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Einleitung

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Dass dem Menschen Freiheit zukommt und zukommen soll, ist ein elementarer Bestandteil des abendländischen Denkens unserer Zeit. Jedoch bereitet dieses in Jahrhunderten anstrengender Kulturprozesse und stürmischer Wandlungen gewonnene Freiheitsbewusstsein dem Menschen ernste Schwierigkeiten, insofern die dynamische und vielfältige Wirklichkeit der Freiheit sich letztendlich einem eindeutigen und geschlossenen Begriff entzieht. Weitere Schwierigkeiten ergeben sich auch aus der Praxis, in welcher der Mensch gerade durch den Vollzug der Freiheit dieselbe immer neu erkämpfen muss und sich dabei unentwegt als fremden Mächten ausgeliefert erfährt. So entscheidet sich der Mensch oft auch gegen die Freiheit, beispielsweise wenn ihr Preis zu hoch ist oder er nicht weiß, wie er die schon vorhandene Freiheit leben soll.

Diese Ambivalenz im Denken und Vollziehen der Freiheit war in bestimmten Epochen noch stärker, als der Lauf der Geschichte einer unüberwindbaren Macht glich und den Menschen gegen seinen Willen mitriss. Eindrücklich zeigte sich dies in den letzten einhundert Jahren, als die Totalitarismen den Anspruch erhoben, sich des ganzen Menschen bemächtigen zu dürfen. Infolgedessen erwies sich damals – und erweist sich auch heute – die Freiheit keineswegs als selbstverständlich.

Diese Situation provoziert Fragen. Geht man einmal grundsätzlich davon aus, dass Freiheit möglich ist: Wie muss dann diese Freiheit innerhalb der leiblichen, geschichtlichen und sozialen Beschränkungen, in denen sie sich findet, gedacht werden, damit aus dieser Denkmöglichkeit wirklicher Vollzug werden kann? Birgt diese Freiheit, wenn sie vor dem Hintergrund der Philosophie der Moderne als formale Selbstbestimmung des Menschen verstanden wird, genügend Sinnpotenzial in sich, um sich auch geschichtlich in immer schon vorgegebenen Kontexten verwirklichen zu können?

Diese Frage nach der Freiheit versuchte der Mensch immer wieder in den Religionen zu beantworten. Der Gottesbezug jedoch variiert die Problemstellung: Lassen sich Gott und die Freiheit zusammen denken? Ist Gott ein Hindernis für den Vollzug der Freiheit, welches es zu beseitigen gilt? Spielt er zuletzt keine Rolle für das Nachdenken über und den Vollzug der Freiheit? Oder ist es vielmehr so, dass Gott als Bedingung der Möglichkeit für jegliches Denken von Freiheit und ihre volle Verwirklichung notwendig ist?

Im Christentum sind die Gottesfrage und die Freiheitsfrage von Anfang an miteinander verbunden. Das Bild des sich als geschichtsmächtiger Befreier offenbarenden Gottes entwirft schon das Alte Testament. Der Mensch wird dabei als sein Ebenbild begriffen. Das Neue Testament verkündet in der Person Jesu Christi die Gottesherrschaft der Wahrheit, die frei macht; in den paulinischen Briefen wird bereits eine erste Theologie der Freiheit von der Sünde, vom Tod und vom Gesetz, zu der Christus den Menschen befreit, entwickelt.1

Aufgrund dieses dem Wesen des Christentums eingeschriebenen Freiheitspotenzials unternahm die Patristik in der Spätantike die Verteidigung der menschlichen Willensfreiheit.2 Im Mittelalter griff das christliche Denken die antike Freiheitsreflexion auf. Der Thomismus führt sie vor allem in seiner ‚Metaphysik der Freiheit‘ weiter, die die Theologie sowie die Philosophie bis zur Neuscholastik und über sie hinaus prägte. In der Tradition dieses Denkens wird die Freiheit theonom konzipiert. Gott ist der Schöpfer der Freiheit, die er immer schon auf sich selbst als ultimus finis des Menschen hingeordnet hat.3 Dieses theonome Freiheitsverständnis ist jedoch nicht als Gegensatz zur Autonomie zu sehen, sondern verhält sich vielmehr korrelativ zu ihr.4 Zwar wurde die Begrenztheit der Freiheit deutlich herausgestellt, doch versuchte man zugleich, den Menschen als freien Partner Gottes zu verstehen. Das Freiheitspotenzial des Evangeliums musste insofern immer neu entdeckt werden.

Nachdem der mittelalterliche ordo mit seinen festen Bezugspunkten auseinanderfiel, trat an die Stelle des bonum und des verum als objektiver Normen, an denen sich auch die Freiheit zu orientieren hatte, das neuzeitliche Prinzip der Subjektivität. Die Freiheit wird mehr und mehr als Autonomie verstanden, d.h. als die Eigenschaft des vernünftigen Menschen, sich selbst das Gesetz zu geben, dem er sich in seiner Freiheit unterstellt. Sie bildet jedoch keine völlig willkürliche Selbstbestimmung, vielmehr Selbstgesetzgebung der Vernunft. Nach Kant handelt es sich dabei nicht um Subjektivismus, sondern um den Ausdruck einer objektiven Vernunftwirklichkeit, an der jeder Mensch als Vernunftwesen partizipiert und die zugleich verstanden werden kann als praktisches Postulat, dessen Geltung als Einheit von Sittlichkeit und Glückseligkeit göttlich verbürgt ist.5 Autonomie und Theonomie gelten mithin auch hier nicht als gegensätzlich, der Widerspruch zur Autonomie besteht vielmehr in der Heteronomie; die Theonomie muss nicht als eine solche verstanden werden.6

Im Laufe der Neuzeit setzte sich dann ein antithetisches Verständnis des Zusammenhanges von Theonomie und Autonomie durch.7 Die Ansicht, dass die Freiheit nur als eine Emanzipation aus dem Gottesverhältnis vollzogen werden könne, verbreitete sich im 19. Jahrhundert vor allem durch atheistische Denker wie Feuerbach, Marx und Nietzsche.8

Seit Nietzsches Rede vom Tod Gottes schien die Frage nach Gott und der Freiheit erledigt zu sein. Das Emanzipationsstreben der Neuzeit verlor seine Dynamik und der Mensch der Moderne befand sich nun in der scheinbar „stabilen“ Lage des nihilistischen, ziel- und orientierungslosen Denkens,9 in der sich der Mensch, wie Sartre überzeugt gewesen ist, zur Freiheit verdammt erfährt, weil ihm seine Freiheitsbegabung längst zur fragwürdigen Last geworden ist.10 Diese hier in groben Zügen skizzierte geistesgeschichtliche Lage bildet den Kontext unserer Untersuchung.

Die Theologie wird durch diese Entwicklung stark herausgefordert.11 Die Überzeugung von der Unversöhnbarkeit des neuzeitlichen Freiheitsverständnisses mit dem Gottesglauben bzw. die Überzeugung von der Entbehrlichkeit des Gottesverhältnisses für das moderne Freiheitsverständnis bleibt eines der größten Hindernisse, die zwischen dem Menschen und dem christlichen Gott stehen. Nicht nur diese theoretischen Probleme wie etwa der Existenz Gottes, der Offenbarung und der Vernünftigkeit des Glaubens, sondern auch deren existenzielle Komponenten – lässt die Hingabe an Gott Raum für Freiheit? –, hinterfragen den Gottesglauben. Darum muss der Theologie gerade die Freiheit immer ein wesentliches Anliegen bleiben.12 Die Fundamentaltheologie weiß sich dieser Aufgabe in besonderer Weise verpflichtet, da sie sich im Dialog mit dem zeitgenössischen, philosophischen Denken um die vernunftgemäße Rechenschaft des Glaubens bemüht.13

Die oben gezeichnete Problematik der Möglichkeit der Freiheit in der Welt sowie des Verständnisses der Freiheit an sich und der Bedeutung des Gottesverhältnisses im Kontext der modernen Zeit spiegelt sich im Denken des deutschen Jesuiten Alfred Delp (1907–1945) wider. Sein Ansatz bringt zwar keine wesentliche Neuerung in die Freiheitsproblematik ein, exemplifiziert diese jedoch in hervorragender Weise. Verwurzelt in der christlich geprägten Philosophie und zugleich im ständigen Dialog mit der Gegenwart, einer der ersten Interpreten und Opponenten Martin Heideggers innerhalb der katholischen Theologie, thematisiert er die Vielschichtigkeit der Freiheitsfrage in ihren philosophischen und theologischen Perspektiven. Als er aufgrund seines Widerstands innerhalb des Kreisauer Kreises gegen die nationalsozialistische Diktatur verhaftet und zum Tode verurteilt wird, gehört er gerade in diesem Zustand größter Unfreiheit zu denen, die die Freiheit nicht bloß denken, sondern sie mühsam erkämpfen und leben. Gefangen und auf seine Hinrichtung wartend erreicht er, wie Roman Bleistein es formuliert, „eine einsame Höhe christlicher Souveränität“14.

Delp versteht seine Epoche als eine Schwelle, er erkennt, dass in seiner Zeit etwas Neues in die Geschichte eingetreten ist, das aber eine negative Größe bildet. Im Denken Heideggers und in der Existenz der von ihm geprägten „versunkene[n] Generation“ habe sich die Neuzeit vollendet;15 die Geschichte sei damit zusammengebrochen.16 Zwar spricht er nicht explizit von der Moderne, doch ist diese der Gegenstand seiner – und mithin auch unserer – Auseinandersetzung.17

Ursprünglich war die Freiheit kein Schwerpunkt von Delps philosophisch-theologischen Bemühungen, obgleich er sie auch immer wieder thematisierte, vor allem im Zusammenhang mit seinem Interesse an den Fragen nach dem Menschen und der Geschichte.18 Zunächst galt sein Interesse der Kritik an bestimmten neuzeitlichen Freiheitsphänomenen, in denen er Fehlformen der Freiheit erkannte. Sein eigenes Freiheitsverständnis entwickelte sich dann erst später ausführlicher und am Ende seines Lebens, in den Monaten seiner Gefangenschaft, stellt er seine theologischen und philosophischen Betrachtungen endgültig in den Horizont der Freiheit. So wird die Freiheit wird zum Schlüssel- und Schlussbegriff seines Denkens. In der Lage äußerster Unfreiheit bringt er die Notwendigkeit sowie die Bedeutung der Freiheit unmittelbar zum Ausdruck und bindet sie eng an das Menschsein: „Der Mensch muß frei sein. Als Sklave, in Kette und Fessel, in Kerker und Haft verkümmert er.“19 Mit Bitterkeit konstatiert er, dass der Mensch auf seine Freiheit ungezwungen verzichtet:

Das Schlimme ist, daß der Mensch sich an die Unfreiheit gewöhnt und selbst die ödeste und tödlichste Sklaverei sich als Freiheit aufreden läßt.20

Alles, auch seine eigene Freiheit, will Delp von Gott her verstehen. In den teils gar mystischen Meditationen,21 die er zum Ende seines Lebens verfasst, ist es sein Anliegen, den christlichen Glauben als einen wirklichen Weg zur Gestaltung des Lebens vorzustellen. Daher rührt sein Ruf zur entschiedenen und tatkräftigen Freiheit; daher rührt auch sein kritisches Urteil gegenüber der Fundamentaltheologie, deren klare Schlüsse die heutigen Menschen überdrüssig seien, insofern sie sich in ihrer Abstraktheit für die je konkrete Existenz als belanglos erweisen.22

Delp hat sein Denken niemals in einem systematischen Gesamtzusammenhang entfaltet. Es ist „mehr ein Denken im Vollzug als fertiger Gedanke“23. Daher sind seine Aussagen nicht selten unscharf geblieben. Im Mittelpunkt seines philosophischen Interesses steht zunächst die faktische philosophische Vorgeschichte in der Neuzeit, das tatsächliche Humanum und dessen Katastrophe. Wenn er über Kant oder Kierkegaard, teilsweise auch Heidegger spricht, betont er, dass er auf die Rezeption, nicht aber auf die ursprüngliche Intention des philosophischen Ansatzes achtet. In seinen Schriften zeigt sich die Überzeugung, dass er die Behandlung der Vorgeschichte für notwendig erachtet. In seinen systematischen Betrachtungen – als solche kann lediglich die Auseinandersetzung mit Heidegger gelten – kommt eine prinzipielle Kritik am neuzeitlichen Subjekt- und Freiheitsdenken zur Sprache. Noch nicht ganz scharf zeigen sich auch die theologischen Aussagen Delps. Beim Gottesbegriff und dessen Erkenntnis geht er von den philosophischen Voraussetzungen der Neuscholastik aus, die er nicht hinterfragt; zugleich findet er wachsenden Gefallen im personalistischen Sprechen von Gott und betont die aus der Christus-Offenbarung erschlossene Gotteserkenntnis.

Schwierigkeiten verschafft auch die Tatsache, dass manche Texte Delps in den Kriegswirren verlorengegangen sind, darunter auch das Manuskript Dritte Idee, welches sich soziologischen Fragen widmete. Andere wurden unter den Bedingungen der staatlichen Zensur geschrieben. Einige dieser letztgenannten Schriften lassen Delps Sympathie für wenige Gedanken der nationalsozialistischen Ideologie erkennen – so etwa sein Text Der Krieg als eine geistige Leistung aus dem Jahr 1940.24 Außerdem wurden manche Reden oder Predigten nicht auf Papier festgehalten. Einige der uns erhaltenen Schriften sind überdies von ihm nur wenig gründlich bearbeitet worden. Neben originellen Ideen gibt es deswegen auch vielerlei unfertige Gedanken.25 Der Grund dafür zeigt sich in den Worten seiner Meditation von Weihnachten 1944. In der Gefängniszelle schreibt er: „Es fehlt mir die Zeit. Der Mann mit den Eisen klirrt schon auf dem Gang. Außerdem habe ich kein Papier mehr.“26

Delps erste Veröffentlichung stellt die Auseinandersetzung mit Martin Heideggers Hauptwerk Sein und Zeit dar,27 die er unter dem Titel Tragische Existenz im Jahr 1935 veröffentlichte.28 Als weiteres ist – neben einigen Aufsätzen – zu seinen Lebzeiten nur noch Der Mensch und die Geschichte29 im Jahr 1943 in Colmar erschienen. Ein Teil seines Nachlasses wurde schon kurz nach dem Krieg publiziert, als Paul Bolkovac 1947 eine Trilogie der Schriften herauszugeben begann.30

In den Jahren 1982–1988 wurde Delps erhaltenes Werk als Gesammelte Schriften in fünf Bänden von Roman Bleistein herausgegeben. Diese Publikation liegt unserer Untersuchung zugrunde. Sie umfassen zuerst die geistlichen Schriften, darunter Delps Auseinandersetzung mit der pseudoreligiösen Ideologie der Deutschen Glaubensbewegung sowie seine Meditationen über das christliche Menschen- und Weltverständnis und die Betrachtungen des jesuitischen Charismas. Von entscheidender Bedeutung für unsere Arbeit ist der zweite Band der Schriften Delps, nämlich dessen philosophische Texte, vor allem Tragische Existenz und die die Problematik des Menschen in der Geschichte ansprechenden Texte. Nachdem Delp auf Grund der Entscheidung des nationalsozialistischen Regimes jegliche Veröffentlichungsmöglichkeit verlor, gewann sein gesprochenes Wort an Bedeutung. Diese Predigten und Ansprachen finden sich im nächsten Band der Gesammelten Schriften, in welchem der für die Entwicklung seines Freiheitsverständnisses bedeutsame Briefwechsel mit Karl Thieme ebenfalls publiziert wurde. Nach den philosophischen Schriften haben zunächst die im vierten Band publizierten Gefängnisschriften, d. i. Briefe, Notizen, Meditationen, Reflexionen über die Zukunft und zuletzt Texte zum Prozess vor dem Volksgerichtshof, einige Relevanz für sein Freiheitsdenken. Der letzte Band beinhaltet seine Briefe und Buchrezensionen, in denen sich Delps theologische und philosophische Präferenzen widerspiegeln.

Die sich aus seinen Schriften ergebenden Ideen müssen – in Ermangelung eines vollständigen Systementwurfs – genügen, um sein Denken zu begreifen. Dies betrifft notwendigerweise auch sein Freiheitsverständnis. Zwar gibt es Texte wie der gerade erwähnte Der Mensch und die Geschichte, wo die Frage nach der Freiheit große Beachtung findet, oder die im Gefängnis geschriebene Meditation zum dritten Adventssonntag, die eigentlich sein ganzes Freiheitsverständnis zusammenfasst,31 aber letztlich bleiben seine Freiheitsaussagen fragmentarisch und verstreut über eine Vielzahl von Schriften.

Einige wenige Werke über Alfred Delp liegen bereits vor. Unter den uns interessierenden Arbeiten zu Delps philosophischem Werk erwähnen wir an erster Stelle das Buch von Richard Schaeffler. Dessen 1978 veröffentlichte Frömmigkeit des Denkens? Martin Heidegger und die katholische Theologie bezieht sich nicht allein und vornehmlich auf Delp, sondern betrachtet das Verhältnis der katholischen Theologie zum Denken Heideggers überhaupt. Die dem Verfasser von Tragische Existenz gewidmeten Passagen spielen aber für uns eine wichtige Rolle. Sie würdigen nämlich Delp entgegen der ‚Katholischen Heideggerschule‘ als philosophisch ernst zu nehmenden Interpreten.32

Die erste Monographie, die ausschließlich dem Denken Delps gewidmet ist, wurde von Karl H. Neufeld 1983 vorgelegt. In Geschichte und Mensch. A. Delps Idee der Geschichte. Ihr Werden und ihre Grundzüge zeichnet Neufeld ein breites Panorama des Curriculums, welches Delp durchlief, berichtet ausführlich von dessen Lehrern und Einflüssen. Im Kontext der Erörterung von Delps Standpunkt hinsichtlich der Probleme der Geschichte und des Menschen kommt auch das Thema der Freiheit zur Sprache. Als eine theologische Auseinandersetzung mit Delp und dem Freiheitsbegriff ist die Arbeit von Andreas Schaller, Lass dich los zu deinem Gott. Eine theologische Studie zur Anthropologie von Alfred Delp SJ (2012) zu erwähnen. Ein noch stärkeres Echo fand Delps soziologisches Denken in den Studien von Michael Pope, P. Alfred Delp SJ im Kreisauer Kreis. Die Rechts- und sozialphilosophischen Grundlagen in seinen Konzeptionen für eine Neuordnung Deutschlands (1994) und Petro Müller, Sozialethik für ein neues Deutschland. Die „Dritte Idee“ Alfred Delps – ethische Impulse zur Reform der Gesellschaft (1994). Gut dokumentiert ist das Leben Delps besonders in der Biographie von Roman Bleistein, Alfred Delp. Geschichte eines Zeugen (1989).33 Größere Beachtung fand Delps Engagement gegen den Nationalsozialismus innerhalb des Kreisauer Kreises.34 Außerdem liegen viele populärwissenschaftliche Schriften vor,35 die sein Denken und Leben einem breiteren Leserkreis nahebringen wollen.

Insbesondere zu Delps Freiheitsverständnis findet sich allerdings noch keine Untersuchung. Vieles ist bezüglich seiner Auseinandersetzung mit Heideggers Sein und Zeit nach wie vor unaufgearbeitet.36 Mit unserer Studie zur Frage nach Delps Freiheitsverständnis versuchen wir, dieses Desiderat zu erfüllen.

Die vorliegende Arbeit bietet also eine Rekonstruktion des Delp’schen Freiheitsverständnisses und ist demgemäß zuallererst als historische Studie zu verstehen. Freilich muss sie dazu auch systematische Züge annehmen, weshalb sie die teils von Delp selbst nicht mehr vollendeten Entwürfe und Gedanken ergänzen und weiterführen muss.

Vorab jedoch sind die für unser Thema wichtigsten Entwicklungen im Leben Delps biographisch zu skizzieren, insofern sie für dessen Werk einen wichtigen hermeneutischen Hintergrund darstellen. Wir fragen nach dem Denken, das ihn während des Studiums prägte, und suchen nach den Ereignissen, die sein Freiheitsverständnis gestalteten. Die folgenden drei Bezugspunkte werden für das Verständnis der Delp’schen Freiheitshermeneutik bestimmend sein: Zunächst (1.) untersuchen wir die sich um die Gottesfrage konzentrierenden Auseinandersetzungen mit Heidegger und der nationalistisch geprägten Deutschen Glaubensbewegung, dann (2.) fragen wir nach Delps Verhältnis zur Ideologie des Nationalsozialismus. Schließlich (3.) richten wir unseren Blick auf die letzten Monate von der Verurteilung bis zur Hinrichtung Delps, jene so kurze und dabei dem Denken überaus fruchtbare Zeit.

Die weitere Struktur der vorliegenden Untersuchung drängt sich nach der Lektüre von Delps Schriften geradezu auf. Delp sieht die zwei möglichen Wege der Entwicklung der Freiheit: (1.) in der Immanenz oder (2.) im Verhältnis zu einem transzendenten Du, das der absolute Gott ist. Wir werden uns daher im zweiten Kapitel mit der rein immanent gedeuteten Freiheit auseinandersetzen, um im Anschluss daran im dritten Kapitel seine Sicht auf die Freiheit innerhalb des Gottesglaubens zu thematisieren.

In diesem zweiten Hauptteil der Arbeit werden wir außerdem Delps Kritik am Freiheitsdenken der Neuzeit rekonstruieren. Die Auseinandersetzung mit Heideggers Sein und Zeit spielt hierfür eine wesentliche Rolle, weshalb dieses Werk Heideggers in den thematisch relevanten Grundzügen zunächst dargestellt werden muss. Eine wichtige Aufgabe wird dann sein, Delps von der primären Intention von Sein und Zeit abweichende Sicht herauszuarbeiten und auf seinem damaligen Hintergrund nachvollziehbar zu machen. Vor dem Hintergrund der neuzeitlichen Philosophie, vor allem in Bezug auf Heidegger und eine sich von seinem Denken ableitende Weltanschauung des tragischen Heroismus, fragen wir nach den Wesenszügen der von Delp kritisierten Art der Autonomie. Die Frage, wie eine so verstandene Freiheit sich in der Geschichte vollziehen kann, werden wir mit Delps eigenen Beobachtungen beantworten. Der Jesuit konstatiert nämlich ein Phänomen der Selbstverneinung der Freiheit und legt es philosophisch aus. Diese Feststellung bildet zugleich den Schwerpunkt seiner Kritik an der nationalsozialistisch orientierten Gesellschaft.

Im dritten Hauptteil rekonstruieren wir zuletzt Delps eigenes Freiheitsdenken. Dieses wird von ihm einerseits als eine Reaktion auf die Krise des sich an seinem Ende befindenden neuzeitlichen Autonomieverständnisses begriffen, anderseits versteht er seinen Freiheitsentwurf als ein Vermächtnis christlicher Tradition. Wir werden mit Delp (1.) ein Fundament der Freiheit im Sich-selbst-transzendieren-Können des menschlichen Geistes ausfindig machen, (2.) werden die Welt im Sinne einer vorgegebenen Ordnung, die eine absolute Freiheit ausschließt, eine bedingte Freiheit hingegen zulässt, als den eigentlichen Ort des Freiheitsereignisses darstellen. Im Kern der Arbeit steht die Frage, warum Delp die Selbstverwirklichung des menschlichen Wesens, welche für ihn allein in Gott in umfassender Weise gelingen kann, als das Ziel der Freiheit begreift. Dies bedingt, dass weniger die menschliche Freiheit sowie das freie Wirken Gottes in der Geschichte an sich angefragt sind, sondern vor allem und zuletzt das Zusammenspiel beider Größen betrachtet wird. Letztendlich versuchen wir mit Delp zu zeigen, wie diese Freiheit in der konkreten Existenz gelebt werden kann. Diese Explikation der Kernfrage wird wesentlich auf zwei Begriffen des Delp’schen Denkens ruhen, die in ihrer Einfachheit eine ihnen eigene Tiefe haben: Anbetung und Hingabe.

1 Vgl. ECKERT, Freiheit: 99–100. Siehe auch SCHLIER, Zur Freiheit berufen: 216–233.

2 Vgl. WARNACH, Freiheit: 1064–1083.

3 Vgl. OEING-HANHOFF, Zur thomistischen Freiheitslehre: 274–276. Vgl. auch PESCH, Freiheit: 1083–1088.

4 Vgl. KASPER, Autonomie und Theonomie: 22f.

5 Vgl. KANT, Kritik der praktischen Vernunft: 30–33,124–132.

6 Vgl. AUER, Autonome Moral und christlicher Glaube: 205–236.

7 Vgl. KASPER, Autonomie und Theonomie: 23–31.

8 Vgl. SPAEMANN, Freiheit: 1088–1098.

9 Vgl. HEIDEGGER, Beiträge zur Philosophie: 138–141.

10 Vgl. SARTRE, Das Sein und das Nichts: 764.

11 Vgl. PRÖPPER, Freiheit: 100–105.

12 Vgl. PRÖPPER, Freiheit als philosophisches Prinzip der theologischen Hermeneutik: 15.

13 Vgl. SECKLER, Fundamentaltheologie: 351–357.

14 BLEISTEIN, Lebensbild Delps: 41. Die Werke Delps werden wir im Folgenden nach den 1982–1988 in fünf Bänden erschienenen, von Roman Bleistein herausgegebenen Gesammelten Schriften unter Angabe des Titels, des Veröffentlichungsdatums und des jeweiligen Bandes mit der entsprechenden Seitenzahl angeben.

15 Vgl. DELP, Tragische Existenz: II,126, ebd.: 131f. Siehe auch ders., Der kranke Held (in: Stimmen der Zeit, 1939): II,205.

16 Vgl. ders., Das gegenwärtige Weltverständnis (Vortrag, 21. November 1942): I, 289. An der Schwelle einer neuen Epoche wird das Denken Delps auch von Thomas Merton erörtert, der im Oktober 1962 in der Einleitung zur englischsprächigen Ausgabe der Gefängnisschriften schreibt: „Fr. Delp reminds us that somewhere in the last fifty years we have crossed a mysterious limit set by Providence and have entered a new era … there has been a violent disruption of society and a radical overthrow of that modern world which goes back to Charlemagne”, siehe MERTON, Introduction: xxi–xxii.

17 Vgl. PIEPMEIER, Die Moderne: 54–62.

18 Bleistein erwähnt als die vier Hauptthemen Delps: der zwischen Transzendenz und Immanenz lebende Mensch; die Welt der sozialen Gerechtigkeit, in der der Mensch als Person leben könne; der Mensch gewordene Gott Jesus Christus; die Kirche als Sakrament. Siehe BLEISTEIN, Geschichte eines Zeugen: 430–433.

19 Vgl. DELP, Epiphanie (Gefängnismeditation, Januar 1945): IV,216.

20 Vgl. ebd.: 217.

21 Thomas Merton bezeichnet die Gefängnisreflexionen Delps als mystisch und betont zugleich ihre Verbundenheit mit der alltäglichen Existenz des Menschen: „Fr. Delp was at the same time profoundly mystical and wide open to the broadest ideals of Christian humanism. It was by the gift of mystical intuition that he not only found himself in God but also situated himself perfectly in God’s order and man’s society”, siehe MERTON, Introduction: xxxviii, vgl. auch xli.

22 Vgl. ders., Das Schicksal der Kirchen (Gefängnisreflexion, 1944/45): IV,318.

23 Vgl. NEUFELD, Einleitung zu den Texten: 15.

24 DELP, Der Krieg als geistige Leistung (in: Stimmen der Zeit, 1940): II,239–248.

25 Vgl. NEUFELD, Einleitung zu den Texten: 11,20,33.

26 Vgl. DELP, Gestalten der Weihnacht (Gefängnismeditation, Dezember 1944): IV,213.

27 Im Folgenden SZ mit Angabe der Seitenzahl.

28 DELP, Tragische Existenz: II,39–147.

29 Ders., Der Mensch und die Geschichte (1943): II,349–429.

30 Ders., Im Angesicht des Todes (1947), Zur Erde entschlossen (1949), Der mächtige Gott (1949).

31 Vgl. ders., Dritter Adventssonntag (Gefängnismeditation, Dezember 1944): IV,161–176.

32 Vgl. SCHAEFFLER, Heidegger und die katholische Theologie: besonders 48–54.

33 Vgl. BLEISTEIN, Begegnung mit Delp. Siehe auch die persönlichen Erinnerungen von Delps Freund, MATZKER, Begegnung und Erfahrung mit Alfred Delp.

34 Siehe BLEISTEIN (Hg.), Dossier Kreisauer Kreis (1987), ders., Die Jesuiten im Kreisauer Kreis. Ihre Bedeutung für den Gesamtwiderstand gegen den Nationalsozialismus (1990), FUCHS (Hg.), Glaube als Widerstandskraft (1986), NEUFELD, Katholik und Widerstand (1985). Siehe auch MERTON, Introduction: xxi–xlii.

35 Vgl. LÜCK, Alfred Delp (1984), SALTIN, Durchkreuztes Leben (2004), HAUB/SCHREIBER, Held gegen Hitler (2005), FELDMANN, Leben gegen den Strom (2006), ENDRAß, Gemeinsam gegen Hitler (2007), SCHULTE (Hg.), Delp. Programm und Leitbild für heute (2007), HAUB, Beten und Glauben (2007), LEHMANN/KISSENER, Das letzte Wort haben die Zeugen (2007). Im Auftrag der Alfred-Delp-Gesellschaft von Mannheim wird seit 2007 von R. ALBERT, R. HARTUNG und G. SALTIN ein Alfred-Delp-Jahrbuch herausgegeben, das die Erforschung des Lebens und des Denkens des Jesuiten zu fördern und sein Werk in dessen aktueller Relevanz zu erschließen versucht.

36 Vgl. SALTIN, Biographische Ergänzungen und Forschungsdesiderata: 114.

Freiheit als Hingabe an Gott

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