Читать книгу Infektion - Ly Fabian - Страница 6
Samstag
ОглавлениеMarie wachte gegen vier Uhr morgens auf. Geräusche kamen von der Straße.
Sie schlich zum Fenster und sah Herrn Schneider seinen Golf beladen. Das Gepäck war sehr umfangreich für einen Kurztrip. Frau Maier stand im Bademantel neben Frau Schneider und redete auf sie ein. Eine Autotür wurde zugeschlagen.
Sie kroch zurück in ihr Bett und schlief gleich darauf fest ein. Erst als ihre Oma sie zum Frühstück rief, schälte sie sich müde aus den Kissen.
»Gut geschlafen?«
»Ich bin nachts wach geworden, als Schneiders gefahren sind.«
Sie duschte und ging in die Küche, in der Katja, Lisa und Irene beim Kaffee saßen.
Marie nahm sich ein Brötchen und setzte sich dazu. Irene schenkte ihr eine Tasse Tee ein und entschuldigte sich, um nach Frau Maier zu schauen.
»Deine Mutter mag mich nicht«, stellte Katja fest und schenkte sich Kaffee nach.
»Nein, sie ist nur mit der Situation überfordert. Hast du alles, was du brauchst? Soll ich noch etwas aus der Klinik mitbringen?«
»Nein, das ist zu gefährlich. Wir müssen erst einmal abwarten.«
Lisa nickte. Marie nahm sich eine zweite Tasse Tee aus der Kanne und fragte Lisa, wann sie fahren würden.
»Deine Oma möchte nicht, dass du noch einmal mitkommst. Ehrlich gesagt fände ich es auch besser, wenn du hier bleibst.«
»Ich habe extra für Hannah Musik zusammengestellt. Du hast versprochen, dass ich mitkommen darf!«
Marie blinzelte ihre Tränen weg. Lisa schaute hilflos zu Katja, die nur mit den Schultern zuckte.
»Du hältst dich genau an meine Anweisungen. Wenn ich sage, dass wir nach Hause fahren, fahren wir. Auch wenn Hannah gern noch Gesellschaft hätte, ist das klar? Ich habe von zwölf bis neunzehn Uhr Dienst und werde keine Überstunden machen, egal was passiert.«
»Es wird erst am Montag kritisch, wenn die Klinik komplett geschlossen wird«, warf Katja ein. »Ich habe die Pläne gesehen.«
Marie ging in ihr Zimmer und packte nach kurzem Nachdenken T-Shirts und ihren neuen Jogginganzug in den Rucksack. Wenn Hannah verlegt wurde, würde sie nach der Operation froh sein, nicht nur Krankenhausklamotten tragen zu müssen.
»Hannahs Mutter kann ihr doch Sachen bringen«, meinte Lisa, als Marie den Rucksack anschleppte.
»Das ist doch nur für den Notfall, falls sie etwas vergisst.«
»Du bist lieb«, lobte Katja. »Pack ihr noch einen Schlafanzug und Kosmetik ein. Wenn sie verlegt wird, kann sie es brauchen.«
Marie nickte. Sie steckte einen großen Plastikbeutel dazu, damit sie die Sachen für Hannah in der Klinik umfüllen konnte.
Irene umarmte sie zum Abschied, sie bemühte sich, ihre Tränen zurückzuhalten.
»Keine Sorge Mama, wir sind heute Abend wieder zurück«, beruhigte Lisa ihre Mutter. »Nur noch die drei Tage und dann habe ich erst einmal eine Woche frei. Da die Klinik bis dahin leer ist, wird das auch so bleiben.«
»Sie werden dich beim Katastrophenschutz einsetzen oder du wirst in eine andere Klinik verpflichtet. Ich weiß doch, wie das läuft.« Irene strich Lisa über die Wange. »Pass auf dich auf Kind und pass auf meine Enkelin auf.«
Lisa küsste Katja zum Abschied. Frau Maier stand hinter der Gardine ihres Fensters und beobachtete sie, während sie in das Auto einstiegen.
Bevor Lisa startete, wandte sie sich zu Marie. »Hör zu, es ist ganz wichtig, dass niemand im Krankenhaus erfährt, dass Katja bei uns ist. Wir haben sie nach Hause gefahren, das ist alles, was du weißt. Egal wer fragt.«
»Wieso das denn?«, wunderte sich Marie.
»Katja hat heute frei, aber morgen soll sie zum Dienst erscheinen. Sie werden sie vielleicht suchen, vielleicht denken sie auch, dass sie sich abgesetzt hat. Ich kann dir jetzt nicht alles erklären, aber glaub mir, sie hat ihre Gründe. Du darfst auch keinem etwas von den Kisten sagen, die wir gestern aus der Klinik gebracht haben. Oder hast du schon jemandem davon erzählt?«
Marie hatte die Kisten ganz vergessen. »Nein, wem denn?«
»Du darfst auch Betty nichts sagen. Weder von Katja, noch von den Kisten.«
»Für was hältst du mich?«
Marie schaute aus dem Fenster. In der Gegenrichtung gab es einen Stau.
»Was war eigentlich in den Kisten?«
»Die hat Katja gepackt, ich weiß auch nicht alles.«
Inzwischen waren sie bei dem Klinikgelände angelangt. Die Schranke war unten.
»Na toll! Der Parkplatz ist geschlossen, wir müssen hier draußen parken.«
Lisa quetschte das Auto hinter die Mauer, die den Krankenhausgarten umgab. Es war der einzige freie Platz, den sie finden konnten.
»Siehst du das?« Marie zeigte auf die Wagen vor ihnen. Bei jedem Zweiten waren die Reifen platt gestochen.
»Wer macht denn so einen Scheiß?«
»Deshalb parke ich nicht gern hier.« Lisa schlug ihren Mantelkragen hoch. »Über Nacht würde ich das Auto hier niemals stehen lassen.«
Marie nahm ihren Rucksack aus dem Kofferraum. Am Eingang zeigten sie ihre Scheine vor. Ein Soldat winkte sie durch, ohne zu kontrollieren. Vor der Klinik standen zwei Krankenwagen neben Armeelastern.
»Du kommst erst mit mir«, raunte Lisa ihrer Tochter zu, als sie mit dem Fahrstuhl in den ersten Stock fuhren. Die Station war wie leergefegt. Auf dem Gang standen Betten.
»Sie scheinen die restlichen Patienten schon evakuiert zu haben«, überlegte Marie.
Die Tür vom Arztzimmer öffnete sich.
»Gut, dass Sie hier sind, Schwester Lisa. Es gibt eine Planänderung. Das Krankenhaus soll für eine Notfallunterbringung vorbereitet werden. Das heißt, alle Zimmer müssen gereinigt und Betten vorbereitet werden.«
»Die wollen hier Flüchtlinge unterbringen?«
»Wir müssen damit rechnen, kurzfristig Personen aufzunehmen, die evakuiert wurden. Schulen, Altenheime. Wen wissen wir jetzt noch nicht. Dieses Gebäude bietet sich als Notquartier an.«
Lisa nickte und ging mit Marie in den Umkleideraum. Sie reichte ihrer Tochter einen Schutzkittel und zog selbst auch einen über.
»Keine Sorge, du kommst früh genug zu Hannah. Gib mir deinen Rucksack, ich schließe ihn so lange in meinem Spind ein.« Sie gab Marie den Schlüssel, bevor sie den Putzwagen aus einer Abstellkammer holte.
»Wenn wir Hand in Hand arbeiten, sind wir schnell fertig. Mit diesem Spray sprühst du die Sanitäranlagen ein.«
Sie öffnete die Tür zur Toilette des Krankenzimmers.
»Hier. Siehst du? Waschbecken, Toilette und Dusche einsprühen. Das kann dann erst einmal einwirken. In der Zwischenzeit machen wir die Zimmer sauber, beziehen die Betten frisch und zuletzt reinigen wir die Duschkabinen.«
Marie nickte. Sie nahm das Desinfektionsspray und sprühte in sämtlichen Kabinen die Armaturen und Schüsseln ein. Ihre Mutter hetzte durch die Zimmer, zog die Bettwäsche ab, während Marie Tische und Stühle abwischte. Schlussendlich verstaute Lisa drei große Wäschesäcke auf einem Wagen, den sie mit Maries Hilfe in die Wäscherei im Keller brachten. Dort diskutierte sie mit einer überforderten Haushälterin, bis sie einige Packen neue Wäsche mitnehmen durften. In der Wäscherei war es unangenehm schwül. Marie war froh, als sie wieder auf Station waren. Sie bezogen die Betten im ersten Zimmer gemeinsam. Lisa legte über jedes frisch bezogene Bett eine durchsichtige Schutzfolie.
»Normalerweise bringen wir die Betten nach unten, dort werden sie desinfiziert und kommen frisch bezogen wieder nach oben«, seufzte sie.
Marie kippte ein Fenster, um das Zimmer zu lüften.
»So, ein Raum ist fertig. Wir liegen ganz gut in der Zeit, die anderen Betten kann ich allein beziehen. Ich koche jetzt erst einmal einen Kaffee. Du kannst eine Kanne mit hochnehmen. Betty sagte mir gestern, dass der Automat auf ihrer Station spinnt.« Lisa verschwand in der Küche.
Marie ging in den Umkleideraum, tauschte ihren Schutzkittel gegen einen Neuen und packte die Kleidung, die sie für Hannah mitgebracht hatte, vom Rucksack in den Plastikbeutel. Danach ging sie in die Stationsküche. Es war schon fast halb vier. Seit zwölf hatte sie ihrer Mutter geholfen. Ihr Magen knurrte hörbar.
»Mama, hast du hier noch irgendwo etwas essen?«
»Oh Schatz, tut mir leid. Ich habe gar nicht mehr daran gedacht, Oma hat mir ja etwas mitgegeben«
Lisa holte eine Tupperschüssel aus der Tasche und stellte sie in die Mikrowelle. »Gemüsesuppe mit Graupen. Hat sie gestern noch gekocht.«
Während der Kaffee in die Kanne lief, setzten sich beide an den Tisch und löffelten die heiße Suppe.
»Oh, habt ihr auch etwas für mich übrig?« Eine mollige ältere Frau in einem grauen Kittel stand in der Tür.
»Aber sicher Gülcin, setz dich.« Die Frau setzte sich und nahm freudig den Teller entgegen, den Lisa ihr gab.
»Wartet, ich hab noch Brot.« Sie nahm ein Fladenbrot aus einem Beutel und brach es in drei Teile.
»Ich soll helfen, die Station sauber zu machen und dann noch die nebenan. Unten werden die restlichen Patienten verlegt.«
»Ja, ich weiß, das Haus soll als Notunterkunft vorbereitet werden. Bis Montag soll das ganze Gebäude geräumt sein.«
Gülcin schüttelte den Kopf. »Was für ein Schwachsinn.«
Lisa füllte die Thermoskanne und schenkte sich und Gülcin den restlichen Kaffee ein. Marie nahm die volle Kanne vom Tisch und verabschiedete sich.
»Egal was ist, in einer Stunde bist du wieder hier«, rief ihr Lisa hinterher.
Vor der Intensivstation stand ein Bett mit Gittern an beiden Seiten. Der Patient darin stöhnte. Ein knorriges, nacktes Bein hing über dem Gitter. Kraftlos versuchte der Alte, sich hochzuziehen.
»Brauchen Sie etwas?«, fragte Marie den Greis.
»Ich will nach Hause!« Der Mann wackelte an dem Metall und schrie mit einer hohen Fistelstimme.
»Legen Sie sich bitte wieder hin, ich hole jemanden«, versuchte Marie ihn zu beruhigen. Sie stellte die Kanne auf den Boden und legte das Bein des Mannes zurück. Kraftlos jammernd ließ er sich in die Kissen fallen. Sie klingelte und kurz darauf öffnete sich die Stationstür. Ein junger Arzt schaute Marie fragend an.
»Ich möchte zu Schwester Betty und hier liegt ein Patient allein herum.«
Der Alte fing an zu schreien. Der Arzt seufzte und fuhr das Bett auf die Station, wo er es auf dem Gang stehen ließ.
Betty kam mit einer leeren Infusionsflasche aus einem Zimmer.
»Oh mein Gott. Herr Pfister. Der sollte doch in sein Altenheim zurückgebracht werden.«
»Er stand draußen auf dem Flur«, erklärte Marie.
»Ich habe kein Zimmer für ihn, da muss er hier stehen bleiben. Kommst du grad mit, Marie? Du kannst mir bei einem Patienten helfen.«
Der Arzt warf noch einen hilflosen Blick auf den Greis und ging dann in das Stationszimmer, in dem ein anderer Arzt mit einem Soldaten diskutierte.
Marie assistierte Betty, die geschickt einen Verbandswechsel an einer Bauchwunde durchführte.
»Eine Schussverletzung, wurde vorletzte Nacht notoperiert. Sobald sie stabil ist, wird sie in eine andere Klinik transportiert.« Betty seufzte.
»Du willst sicher zu deiner Freundin?«
»Ich habe ihr ein paar Sachen mitgebracht. Die Tüte liegt auf dem Tisch beim Eingang. Und für dich habe ich eine Kanne Kaffee. Steht auch da.«
»Das sagst du erst jetzt? Hoffentlich hat die keiner weggenommen!«
Die Krankenschwester deckte die frisch verbundene Patientin zu, kontrollierte die Infusion und schob den Verbandswagen aus dem Zimmer.
Marie eilte zum Eingang und nahm Tasche und Kanne an sich.
»Komm mit in die Küche.« Betty öffnete eine Tür. In dem kleinen Raum standen, wie auf der unteren Station, eine Mikrowelle und eine Kaffeemaschine.
»Willst du auch einen?« Betty holte zwei Tassen aus dem Schrank.
»Nein danke. Ich würde gerne Hannah sehen. Ich habe auch etwas zum Anziehen für sie dabei.«
»Das hättest du nicht gebraucht. Ihre Mutter war heute Morgen da. Sie hat ihr einen ganzen Koffer voll mitgebracht.«
»Egal, nehm ich es halt wieder mit. Hat sie ihr auch ihren iPod mitgebracht?«
»Nein, nur Kleidung und Kosmetik.«
»Ich habe ihr etwas Musik zusammengestellt.«
»Na da wird sie sich freuen.« Betty nahm noch einen Schluck und bedeutete Marie, ihr zu folgen.
Der alte Mann auf dem Flur war dazu übergegangen, um Hilfe zu schreien. Betty fragte ihn, ob er etwas bräuchte, doch der Alte schrie weiter, ohne auf sie zu reagieren.
»Ich gebe ihm nachher etwas zur Beruhigung«, meinte sie genervt, bevor sie sich zu Hannahs Zimmer begaben. Hannah sah schlechter aus als gestern. In ihrem Gesicht sah man blaue Adern durch die bleiche Haut schimmern. Ihre Augen waren nur halb geöffnet.
»Hannah, wie geht es dir?«
Hanna öffnete die Augen und blickte zu Marie. In ihren Augen lag kein Erkennen.
»Sie hat Fieber.« Betty nahm das Infrarot Thermometer und hielt es in Hannahs Ohr.
»Gleichbleibend fast 40 Grad. Sie bekommt Antibiotika, mehr kann man nicht machen.«
»Meine Oma macht mir immer Wadenwickel, wenn ich Fieber habe.«
»In dem Schrank da hinten sind Handtücher. Wenn du es hinbekommst, bitte. Ich muss mich um die anderen kümmern. Die Station ist voll und wir sind nur zu zweit.«
Marie nahm aus dem Schrank vier Handtücher. Das Wasser kam, nachdem sie es eine Weile laufen ließ, eiskalt aus dem Hahn. Geschickt legte sie ihrer Freundin Wadenwickel an.
Etwas zu tun war besser, als nur herumzustehen. Sie nahm den iPod aus der Tasche und legte der Freundin einen der Kopfhörer an das Ohr.
Hannah verzog das Gesicht zu einem Lächeln. »Danke«, hauchte sie. »Ich glaube ich sterbe.«
»Nein, du hast Fieber, aber du bekommst Antibiotika. Die Ärzte tun alles was sie können. Ich hab dir Wadenwickel gemacht. Bald geht es dir besser!«
»Marie bitte bleibe bei mir. Ich ...« Ihre Stimme brach.
Marie ging zum Waschbecken und nahm einen Einmalwaschlappen, den sie erst unter das kalte Wasser hielt und dann gut auswrang. Sie ging zurück zu Hannahs Bett und strich der Freundin mit dem kühlen Lappen über die glühende Stirn.
»Soll ich die Musik wieder wegnehmen?«
»Nein, sie ist schön. Danke.«
Die Stunde war vorbei. Durch den Verbandswechsel hatte sie nur etwas mehr als dreißig Minuten für ihre Freundin gehabt. Sie streichelte Hannah zum Abschied über die Stirn. Betty stand im Flur, neben dem alten Mann. Er schlief.
»Die Wickel habe ich angelegt. Ich muss jetzt zu meiner Mama, vielleicht kann ich noch einmal hochkommen. Wir sind bis 19 Uhr hier.«
Betty nickte und gab ihr die leere Kanne.
»Vielleicht kann Lisa uns noch eine durchlassen? Ich komme vor zehn hier nicht weg.«
Marie zog die Stationstür unten auf. Es war niemand da. Ihre Schritte hallten in dem leeren Flur. Durch eine Verbindungstür gelangte sie auf die dahinterliegende Nachbarstation. Schon von weitem hörte sie ihre Mutter und Gülcin reden.
»Oh Marie, wie geht es Hannah?«
»Nicht so gut. Braucht ihr mich oder kann ich oben Betty helfen?«
Lisa überlegte kurz. »Hör zu, wir ziehen die restlichen Betten hier ab, du gehst in der Zwischenzeit auf unsere Station, kontrollierst die Zimmer und machst die Fenster zu, die ich zum Lüften geöffnet habe. Dann schließt du die Türen ab und kommst wieder her. Beeil dich, dann darfst du noch einmal hoch.«
Sie kramte in ihrer Tasche und holte ein Schlüsselbund heraus, das sie Marie reichte, doch bevor die es nehmen konnte, überlegte sie es sich anders.
»Ich gebe dir besser diesen Schlüssel. Pass gut darauf auf, es ist ein Generalschlüssel. Verliere ihn bloß nicht.«
Marie nickte und eilte auf die leere Station. Die Zimmer waren sauber und rochen schwach nach Desinfektion. Es war eiskalt. Sie schloss die Fenster und drehte die Heizung auf zwei. In den Bädern waren Toilettenpapier, Seife und Desinfektionslösung frisch aufgefüllt. Sie schloss alle Türen sorgfältig ab und kontrollierte zuletzt das Stationszimmer. Die beiden Arztzimmer öffnete sie nicht. Zum Schluss setzte sie in der Küche Kaffee auf, bevor sie zurück zu Lisa und Gülcin lief, die auf einem Wagen gerade den letzten Wäschesack abstellten.
»Alles okay, Zimmer sind in Ordnung, Fenster habe ich geschlossen und die Heizung auf zwei. Kaffee ist auch aufgestellt. Betty wollte gern noch eine Kanne haben.«
»Super, wir haben uns auch eine Pause verdient.« Gülcin schnaufte. Ihr Haar klebte an der Stirn. »Ich bin ja auch nicht mehr die Jüngste.«
Lisa lachte. »So wie du arbeitest, Gülcin, kann sich mancher ein Beispiel an dir nehmen. Marie bringst du bitte die Säcke mit dem Fahrstuhl nach unten und stellst sie in die Waschküche. Der Schlüssel müsste passen, ansonsten deponiere sie vor der Tür. Neue Wäsche brauchst du nicht mitzubringen, was wir haben reicht. Aber wir brauchen den Wagen wieder,«
Marie nickte und schob den Wagen mit den Säcken in den Fahrstuhl. Im Keller brannte nur die Notbeleuchtung. Die Tür zur Wäscherei war abgeschlossen. Der Schlüssel klemmte etwas und sie bekam die Tür nur mit Mühe auf. Das Licht flammte von selbst auf. Auf einem Tisch lag frisch zusammengelegte Bettwäsche. Marie rollte die Säcke neben eine der großen Maschinen. Sie fühlte sich beobachtet, doch sie sah keinen Menschen. War die Tür wirklich abgeschlossen gewesen oder nur zugezogen? Sie ließ ihren Blick durch den Raum streifen.
»Hallo? Ist hier jemand?«
Eine Reihe Waschmaschinen und Trockner. Tische, auf denen Wäsche zusammengelegt werden konnte. Sonst nichts.
Sie packte den Wagen und schob ihn aus dem Raum. Das Licht war von allein angegangen, sollte es auch allein wieder verlöschen. Sie rief noch einmal Hallo, bevor sie die Tür von außen verschloss. Bis zum Aufzug musste sie zwei Abzweigungen passieren. Das Schild Pathologie fiel ihr erst jetzt auf. Ob der Schlüssel auch in diese Tür passte? Sie fixierte nervös den leeren Gang, während sie auf den Aufzug wartete. Im ersten Stock stellte sie den Wagen vor das Stationszimmer.
Gülcin zog ihren Kittel aus und holte aus der Küche einen Beutel. »Ich hab Kuchen, für den Kaffee.«
Lisa lachte. »Na dann. Komm mit, Marie, nach dem Kaffee kannst du noch einmal hochgehen. Gülcin und ich schaffen den Rest hier allein. Es sind ja nur noch drei Zimmer.«
Marie nahm sich eine Apfelschorle aus dem Kühlschrank, während ihre Mutter sich und Gülcin den Kaffee einschenkte und gleich neuen aufstellte.
»Besser du bringst zwei Kannen nach oben.« Sie nahm sich ein Sück Kuchen, das sie ihm Stehen aß.
»Behalte den Schlüssel. Wir schließen die Türen ab. Es würde grad noch fehlen, wenn hier jeder durchtrampelt.«
»Ich gehe später noch mit der Bohnermaschine drüber«, kündigte Gülcin an.
»Das machst du nicht. Wir wischen die restlichen Zimmer durch, das langt«, warf Lisa ein.
»Marie, wir fahren um sieben. Also du hast fast eine Stunde.«
Gülcin stopfte Tassen und Teller noch in die kleine Spülmaschine und schaltete sie ein, während Lisa ihre Tochter noch bis zur Eingangstür brachte, die sie dann hinter ihr verschloss. Internistische Station eins und zwei stand außen. Bitte klingeln darunter. Im Flur vor dem Eingang standen ein paar Sessel und ein Automat, aus dem man Süßigkeiten ziehen konnte. Auf der anderen Seite ging es zu den Verwaltungsräumen.
Marie hatte diesen Bereich noch nie so menschenleer erlebt.
Sie nahm die Treppe, um zu Hannah zurückzukehren.
In jeder Hand trug sie eine Thermoskanne. Gerade, als sie die letzte Treppenstufe genommen hatte, eilten zwei Ärzte aus dem OP-Bereich, gegenüber der Intensivstation.
Ein Soldat, der vor der Intensivstation gewartet hatte, sprang auf und folgte den beiden. Die Tür zur Intensivstation stand offen. Marie ging hinein und schaute sich um. Außer dem Piepsen der Überwachungsgeräte war nichts zu hören. Das Bett mit dem alten Mann stand nicht mehr auf dem Flur. Sie stellte die Kannen in der Küche ab und eilte zum hintersten Raum. Hannah lag noch genauso da, wie sie sie verlassen hatte. Ihre Augen waren geschlossen, der Kopfhörer lag neben dem Ohr.
»Hannah? Ich bin wieder da. Alles okay? Ich schau gerade mal nach deinen Wadenwickeln.«
Marie schlug die Decke zur Seite. Die Wickel waren noch am Bein, inzwischen aber nicht mehr kühl. Sie entfernte sie vorsichtig.
»Bitte mach keine mehr«, flüsterte Hannah. Sie hatte die Augen geöffnet. Ihre Pupillen waren riesig, die Sclera gelb verfärbt.
»Bleib bei mir.« Ihre Hand griff nach Maries. »Halt einfach nur meine Hand.«