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Prolog 2

26. April 2024

Küste des Sudan, Nähe Dungunab

Agent Omar Chalhoub drückte sich keuchend in eine schattige Senke zu Füßen der glühend heißen Felsen. Der Schweiß lief ihm in Strömen, aber bevor er daran denken konnte, zu rasten und etwas zu trinken, musste er einen Platz finden, der besser geschützt war. Diese Senke taugte nur zum Luftholen. Für alles andere war sie zu flach, und vor allem konnte er von hier aus nicht sehen, was am Eingang geschah. Dazu musste er höher in die Felsen hinauf.

Der Agent konzentrierte sich auf seinen Kreislauf, seine Atmung und gab sich eine halbe Minute, um auf einen Ruhepuls von 44 herunterzukommen. Drunter ging es unter diesen Bedingungen nicht. Normalerweise schlug sein Herz gerade einmal alle zwei Sekunden, aber hier war es zu heiß, der Muskel hatte zu tun.

Rundherum war nichts als felsige Wüste – und die steinige Piste, die hierher führte, zu dieser abgelegenen Hügelkette am Roten Meer. Doch diese Piste wurde häufiger benutzt, als es den Anschein hatte, und vor allem führte sie zu diesem Portal, das Omar vorhin entdeckt hatte. Ungefähr zwei Kilometer vom Meer entfernt verschwand die Piste plötzlich in einem Tunnel. Der sauber gemauerte Eingang befand sich gut getarnt unter überkragenden Felsen und war damit für Satelliten schwer zu entdecken.

Omar hatte seine Position an die Zentrale in Langley durchgegeben und zur Antwort bekommen, dass er von nun an auf sich allein gestellt sei. Über diesen Tunnel lägen keine Informationen vor. Aber die Erkenntnis, dass es hier einen Tunnel gab, erstaunte in Langley niemanden. Das Portal selbst mochte auf den Satellitenbildern nicht zu sehen gewesen sein, aber man hatte Bilder von Lastwagen, die plötzlich verschwanden. Also ging es hier wohl unter die Erde. Bestimmte Leute in Langley hegten schon seit längerem den Verdacht, dass die Sudanesen ein geheimes Süppchen kochten. Deswegen war Omar hier, denn das wüsste man in Langley gern genauer.

Omar war am Ziel. Hierher versuchten sie seit drei Jahren vorzudringen. Zwei Agenten waren bei dem Versuch, das Ende dieser Piste zu erforschen, spurlos verschwunden. Omars Versuch war der dritte Versuch. Der am besten geplante. Auch der am besten ausgerüstete, obwohl Omar kaum mehr am Körper trug als seine sandfarbenen Camouflage-Klamotten.

Er blinzelte hinauf zum Himmel. Dort oben rasten die Satelliten um die Erde, die ihn mit Langley verbanden, ein riesiges Netzwerk von Satelliten, denen fast nichts auf der Erde entging. In Langley hatten sie ihn in diesem Moment auf ihren Schirmen, doch wenn er durch das Portal ging, würde er außer Reichweite sein. Ein unwirkliches, ungewohntes Gefühl. Niemand würde ihm zu Hilfe kommen können, und wenn er versagte und ums Leben kam, würde niemand je davon erfahren, trotz aller Satelliten, die dort oben, hinter dem tiefen, fast ins Schwarze spielenden Himmelsblau ihre Bahnen zogen.

Er winkte nach oben.

Darauf bedacht, seinen Puls möglichst niedrig zu halten, kletterte Omar über den Felssporn, bis er einen guten Blick auf Piste und Tunnelportal hatte. Die Gegend war menschenleer, aber erst vor zehn Minuten war hier ein Lastwagen durchgekommen und im Tunnel verschwunden. Mit einem winzigen Hightech-Feldstecher, der die Bilder synchron nach Langley übertrug, versuchte Omar, in den Tunneleingang zu spähen. Es sah nicht so aus, als ob dort jemand wäre. Das Areal wirkte völlig verlassen.

Omar sah sich mit dem Gerät die Tunnelwände nahe am Eingang an und entdeckte – nichts. Sie waren glatt, völlig glatt, viel zu glatt. Wie poliert. Es gab also Sensoren. Omar tippte auf Bewegungsmelder, das Übliche eben. Das sollte kein Hindernis darstellen. Doch was kam danach, in den Tiefen des Tunnels?

Es gab nur einen Weg, dies herauszufinden. Er atmete tief und kontrolliert durch. Für diesen Moment hatte er trainiert. Er war darauf vorbereitet, was passieren würde, wenn er das Signal gab, aber er wusste auch, dass es das erste Mal unter den Bedingungen eines realen Einsatzes passieren würde. Was er hier versuchte, hatte es noch nie gegeben.

Omar suchte ein Versteck in den Klippen, die zur Piste hin abfielen, nicht zu weit oben. Nachdem er eine Weile vorsichtig hin und her geklettert war, fand er eine Art winziger Grotte, die seinen Zwecken genügte. Sie war vielleicht zwanzig Meter vom Tunneleingang entfernt und keine drei Meter oberhalb der Piste. Er kauerte sich in die Nische und begann, sich auszuziehen, bis er nackt war, völlig nackt, sogar Unterwäsche, Stiefel und Socken zog er aus, und bis auf die Stiefel stopfte er alles in seinen Rucksack, den er so tief wie möglich in einen Felsspalt drückte. Dann gab er nach Langley durch:

„Bereit!“

„Genug getrunken, Agent?“, kam es fast sofort aus einer Entfernung von mehr als zehntausend Meilen zurück.

Also trank Omar nochmals, er schüttete das Wasser geradezu in sich hinein.

„Ich schalte jetzt ein.“

„Viel Glück, Agent!“

Omar drückte auf den Schalter, der an der Innenseite seines linken Handgelenks unter der Haut verborgen war, und versuchte, vorbereitet zu sein, doch das war unmöglich. Er erlebte es jetzt zum zehnten Mal, und es war so fürchterlich wie beim ersten Mal.

Ping!, machte es irgendwo in ihm, und ihm sträubten sich die wenigen Haare seines Körpers, als der Impuls durch seinen Körper rann. Seine Muskeln strafften sich, seine Sehnen spannten sich, er verfiel in ein katatonisches Zittern. Er verlor die Kontrolle über sich, vermochte nicht einmal den kleinen Finger zu rühren. Derweil erwachten die Billiarden Nano-Roboter, die bis gerade eben noch abgeschaltet in Omars Blut und Körpergewebe gesteckt hatten, zu plötzlichem Leben. Sie waren die kleinsten Maschinen, die Menschen bisher gebaut hatten – nur so groß wie Moleküle. Kein Scanner konnte sie erkennen, kein Immunsystem konnte etwas gegen sie unternehmen. Alle Kleinst-Roboter in Omars Körper zusammen wogen kaum mehr als zehn Kilo. Jeder Arzt hätte gestaunt, wenn er Omars Daten bei einer Erstuntersuchung aufgenommen hätte: 80 Kilo bei 1,75 Meter Körpergröße und einem derart schlanken, drahtigen Körperbau?

Es waren die Nanobots, die den Gewichtsunterschied ausmachten. Sie folgten einem genau festgelegten Aktionsplan, indem sie sich wie ein Bienenvolk organisierten. Auf Geheiß ihrer Königin schwärmten sie durch Omars Körper und taten, wozu sie erschaffen worden waren: Sie machten ihn unsichtbar. Sie polarisierten seine Haut, indem sie alles Licht, das auf seinen Körper traf, ablenkten und von Nanobot zu Nanobot weiterreichten. Omars Körper hörte auf, Licht zu reflektieren, und damit verschwand er aus dieser Welt. Nur ein wissendes Auge konnte ihn noch erkennen, denn er warf einen flirrenden Schatten, der jedoch nie an der Stelle war, an der sich Omar tatsächlich gerade befand.

Das Ganze war natürlich nicht gesund. Die Nanobots, so klein sie auch sein mochten – das beste Lichtmikroskop der Welt konnte sie nicht sichtbar machen – ernährten sich von den elektrischen Potenzialen seiner Nervenbahnen, von der Energie seines Nervensystems. Er hatte fünf, höchstens sechs Minuten. In vier Minuten würden seine Füße und Finger anfangen zu kribbeln, als seien sie eingeschlafen, in etwa fünf Minuten würde er Schwierigkeiten bekommen, sich auf den Beinen zu halten, und spätestens in sechs Minuten musste er den Impuls auslösen, indem er den implantierten Schalter im linken Handgelenk berührte, und die Nanobots abschalten.

Omar hatte also keine Zeit zu verlieren. Er sprang auf, nachdem er die Kontrolle über sich wiedererlangt hatte, kletterte die Felsen hinab zur Piste und trat durch das Portal. Es war hoch wie drei Männer und mindestens sechs Meter breit. Direkt dahinter begann ein Tunnel, der in einer sanften Biegung nach rechts abwärts in den Fels führte. Ein salziger Hauch lag in der Luft im Tunnel. Meerwasser!

Keiner der Sensoren am Portal reagierte, als Omar eintrat. Darauf hatte er gehofft. Er sprintete los. Mit seinen nackten Fußsohlen bewegte er sich lautlos wie eine Katze auf dem geglätteten, leicht abschüssigen Felsboden des Tunnels.

Gut, dass er ausreichend getrunken hatte. Es war heiß im Tunnel, der zudem länger war, als Omar erwartet hatte. Doch nach etwa eineinhalb Minuten erreichte er das Ende und drückte sich instinktiv an die Tunnelwand, während er in die weite Halle spähte, die sich vor ihm auftat.

Eine natürliche Höhle, künstlich erweitert, die Decke gestützt von mächtigen Stahlpfeilern. Er schätzte die Länge der Höhle auf zweihundert Meter, ihre Höhe auf zehn Meter. Helles Licht flutete von Leuchtkörpern unter der Decke herab. Längs der Seitenwände der Höhle sah Omar Gebäude, in denen Licht brannte. Unweit der Tunnelmündung standen aufgereiht mehrere Lastwagen mit Anhängern, darunter auch der, den Omar vor wenigen Minuten erst hatte im Tunnel verschwinden sehen. Andere trugen das Logo der staatlichen Ölfirma des Sudan und standen weiter hinten, bei den Bassins.

Omar reckte den Hals und blickte zu den riesigen Becken hinüber. Er blinzelte vor Überraschung. Eines der Bassins war leer. In dem anderen lag ein U-Boot!

Omar runzelte die Stirn. Der Sudan besaß offiziell keine nennenswerte Marine, also auch keine U-Boote! Nicht nach allem, was Omar wusste. Das würde Langley brennend interessieren. Warum lag hier ein U-Boot in seinem Versteck? Oder gab es vielleicht sogar zwei von der Sorte? Es gab ja schließlich auch zwei Bassins, auch wenn das zweite leer war …

Omar musste näher ran. Der Blick war zum größten Teil verstellt durch Maschinen, aufgestapelte Container und die Lastwagen. Doch er musste vorsichtig sein. Am Rand der Bassins waren Menschen zu sehen, und auch drüben bei den Gebäuden regte sich in diesem Moment etwas. Ein Fahrer stieg ins Führerhaus eines der Lastwagen und ließ den Motor an.

Omar schlüpfte entlang der Wand der Halle zwischen einige Geröllhaufen. Er hatte nicht mehr viel Zeit, um sich ein Versteck zu suchen, in dem er sich enttarnen und für eine Weile erholen konnte. Sein Herz klopfte bis zum Hals.

Er drückte sich zwischen zwei Lastwagen hindurch und an einem Container entlang, auf dem das Logo der sudanesischen Ölgesellschaft prangte. Von hier aus konnte er das U-Boot besser sehen, aber der Ort taugte nicht als Versteck. Drei Minuten waren verstrichen. Am besten wäre ein Versteck, von dem aus Omar sich einen Überblick verschaffen konnte, etwas höher Gelegenes, vielleicht in einem der Gebäude rechterhand oder …

Kurz entschlossen machte er kehrt und schlich zu den Lastwagen zurück. Schon beim ersten, einem Tankwagen, hatte er Glück. Die Beifahrertür war unverschlossen, das Fahrerhaus war leer und der Schlüssel steckte. Glücklicher Zufall. Ansonsten hätte er sich ein Weilchen verstecken müssen, ehe er sich wieder unsichtbar gemacht hätte, um zu entkommen und die gewonnenen Erkenntnisse zu übermitteln.

Aus dem erhöhten Fahrerhaus hatte er einen besseren Überblick über den U-Boot-Hangar. Im Hintergrund waren mächtige, geschlossene Stahlschotten zu sehen. Dahinter lag vermutlich das Meer.

Aber was war das für ein U-Boot, das in dem rechten Bassin ruhte? Keinesfalls handelte es sich um ein Boot amerikanischer Bauart. Es wirkte breiter und bulliger als alles, was aus amerikanischen Werften kam, einschließlich des Kommandoturms. Wenn es nicht so unwahrscheinlich gewesen wäre – Omar hätte gewettet, dass es sich um ein sowjetisches Boot handelte, um ein Relikt des Kalten Krieges. Wenn er sich nicht täuschte, waren auf der Oberseite des Vorschiffs eine Reihe von kreisrunden, verschlossenen Luken auszumachen – die Öffnungen von Raketensilos.

War das etwa ein sowjetisches Atom-U-Boot? Das würde bedeuten, dass der Koloss mindestens 35 Jahre auf dem Buckel hatte. Merkwürdigerweise wirkte er jedoch wie neu, wie gerade erst zu Wasser gelassen.

Hatte man das Boot hier stillgelegt? Aber warum an diesem geheimen Ort? Nein, es wirkte nicht wie eingemottet, sondern im Gegenteil: Es wirkte, als könne es jederzeit in den Einsatz starten. Und was hatten all die Tankwagen hier im Hangar zu suchen?

Das stählerne Ungetüm schien zu warten. Worauf auch immer.

Omar wusste, dass er eine wichtige Entdeckung gemacht hatte, über die Langley unbedingt informiert werden musste. Rasch berührte er mehrfach hintereinander einen Punkt hinter seinem linken Ohr. Eine zwischen seine Augenbrauen implantierte Mikrokamera machte eine Reihe von Bildern von den Booten und hätte diese auch sofort nach Langley geschickt, wenn sie denn Verbindung gehabt hätte. Doch Omar befand sich viele Meter tief im Fels der Hügelkette. Also speicherte die Kamera die Bilder und würde sie versenden, sobald sie Kontakt bekam. Die Experten in Langley würden im Handumdrehen herausfinden, was das für ein U-Boot war, da war Omar sicher, auch wenn von seinem Standort aus keine Typenbezeichnung oder Seriennummer zu erkennen waren.

Omars Finger begannen zu kribbeln. Die vier Minuten waren um, der Energieverbrauch der Nanobots machte sich bemerkbar. Omar fühlte sich allerdings nicht erschöpft, im Gegenteil: Adrenalin ließ sein Herz aufgeregt pochen. Er musste jetzt schnellstmöglich von hier verschwinden. Er hatte schon genug riskiert.

Immer noch unsichtbar rutschte er hinüber auf den Fahrersitz, doch genau in dem Moment, als er den Lastwagen anließ, wurde die Fahrertür geöffnet – jedoch nicht von ihm. Erschrocken sah er dem sudanesischen Fahrer in die entsetzt aufgerissenen Augen. Die Blicke des Mannes irrten umher und suchten nach einer Erklärung dafür, dass der Wagen in dem Moment angesprungen war, in dem er die Fahrertür geöffnet hatte, doch sie fanden keine.

Omar überwand seinen Schrecken und verpasste dem schockierten Mann einen gezielten Schlag gegen die Schläfe. Der Fahrer ging zu Boden. Omar sprang aus dem Fahrerhaus. Sein linkes Bein knickte ein, als er auf dem Boden aufkam. Er begann, die Kontrolle über seinen Körper zu verlieren, er hatte nur noch wenige Sekunden, bis er die Nanobots abschalten musste. Mit jeder weiteren Sekunde stieg die Wahrscheinlichkeit, dass er neurologische Schäden davontrug. Seine Reserven reichten auf keinen Fall, um den Hangar wieder zu verlassen. Erst musste er abschalten und sich ein wenig regenerieren.

Die Zahl der Verstecke in seiner Nähe war überschaubar. Er huschte hinüber Richtung Tunnelmündung, so schnell er noch konnte, und während zusehends die Kraft und das Gefühl aus seinen Armen und Beinen wichen, schaffte er es bis in einen Winkel hinter der Geröllhalde, wo er vorhin schon gelegen hatte. Mit tauben Fingern tastete er nach dem Schalter in seiner Handfläche.

Aufatmend sank er zu Boden, in den Schutt, als die Nanobots abschalteten. Augenblicklich ließ das Kribbeln in seinen Beinen und Armen nach. Nun würde er für einige Sekunden so gut wie bewegungsunfähig sein.

Da hörte er aufgeregte Rufe. Jemand schien den bewusstlosen Fahrer entdeckt zu haben. In den Gebäuden an den Wänden der Halle sprangen Türen auf, Menschen stürzten hervor.

Omar drückte sich so tief in sein Versteck wie nur möglich. Frühestens in fünf Minuten konnte er die Tarnung wieder aktivieren. Bis dahin musste er hoffen, dass sie ihn hier nicht entdeckten.

Doch sie sahen schon herüber, und Gewehrmündungen zielten in seine Richtung.

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