Читать книгу Warum tut er das? - Lundy Bancroft - Страница 23
3 Die missbräuchliche Mentalität
ОглавлениеSeine Einstellung scheint immer zu sein: „Du schuldest mir etwas.“
Er schafft es, alles so zu verdrehen, dass es meine Schuld ist.
Ich fühle mich von ihm erdrückt. Er versucht, mein Leben zu bestimmen.
Alle scheinen zu denken, er sei der Größte. Ich wünschte, sie könnten die Seite von ihm sehen, mit der ich leben muss.
Er sagt, er liebt mich über alles. Warum behandelt er mich dann so?
Chronische Misshandlung bringt die Betroffenen dazu, an sich selbst zu zweifeln. Kinder von misshandelnden Eltern wissen, dass etwas nicht stimmt, aber sie vermuten, dass das Schlechte in ihnen steckt. Angestellte eines ausfälligen und beleidigenden Chefs verbringen einen Großteil ihrer Zeit in dem Gefühl, einen lausigen Job zu machen, dass sie klüger sein und härter arbeiten sollten. Jungen, die schikaniert werden, haben das Gefühl, dass sie stärker sein oder weniger Angst vorm Kämpfen haben sollten.
Wenn ich mit einer misshandelten Frau arbeite, ist es mein erstes Ziel, ihr zu helfen, wieder Vertrauen zu sich selbst zu gewinnen, sie dazu zu bringen, sich auf ihre eigene Wahrnehmung zu verlassen und auf ihre eigene innere Stimmen zu hören. Man braucht eigentlich keinen „Missbrauchsexperten“, um sich von ihm sein Leben erklären zu lassen. Was Sie vor allem brauchen, ist etwas Unterstützung und Ermutigung, an Ihrer eigenen Wahrheit festzuhalten. Ihr missbrauchender Partner will Ihre Wahrnehmung leugnen. Er will Ihnen Ihre Sicht von der Realität aus dem Kopf merzen und sie durch seine ersetzen. Wenn jemand auf diese Weise oft genug in Ihr Selbstverständnis eingedrungen ist, verlieren Sie zwangsläufig mit der Zeit Ihr Gleichgewicht. Aber Sie können Ihren Weg zurück zu Ihrer Mitte wiederfinden.
Ein Täter schafft eine Vielzahl von Missverständnissen, um seine Partnerin dazu zu bringen, an sich selbst zu zweifeln, und um es ihm zu ermöglichen, sie in eine Sackgasse zu führen. Nachdem wir diese Mythen ausgeräumt haben, können wir uns nun auf die Wurzeln seines erniedrigenden Verhaltens konzentrieren. Ich denke, Sie werden sie erkennen.
Die Erkenntnisse, die ich auf den folgenden Seiten erläutere, habe ich vor allem durch die misshandelten Frauen selbst gewonnen, welche die wahren Missbrauchsexperten sind. Meine anderen Lehrer waren meine missbrauchenden Klienten, die uns jedes Mal, wenn sie versehentlich ihr wahres Denken offenbaren, uns mehr Klarheit verschaffen.
Tatsache Nr. 1:
Er kontrolliert.
Mein Klient Glenn kam eines Abends verärgert und aufgeregt zur Gruppensitzung. Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus:
Freitagnachmittag hat Harriet mich angeschrien und gesagt, dass sie bald ausziehen werde. Dann ist sie übers ganze Wochenende weggefahren und hat meinen zweijährigen Sohn mitgenommen. Sie hat mir wirklich wehgetan. Also beschloss ich, ihr auch wehzutun. Ich habe etwas gesucht, das ihr wirklich wichtig ist, um ihr zu zeigen, wie es sich anfühlt. Sie hatte eine Woche lang an diesem Aufsatz fürs College gearbeitet, hatte viele Stunden darin investiert und wollte ihn am Montag abgeben. Sie ließ die Papiere direkt auf ihrer Kommode liegen, als fordere sie mich geradezu heraus. Also zerriss ich alles in kleine Stücke. Dann zerstörte ich einen Haufen Bilder von uns dreien und ließ alles in einem schönen Haufen auf dem Bett liegen, damit sie es gleich sehen würde. Ich glaube, sie hat daraus gelernt.
Glenn war mir gegenüber bemerkenswert ehrlich, was seinen Denkprozess und seine Motive angeht, wahrscheinlich weil er sich so sehr im Recht fühlte. Er glaubte an sein Recht, die Handlungen seiner Partnerin zu kontrollieren. Er bestand darauf, das letzte Wort zu haben, und er akzeptierte keine Missachtung. Er fühlte sich im Recht, Harriet zu bestrafen – und zwar so massiv, wie er es sich nur vorstellen konnte –, wenn sie Schritte unternahm, wieder Herrin ihres Lebens zu werden. Stolz sprach er darüber, wie er ihr verschiedene Freiheiten „zugestanden“ hatte, während sie zusammen waren, als wäre er ihr Vater, und er verteidigte sein Recht, ihr ihre Privilegien zu entziehen, wenn er der Meinung war, dass es an der Zeit war.
Kontrolle zeigt sich in vielen verschiedenen Formen. Einige meiner Klienten waren so extrem kontrollierend, dass sie als Militärkommandeure hätten durchgehen können. Russell zum Beispiel ging so weit, dass er von seinen Kindern verlangte, jeden Morgen vor der Schule Gymnastik zu machen. Seine Frau durfte ohne seine Erlaubnis mit niemandem sprechen, und er schickte sie morgens in ihr Zimmer zurück, damit sie sich etwas anderes anzog, wenn er mit ihrer Kleidung nicht einverstanden war. Beim Abendessen lehnte er sich zurück und kommentierte wie ein Restaurantkritiker die Stärken und Schwächen der Gerichte, die sie zubereitet hatte, und er beauftragte sie regelmäßig, in die Küche zu gehen, um etwas für die Kinder zu holen, als wäre sie eine Kellnerin.
Russells Manier befand sich allerdings an einem extremen Ende des Spektrums der Verhaltenskontrolle. Die meisten meiner Klienten stecken ein gewisses Gebiet ab, um es zu kontrollieren, wie ein Forschungsreisender, der Anspruch auf ein bestimmtes Stück Land erhebt, ohne alles kontrollieren zu wollen. Es gibt Täter, die verbissen jeden Streit gewinnen wollen, die aber ihre Partnerinnen in Ruhe lassen, wenn es um ihre Kleidung geht. Andere Männer gestehen ihrer Partnerin zu, mit ihm zum Beispiel über die Kinder zu diskutieren, doch wenn sie sich weigert, ihn den Fernsehsender wechseln zu lassen, wenn er das will, dann ist Vorsicht geboten. (Dutzende meiner Klienten haben mit Fernbedienungen geworfen oder sie zertrümmert. Das Fernsehen wird von vielen Tätern streng kontrolliert.) Es gibt kontrollierende Männer, die eine Ausgangssperre für ihre Partnerin verfügen, während andere ihrer Partnerin zugestehen, zu kommen und zu gehen, wie sie will – solange sie ihm seine Mahlzeiten zubereitet und seine Wäsche wäscht.