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De rerum natura von innen – Inhalt, Sprache und literarische Technik
ОглавлениеDe rerum natura besteht aus sechs Büchern, die jeweils eine abgeschlossene Einheit bilden und inhaltlich aufeinander aufbauen. In den insgesamt mehr als 7000 Versen [16]legt Lukrez dar, wie das Universum, die Erde, der Mensch (inklusive psychischer Phänomene) und alles, was ihn umgibt, aus Atomen aufgebaut ist. Die ersten beiden Bücher nehmen den Mikrokosmos in den Blick: Hier schafft Lukrez die Wissensbasis für alles Folgende, indem er die Grundprinzipien seines Atomismus darlegt. Eine wichtige Rolle spielen dabei natürlich die unzerstörbaren Atome, die sich durch das unendliche All bewegen und aus deren Zusammenschlüssen sich alle Dinge bilden. Im 3. und 4. Buch widmet sich Lukrez hauptsächlich dem Inneren des Menschen: Im 3. Buch stellt er das Wesen der Seele dar und erläutert unter anderem – immer ausgehend von der atomaren Beschaffenheit aller Dinge –, wie psychische Vorgänge den Körper beeinflussen können (zum Beispiel eine Ohnmacht). Auch das 4. Buch befasst sich mit der Interaktion zwischen Außen und Innen; Lukrez entfaltet darin seine Lehre von den Abbildern (simulacra): Alle Dinge entsenden feine Bildchen von ihrer Oberfläche, durch die sich Wahrnehmungsphänomene wie das Sehen oder Schmecken erklären lassen. Daneben setzt sich Lukrez ausführlich mit den dem Seelenfrieden abträglichen Wirkungen der Liebe auseinander. Mit dem 5. und 6. Buch rückt der Beobachtungsfokus dann auf den Makrokosmos, das heißt die Welt und ihre Entstehung, die Kulturgeschichte des Menschen sowie meteorologische Phänomene und Ähnliches.
Lukrez gibt zu Beginn des 1. Buches nicht nur einen kurzen inhaltlichen Abriss seines Werks, er thematisiert auch sein Dichten selbst. So betont er, dass es kein leichtes Unterfangen sei, die bislang nur in griechischer Sprache verfasste epikureische Lehre ins Lateinische zu überführen – und zwar, weil das Lateinische nicht über die nötigen [17]sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten verfüge (egestas linguae, »Armut der Sprache«) und weil die Gedanken so neuartig seien (novitas rerum, die »Neuartigkeit der Dinge«; s. S. 26). Lukrez steht also vor einer doppelten Herausforderung: Er muss nicht nur geeignete Ausdrucksmöglichkeiten finden, um die jeweiligen Phänomene zu versprachlichen, sondern diese Inhalte auch vorstellbar und verstehbar machen.
Wie Lukrez diese doppelte Aufgabe löst, lässt sich gut am Beispiel der Atome zeigen: Obwohl das Wort atomus im Lateinischen existiert, verwendet er es an keiner einzigen Stelle. Wenn Lukrez von den Atomen spricht, gebraucht er vielmehr eine Vielzahl an Ausdrücken, wie primordia rerum (»Ursprungsteilchen der Dinge«), materies (»Stoff«), genitalia corpora (»Zeugungskörper«) oder semina (»Samen«).5 Bemerkenswert ist dabei vor allem, dass er die Atome, die nichts als »tote« Materie sind, als »Körper« und »Samen« bezeichnet, also als etwas, das schlicht nicht ohne Leben gedacht werden kann. Doch Lukrez verwendet keine »schiefen« Metaphern, denn »Körper« sind die Atome auch deshalb, weil sie ähnliche Verhaltensweisen wie menschliche Körper aufweisen: Sie bewegen sich, treffen sich, gehen Verbindungen ein, kämpfen miteinander oder lösen ihre Verbünde. »Samen« sind die Atome, weil nur aus ihren Verbindungen alle Dinge entstehen können.
In allen seinen Bildern sucht Lukrez nach der größtmöglichen Anschaulichkeit und Eindrücklichkeit. Oftmals [18]greift er dazu auf Vergleichspunkte aus der unmittelbaren Erfahrungswelt des Menschen zurück: Die Kombination unterschiedlicher Buchstaben ergibt verschiedene Wörter, ebenso verhält es sich bei den Atomen; eine ausgetretene Straße zeigt, dass selbst harte Materialien unmerklich feine Körperchen abgeben; das große Sonnensegel eines Theaters gibt bei Wind ein donnerndes Geräusch von sich – so tun es auch vom Wind zusammengetriebene Wolken.
Nicht zuletzt beginnt und endet De rerum natura mit zwei Szenen, die eindrücklicher nicht sein könnten: Der Auftritt der Göttin Venus zu Beginn ist ein Bild der Harmonie, Schönheit und des frühlingshaften Wachstums. Die Pest in Athen, deren Beschreibung am Ende steht, malt ein Bild der Hoffnungslosigkeit, des Schreckens und des Verderbens. Warum das Werk auf diese Weise endet, darüber kann man nur mutmaßen. Sicher ist, dass Lukrez seine Leser mit einem Bild entlässt, das nur ein weiteres Mal seine Fähigkeit zeigt, Eindrücke zu schaffen, die bleiben.