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(1) Der Weg in den Widerstand gegen den Nationalsozialismus

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Wie viele andere Menschen, vor allem die Jugend, verband Delp mit den Ereignissen von 1933 eine große Hoffnung auf die Erneuerung des Landes in allen Bereichen, woran sich – gemäß seiner ursprünglichen Meinung – auch die Christenheit hätte beteiligen sollen.28 Er gehörte nicht zu denen, die schon am Beginn der Machtergreifung Hitlers, dessen Ansichten seit Jahren bekannt waren, Gründe zur Beunruhigung sahen.29 Was Delp hingegen auffiel, war die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation, wie er im Brief an seine Mutter vom 16. November 1933 schreibt.30

Die anfängliche Aufbruchsstimmung sollte Delp zum Mitmachen verleiten. Als Erzieher im Jesuitenkolleg in St. Blasien begrüßte er 1934 die Einführung der Hitlerjugend im Gymnasium, welche für ihn mit der Hoffnung verbunden war, die dem Führer anvertraute Jugend christlich prägen zu können.31 Gern widmete er sich paramilitärischen Übungen – ebenso wie sein philosophischer Opponent, der vom Soldatenethos begeisterte Rektor Heidegger, der im Oktober desselben Jahres ein „Wissenschaftslager“ in Todtnauberg für die Universitätsdozenten organisierte.32 Wären die Wissenschaftler, die das Lager von Freiburg aus mittels eines Fußmarsches erreichten, noch einen Tag in Süd-Richtung weitermarschiert, hätten sie sich mit den Hitlerjugendeinheiten von St. Blasien in gemeinsamen Manövern verbinden können.

Im Jahr 1935 plante Delp, ein Buch mit dem Titel Der Aufbau herauszugeben, das noch einige positive Entwicklungen des Aufbruchs von 1933 unterstreichen wollte.33 Totalitäre Akzente der neuen Macht sollte Der Aufbau zwar durchaus verurteilen, wertvolle Elementen des Nationalsozialismus aber aufnehmen und ausbauen; das Projekt wurde jedoch schnell aufgegeben.34 Aus heutiger Perspektive heraus ist die Beurteilung dieser Unternehmung eindeutig, und Karl Rahner, ein Vertreter derselben Generation, schrieb mit Recht, Delp möge 1935 die „Bedeutsamkeit und Kraft des ‚Neuaufbruchs‘, den die damalige Zeit proklamiert hat“, überschätzt haben, aber endlich sei seine Positionierung gegenüber dem System unbeirrter und deutlicher als bei manchen katholischen Theologen ausgefallen, „die in der Anfangszeit des Nazismus in seiner Ideologie noch möglichst viel Annehmbares zu entdecken versuchten“35.

Es gab in Delps Einstellung dem Nationalsozialismus gegenüber eine Übergangsphase zwischen Mitläufertum und Gegnerschaft, die sich aber mit einer einfachen Distanzierung nicht angemessen beschreiben lässt. Delp konstatierte zwar die Möglichkeit einer Gefahr, als er 1936 schrieb:

Einmal werden wir darauf achten müssen, daß diese neu entdeckte Kraftquelle nicht auch wieder übersteigert und absolut gesetzt wird36,

er war aber nicht imstande, diese näher zu bestimmen. Angesichts der Verhaftungen mancher Jesuiten durch die Nationalsozialisten wurde ihm aber klar, wie gefährlich auch seine eigene Situation war.37 Im Juni 1939 unternahm er einen Versuch, ein weiteres Studium an der Universität München zu beginnen. Im Brief an den Universitätsdekan, in dem er um die Immatrikulations- und Promotionserlaubnis bat, bediente er sich der obligatorischen Ausdrucksweise mit Redewendungen wie „ich bin arischer Abstammung“ und dem Gruß „Heil Hitler“, unterstrich aber zugleich sein Distanz zur Politik.38

Ein paar Monate später, im September 1939, wurde ihm die Einsetzung an der Front als Wehrmachtsseelsorger verweigert.39 Die Teilnahme am Krieg, der mit dem Angriff auf Polen am 1. September 1939 begann, verstand Delp als seine Bürgerpflicht: „[D]ie Anliegen und Sorgen meines Volkes [sind mir] immer eine ernste Pflicht.“40 Letztendlich sind sie ihm gar mehr als eine Pflicht, sind vielmehr eine Leidenschaft: Delp träumte von einem Einsatz im Krieg. Angesicht des in Polen begonnenen totalen Kriegs Hitlers klingen seine pathetischen Worte abstoßend, wenn er zu einem Freund an der Front schreibt:

Eigentlich beneide ich Dich; denn bei Euch an der Front wächst doch die kommende Generation, die das Schicksal meistern und wenden wird. Die den Krieg, auch diesen Krieg in seiner eigenartigen Gestalt, meistern und physisch und psychisch überdauern, vor denen wollen wir uns neigen und ihr Wort erst nehmen, weil es aus einem bewährten Leben gesprochen wird41.

Delp, der übrigens in diesem Jahr über „die Friedenskomödie von Versailles“42 schreibt, scheint den Krieg dadurch zu legitimieren und versteht sich zunächst als Deutschen und erst dann als Christ. Sein Kampfeswille gegen das ja überwiegend katholische Polen zeigt eine Übernahme der herrschenden Überzeugung; die allgemeine Meinung der deutschen Bischöfe lautete, dass „in dieser entscheidungsvollen Stunde“ die katholischen Soldaten „in Gehorsam gegen den Führer, opferwillig, unter Hingabe ihrer ganzen Persönlichkeit ihre Pflicht“ tun sollten.43 Sie interpretierten den Krieg durchaus nicht unähnlich der Erklärung Hitlers, und zwar durch die Kategorie religiöser Hingabe. Eine Teilnahme am Krieg wurde fast in den Rang des christlichen Martyriums erhoben.44

Der äußerst fragwürdige, 1940 in den Stimmen der Zeit geschriebene Artikel Der Krieg als geistige Leistung45, weist darauf hin, dass Delp – das zukünftige Opfer der Nationalsozialisten – die Situation noch mit den verkehrten „theologischen“ Kategorien dachte. Der Krieg als geistige Leistung war ein unkritischer Versuch der Versöhnung von Tatsachen, die nicht versöhnt werden konnten. Mit zwar guten Absichten manövrierte Delp zwischen den Problemen – der Pflicht zu Gott, zum Vaterland und zum Menschen selbst – und versuchte noch den alten Bund der Kirche mit dem Staat zu retten. Aus der Lektüre des Artikels konnte der Leser nur den praktischen Schluss ziehen, er müsse der Macht des kriegführenden Staates gegenüber gehorsam bleiben.46 Im Vergleich mit der wahnsinnigen, ja tierischen Ekstase, mit welcher Ernst Jünger in seinem erfolgreichen Buch Der Kampf als inneres Erlebnis den Krieg beschrieb,47 war Delp zwar weitaus zurückhaltender und vorsichtiger; er missbilligt den „sinnlosen Waffenlärm und [die] brutalen Toten“48; Distanz zeigt er aber auch dem Evangelium gegenüber, das die von ihm vorgeschlagene Idee eines geistigen Meisterns des Krieges nirgendwo erwähnt.49 Um auch dem Krieg „keinen falschen Glanz und keine falsche Würde“50 zu geben, musste Delp ihn erst in seiner Realität erfahren, musste Todesanzeigen lesen, Wunden sehen51 und durch Trümmer gehen52.

Neben „Krieg“ wollte Delp auch andere Begriffe, die schon fest zum Vokabular der Nationalsozialisten gehörten, wie etwa „Volk“ oder „Heimat“, mit christlichem Inhalt prägen. Mit dieser Absicht verfasste er zwei andere Texte: Heimat und Das Volk als Ordnungswirklichkeit. In diesen wird seine Distanzierung von der nationalsozialistischen Ideologie schon etwas deutlicher.53 Den Begriff der Heimat bezieht er letztendlich auf Gott54 und er betont eindeutig die Freiheit jedes Volkes, die von keiner staatlichen Ordnung und von keinem anderen Volk verletzt werden darf.55

Dass sich der Jesuit nun zwischen Mitläufertum und Gegnerschaft befand, konstatierte auch der Chef der Gestapo in München:

Eine offene gegnerische Haltung dem Nationalsozialismus gegenüber konnte bisher nicht festgestellt werden … Ein positiver Einsatz Delps für den Nationalsozialismus kann nie erwartet werden.56

Eine wichtige Rolle spielte dabei Delps Überzeugung,

die gleichzeitige Bindung in die Ordnung von Staat und Kirche [sei] für den Christen eine naturhafte Notwendigkeit.57

Es musste einige Zeit vergehen, damit Delp darüber Klarheit erlangen konnte, dass die Stellung gegenüber dem Nationalsozialismus eine Entweder-oder-Wahl war. Im April 1941 beschlagnahmte die Gestapo das Redaktionsgebäude von Stimmen der Zeit,58 zwei Monate später wurde Delps Antrag auf Aufnahme in die Reichschrifttumskammer abgelehnt. Das bedeutete das Aus für seine Tätigkeit als Schriftsteller im Dritten Reich. Der Jesuit war aber noch in der Lage, seinen Text Der Mensch und die Geschichte, in dem es keinen Raum mehr für irgendein „Meistern“ der nationalsozialistischen Wirklichkeit gibt, 1943 in Colmar zu veröffentlichen.59 Andere Texte, etwa Das Rätsel der Geschichte, Die Welt als Lebensraum des Menschen und Der Mensch vor sich selbst, wurden erst nach dem Krieg aus seinem Nachlass veröffentlicht.60

Nach dem Verlust der legalen Publikationsmöglichkeiten lenkte Delp seine ganze Energie auf das gesprochene Wort, das für den totalitären Staat nicht so angreifbar war wie das geschriebene. Im Predigen und Vortragen fand er einen Tätigkeitsraum, in dem er sich relativ frei aussprechen konnte.61 Auffällig ist die philosophische Intensität seiner Reden, die einen parallelen Inhalt zu Büchern aufweisen, die er damals las, schrieb und noch schreiben wollte.62 Als Prediger hatte Delp schon einige Erfahrungen gesammelt. Während des Theologiestudiums hatte er 1935 in der Zeitschrift Chrysologus eine Reihe von Predigten für die „Katholische Aktion des Mannes“ publiziert, in welchen er sich mit dem modernen Weltverständnis auseinandersetzte.63 Ein Jahr später veröffentlichte er die schon erwähnte Auseinandersetzung mit der Ideologie der Deutschen Glaubensbewegung.

Im Frühjahr 1941 begann Delp eine Tätigkeit in der überdiözesanen Hauptarbeitsstelle für „Männerarbeit und Männerseelsorge“ in Fulda, die ihm Gelegenheit zu zahlreichen Vorträgen gab.64 Seit Juni 1941 übte er die Funktion des Kirchenrektors in St. Georgen in München-Bogenhausen aus. Seine Beurteilung der gesellschaftlich-politischen Wirklichkeit wurde immer eindeutiger – er sprach über die Zerstörung des abendländischen Menschen,65 über die Nacht, in die das ganze Volk und mit ihm der ganze Kontinent ging66 sowie über eine allgemeine Grausamkeit des Lebens67. Die Verantwortung für jene Heimsuchung lastete Delp nicht Gott an; vielmehr wurde ihm immer klarer, dass

die Grausamkeit, die heute die Erde schlägt, zunächst in [den menschlichen] Herzen zu Hause war und von da her den ganzen Kosmos ergriff68.

Seine philosophischen Überzeugungen ließen ihn nicht in der reinen Immanenz der Welt untergehen: Er fragte über den Mensch und das Materielle hinaus und suchte nach dem Transzendenten. Aus seiner theologischen Perspektive heraus gab es keinen Platz für einen anderen Herrn als den Gott der Offenbarung. Als das schlechthinnige Symbol des nationalsozialistischen Deutschlands konnten für Delp die marschierenden Kolonnen der Menschen gelten, die auf ihre Freiheit zugunsten des Kollektivs verzichteten. Dem Befehl „Im Gleichschritt, marsch!“ wird sich Delp aber nie unterordnen.

Freiheit als Hingabe an Gott

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