aufbrachen. Er hörte, wie ein breites Schaufenster zersprang, doch niemand reagierte darauf – im Gegenteil, da wurde einfach eine ganze Welle von Körpern durch den Rahmen gedrückt. Er erkannte, dass dies zu ernsthaften Verletzungen und gar Toten führte, weshalb er schleunigst verschwinden wollte.

Das schaffte er gerade rechtzeitig. Der Andrang der riesigen Schar erdrückte und erstickte viele, quetschte sie irgendwo ein und trampelte sie nieder, brachte sie schlichtweg um und riss doch nicht ab. Niemand schrie panisch oder vor Schmerzen, niemand rief nach Hilfe oder verständigte den Notdienst, und niemand hielt inne, um anderen beizuspringen, sich zu entschuldigen oder auf irgendeine andere Art menschlich zu reagieren. Alle waren fest entschlossen, genau das zu tun, was sie wollten, und was sonst jemand versuchte, interessierte sie nicht im Geringsten.

Überall wo die Menschen zusammenkamen, um sich auszutoben, herrschte dichtes Gemenge. Das Einkaufszentrum platzte aus allen Nähten, doch das Krankenhaus war verlassen. Am Hafen war so viel los, dass Hunderte ins eiskalte Wasser der Bucht stürzten. Das Büro- und Geschäftsviertel hingegen blieb dunkel und still. Einige Gruppen taten sich – aus welchen Gründen auch immer – zufällig auf dieser oder jener Straße zusammen. Die meisten Bürger verließen ihre Wohnungen und gingen fort, ohne die Türen zuzusperren oder überhaupt zu schließen. Sie wanderten einfach fort.

Einige wenige Seelen, die alles andere als ausgelassen waren, versteckten sich noch in ihren vier Wänden. Sie beobachten die Geschehnisse draußen voller Furcht und Entsetzen durch ihre Fenster. Jasper hatte zu ihnen gezählt, brauchte aber seine beschissenen Tabletten und musste sich durch diesen elenden Wust kämpfen, um sie zu besorgen. Natürlich war die Apotheke geschlossen gewesen, als er sie erreicht hatte. Auf seinen vorangegangenen Versuch hin, dort anzurufen, hatte sich niemand gemeldet. Demzufolge war er sauer. Er wollte nichts mit diesem bekloppten Stuss zu tun haben, geschweige denn etwas davon sehen oder gar durch die Ansammlung laufen. Er sah nicht wenige, die Sachen machten, die er bisher nur in den schmutzigen Heftchen seiner Kollegen gesehen hatte, doch eines einte sie alle: Sie strahlten wie geistig Behinderte, denen man einen Lutscher in die Hand gedrückt hatte – jeder und jede Einzelne von ihnen.

Zunächst hatte er geglaubt, dieses absonderliche Verhalten beschränke sich auf geistig Minderbemittelte, Kinder und andere Sonderlinge. Dahinter muss irgendeine neue Droge stecken, sonst würden sie nicht so bescheuert abgehen, so sein Gedanke. Allerdings drehten zu viele Menschen am Rad – eine schlicht zu große Zahl, die sich anormal verhielt.

Er floh so schnell vor der Menge, wie er konnte, und kehrte zu seinem Wagen zurück. In seinem Leben hatte er schon einiges gesehen, doch während der letzten Tage war die Welt zum Vorhof der Hölle geworden. Berichten zufolge ließ so gut wie jeder überall auf der Welt seine Arbeit liegen, egal wie wichtig diese war. Alles kam gewaltsam zum Stillstand. Öffentliche Verkehrsmittel, das Kommunikationsnetz oder die Armeen – alles ging einfach vor die Hunde. Seit die Schwarzen wählen durften, hatte Jasper vorhergesehen, dass dieser Tag einmal kommen würde.

Und die Verbrecher in Washington tappten im Dunkeln. Sie behaupteten, es sei ein unbekanntes Virus, dem sie den einfallsreichen Namen Euphoria-Z gaben, wobei der Buchstabe für die Tatsache stand, dass sie nicht wussten, was es war, sondern nur, was es anrichtete. Und ihr Ratschlag? Zu Hause bleiben und sich von großen Mengen fernhalten. Unheimlich schlau.

Jasper hätte nie damit gerechnet, wieder jemanden töten zu müssen, nicht seit dem Krieg, doch in jüngster Zeit war ihm nichts anderes übriggeblieben. Auf den Straßen spielte sich Unbeschreibliches ab, und er würde nicht ins Freie gehen, wenn er seine Pillen nicht bräuchte. Er hatte das Gefühl, über Meilen hinweg die einzige vernünftige Person zu sein. Als er auf seine Füße schaute, fragte er sich – nur ganz kurz –, ob etwas mit ihm nicht stimmte. Nein, kann nicht sein, dachte er dann. Nichts von alledem war richtig. Die Welt hatte den Verstand verloren.

Für Jasper war alles einige Tage zuvor losgegangen. Seine Freunde oder Nachbarn waren vorbeigekommen, um ihn zu umarmen oder mit ihm zu vögeln, aber er hatte sie alle abgewimmelt. Seit seinem ersten Mord waren nur wenige Tage vergangen, die ihm jedoch wie Wochen vorkamen. Seitdem hatte er viele weitere getötet. Ihre Gesichter blieben ihm größtenteils verschwommen in Erinnerung, doch jenen ersten Mord würde Jasper nie vergessen.

Er erinnerte sich, wie sein Vorderfenster unter dem Gehämmer vibriert hatte und wie angefressen er gewesen war, weil der unbekannte Urheber nicht hatte aufhören wollen. Er war davon ausgegangen, irgendeinen schwachköpfigen Halbstarken zu sehen, und hatte dann erschrocken die Luft angehalten, denn es war eine junge, attraktive Nachbarin gewesen, die auf seiner Vorterrasse stand – nackt und »spitz wie eine räudige Hündin«. Er hatte ihr die Tür vor der Nase zugeschlagen …

Jasper hörte das Schloss klicken. Sie machte wieder auf, denn er hatte vergessen, die Tür zu verriegeln. Die nackte Nachbarin betrat sein Haus. Er warf sich gegen die Tür, um das zu verhindern, und spürte, dass sie kurz vorm Zuschlagen aufgehalten wurde, wobei es dumpf knirschte. Nachdem er zurückgetreten war, musste er sich fast übergeben, als er die Finger des Eindringlings sah. Sie ließ sich jedoch nicht beirren, sondern wollte ihn weiter verführen, wozu sie die Hände hochhob und sich näherte. Spitze, weiße Knochensplitter stachen aus geschwollenem Fleisch hervor, ihre Finger waren in unmöglichen Winkeln umgeknickt. Blut floss an ihrem Arm hinunter und klatschte in dicken Tropfen auf den Fußboden. Sie bemerkte es nicht. Bei einer solchen Verletzung hätte sie vor Qual kopflos schreien, ja einen Schock erleiden müssen.

Seine erste Reaktion war, ihr helfen zu wollen, doch sie bedrängte ihn. Er stolperte rückwärts, während sie näherkam. Sie drang in sein Haus ein, und das schmeckte ihm nicht. Er stieß sie mit beiden Händen davon, sodass sie rücklings umkippte und mit dem Hinterkopf auf die Treppen knallte. Danach bewegte sie sich nicht mehr.

Zunächst hatte er vor, jemanden zu verständigen, während er sich eine Unfallgeschichte zurechtlegte. Aber egal, wen er anrief, niemand ging ans Telefon. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie tot war, schleifte er sie auf den Rasen seines Nachbarn. Das Arschgesicht stellte seine Mülltonnen ständig in Jaspers Auffahrt, also wollte er herausfinden, wie es ihm gefiel, eine Leiche auf seinem Grün liegen zu haben.

Jetzt kicherte er, als er sich daran zurückerinnerte, während er durch die Straße marschierte und dabei schwitzenden, grinsenden Wichsern auswich. Er hatte zwar seine Tabletten nicht bekommen, dafür aber ein paar Köpfe brechen können, jedoch nicht, ohne selbst einen Schlag ins Gesicht abzubekommen. Ein muskulöser junger Mann hatte ihn so übel erwischt, dass er gegen eine Wand geprallt und auf dem Pflaster niedergegangen war. Dort hatte er stundenlang bewusstlos gelegen, ohne dass es jemandem aufgefallen wäre.

***

Jaspers Kiefer tat weh, der Schmerz kam in heftigen Schüben. Nun, da er zu sich gekommen war, ballte er die Fäuste so fest, dass er sich mit den Fingernägeln in den Handballen schnitt, um der Qual Herr zu werden. Er stöhnte und unterdrückte einen Schrei. Der Knochen war bei dem Treffer ausgerenkt worden, jetzt spürte er nichts als intensiven Schmerz. Sein Kopf stand schief, und er verschluckte sich an metallisch schmeckendem Blut, das ihm fortwährend in den Rachen lief. Er stöhnte und wimmerte, als er es mit mehreren Zähnen ausspuckte. Seit Jahrzehnten hatte er nicht mehr das Bedürfnis zu weinen verspürt, nicht einmal während des Krieges auf dem Schlachtfeld.

Der Beton war kalt und rau. Er blieb liegen, während die Menschen an ihm vorbei gingen oder tanzten. Ein Passant stolperte über seinen Fuß und fiel auf ihn. Das tat so weh, dass er wieder ohnmächtig wurde.

***

Später – er lag immer noch auf dem Gehsteig – war die Temperatur bis knapp über den Gefrierpunkt gesunken. Er befand sich in einem mal mehr, mal weniger bewussten Dämmerzustand, während das Treiben ringsum munter weiterging. Nach einer Weile streckte er sich und befühlte seinen Kiefer. Heiliger Strohsack, er war gebrochen, und zwar so richtig: Der Knochen war am Kinn fast komplett gespalten. Als er ihn abtastete, erkannte er, dass er sich in seinen Rachen geschoben hatte. Er spürte, dass die andere Hälfte des Kiefers weit aus seinem Gesicht hervorstand, sodass Zähne und Knochen vom Kinn aufragten.

Als er zu lächeln versuchte, kratzte ein Teil an seinem Gaumen. Er dachte an den jungen Mann, der dies zu verantworten hatte. Er fühlte sich an seinen Militärdienst erinnert, denn damals hatten er und seine Kameraden oftmals Fremde vermöbelt, einfach so zum Scherz. Der junge Kerl vorhin hatte ihm gehörig die Hucke vollgehauen. Er stand auf, wobei er sich recht glücklich und heiter fühlte, um sich auf die Suche nach dem Verantwortlichen zu machen. Er wollte ihm die Hand schütteln und ihn in die Arme nehmen, vielleicht auch wieder mit ihm auf Tuchfühlung gehen. Dann – dessen war er sich sicher – würde er ihn besiegen.

Jasper schlurfte davon, freudiger als je zuvor, und vollführte einen kleinen Tanz. Beim Überqueren der Straße wurde er von einem Auto angefahren, das ihn mehrere Fuß hoch in die Luft schleuderte. Er fiel unsanft auf den Asphalt, wobei er sich sämtliche Knochen brach. Seine Glieder waren verdreht, Knochen stachen durch Haut und Stoff wie weiße Dolche. Er verlor viel Blut, das eine Lache auf der Straße bildete, wo er lag. Als er versuchte, sich zu erheben, konnte er nichts bewegen außer seinem Kopf. Er strengte sich erbitterter an und wünschte sich dabei, weiter tanzen zu dürfen. Die Lache breitete sich aus, und irgendwann legte Jasper seinen Kopf endlich hin. Während der letzten Augenblicke seines Lebens hörte er nicht auf zu grinsen.

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