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Titus Lucretius Carus – eine (un)mögliche Biographie

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Trotz der zeitlichen Distanz erscheinen uns manche Autoren der Antike recht greifbar. Diese Nähe ist wohl in erster Linie darauf zurückzuführen, dass neben den von ihnen selbst verfassten Werken auch Zeugnisse anderer Autoren über sie überliefert sind oder wir, wie im Fall Ciceros, sogar [9]seine umfangreiche Briefkorrespondenz lesen können. Freilich sollte man in all diesen Fällen eine gewisse kritische Vorsicht walten lassen: Auch wenn ein »Ich« spricht bzw. schreibt, haben wir es doch mit (literarischen) Texten zu tun, und es ist nicht unproblematisch, diese Texte als uneingeschränkt glaubwürdige, historische Quelle zum Beispiel für »den Menschen« Cicero, wie er »wirklich« war, zu lesen. Es ist immer zu bedenken, dass Texte (nicht nur solche, die Aussagen über Personen treffen) unterschiedliche Aspekte in den Vorder- bzw. Hintergrund stellen und Informationen vorenthalten können; sie können beschönigen, verzerren oder erfinden. Für Lukrez gibt es nur sehr spärliche biographische Zeugnisse.

Seine Lebensdaten lassen sich ungefähr für den Zeitraum 98–55 v. Chr. ansetzen. Lukrez lebte in der späten römischen Republik, einer Zeit, die von großen politischen Konflikten und Umwälzungen geprägt war und an deren Ende der Übergang zur Staatsform des Prinzipats stand. Das Ende der Republik ist vor allem mit Gaius Iulius Caesar (100–44 v. Chr.) verbunden, der als Mitglied des ersten Triumvirats und späterer Alleinherrscher eine immer stärkere Machtkonzentration in Rom herbeiführte. Ungefähr zu dieser Zeit, zu der das endgültige Ende der Republik sich durch die anhaltende, auch gewaltsame Destabilisierung anbahnte, starb Lukrez.

Auch in der lange andauernden Phase der politischen Krise entstand in Rom Literatur, darunter die Dichtungen des Catull, insbesondere aber die umfangreichen Prosaschriften Ciceros (vor allem Reden und philosophische Schriften), Caesars (unter anderem die Commentarii de bello Gallico) und Sallusts (Geschichtsschreibung). Auch [10]Lukrez war kein Unbekannter, wie sich aus einem Brief Ciceros an seinen Bruder Quintus (2,10; datiert auf das Jahr 54 v. Chr.) rekonstruieren lässt. In diesem Brief hebt der berühmte Redner die besondere Begabung (ingenium) und Kunstfertigkeit (ars) hervor, die aus Lukrez’ Versen ersichtlich werde. Auch bekannte Autoren späterer Zeit, wie Vergil oder Ovid, nehmen implizit oder explizit Bezug auf De rerum natura. Über Lukrez und sein Leben ist daraus aber so gut wie nichts zu erfahren. Es hat fast den Anschein, als existierte er außerhalb seiner Dichtung nicht.

Wie so häufig trägt der Mangel an greifbaren Fakten zur Legendenbildung bei. Im 4. Jahrhundert schrieb der Kirchenvater Hieronymus in seiner Chronik auch über Lukrez. Im Eintrag zum Jahr 94 v. Chr. heißt es: »Der Dichter T. Lucretius wird geboren. Er verfiel später durch einen Liebestrank dem Wahnsinn. Und nachdem er in den Zeiten zwischen seinen Wahnanfällen eine größere Anzahl von Büchern geschrieben hatte [gemeint ist De rerum natura], die Cicero später herausgab, tötete er sich im 44. Jahr seines Lebens selbst« (Hieronymus wertete den erwähnten Brief Ciceros an seinen Bruder als Indiz dafür, dass Cicero die Texte herausgegeben habe).

Schenkt man Hieronymus Glauben, so ist De rerum natura das Werk eines Liebeskranken. Lukrez habe in den Phasen geistiger Zurechenbarkeit daran gearbeitet. Wie kam Hieronymus zu einer solchen Annahme? Wahrscheinlich durch seine Lektüre von De rerum natura. Es scheint, als habe der Kirchenvater einen Teil besonders genau gelesen, nämlich eine Passage im 4. Buch, in der Lukrez die Liebe und die daraus entstehenden Leiden beschreibt (s. S. 56 f.). Hieronymus zieht aus dem Werk Rückschlüsse [11]auf dessen Autor, deutet es also biographisch. Ohne die eigene Erfahrung, so nahm er vielleicht an, könne es kaum möglich sein, so eindrücklich über die abgründigen und gefährlichen Seiten der Liebe zu schreiben. Wenn wir die aus literaturwissenschaftlicher Sicht fragwürdige Vermischung von Dichtung und Leben einmal außer Acht lassen – diese Form der Rezeption durch Hieronymus macht eines deutlich: De rerum natura ist ein Werk, dessen Lektüre Eindruck hinterlässt.

Über die Natur der Dinge

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