Читать книгу Zuchthäuslerin Nr. 5553 - Ly van Brackel - Страница 6

III Madame Messimy — Der Flieger — das feige Ministerium — Ich werde Chefarzt — Frankreichs Fürsorge für die Verbündeten — Ein Militärtransport — Mein Afrikaner

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Solange ich vorhatte zu bleiben. war eigentlich kaum eine zweckentsprechende Tätigkeit zu finden gewesen. Ich musste mich mit dem zweifelhaften Ehrenposten in dem noch viel zweifelhafteren Medical-Hotel begnügen, der durchaus nicht auf dem von mir gewünschten Gebiet lag, selbst wenn er ernst zu nehmen gewesen wäre. Natürlich hatte ich sowohl auf dem Kommissariat des Val de Grace als auch auf der Präfektur Mitteilung von den unerhörten Vorgängen gemacht, und da schon sagte mir der erste Sekretär, dass sich wahrscheinlich in der nächsten Zeit etwas Besseres für mich finden würde. Und er hatte recht.

Zuerst kam Madame Messimy, die im Lysée Henri IV. die Vorbereitungen zu ihrem in der Ecole Polytechniqne zu errichtenden Lazarett betrieb. Natürlich, sie schwamm im Fett. Von allen Seiten regnete es Gaben, und bald war bis zu den Filzpantoffeln alles bereit. Nur das Lazarett nicht. Denn in den schmutzigen, von Ungeziefer starrenden Räumen der alten Offizierschule konnten die Verwundeten nicht untergebracht werden. Da ich bis zur Beendigung nicht untätig bleiben wollte, bot man mir den Posten als Leiterin in dem neu zu errichtenden Kinderheim der Generalin Michel an. Da ich dorthin meine Kinder hätte mitnehmen können, willigte ich gern ein.

Doch die mit stürmischer Schnelligkeit heranrückenden „feindlichen“ Truppen machten diesen Plan zunichte.

Paris geriet allmählich in eine solche Aufregung, dass niemand mehr wagte, irgendein Unternehmen anzugreifen, das nicht direkt im Innern des Verteidigungsgürtels zur Verwirklichung gebracht werden konnte. Denn nun sprach man nicht mehr lachend vom Rhein als einer leicht und mühelos zu erreichenden Pferdeschwemme — verteilte nicht mehr das Mobiliar des Berliner Schlosses unter sich, sondern die Gesichter zogen sich in die Länge. Man flüsterte scheuen Auges: „Sie kommen, sie sind schon bald da“ . . . Das stete Zurückweichen des französischen Heer-es löste ein verzweifeltes Zähneknirschen aus, und in wachsendem, zornigem Staunen begann das Volk sich zu fragen: „Wo um alles in der Welt sind denn unsere Soldaten?“ In den Lüften zeigte sich aber dann und wann ein langschweifiger Vogel, der ganz sonderbare schwarze Eier legte. Dieser Segen war unangenehm. Er säte den Tod; aber noch unangenehmer waren die mitheruntergeflatterten Liebesbriefe der deutschen Flieger. „Heute fahre ich über euch weg, nächstens komm’ ich zwischen euch durch, auf Wiedersehen!“

Ja, er fuhr lachend durch die blauen Lüfte des August; seine Taube schimmerte wie Silber; sie schien ordentlich vergnügt-höhnisch zu grinsen über die braven Franzosen, die da unten abteilungsweise ihre Flinten in die Höhe abschossen. Was natürlich keinen anderen Erfolg hatte, als dass die französischen blauen Bohnen auf französische Rasen fielen und Unheil anrichteten.

Und sie rückten immer näher! Mitte August fing man an, die Verteidigungsgürtel der Stadt herzustellen — in aller Eile — es war auch danach. Im Bois de Boulogne waren Tausende von Hammeln, Rindern, Schweinen zusammengetrieben. die blökten, quiekten und grunzten den Parisern ein erfreuliches Konzert vor, und diese großen, vergnügten Kinder rieben sich froh den Magen — „Lass sie nur kommen, die Boches, wir haben zu essen . . . was schert uns der Rest.“

Eines Morgens erwachte ich als wohlbestallter Assistent und zeitweiliger „Chef de Service des Refugiés an der Nordbahn. wo das eigentliche Rote Kreuz noch keinerlei Vorbereitungen zum Empfang der Verwundeten gemacht hatte und mir auch die Sorge oblag für die immer zahlreicher eintreffende Soldateska.

Ich war sprachlos! Am 22. August noch waren wir gezwungen, die Verwundeten auf feuchtem Stroh in der Ecke des Zollraumes zu betten. Ich hatte einen Block mit Blanko-Bons: „Cirque de Paris“ (das Zeichen der Flüchtlingsfürsorge). Darauf schrieb ich meine Einlieferungen für die verschiedenen Spitäler, bis das Rote Kreuz endlich seine Holzbaracke fertig hatte und uns die Fürsorge für die Verwundeten abnahm.

Die Oberin der Roten-Kreuz-Station war die Marquise Castellane! Die sehr unangenehm überrascht schien und wie ein Stachelschweinchen überall Spitzen herauskehrte, als sie mich solide installiert fand, sowohl im Dienst als auch im Wohlwollen unseres militärischen Chefarztes. Es waren harte Tage — böser Dienst! — Binnen einer Woche neunzehn Stunden Schlaf, das war kein Spaß. An Ruhe nicht zu denken, man aß, wie es kam, schlief, wie es kam, in einem leeren Waggon, vor dem man als Wache einen Boy Scout postierte, damit der Wagen nicht mit einem davonfuhr und man in irgendeiner Ecke Frankreichs erwachte. Doch ich scheute die Mühe nicht, sondern suchte meinen Ehrgeiz in vollendeter Pflichterfüllung, die Zeit, die mir blieb, nur meinen Kindern widmend. Es war wenig genug, denn unaufhörlich ergoss sich die Flut von Verwundeten und Flüchtlingen in unsere Ambulanz, und immer mehr ließ ich die letzteren, um mich nur den Tommys zu widmen.

Es galt, in der Umgebung des Bahnhofs die Entwischten aufzuspüren, und zum Bahnhof zurückzubringen, damit sie mit der nächsten Gelegenheit nach England spediert werden konnten. Denn die Leichtverwundeten oder Abgesprengten kniffen natürlich, kaum dass der Zug hielt, schleunigst aus, um sich zu amüsieren. Mit mehr oder weniger gutem Ergebnis. Dem französischen Soldaten oder Unteroffizier gehorchte der Tommy nicht: „Bitte, was du bist, bin ich schon lange . . . einem freien Engländer hat der Franzmann nach lange nichts zu sagen.“ . . . Und am Arm der nächsten hübschen Französin zog Tommy stolz von dannen.

Man fand bald mit Staunen heraus, dass die Leute mir bedingungslos gehorchten. Ich sage mit Staunen! Denn der Franzose, dem die Frau nur Luxus- und Vergnügungsobjekt ist, versteht natürlich die Ehrfurcht nicht, die jeder, auch der niedrigste Engländer dem Weib entgegenbringt. Das ist der Tropfen germanischen Bluts in ihm. Somit hatte ich das zweifelhafte Vergnügen, diese immer mehr oder weniger betrunkenen Söhne Albions zusammenzusuchen. Sobald also derartige Eskapaden bekannt wurden oder das Militärbureau sonst wie in Verlegenheit geriet, ging ein allgetneines Geschrei los: „La Doctoresse — la Doctoresse . . .“ und schon hatten sie mich beim Wickel. Robert Kitchener kannte seine Jungens, darum hatte er angeordnet, dass jeder von den Hinausziehenden einen Zettel in seinem „Affen“ fand, der die Worte trug: „Lieber Junge! Du gehst hinaus, im fremden Lande für die Ehre deiner Heimat zu kämpfen, vergiss nie, dass du deines Königs Rock trägst, dass du deines Landes Ehre in Händen hast, sei tapfer, sei mutig, im Kampf gegen die Männer, den Frauen gegenüber sei ein Gentlemani „But not any further!“ . . . (Aber auch nicht einen Schritt weiter!)

Trotz des „but not any further“ kamen mitunter recht hoffnungslose Fälle vor, dann flüchteten die Ratlosen zu mir. „Was fehlt? . . . . What is the matter my boy?“ (Was hast du denn mein Junge?)

Ach herrjeh! My bov war am Abend vorher mit einem hübschen Mädel losgezogen und hatte seinen Gaul bei einem Händler untergebracht. Am anderen Morgen war das Mädel verschwinden und der Gaul . . . gleichfalls. So was kommt vor.

Dieses ganze Durcheinander wäre natürlich nicht vorgekommen, wenn die französischen Behörden von Anfang an für Ordnung gesorgt hätten, so wie es sich gehörte. Aber da war für gar nichts vorgesorgt. Die Leichtverletzten und Abgesprengten durchzogen Frankreich nach allen Richtungen. Niemand hielt sie an, aber auch niemand half ihnen. Höchstens dass man sie betrunken machte, in üble Abenteuer hineinzog, aus denen sie moralisch und körperlich mehr oder weniger krank herauskamen. Zu Banden zusammengerottet wanderten sie umher und wussten nicht, an wen sich wenden. Die Konsulen schafften sie zur Militärbehörde, diese wieder zuckten die Achseln — sperrte auch wohl einige zusammen in irgendeine Kaserne ein, was sich Tommy selbstredend nicht gefallen ließ und durchbrannte.

Eines Abends kamen acht solcher Ausreißer in Hemd und Hose bei mir an. „Wir sind doch keine Verbrecher!“ sagten sie unmutig, und der eine meinte: „Wenn sie uns schon herüberrufen. dass wir ihnen helfen sollen, dann mögen sie auch für uns sorgen. Wer noch nicht Sonnenbruder ist, der wird es bei diesem Leben . . . Und nachher? Was wird dann? . . . Lohn kriegen wir doch nicht davon, Lohn nicht, aber Hohn!“

Wie sehr gab ich ihm im Innersten recht! Ich konnte nichts anderes machen, als die ganzen sieben aus unserem Vorrat für Flüchtlinge auszustatten, so wunderschön, dass der eine mit leuchtenden Rosen in gelbem Felde und grasgrünen Blättern auf hellblauen Pantoffeln. grauer Soldatenhose, weißer Weste, Cutaway. Strohhut und Spazierstöckchen non dannen zog. Wir haben alle Tränen gelacht. Es war das letzte Mal.

Als ich meine Beschwerde auf das Militärbureau brachte und gegen diese ungeheuerliche Lodderei protestierte, bekam ich nur ein bedauerliches Achselzucken. „Das ist Sache der englischen Verwaltung“, sagte mir Hauptmann Seligfaber — „es sind ihre Soldaten, so soll sie dafür sorgen, dass sie wissen, was sie zu tun haben“.

Die Antwort, die ich auf der Zunge hatte, musste ich mir verkneifen und konnte nur diesen Vorfall in seinen ganzen Einzelheiten sowie die mir erteilte Antwort den englischen Herren, die von Zeit zu Zeit zur Nordbahn kamen, übermitteln. —

Eine Stunde nach diesem Ereignis kam der Transport von englischen Verwundeten, der von großer Bedeutung für mich werden sollte. Unter diesen Verwundeten befand sich ein Ch. S. von dem Regiment „(Queen Mary’s Own“, der war gleich mir in Afrika gewesen und hatte mich erkannt. Ich selbst wurde nicht auf ihn aufmerksam, weil ein bedauernswerter Verwundeter meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.

Dem armen blutjungen Kerlchen war eine Kugel durch den Rücken in den Magen gedrungen, und der Tod stand ihm auf der Stirn.

Mit Mühe rang ich ihm noch einige Worte für seine Eltern ab, denen ich in der Nacht schrieb.

Nach ihm kam ein anderer schwerer Fall daran, zerschmetterte Schulter, Sondierung und Fixierung des Armes, lauter angenehme Dinge, die dem stärksten Mann weiße Lippen machen. Während dieser Zeit waren die anderen von dem übrigen Hilfspersonal abgefertigt und Ch. S. fortgeschafft worden, ohne dass ich ihn bemerkte. Die ganze Nacht hindurch kamen wir nicht zur Ruhe, und kaum dass ich am Morgen einen Kaffee hereingestürzt hatte, lief Befehl vom Militärbureau ein.

Hier erwartete man mich mit Schmerzen. Ich sollte einen Transport von englischen Soldaten an die Front bringen. damit sie ihr Regiment, das angeblich vor Bourget stand, wiederfinden konnten.

Mein Gesicht muss eine absonderliche Sprache geredet haben, denn der Hauptmann wurde verlegen, richtig verlegen, und meinte: „Es tut mir sehr leid, aber wir haben niemand, der diese Leute begleiten könnte, und Sie wissen ja, Ihnen gehorchen sie.

Also so weit war man gekommen, dass eine Frau Militärtransporte ausführen musste und noch dazu an die Front, wo uns ohnehin die deutschen Kanonen seit einigen Stunden Grüße schickten, die durchaus nicht misszuverstehen waren, und die Flieger über unseren Köpfen herumflirrten.

Hauptmann Seligfaber gab mir einen Passierschein folgenden Wortlauts:

„Laissex circuler libre Madame la Doctoresse Booth, autorisée de conduire 16 Soldats anglais à Bourget pour rejoindre leur régiment.

Paris. 22. Août 1914.

Stempel: Ministère de la guerre.“

(Passierschein für Frau Dr. Booth, die den Auftrag hat, 16 englische Soldaten nach Bourget zu ihrem Regiment zurückzubringen.)

Ich nahm meinen Chauffeur beim Arm und zog los, um einige Minuten später im schmutzigen Klinikmantel, eine Binde auf dem Kopf, auf dem Lastautomobil zu thronen. „Mittenmang“ die sechzehn Tonnnys.

Zunächst die Richtung auf Bourget nehmend, ließ ich mir sämtliche sechzehn Namen aufschreiben, um einen Beweis dieses wohl in der gesamten Kriegsgeschichte einzig dastehenden Auftrages zu haben. Ich hatte ja in den letzten Tagen schon viel von unglaublichen Unzulässigkeiten gesehen, oder diese Morgenpromenade war denn doch die Höhe. In Bourget meldete ich mich vorschriftsmäßig beim General der dort lagernden Verteidigungstruppen. Er war in heißer Bedrängnis; wies auf einen Kirchturm, der weit zur linken hinter Bäumen sichtbar wurde, und sagte: „Die Engländer liegen dort bei Louvre, versuchen Sie hinzukommen. Um ein Uhr fährt das Auto des Kriegsministeriums zurück, trachten Sie, um diese Zeit hier zu sein, damit Sie schleunigst wieder in die Stadt hineinkommen.“

Na schön . . . Ich sah mir den Turm zur Linken an, und los ging es die grade Landstraße hinunter. Unter meinen Tommys war ein großes Staunen, als wir die Schützenlinie passiert hatten. Was . . ., die paar Leute wollten Bourget, dieses wichtige Einfallstor von Paris, verteidigen? . . . Sie waren so dünn gesät, dass sie einem einzigen Ansturm weichen mussten. Wir hatten doch gesehen, wie schlecht, wie überaus primitiv die Verteidigungswerke der Stadt waren, so recht im Vertrauen auf die Stärke des vorgelagerten Heeres flüchtig aufgerichtet, und nun war dieses Heer vor uns!

Es sollte noch besser kommen. Wir hatten noch keine fünf Kilometer hinter uns, als meine Tommys luden . . .

„Seien Sie nicht bange“, meinten sie zu mir . . . „wir lassen Ihnen nichts geschehen.“ Ach, wenn sie mir nur hätten ins Herz sehen können! . . . Ich war nicht bange. . . nein! Ich hörte das Donnern der Geschütze und wusste Das sind sie, die Unsrigen . . . ich aber saß hier unter fremden Soldaten, und . . . was half das Grübeln . . .!

Flüchtlinge begegneten uns, Frauen mit Kindern in dem Kinderwagen, die letzte Habe mit sich führend . . . Ordonnanzen jagten an uns vorüber . . . weiter ging es! Da plötzlich änderte sich das Bild! Aus dem Gelände zur Rechten brachen französische Truppen heraus, Infanteristen . . . Artilleristen . . . berittene Truppen . . . mitten darin die „Dames de France“ . . . Im hellsten Durcheinander zogen sie dahin. Das war kein Rückzug . . . Das war Flucht! Flucht in des Wortes schmachvollster Bedeutung. Man rief uns zu, umzukehren, doch ich ließ meine Tommys tun, was sie wollten; ich hatte keine Furcht.

Aber da, wo der Weg nach Louvre links abschwenkt und rechts das Kampfgelände lag — da ging es nicht weiter . . . hier mussten wir halten . . . Demitour . . . Zurück! Ein kleiner Hauptmann mit blassem, wutverzerrtem, staubbedecktem Gesicht näherte sich mir: „Seigneur! . . . Was heißt denn das? Wir müssen zurück, die Truppen weichen? . . . Wissen Sie nichts?“ Ne, ich wusste auch nichts . . . und sagte es ihm. dass ich es ebenso wenig versichern könne. . . . „Sacré nom de Dien“ . . . fluchte er und ballte die Faust so fest um die Zügel, dass der abgetriebene Gaul einen entsetzten Sprung machte . . . „Ich auch nicht . . . die Boches sind uns auf den Hacken . . . anstatt Front zu machen, weichen wir . . . warum?. . . warum . . . que c’est lâche!!“ (Wie feige ist das!)


Frau Dr. Booth im Kreise ihrer englischen Pfleglinge



Ein englischer Freundschaftsbeweis (Übersetzung im Text)

Er tat mir leid, wie er da so mutlos in seiner ohnmächtigen Entrüstung neben mir ritt. Langsam, zögernd nur wandten mir uns nach Bourget zurück. Auf der Höhe blitzten schon die Waffen der nun ebenfalls zurückweichenden Engländer auf und meine Tommys wollten nicht mit. Die Kampflust packte sie. Ich musste zuletzt streng werden. „Kinder, es hat doch keinen Zweck! Ich versteh euch ja so gut, aber wenn ich euch hier laufen lasse und es passiert etwas, kann es böse für mich ausfallen . . . ich muss eine Bescheinigung haben, wo und wie ich euch verließ“ . . . Das sahen sie denn auch ein, und so fuhren wir nach Bourget zurück. Dem General standen die Haare zu Berge: „Madame, machen Sie, dass Sie wegkommen, die Schlacht kann jeden Augenblick losgehen!“ Eins, zwei, drei saß ich im Auto des Kriegsministeriums zwischen dem Dolmetscher der beiden Heerführer, Hauptmann der Jäger zu Pferde Marquis de Castellane und einem Feldartilleristen. Hui, weg sausten wir nach Paris. Das war mein Verhängnis. Ich war gezwungen, Englisch zu sprechen, und so sehr ich mich auch beherrschte, ein leiser fremder Akzent ließ sich nicht verbergen und sollte böse Folgen bringen.

Als ich nach kurzem Schlaf wieder auf der Nordbahn ankam, rief man mich zum Militärlazarett ab. Ch. S. ließ mir sagen, er habe mich erkannt, ich möchte ihn besuchen, er sei ganz verzweifelt! Natürlich ging ich sofort. Da waren sie nun alle zusammen, dir an jenem Abend mit den beiden Schwerverwundeten eingeliefert waren. Mein besonderes Schmerzenskind, der Hüne mit der zerrissenen Schulter, heulte beinahe vor Freude, und der kleine Ch. S. hätte am liebsten mit den Beinen getrampelt . . . wenn ihn . . . die Kugel nicht daran gehindert hätte.

„Sie wollen es mir nicht glauben“, klagte er, „ich fühle es ganz genau, es sitzt noch eine Kugel drin“ . . und dann erzählte er mir die Geschichte des Überfalls, bei dem sie alle verwundet worden waren, und die den armen Hodge, den Kleinen mit der Kugel im Magen, das junge Leben gekostet hatte. Bei Compiègne war es gewesen. Sie hatten in Ruhe gelagert und an nichts Böses gedacht. Da plötzlich war es zwischen sie gesaust, unwiderstehlich, lähmend, vernichtend, und von der stolzcn Eskadron der „Queen Mary‘s Own“ blieben nur vierzig Mann übrig . . . verwundet . . . der Rest war zusammengehauen von . . . den Franzosen. die sich in der Uniform getäuscht und die Verwundeten für Deutsche gehalten hatten! So wie mir S. die Lage beschrieb, und bei dem unglaublichen undisziplinierten Draufgehen der ersten französischen Armee war diese Niedermetzelung sehr wahrscheinlich.

Da lag nun der arme S. in dem sogenannten Militärspital, das wieder klipp und klar von dem völligen Versagen des Roten Kreuzes Kunde gab. Die Säle schmutzig, über Gebühr vollgepfropft, die Verwundeten just gelegt, wie sie kamen. Ich musste mir einen Oberwärter fangen, um mir meine Tommys in den verschiedenen Häusern und Sälen zusammenzusuchen. Überall Klagen und Klagen! Die Pfleger unaufmerksam, wovon ich mich leider mehr als zur Genüge überzeugen konnte . . . das Essen mangelhaft und unsauber. . . . Aber das alles wäre nach zu ertragen gewesen, wenn nicht die . . . Wanzen allzu eifrige Besucher gewesen wären. . . .

Kurzum, mein kleiner S. hatte vollkommen recht, wenn er sagte: „Das sollen nun Freunde sein? . . . Schlechter könnten wir es bei den Germans auch nicht haben.“

Doch ich tröstete ihn damit, dass die französischen Verwundeten ja nicht besser behandelt würden — nicht einmal die Offiziere, die zu fünfen in einem viereinhalb Meter breiten, zehn Meter langen Raum zusammengepfercht waren, der eigentlich nur als Durchgang diente.

Wie sagte Dumas Fils „Prévoyance (Voraussicht?) Wir wären keine Franzosen, wenn wir Prévoyance hätten!“ Man kann es hanebüchenen Leichtsinn nennen!

Zuchthäuslerin Nr. 5553

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