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Kindererziehung

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Wenn das Paar Kinder hat, betrachtet sich der misshandelnde Mann in der Regel als die Autorität in Sachen Erziehung, auch wenn er wenig zur eigentlichen Arbeit der Kinderbetreuung beiträgt. Er sieht sich selbst als einen weisen und wohlwollenden Cheftrainer, der in entspannten Zeiten passiv vom Rand aus zuschaut, aber mit dem „richtigen“ Ansatz eingreift, wenn seine Partnerin nicht adäquat mit den Kindern umgeht. Seine Arroganz im Hinblick auf die Überlegenheit seines elterlichen Urteilsvermögens wird vielleicht nur noch dadurch übertroffen, wie wenig er die Bedürfnisse der Kinder wirklich versteht oder ihnen Beachtung schenkt. Ganz gleich wie gut seine Partnerin als Mutter ist, er ist davon überzeugt, dass sie von ihm lernen muss und nicht umgekehrt.

Der misshandelnde Mann behauptet, dass seine Kontrolle zu ihrem eigenen Besten geschieht. Diese Rechtfertigung zeigte sich auch bei meinem Klienten Vinnie:

Olga und ich waren in einer wirklich üblen Gegend unterwegs. Wir stritten uns, und sie drehte durch wie immer und versuchte, aus dem Auto auszusteigen. Es war dunkel. Das war so eine Gegend, wo ihr alles Mögliche passieren konnte. Ich sagte ihr, sie solle im Auto bleiben, dass sie an einem solchen Ort nicht aussteigen solle, aber sie versuchte weiter, die Tür aufzudrücken. Ich konnte sie nicht dazu bringen aufzuhören, also musste ich sie schließlich auf den Arm schlagen, und dabei schlug sie leider mit dem Kopf gegen das Fenster. Aber das hat sie zumindest dazu gebracht, sich zu beruhigen und im Auto zu bleiben.

Glaubt Vinnie wirklich, dass er seine Partnerin zu ihrem eigenen Wohl misshandelt? Ja und nein. In gewisser Weise tut er das, weil er von sich überzeugt ist. Aber seine eigentliche Motivation liegt auf der Hand: Olga will aus dem Auto aussteigen, um Vinnies Kontrolle zu entkommen, und er will sicherstellen, dass sie das nicht schafft.

Leider gelingt es dem Täter manchmal, andere davon zu überzeugen, dass seine Partnerin so irrational und außer Kontrolle und ihr Urteilsvermögen dadurch so beeinträchtigt ist, dass sie vor sich selbst geschützt werden muss. Glauben Sie niemals der Behauptung eines Mannes, er müsse seiner Partnerin wehtun, um sie zu schützen; nur Täter denken so.

Wenn ein Klient mein Programm beginnt, sagt er oft: „Ich bin hier, weil ich manchmal die Kontrolle über mich selbst verliere. Ich muss mich besser in den Griff bekommen.“ Ich korrigiere ihn jedes Mal: „Ihr Problem ist nicht, dass Sie die Kontrolle über sich verlieren, sondern dass Sie die Kontrolle über Ihre Partnerin übernehmen. Wenn Sie etwas ändern wollen, müssen Sie nicht die Kontrolle über sich selbst gewinnen, sondern Sie müssen die Kontrolle über ihre Partnerin loslassen.“ Ein Großteil seiner Misshandlungen erfolgt in Form von Strafen, mit denen er sich an Ihnen rächt, weil Sie sich seiner Kontrolle widersetzt haben. Dies ist eines der wichtigsten Zusammenhänge, die man in Bezug auf einen misshandelnden Mann verstehen muss.

Tatsache Nr. 2:

Er fühlt sich dazu berechtigt.

Die Vorstellung von einer Berechtigung bestimmt die Denkweise des Misshandelnden. Er glaubt, einen besonderen Status und dadurch exklusive Rechte und Privilegien zu haben, die für seine Partnerin nicht gelten. Die Geisteshaltungen, die den Missbrauch antreiben, lassen sich weitgehend mit diesem einen Begriff zusammenfassen.

Um die Anspruchsberechtigung zu verstehen, müssen wir uns zunächst ansehen, wie Rechte in einer Paarbeziehung oder einer Familie richtig verstanden werden sollten.


Die Rechte des Mannes und die Rechte der Frau sind gleich groß. Sie haben das Recht, dass ihre Meinungen und Wünsche respektiert werden, dass sie 50 Prozent Mitspracherecht bei der Entscheidungsfindung haben und dass sie frei von verbaler Gewalt und körperlichen Schäden leben können. Die Rechte ihrer Kinder sind etwas kleiner, aber nichtsdestotrotz wesentlich. Kinder können aufgrund ihres begrenzten Wissens und ihrer begrenzten Erfahrung nicht gleichberechtigt an Entscheidungen mitwirken, aber sie haben das Recht, frei von Misshandlung und Angst zu leben, mit Respekt behandelt zu werden und sich in allen sie betreffenden Fragen Gehör zu verschaffen. Ein Misshandelnder nimmt die Rechte der Familie jedoch anders wahr, nämlich so:


Die Rechte seiner Partnerin und seiner Kinder sind nicht nur geschmälert – bei einigen Tätern verschwinden diese kleinen Kreise ganz –, seine eigenen Rechte sind zudem stark überhöht. Meine grundlegende Aufgabe als Berater ist es, den misshandelnden Mann dazu zu bringen, seine Vorstellung von den Rechten seiner Partnerin und seiner Kinder auf die richtige Größe zu erweitern und seine Sicht auf seine eigenen Rechte auf ein angemessenes Maß zu reduzieren, so wie es sich gehört. Der misshandelnde Mann gewährt sich selbst alle möglichen „Rechte“, auch die der:

• Körperlichen Fürsorge

• Emotionalen Fürsorge

• Sexuellen Fürsorge

• Ehrerbietung

• Freiheit von Verantwortung.

Die körperliche Fürsorge steht im Mittelpunkt der eher traditionell geprägten Täter. Er erwartet von seiner Partnerin, dass sie für ihn das Abendessen nach seinem Geschmack zubereitet, sich um die Kinder kümmert, das Haus putzt und eine endlos lange Liste von zusätzlichen Aufgaben erledigt. Er betrachtet sie im Wesentlichen als eine unbezahlte Dienerin. Er meckert: „Ich reiß mir bei der Arbeit den ganzen Tag den Arsch auf, und wenn ich nach Hause komme, erwarte ich ein wenig Ruhe und Frieden. Ist das zu viel verlangt?“ Er scheint einen bequemen Sessel, eine Zeitung und einen Fußschemel zu erwarten. An den Wochenenden erwartet er, dass für alles im Haus gesorgt ist, damit er Sport schauen, am Auto basteln, Golf spielen, Vögel beobachten oder schlafen kann. Wenn sie ihre unzähligen Pflichten im Haushalt nicht zu seiner Zufriedenheit erfüllt, fühlt er sich berechtigt, scharfe Kritik auszuteilen.

Auch wenn dieser Typ des Misshandelnden veraltet zu sein scheint, gibt es ihn und er ist wohlauf. Er hat zwar in den 80er- und 90er-Jahren gelernt, seine königlichen Erwartungen hübscher zu verpacken, aber die Veränderung berührt nur die Oberfläche. Heutzutage erklären mir gegenüber weniger Täter freimütig: „Ich erwarte, dass ein warmes, leckeres Abendessen auf dem Tisch steht, wenn ich nach Hause komme“, aber sie könnten immer noch explodieren, wenn es nicht da ist.

Eng verbunden mit der Überbewertung der eigenen Arbeit ist die Entwertung der Leistung der Partnerin. Meine Klienten schimpfen: „Ich weiß nicht, was zum Teufel sie den ganzen Tag macht. Ich komme nach Hause und das Haus ist ein einziges Chaos, die Kinder haben noch nicht gegessen, und sie ist am Telefonieren. Sie verbringt ihre Zeit damit, sich Seifenopern anzusehen.“ Wenn die Frau außerhalb des Hauses arbeitet – und nur wenige Familien kommen mit einem Einkommen aus –, dann besteht er darauf, dass ihr Job im Vergleich zu seinem nicht der Rede wert ist. Wenn er allerdings versucht, ihre Aufgaben zu übernehmen – z. B. wenn er für eine Weile der Hauptansprechpartner für die Kinder ist, weil er arbeitslos ist und sie arbeitet –, sieht alles gleich komplett anders aus: Plötzlich erklärt er, dass Kindererziehung und Haushaltsführung enorme und bewundernswerte Aufgaben sind, die täglich ein paar Stunden Ruhe erfordern, damit er sich erholen kann.

Die emotionale Fürsorge kann für den modernen Misshandelnden sogar noch wichtiger sein als die häuslichen Dienstleistungen. Denken Sie an Ray, der Mary Beth beschimpfte, sie habe ihn zwei Tage lang „ignoriert“, während sie nach ihrem vermissten Sohn suchte! Sein Problem war, dass er glaubte, nichts – nicht einmal ein vermisstes Kind – dürfe Mary Beths Pflicht, seinen emotionalen Bedürfnissen nachzukommen, beeinträchtigen. Genauso häufig wie den Mann, der explodiert, weil das Abendessen verspätet ist, gibt es denjenigen, der ausrastet, weil seine Partnerin es leid ist, seinen Geschichten zuzuhören, in denen es nur um ihn geht, oder weil sie ein wenig Zeit allein verbringen und etwas tun möchte, das ihr Spaß macht, oder weil sie nicht alles sofort stehen und liegen lässt, um ihn zu trösten, wenn er sich niedergeschlagen fühlt, oder weil sie es versäumt hat, Bedürfnisse oder Wünsche vorauszusehen, die er nicht einmal geäußert hat.

Misshandelnde Männer verbergen ihre starken emotionalen Forderungen oft, indem sie sie als etwas anderes tarnen. Mein Klient Bert zum Beispiel wird wütend, wenn seine Freundin Kirsten nicht sofort das Telefongespräch abbricht, sobald er zur Tür hereinkommt. Seine Ausrede dafür, dass er sie attackiert, lautet: „Sie verschwendet Geld für die Telefonrechnung, obwohl sie weiß, dass wir uns das nicht leisten können.“ Wir haben jedoch festgestellt, dass das Problem nur auftritt, wenn er ihre Aufmerksamkeit will. Wenn sie im Ausland anruft, während er nicht zu Hause ist, oder wenn er jeden Samstagmorgen eine Stunde mit seinen Eltern telefoniert, sind die Kosten kein Thema.

Wenn ich neue Klienten habe, gehe ich an die Tafel und zeichne einen Kompass, wobei die Nadel genau auf das große N zeigt. „Sie wollen, dass Ihre Partnerin dieser Kompass ist“, erläutere ich ihnen, „und Sie wollen der Norden sein. Egal, wie der Kompass sich dreht, die Nadel zeigt immer in die gleiche Richtung. Und egal wohin Ihre Partnerin geht, was sie macht oder woran sie denkt, erwarten Sie, dass sie immer auf Sie fokussiert ist.“ Meine Klienten protestieren manchmal: „Aber darum geht es doch in einer Beziehung. Wir sollen uns aufeinander konzentrieren.“ Doch mir fällt auf, dass der Mann, wenn er sich auf sie konzentriert, vor allem daran denkt, was sie für ihn tun kann, und nicht umgekehrt. Und wenn er überhaupt keine Lust hat, sich auf sie zu konzentrieren, ist es ihm egal.

Ein Täter kann emotional bedürftig wirken. Man kann in eine Falle geraten, wenn man sich um ihn kümmert und versucht, ein Fass ohne Boden zu füllen. Aber er fühlt sich nicht so sehr bedürftig, sondern vielmehr berechtigt, und egal, wie viel Sie ihm geben, es wird nie genug sein. Er wird einfach immer wieder neue Forderungen stellen, weil er glaubt, dass Sie für die Befriedigung seiner Bedürfnisse verantwortlich sind, bis Sie sich komplett ausgelaugt fühlen.

Sexuelle Fürsorge bedeutet, dass der Mann es als Pflicht seiner Partnerin betrachtet, für seine sexuelle Befriedigung zu sorgen. Er akzeptiert es nicht, wenn seine sexuellen Annäherungen abgelehnt werden, verweigert sich aber seiner Partnerin, wann immer ihm danach ist. Auch ihr Vergnügen dient nur seinem Genuss: Wenn sie zum Beispiel nicht zum Orgasmus kommt, nimmt er ihr das eventuell übel, weil er es genießen will, sich als großer Liebhaber zu erleben.

Nicht alle missbrauchenden Männer haben großes Interesse an Sex. Einige sind zu sehr mit Außenbeziehungen beschäftigt oder verwenden Substanzen, die ihren Sexualtrieb beeinträchtigen. Einige wenige sind schwul und benutzen ihre Partnerinnen zur Verschleierung der Tatsachen. Einige meiner Klienten fühlen sich von einer Frau nur als Teil einer Dominanz-Fantasie angezogen. Diese Art des Täters verliert das Interesse an Sex, wenn seine Partnerin beginnt, sich als gleichberechtigt zu behaupten und Respekt verlangt, oder er beginnt, sie sexuell zu nötigen oder Gewalt anzuwenden. Kurz gesagt, er will Sex zu seinen Bedingungen oder gar nicht.

Ehrerbietung bezieht sich auf das vom Täter empfundene Recht, dass sein Geschmack und seine Meinung wie ein Erlass behandelt werden. Wenn er zum Beispiel verkündet, dass ein bestimmter Film oberflächlich ist, oder dass Louise versucht hat, Jay beim Picknick anzumachen, oder dass Republikaner nicht wissen, wie sie die Wirtschaft führen sollen, soll seine Partnerin seine Meinung fraglos akzeptieren. Es ist ihm besonders wichtig, dass sie ihm vor anderen Leuten nicht widerspricht. Wenn sie das tut, schreit er sie später an: „Du hast mich zum Narren gemacht, du bist immer darauf aus, mich bloßzustellen“, und ähnliche Anschuldigungen. Seine unausgesprochene Regel besagt, dass sie seine Ansichten nicht infrage stellen darf.

Freiheit von Verantwortung bedeutet, dass der misshandelnde Mann sich selbst über jegliche Kritik erhaben fühlt. Wenn seine Partnerin versucht, ihre Klagen vorzubringen, betrachtet er es als „Nörgelei“ oder „Provokation“. Er ist der Meinung, dass es ihm erlaubt sein sollte, den Schaden, den sein Verhalten verursacht, zu ignorieren, und er greift zu Vergeltungsmaßnahmen, wenn jemand versucht, ihn dazu zu bringen, sich damit auseinanderzusetzen. Ich hatte folgendes Gespräch mit einem Mann, der neu in meinem Programm war:

BANCROFT: Können Sie mir erklären, warum Sie dieser Gruppe für misshandelnde Männer beitreten?

HANK: Nun, ich habe mein Mädchen vor ein paar Wochen geohrfeigt, und jetzt sagt sie, ich darf nicht mehr zurückkommen, wenn ich keine Beratung wahrnehme.

BANCROFT: Wie kam es zu der Misshandlung? Haben Sie sich zuvor gestritten?

HANK: Ja. Und sie beschuldigte mich, eine Affäre zu haben! Das hat mich wirklich sauer gemacht!

BANCROFT: Nun, haben Sie eine Affäre?

HANK: (Pause, etwas erschrocken über meine Frage): Nun, ja … aber sie hatte keine Beweise! Sie sollte so etwas nicht sagen, wenn sie keine Beweise hat!

Hank behielt sich das Privileg vor, seiner Partnerin gegenüber kritisch zu sein, ein Privileg, das er sehr stark in Anspruch nahm. Beschwerden gegen ihn, darunter auch, dass es ihn nicht kümmerte, wie sein Verhalten andere Menschen in der Familie verletzt hatte, unterdrückte er schnell. Im Fall von Hank erfolgte die Vergeltung in Form eines körperlichen Angriffs.

Das hohe Berechtigungsdenken des misshandelnden Mannes führt dazu, dass er unfaire und unangemessene Erwartungen hat, sodass sich die Beziehung immer nur um seine Bedürfnisse dreht. Seine Einstellung ist: „Du schuldest mir was.“ Wenn er etwas gibt, muss sie es ihm doppelt zurückzahlen. Er möchte, dass seine Partnerin sich voll und ganz seiner Versorgung widmet, auch wenn dies bedeutet, dass ihre eigenen Bedürfnisse – oder die ihrer Kinder – vernachlässigt werden. Sie können Ihre ganze Energie darauf verwenden, Ihren Partner zufriedenzustellen, aber wenn er diese Einstellung hat, wird seine Zufriedenheit nie lange andauern. Außerdem wird er weiterhin das Gefühl haben, dass Sie ihn kontrollieren, weil er der Meinung ist, dass Sie seinem Verhalten keine Grenzen setzen oder darauf bestehen sollten, dass er seiner Verantwortung gerecht wird.

Viele Männer fühlen sich ausdrücklich berechtigt, Gewalt anzuwenden. Eine veröffentlichte Studie über männliche College-Studenten der Psychologie aus dem Jahr 1997 ergab, dass 10 Prozent glaubten, es sei akzeptabel, die Partnerin zu schlagen, wenn sie sich weigert, Sex zu haben, und 20 Prozent glaubten, es sei akzeptabel, dies zu tun, wenn der Mann sie des Betrugs verdächtigt. Studien haben ähnliche Zahlen über die Ansicht junger Männer ergeben, dass sie meinen, das Recht zu haben, eine Frau zum Sex zu zwingen, wenn sie eine beträchtliche Summe Geld für die abendliche Unternehmung ausgegeben haben oder wenn die Frau anfangs Sex wollte, dann aber ihre Meinung änderte. Diese Studien weisen darauf hin, wie wichtig es ist, sich darauf zu konzentrieren, die Überzeugung der Täter, berechtigt zu sein, zu ändern, anstatt zu versuchen, einen Defekt in ihrer individuellen Psyche zu finden.

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