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Kapitel 6

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Ich lese eine Mail nach der anderen. Beantworte Anfrage um Anfrage. Mr. Linkin habe ich vor ein paar Minuten zurückgerufen und eine Reservierung von zwei Nächten entgegengenommen. Mr. und Mrs. Franklin, die laut ihrer Nachricht gut nach Hause gekommen sind, haben mir eine reizende Mail geschickt. Darin haben sie von meiner und Everlys Gastfreundschaft und von unserem Service geschwärmt. In einer Antwort habe ich sie darum gebeten, ihre Worte auf meiner Website publizieren zu dürfen. Solche Feedbacks wie die ihre sind gute Werbung. Mal sehen, was sie mir zurückschreiben.

Gerade als ich das Internet öffnen will, drückt vorne jemand auf die Glocke. Wahrscheinlich sind es meine neuen Gäste. Schnell schließe ich den Laptop und gehe in den Flur, wo mich ein junges Paar erwartet.

»Sie müssen Mrs. Wayne und Mr. Stone sein. Willkommen im Blue House Inn«, begrüße ich die beiden. »Haben Sie gut hergefunden?« Ich schätze sie in meinem Alter.

»Mit dem Navi war das überhaupt kein Problem«, antwortet mir der Mann.

»Wir sind schon durch die Main Street geschlendert«, meint Mrs. Wayne. »Schön haben Sie’s hier. Die Bilder auf ihrer Homepage haben nicht gelogen.«

Ich lache herzlich. »Danke. Dann gehört das weiße Auto also Ihnen?«

»Der Honda? Ja.«

Somit wäre die Frage nach dem SUV, den ich vorhin noch niemandem zuordnen konnte, auch schon geklärt.

Die Neuankömmlinge wirken erschöpft. »Ich gebe Ihnen doch gleich den Schlüssel und zeige Ihnen das Zimmer. Das Check-in können wir noch später erledigen.« Ich hole den Schlüssel vom Brett und zeige der Frau mit den megalangen, blonden Haaren und dem Mann mit Glatze zur Treppe. Im ersten Stock bleibe ich bei der zweiten Tür stehen und schließe sie auf. »Hier, ihr Reich für die nächsten drei Tage.« Mit einer Handbewegung umfasse ich den Raum. Ich gehe weiter ins Badezimmer und mache Licht, wo ich einen Kontrollblick hineinwerfe, ehe ich mich meinen Gästen zuwende. »Frühstück gibt es von halb acht bis zehn Uhr. Die Haustür ist oft verschlossen. Also bitte immer den Schlüssel mitnehmen, wenn sie aus dem Haus gehen. Alle nötigen Informationen sowie meine Handynummer finden Sie in der Informationsmappe auf der Kommode.«

Ich werfe einen kurzen Blick zum antiken Möbelstück. Ein Gedanke flitzt durch meinen Kopf, doch ich unterdrücke ihn schnell. Es ist besser so.

»Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt.«

»Danke.«

»Werden wir haben.«

Die Urlauber lächeln sich verliebt an.

Als ich in den Flur trete, ziehe ich leise die Tür hinter mir zu und gehe nach unten. In der Küche lege ich die Unterlagen bereit, die mir Mrs. Wayne und Mr. Stone noch ausfüllen müssen. Gerade als ich nach draußen die Wäsche reinholen will, summt mein Handy in der hinteren Hosentasche.

»Hey, Em. Was gibt’s?«

»Lust auf Gesellschaft heute Abend?«, fragt mich Emily auf der anderen Seite der Leitung.

»Immer. Kommst du zu mir?«

»Ich bring Wein mit.«

»Aber dieses Mal einen Besseren. Der letzte war katastrophal. Von dem war mir am nächsten Morgen noch schlecht.«

»He, etwas netter, bitte.«

Ich grinse. »Liebe Emily Rose Thompson dieses Mal einen feinen Rotwein, bitte. Gut so?«

»Ach, ich dich auch«, schnaubt Emily, doch ich kann das Lachen in ihrer Stimme hören. »Kommt eventuell Kyle oder Evan noch vorbei?«

»Heute Abend?«

Ein Seufzen geht durch die Leitung. »Nö, im nächsten Jahrhundert. Natürlich heute Abend.«

»Werd nicht frech.«

»Und?«, fragt Em, ohne auf meine Zurechtweisung einzugehen.

Zwar kann sie mich nicht sehen, trotzdem rolle ich mit den Augen. »Also echt, Em. Dass du auf einen meiner Brüder abfährst, ist ja schon schlimm, aber gleich auf zwei ... das ist widerlich.«

»Nein, sie sind heiß. Und irgendwie muss ich mich ja von Matt ablenken.«

»Bin ich ganz deiner Meinung, was das Ablenken betrifft. Aber doch nicht mit meinen Brüdern. Außerdem ... Evan war am Mittag schon hier. Das reicht für heute.«

»Ist etwas passiert?«, fragt Emily alarmiert.

Ich setze mich auf die Verandastufe und stütze den Kopf in die Hände. »Er hat das mit Dylan herausgefunden.«

»Oh, oh.«

»Ja, das kannst du laut sagen. Er hat mir die Hölle heiß gemacht.«

»Hast du etwas anderes erwartet?«

»Nein. Trotzdem ...«

»Was, trotzdem?«, bohrt Em nach, als ich nicht weiterrede.

Ich streiche mir die Haare hinter die Ohren, lasse mir mit der Antwort ein wenig Zeit. »Warum müssen alle so auf ihm herumhacken.«

»Auf Dylan?«

»Ja, auf wem denn sonst?«, entgegne ich etwas genervt.

Emily räuspert sich. »Kannst du es ihm verübeln?«

»Ja und nein.« Ich wechsle das Telefon von einer Hand in die andere. »Wir kennen ihn doch gar nicht. Sollten wir ihm nicht eine Chance geben? Ist es nicht unfair, ihn zu verurteilen, obwohl wir ihn nicht kennen?«

Ich höre Emily tief Luft schnappen. »Dich hat es ja voll erwischt.«

»Warum? Weil ich ihn in Schutz nehme?«

»Wahrscheinlich.«

Ich reibe mir die Augen. »Ich weiß nicht, was es ist, was ich für ihn empfinde. Vielleicht sollte ich mich von ihm durchvögeln lassen, damit der Druck zwischen meinen Beinen nachlässt. Und wenn ich Glück habe, verpuffen ja meine Gefühle für ihn.«

»Was?!« Em prustet voller Lautstärke los.

Entsetzt schlage ich mir die Hand an die Stirn. »Habe ich das jetzt wirklich laut ausgesprochen?«

»So was von.«

Ich bin mir sicher, sie nickt eifrig und tupft sich Lachtränen weg. Von meiner besten Freundin, die sich im Moment bestimmt kugelt vor Lachen, kann ich wohl in den nächsten Sekunden keine Antwort erwarten. Auch wenn ich es nicht lustig finde, muss ich ebenfalls grinsen.

»Cee?«, fragt mich Emily, nachdem sie sich wieder beruhigt hat. »Ich weiß nicht, ob ich deine Idee gut oder absolut bescheuert finden soll.«

»Ich auch nicht. Wahrscheinlich bin ich gar nicht sein Typ.«

»Wie kommst du darauf?«

»Nur so ein Gefühl.«

»Schwachsinn. Hat er etwas gesagt oder getan?«

Mir stiehlt sich das Treffen von heute Morgen vor mein inneres Auge. Ich sehe Dylan, wie er ruckartig seine Hand weggezogen hat, als sich unsere Finger berührt haben.

Ich bin hübsch, aber keine wahre Schönheit. Und solche Typen wie Sawyer stehen bestimmt auf makellose, schlanke Frauenkörper. So wie die auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt.

»Ich glaube, er mag es nicht, wenn ich ihm zu nahe komme.«

»Wie das? Warte ...« Ich weiß, dass Em in diesem Augenblick einen Finger in die Höhe hält und die Brauen zusammenzieht. Das macht sie immer, wenn ihr etwas durch den Kopf geht und sie versucht den Gedanken zu fassen. »Hast du ihn etwa schon wieder getroffen?«

»Er hat mich gefragt, ob ich mir seine Arbeit ansehen will.«

»Das hast du dir natürlich nicht entgehen lassen.«

Ich zucke mit den Schultern, obwohl Emily mich nicht sehen kann. »Warum sollte ich?«

»Weil er irgendwie schräg ist?«

»Ich finde ihn interessant. Allerdings ... Er hat mich nach kurzer Zeit rausgeworfen.«

»Wie bitte?«

»Er hatte plötzlich keine Lust mehr auf meine Gesellschaft. Ich wüsste gern warum.«

»Das heißt, du lässt ihm das einfach so durchgehen?«

Wieder zucke ich mit den Schultern. »Mag sein.«

Als ich Schritte höre, hebe ich den Kopf und sehe meinen Singelgast über die Wiese kommen. »Bis nachher, okay? Ich muss mich um Miguel kümmern.«

»Miguel? Wer ist denn das nun wieder?«

»Er übernachtet im Blue House Inn

»Ist er heiß? Wie sieht er aus?«

Ich muss mir ein Lachen verkneifen. »Groß, schlank, blonde Haare, blaue Augen. Nicht von schlechten Eltern.«

»Lass dich doch von ihm durchnudeln. Der kann dich bestimmt auch auf andere Gedanken bringen. Weg von einem gewissen Sawyer.«

»Geht’s noch?«

»War nur so ein Vorschlag.«

»Du weißt ganz genau, dass ich nichts mit meinen Gästen anfange. Und jetzt lege ich auf.«

Ich erhebe mich und schiebe mein Handy in die Hose zurück. In dem Moment kommt Miguel auf die Veranda.

»Hallo Miguel.«

»Hey Cécile. Ein schöner Tag heute, nicht?«

Ich nicke.

Miguel ist zwei Jahre jünger als ich – gleich alt wie mein Bruder Chase. Aber Miguel erscheint mir gesetzter als mein Brüderchen. Vielleicht liegt es daran, dass Miguel kaum lächelt. Dennoch ist er nett und interessiert sich für verschiedenste Dinge.

»Und was hast du dir heute angesehen?«

»Ich war in der Kunstgalerie und habe mir ein paar Souvenirs in der Main Street gekauft. Danach habe ich im Hometown Diner einen Burger verdrückt. So, wie du es empfohlen hast.«

»Und, hat er geschmeckt?«

Miguel bildet mit drei Fingern einen Kreis und küsst deren Fingerspitzen. »Exquisit.«

Ich lächle. »Ich werde es Dan weiterleiten. Morgen geht es also weiter?«

»Ja, mein nächster Stopp ist in Delaware.«

»Hast du schon Pläne da?«

»Ich muss unbedingt durch den Park mit den wilden Pferden fahren. Stimmt es, dass die Pferde frei herumlaufen? Auch zwischen den Badegästen am Strand?«

»Absolut. Ich kann dir versichern, das ist kein Fake. Du wirst Augen machen, glaub mir. So«, seufze ich und sehe zur Wäsche rüber, »ich muss weitermachen.«

»Es war echt schön hier. Wer weiß, vielleicht komme ich mal wieder.«

»Würde mich freuen.« Ich wende den Blick ab, als mir Miguel etwas zu lange in die Augen sieht. Er ist hübsch - kein Thema -, aber nicht mein Typ und obendrein mein Gast. »Genieß deinen letzten Abend in Little Pearl.«

Miguel fährt sich durch den blonden Wuschelkopf. Wahrscheinlich sucht er nach Worten, um mich zu fragen, ob ich den Abend mit ihm verbringen will. Es wäre nicht das erste und bestimmt nicht das letzte Mal, wo ich einem meiner Kunden eine Abfuhr erteilen müsste.

Ehe es peinlich werden kann, gehe ich zur Wäscheleine, um die trockenen Bettbezüge abzunehmen. Als ich höre, dass die Fliegengittertür geht, atme ich erleichtert aus.

Meine heutige Arbeit ist erledigt. Ich habe noch etwas Zeit, bis Emily auftaucht, weshalb ich jetzt meine Badesachen einpacke, um meinem Hobby nachzugehen: Ein paar Bahnen schwimmen. Ich liebe es eine Länge nach der anderen kraulend zurückzulegen. Durchs Wasser zu gleiten, während meine Arme und Beine in gleichmäßigem Rhythmus in Bewegung sind. Zum Schluss versuche ich immer, meinen Rekord im Tauchen zu brechen. Einunddreißig Meter ist meine Bestleistung.

Seit Dads Unfall gehen wir oft zusammen schwimmen. Doch heute möchte ich mich kurz auspowern. Außerdem habe ich Angst, ich könnte mich verraten, ich könnte ihm von Dylan erzählen. Dad hat so etwas wie einen sechsten Sinn. Und da ich schon den ganzen Tag an einen gewissen Restaurator denken muss, ist es besser, ich gehe allein.

Mit meiner vollen Tasche sause ich nach draußen und steige in mein Auto. Schon nach kurzer Fahrt bin ich beim Hallenbad. Es ist ziemlich voll und jede Bahn besetzt. Das ist immer so. Das und dass das Wasser anfangs kalt ist, sind für mich die einzigen Nachteile in diesem Sport. Schnell ziehe ich mich um, fasse meine Haare zusammen und binde sie zu einem Knoten.

Die ersten zwei Bahnen bringe ich in gemütlichem Brustschwimmen hinter mich, um mich aufzuwärmen. Danach wechsle ich ab zwischen Kraul-, Rücken- und Brustschwimmen. Ab und zu versuche ich den Schmetterling. Aber auch nach Jahren üben, ist er für mich nach wie vor die schwierigste und kräftezehrendste Schwimmtechnik.

Zwei Kilometer und ein Tauchgang von dreißig Metern später steige ich aus dem Becken. Ich bin erschöpft, aber zufrieden mit meiner Leistung, und wie sich meine Muskeln anfühlen.

Nach einer kurzen Dusche steige ich in mein Auto und mache mich auf den Heimweg. Als ich mich einer bestimmten Abzweigung nähere, beginnt mein Puls zu rasen und mein Hirn zu arbeiten. Ich zähle schnell die Pro- gegen die Kontrapunkte auf und schon setze ich den Blinker. Auch wenn viel mehr dagegen- statt dafürspricht, zu Dylan zu fahren.

Gerade als ich abbiegen will, erscheinen weit hinten Scheinwerfer. Erschrocken, als würde ich etwas Verbotenes tun wollen, steuere ich auf die rechte Fahrspur zurück und fahre mit wild pochendem Herzen nach Hause.

Zuhause parke ich meinen Toyota auf dem Parkplatz vor dem Blue House Inn. Ich gehe in meinen Bungalow, um meine Tasche zu leeren, die nassen Sachen aufzuhängen und meine Nerven zu beruhigen, ehe Emily auftaucht. Weil das nicht so einfach ist, gehe ich nochmals rüber ins B&B und sehe nach dem Rechten. Vielleicht braucht ja jemand meine Hilfe.

Ständig verdrehe ich die Augen, weil ich so nah dran war eine große Dummheit zu machen. Nicht nur wegen meiner Familie, Dylan hat mir am Morgen deutlich zu verstehen gegeben, dass er mich nicht mehr sehen will, bis er meinen Kasten fertig hat. Das muss ich akzeptieren, auch wenn es mir schwerfällt.

Seufzend laufe ich über den schmalen Weg. Im Esszimmer brennt Licht und als ich durch die Tür gehe, höre ich mehrere Stimmen und ausgelassenes Gelächter. Neugierig laufe ich zum Durchgang. Vier meiner Gäste sitzen an einem Tisch und spielen Karten.

»Guten Abend«, begrüße ich sie freundlich und trete an ihren Tisch. »Wie ich sehe, spielen Sie Hearts.«

»Wollen Sie mitmachen?«, fragt mich eine der beiden Damen.

Ich muss kurz überlegen, wie ihr Name ist, bis mein Blick auf die weißen Haare ihres Mannes fällt, die eine gute Eselsbrücke bilden. »Nein danke, Mrs. White. Ich wollte mich nur versichern, dass alles in Ordnung ist. Wollen Sie vielleicht ein Glas Wein? Ich hätte im Keller eine feine Flasche Merlot«, sage ich, als ich ihre leeren Wassergläser sehe. »Oder lieber ein Bier?«

»Sie müssen uns doch nicht bewirten«, meint Mrs. White.

Als ich in die glitzernden Augen der Männer sehe, lächle ich und sage: »Ich bin gleich zurück.«

In der Küche entkorke ich den Rotwein und stelle ihn mit vier Weingläsern auf ein Tablett. Aus einem Hängeschrank hole ich Chips und salzige Erdnüsse und fülle beides in kleine Glasschalen ab.

Ich führe ein Bed and Breakfast und das Bewirten am Abend gehört in Normalfall nicht zu meinem Service. Aber ich möchte, dass sich meine Gäste wohlfühlen und das Blue House Inn in guter Erinnerung behalten.

Mit meinem befüllten Servierbrett kehre ich zu meinen Gästen zurück, stelle es auf den Tisch neben ihnen und schenke in die vier Gläser Wein ein. »Wahrscheinlich ist er noch etwas kühl. Wenn Sie ihn ein wenig stehenlassen, wird er bestimmt bald wunderbar schmecken.« Danach stelle ich ihnen noch die Glasschalen mit den Knabbereien hin und verabschiede mich von ihnen. Nicht ohne vorher in ihre strahlenden Gesichter zu sehen und ihr Dankeschön entgegenzunehmen.

Ich öffne gerade meine Haustür, als ich einen Motor aufheulen höre. Ruckartig drehe ich mich nach dem Lärm um und sehe gerade noch Rücklichter eines großen Autos, ehe es hinter der nächsten Biegung verschwindet.

Noch bevor ich mir einbilden kann, es könnte Dylan gewesen sein, taucht Emily auf und parkt ihren Wagen hinter meinem Toyota.

»Hast du etwa erst jetzt Feierabend gemacht?«, fragt sie mich, als sie bei mir ist.

Ich bitte meine Freundin herein und schließe ab. »Nein, ich war nur noch mal schnell drüben, um nach dem Rechten zu sehen.«

»Und, alles in Ordnung?«

»Alles bestens. Zwei ältere Ehepaare spielen Karten und ich habe Ihnen eine Flasche Wein gebracht.«

Em zwinkert plötzlich mit den Augen und betrachtet mich mit einem frechen Grinsen.

»Hast du etwas im Auge?«, erkundige ich mich, weil ich aus ihrem Zwinkern nicht schlau werde.

»Und bei Manuel auch alles in Ordnung?«

Ich ziehe meine Brauen hoch. »Meinst du vielleicht Miguel?«

Sie schnippt mit den Fingern, bevor sie auf mich zeigt. »Ja, genau der. Und?«

Etwas genervt gehe ich in die Küche. Em folgt mir. »Ich fange nichts mit meinen Gästen an. Wie oft muss ich dir das denn noch erklären? Außerdem ist er nicht mein Typ.«

»Ich wollte mich nur erkundigen, ob du vielleicht unterdessen einen anderen Kerl vergessen hast.«

Abermals seufze ich. »Nee, ich ... ich war ... Ach vergiss es. Hast du Wein mitgebracht?«

Sie zaubert eine Flasche hervor und stellt sie vor mich auf den Tisch. »Wenn ich gewusst hätte, dass du drüben deine Gäste bewirtest, hätte ich mir nicht extra die Mühe gemacht, um noch in den Supermarkt zu flitzen«, witzelt sie, geht zu den Schränken und nimmt zwei Gläser heraus, während ich den Korkenzieher aus einer Schublade hole.

Ich hebe den Kopf vom Korken, weil ich Ems durchdringenden Blick auf mir spüre. »Was?«

»Ich habe Dylan im Walmart gesehen. Er ist kurz vor mir vom Parkplatz und in diese Richtung gefahren.«

»Bist du ihm etwa gefolgt?«, frage ich mit riesigen Augen.

»Indirekt.«

»Aber?« Ich weiß, dass sie mir etwas verheimlicht.

Sie grübelt, ich sehe es an ihrem Gesichtsausdruck. Wahrscheinlich überlegt sie, was sie mir sagen soll. Das hätte sie vorher überlegen sollen. Bevor sie damit begonnen hat, dass sie Dylan gesehen hat.

»Es herrschte zwar eine relativ große Distanz zwischen uns, trotzdem bin ich mir ziemlich sicher, dass er vor deinem Haus eine Pause eingelegt hat.«

Ich lege mir eine Hand auf die Brust und spüre mein Herz, wie es mit einem Mal schneller schlägt. »Du meinst ... er ist ...« Ich gerate ins Stammeln.

»Er hat dich beobachtet.«

Das müsste mich verschrecken und mir Angst einjagen. Ich kenne Dylan nicht und wegen all den Gerüchten, die über ihn kursieren, sollte ich zweimal nachsehen, ob meine Tür verschlossen ist. Aber so ist es nicht. Der Gedanke, dass er ein Auge auf mich geworfen hat ... freut mich und lässt meine Mundwinkel nach oben ziehen.

Mag er mich vielleicht doch? Bedeute ich ihm sogar etwas?

»Dir ist echt nicht mehr zu helfen«, reißt mich Emily aus meinen Überlegungen und nimmt mir die geöffnete Weinflasche ab, um uns beiden einzuschenken.

»Ich weiß gar nicht, was du hast«, sage ich mit Unschuldsmiene, nehme mein Glas und gehe ins Wohnzimmer. Kaum sinke ich in die Polster der Couch, probiere ich den Wein.

»Du bist so verknallt, dass du gar nicht mehr richtig sehen kannst.«

»Dieses Thema hatten wir doch schon.« Ich nehme einen weiteren Schluck. »Übrigens«, sage ich auf den Wein deutend, »gute Wahl.«

»Der war sauteuer, also gieß ihn nicht runter, als wäre er Wasser«, erklärt mir Em, die sich neben mich gesetzt und ein Bein untergeschlagen hat. Sie hebt das Glas und nimmt selbst einen tiefen Zug.

»Sagt die Richtige.«

»Ich habe ihn bezahlt, ich darf das.«

Ich proste ihr zu. »Merk ich mir.«

»Und jetzt zurück zu Sawyer«, meint Em ernst. »Pass auf dich auf. Wir kennen ihn nicht und dass er vorhin vor deinem Haus gestanden hat, ist irgendwie unheimlich.«

Seit Matthew sie geschlagen hat, ist Emily allen Männern gegenüber skeptisch. Außer vielleicht meinen Brüdern.

»Dylan mag etwas ungehobelt sein, dennoch bin ich mir sicher, dass er immer noch besser ist als dein Ex. Das fühle ich.«

»Manchmal lassen die Gefühle einen blind werden. Ich kann ein Lied davon singen.« Ems Blick ist auf ihre Hände gerichtet, in der sie ihr Glas hält. Die plötzliche Anspannung und Traurigkeit in ihrer Stimme, brechen mir beinahe das Herz. »Es gab so viele Anzeichen, die mich vor Matt gewarnt hätten, hätte ich sie richtig gedeutet. Aber ich wollte nicht hinsehen und es nicht wahrhaben. Bis es dann zu spät war.« Sie hebt ihren Kopf, um mich anzusehen. »Ich möchte nicht, dass dir dasselbe passiert.«

»Ach, Süße.« Ich stelle mein Glas auf den Couchtisch, der aus einfachem hellen Holz besteht und lege meiner Freundin die Arme um die Schultern. »Ich werde vorsichtig sein. In Ordnung?«

»Das weiß ich«, murmelt sie in mein Haar, »und trotzdem habe ich immer wieder den Drang, dich zu warnen.«

Für einen Moment sitzen wir da, halten uns umarmt und wiegen uns sanft hin und her. Nach und nach kommt meine lebensfrohe Freundin zurück.

Emily schnuppert an meinem Haar. »Warst du schwimmen?«

»Ja, ich musste ein paar Bahnen machen.«

»Ist John mitgekommen?«

»Heute nicht. Dad macht am Samstag wieder bei einem Rennen mit.«

»Wow, schon wieder?«

»Ja. Anscheinend braucht er die vielen Wettkämpfe, um mit seiner Behinderung klarzukommen.«

»Ich bewundere deinen Vater, ehrlich. Ich wüsste nicht, was ich tun würde, wenn ich in seiner Lage wäre.«

»Ich auch nicht. Glaub mir, ich auch nicht.« Ich greife nach meinem Glas.

Bevor ich einen Schluck nehmen kann, streckt Em ihr Glas in die Luft, um einen Toast auszusprechen. »Auf deinen Vater, der sich nicht unterkriegen lässt.«

»Auf Dad, der früher oder später auf einem der ersten drei Plätze sitzen wird.« Ich leere mein Glas halbleer.

»Ich könnte ein Plakat von ihm gestalten, das du dann am Rennen in die Höhe halten und ihn damit anfeuern könntest.«

»Ich bezweifle, dass das Dad gefallen würde«, winke ich ab. »Aber du könntest dich um meine Website kümmern. Eine Auffrischung wäre meiner Meinung nach mal nötig. Vielleicht ein paar neue Bilder. Oder was meinst du?«

»Darüber wollte ich mit dir schon lange mal sprechen. Ich hätte da eine Superidee.«

»Oh, oh, was kommt jetzt?«, frage ich lachend, als ich in ihre Augen sehe, die vor lauter Begeisterung richtig leuchten.

»Vielleicht könntest du ein paar deiner Gäste fragen, ob du sie fotografieren dürftest, wenn sie einchecken oder die Treppe zum Zimmer hochgehen. Vielleicht lässt sich auch jemand beim Frühstücken ablichten. Eventuell würde jemand einen Film mit sich drehen lassen. Zum Beispiel Miguel mit einem Handtuch um die Hüfte, als er aus der Dusche kommt.«

»Mann, Em.« Ich verpasse ihr einen Knuff in die Seite, doch sie fängt bloß an, wie ein Huhn zu gackern.

»Okay, lassen wir meinen letzten Vorschlag. Aber gut war er, oder?« Sie tupft sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln und hat anscheinend noch immer Mühe, sich von ihrem Witz zu erholen.

Ihr Gag lässt plötzlich ein anderes Kino in meinem Kopf starten. Dylan mit feuchten, braunschwarzen Haaren und tätowierten Armen taucht halbnackt vor mir auf. Sein Blick aus seinen kaffeebraunen Augen brennt sich in meinen, gleichzeitig hat er seine Hände am Handtuch. Ich folge seinen langen Fingern und wünsche mir, er würde das Tuch fallen lassen.

Die Seifenblase zerplatzt, in dem Augenblick, wo Em mit ihren Händen vor meinem Gesicht herumfuchtelt.


Little Pearl

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