Читать книгу Little Pearl - Madlen Schaffhauser - Страница 9
Kapitel 5
ОглавлениеEverly ist schon wieder weg, als ich das Frühstückszimmer aufräume. Ich habe sie früher nach Hause geschickt, weil sie gestern für mich eingesprungen ist. Das B&B ist mindestens die nächsten fünf Tage ausgebucht, was viel Arbeit von mir abverlangt. Doch ich bin froh darüber. Vor allem heute, da ich eine Verabredung mit Dylan habe. Er würde es nie als solches bezeichnen, aber insgeheim wünsche ich mir, dass er es auch ein bisschen als Date ansehen mag.
Die Arbeit lenkt mich ab und sorgt dafür, dass ich nicht wie ein großes Nervenbündel im Haus herumirre. Ich schinde extra noch etwas Zeit heraus, damit Dylan nicht das Gefühl bekommt, ich hätte das Treffen nicht erwarten können. In Wahrheit wäre ich am liebsten schon zu ihm gefahren, als mich mein Wecker aus dem Schlaf gerissen hat.
Es ist fast elf, als ich saubergemacht und die Betten frisch bezogen habe. Wäsche ist in der Waschmaschine, die in einer guten Stunde fertig sein wird. Miss Winkel hat ausgecheckt und kurz nach dem Mittag müsste ein junges Paar eintreffen.
Ich schnappe mir den Schlüsselbund, schließe hinter mir ab und gehe aufgeregt zum Toyota.
Mein Herz beginnt zu hämmern, als ich die Brücke überquere und schlägt immer schneller, während ich nun am Waldrand entlangfahre und meinem Ziel näher komme. Mit stetem Blick auf den Tacho ermahne ich mich, das Gaspedal nicht zu sehr durchzudrücken. Ich möchte endlich bei ihm sein und doch brauche ich noch Zeit, um mich zu sammeln.
Ich glaube, ich war das letzte Mal so nervös, als ich aufs College kam. Alles war neu. Ich kannte niemanden und war zum allerersten Mal weg von Little Pearl, von meiner Familie. Ich habe mir fast in die Hose gemacht, als ich vor das Wohnheim gefahren bin und mich andauernd gefragt habe, was für eine Mitbewohnerin ich wohl bekommen würde.
Jetzt braucht es nur einen Kerl, der mich auf die gleiche Weise verunsichert.
Ich biege auf Mr. Moores Grundstück. Wie schon vor ein paar Wochen steht Dylans Pick-up unter der Eiche. Ich parke neben ihm und gehe zur Werkstatt. Dieses Mal klopfe ich an, ehe ich eintrete. Aber Dylan hat mich gar nicht gehört. Er hat einen
Gehörschutz auf und schleift irgendwas. Ich nehme an, es handelt sich um etwas von meinem Kasten.
Unschlüssig was ich tun soll, bleibe ich schließlich beim Eingang stehen und sehe mich um. Das Sofa, das ich das letzte Mal schon gesehen habe, glänzt mit dem Tisch daneben um die Wette. Der rotweiße Stoff wurde durch einen weißen ersetzt. Ich sehe Cleopatra, wie sie auf einer solchen Couch die Beine von sich gestreckt hat. Was vor wenigen Tagen wie ein Möbelstück für den Müll ausgesehen hat, wirkt auf einmal wieder wertvoll und exquisit. Es ist wunderschön geworden.
Ich bewundere Dylans Arbeit. Man sieht, er versteht was davon. Mr. Moore hat mir nicht zu viel versprochen.
Mein Kasten – ohne Schranktür -, sieht neben dem polierten Tisch und dem frisch gepolsterten Sofa alles andere als pompös aus. Er wirkt blass. Ich schätze, Dylan hat ihn rundum abgeschliffen, um ihn später wieder anzustreichen.
»Ich werde heute mit malen beginnen.«
Erschrocken drehe ich mich um und schlage mir die Hand auf die Brust. Ich habe gar nicht bemerkt, dass er aufgehört hat zu schleifen.
»So schreckhaft?« Dylan zieht für eine Millisekunde einen Mundwinkel hoch, dann ist sein amüsierter Gesichtsausdruck auch schon wieder verschwunden. »Leider siehst du noch nicht, wie er nachher scheinen soll.«
Ich begegne Dylans braunen Augen, weshalb ich kaum genug Luft in meine Lunge kriege. Er ist so unverschämt schön. Seine markanten Gesichtszüge, sein geschwungener Mund, seine Augen ... O diese Augen, die ständig finster dreinblicken. Ich könnte darin versinken, wenn er mich nicht wie jedes Mal aus meinem Starren herausholen würde.
»Vielleicht hätte ich dich erst morgen herbitten sollen. Dann hättest du mehr von meiner Arbeit sehen können.« Er fährt sich durch sein widerspenstiges Haar.
Vielleicht hättest du dich weniger mit der Schwarzhaarigen abgeben sollen, dann wärst du jetzt weiter. Und ich wäre nicht eifersüchtig auf sie, weil sie dich küssen durfte, während du bei mir auf Abstand gehst.
»Nein, nein«, sage ich schnell, um meine Gedanken zu stoppen. Womöglich kamen meine Worte etwas zu schnell, denn Dylan sieht mich mit schräggelegtem Kopf aufmerksam an. »Es ist interessant zu sehen, wie du arbeitest. Bist du gerade an der Tür?« Ich gehe zur Werkbank, an der er vorhin gestanden hat, um Dylan von mir abzulenken. Sein eindringlicher Blick treibt mir nämlich eine unangenehme Röte ins Gesicht.
»Ich bin soeben mit dem ersten Schliff fertiggeworden.« Er ist mir zum Tisch gefolgt. Mit seinen Händen fährt er über das Türblatt, um es vom Holzstaub zu befreien, der durchs Schleifen entstanden ist. »Es gibt noch ein paar Kerben zu füllen.« Dylan zeigt auf einige Vertiefungen.
»Dann ist er fertig?«
»Nicht ganz. Ich muss ihn lackieren, dann gibt es ein paar Zwischenschliffe. Danach wird nochmals Lack aufgetragen, um eine glatte Oberfläche zu erhalten. Zum Schluss wird noch eine Politur vorgenommen. Die verschnörkelte Schlossblende werde ich mit einer speziellen Farbe frisch anstreichen.«
Ich hänge an seinen Lippen, so sehr bin ich von seiner Stimme gefesselt. Ich glaube, ich habe ihn noch nie so viel reden hören.
»Hast du Fragen?«
Ich verneine kopfschüttelnd. Momentan bin ich unfähig etwas zu sagen. Aber ich möchte, dass er weiterspricht. Egal was, Hauptsache ich kann weiter seinem tiefen Ton lauschen.
»Er wird in deinem Esszimmer Hammer aussehen. Aber versprich mir, dass du ihn nicht mehr mit diesen schrecklichen Sachen vollstopfen wirst. Das wäre eine Schande für ihn.«
Ich muss lächeln, während Dylan liebevoll über das Holz fährt.
Als mich Dylan abwartend ansieht, nicke ich und antworte: »Versprochen.«
»Gut.«
»Hast du viele Aufträge?«
»Ich kann mich nicht beklagen.«
»Das Sofa da sieht fantastisch aus.« Ich zeige auf die Couch in der linken Ecke.
»War eine Menge Stück Arbeit. Aber es hat sich gelohnt.«
»Ich würde es sofort kaufen, wenn es nicht schon jemandem gehören würde.«
»Es ist meins.«
»Wow.« Ich sehe ihn entsetzt an. Ich glaube, dass ich ihn so ansehe, denn er zieht die Augen zusammen.
»Was?«
»Ich dachte ... ich habe nur nicht erwartet, dass du einen solchen Geschmack hast.«
»Wieso nicht? Ich mag antike Möbel. Sie haben Charakter, nicht so wie das moderne Zeug, das man heute überall kaufen kann.«
»Da haben wir etwas gemeinsam.«
Sein Blick ist mit einem Mal stählern. Gerne würde ich wissen, was gerade in seinem Kopf vor sich geht. Doch er bleibt still.
»Wie bist du zu diesem Beruf gekommen?«, frage ich weiter.
»Per Zufall.«
Er bleibt wortkarg. Eigentlich so, wie ich ihn kenne. Aber er hat mir vor wenigen Minuten gezeigt, dass er auch recht gesprächig sein kann. Man muss nur die richtigen Fragen stellen. Bloß denke ich, dass es davon nicht sehr viele geben wird.
»Was meinst du, wann du fertig bist?« Ich atme sein Aftershave und den schwachen Geruch nach Zigarette ein. Unsere Finger berühren sich, als ich wie er übers Türblatt fahre.
Wie von einem Blitz getroffen, zieht er seine Hand zurück. »In zwei, drei Tagen, vielleicht.« Er geht auf die andere Seite der Werkbank. »Du solltest jetzt gehen.«
Das feine Kribbeln, das seine Berührung ausgelöst hat, verschwindet von jetzt auf gleich. Verwundert, über seinen plötzlichen eisigen Ton, hebe ich den Kopf und sehe zu ihm. Doch er hat sich weggedreht, so dass ich ihm nicht in die Augen sehen kann.
Ich öffne den Mund, um etwas zu sagen, aber Dylan kommt mir zuvor.
»Ich werde dich anrufen, wenn ich fertig bin.« Er befestigt sich einen Mundschutz hinter den Ohren.
»Warum hast du mich hergebeten?« Ich werde nicht schlau aus ihm.
»Keine Ahnung.« Er zuckt mit den Schultern. »Jedenfalls war es eine blöde Idee. Du findest den Ausgang.«
Es sollte nicht und trotzdem ist es verletzend, wie er mich auf einmal behandelt. So abweisend und als wäre ich diejenige, die sich ihm aufgezwungen hat. Es ist eigenartig, dass er mich aus der Werkstatt jagen will. Okay, es sind seine Räumlichkeiten, dennoch kann er doch nicht so unhöflich sein? Vor allem, da er mich herbestellt hat.
»Hab ich was falsch gemacht?«, frage ich mit angehaltenem Atem.
»Nein, ich will nur mit meiner Arbeit weitermachen.« Er sieht nicht mal auf, als er antwortet. Mit der Schutzmaske über dem Mund und einem kleinen Besen in der Hand fährt er über das Türblatt.
Perplex bleibe ich noch ein paar Sekunden stehen, bis ich die Kraft gefunden habe, auf meinen wackligen Beinen zu verschwinden.
Ich bin nicht wütend, als ich ins Freie trete. Ich bin gekränkt. Ich würde ihm jetzt gerne meine Meinung an den Kopf werfen, aber dann würde ich ihm meine Gefühle verraten. Das darf ich auf keinen Fall. Niemals darf er erfahren, dass ich trotz allem davon träume, von ihm gehalten zu werden. Von ihm geküsst zu werden.
Wo ich auf der Hinfahrt noch nervös und aufgeregt war, bin ich jetzt auf dem Weg nach Hause verstört und niedergeschlagen.
Was ist in seinem Leben passiert, dass er meine Berührung, so kurz sie auch gewesen sein mag, nicht aushalten kann?
Ständig frage ich mich, was seine Unzugänglichkeit, seine Distanziertheit bedeuten soll. Irgendwas muss in seinem Leben passiert sein, dass er sich benimmt, als würde ihn nichts und niemand interessieren, außer sich selbst.
Oder findet er mich einfach abstoßend? Denn als sich unsere Hände sich flüchtig berührt haben, hat sich seine Stimmung von einer Sekunde auf die andere umgeschlagen. Dieser Gedanke tut weh, weil ich den kurzen Kontakt zwischen uns noch immer in meinen Fingerspitzen spüre und ich ihn mir sehnlichst zurückwünsche.
Ich schüttle den Kopf, weil ich so dumm bin, sich zu jemanden hingezogen zu fühlen, der kalt wie ein Eisklotz ist. Ich muss diese albernen Gefühle unbedingt und so schnell wie möglich abstellen.
Auf dem Parkplatz des Blue House Inns steht ein weißes Auto, das ich nicht zuordnen kann. Hoffentlich sind es nicht schon meine neuen Gäste. Ich brauche noch ein paar Minuten, um meinen Kopf von Dylans eigenartigem Benehmen freizukriegen.
Gerade als ich die Tür ins B&B aufschließen will, drückt jemand hinter mir auf die Hupe.
Erschreckt wirble ich herum.
»Mann, muss das sein?!«, rufe ich aus, als ich meinen zwei Jahre älteren Bruder hinter dem Steuer seines blauen Chevys entdecke. Fertig ist meine Kopf-freibekommen-Zeit.
»Was ist denn mit dir los?«, fragt mich Evan aus dem offenen Fahrerfenster.
»Alle haben Freude daran, mir einen Schreck einzujagen.« Ich bin wahnsinnig schreckhaft, das weiß jeder aus meinem Bekanntenkreis, aber dass sie es auch noch ausnutzen müssen, ärgert mich manchmal.
Doch als ich Evans herzhaftes Lachen höre, vergeht mein Ärger so schnell, wie er gekommen ist.
»Was machst du hier? Hast du frei?« Ich muss meine Augen mit der Hand abschirmen, da mich die Sonne blendet.
Evan schlägt die Autotür zu und schlendert zu mir. Er hat ein enganliegendes T-Shirt und kurze Sportshorts an. Seine Füße stecken in Laufschuhen. Die Stufe auf die Veranda nimmt er mit einem großen Schritt. »Ich habe gerade einen Kunden nach Hause gebracht und da dachte ich, ich könnte einen kleinen Abstecher zu meiner Schwester machen.«
Mein Bruder ist Personaltrainer. Das sieht man seinem Körper von Weitem an. Er hat Oberarme so breit wie meine Waden. Mit seinen Kunden trainiert er im Freien sowie in seinem Fitnessstudio, das an der Main Street liegt. Je nachdem, was seine Kundschaft wünscht.
Wir umarmen uns, sobald er bei mir ist.
»Du siehst gut aus.«
»Danke.« Evan hebt sein dunkelblaues New York Yankees Cap vom Kopf, fährt sich über seine kurzgeschorenen dunkelbraunen Haare und setzt die Mütze verkehrtherum wieder auf. Seine schwarzbraunen Augen lächeln sanft. »Kann ich nur zurückgeben.« Er legt einen Arm um meine Schulter. »Hast du mir etwas zu trinken? Ich verdurste fast.«
»Klar. Du weißt, wo die Küche ist.« Während mein Bruder in der Küche verschwindet, bleibe ich im Flur und checke das Haustelefon. Drei verpasste Anrufe werden angezeigt und eine Sprachnachricht auf dem AB. Ich nehme das Telefon mit und gehe zu Evan.
»Hast du Hunger?«
»Kochst du etwas?«
Ich grinse ihn an. »Nein. Du kannst dir ein Brot machen.«
»Was für eine Gastfreundschaft hier wieder herrscht.«
»Nicht wahr?«
»Willst du auch was?«, möchte Evan wissen, während er in den vollen Kühlschrank sieht.
»Machst du mir ein Putensandwich und einen gemischten Salat?«
»Sonst noch was?« Evan schnaubt, dann nimmt er ein paar Sachen aus dem Schrank.
»Du hast gefragt, ob ich etwas will. Selbst schuld.« Ich gehe zum Tisch und starte den Laptop. Die Küche ist gleichzeitig mein Büro. Dann mache ich mich an die Waschmaschine, die am Ende der Küchenzeile steht und räume sie aus. Gleichzeitig höre ich den Anrufbeantworter ab.
»Hier ist Mr. Linkin. Ich möchte ein Zimmer buchen. Könnten Sie mich bitte zurückrufen.«
Werde ich gleich als erstes tun, wenn ich die Wäsche aufgehängt, die E-Mails gecheckt und mich mit meinem Bruder unterhalten habe.
»Hier.« Evan legt ein belegtes Brot und eine Schüssel Mais neben mich auf die Anrichte. »Das muss genügen.«
»Danke.« Ich grinse meinem Bruder zu, der sogleich in sein Essen beißt. »Wollen wir uns auf die Veranda setzen?«
Er nickt, während er kaut und geht zur Hintertür, die auf die Veranda führt.
»Könntest du mir etwas abnehmen?« Ich deute auf mein Essen und auf den vollen Wäschekorb vor meinen Füßen.
»Kann das nicht warten?«
»Bist du ein Stinkepeter.« Ich hebe den Korb, doch Evan nimmt ihn mir sofort ab. »Oh, du machst mir die Wäsche?«, frage ich scherzend.
»Vergiss es. Ich trag sie nur raus. Bring mir mein selbstgemachtes Brot mit.«
Ich nehme das Essen, lege meins auf den Tisch auf der Veranda und gehe zur Wäscheleine, an der schon diverse Bettbezüge hängen. Ich überreiche Evan sein Sandwich.
»Wie lief es mit deinem Kunden?«
»Gut. Es ist eine Sie. Ich habe sie durch den Wald gejagt.« Wieder beißt er von seinem Brot ab.
»Oh«, mache ich. Mit meinem Kopf in Schräglage sehe ich zu Evan. »Du vermischst aber nicht Arbeit mit Vergnügen, oder?«
Er zuckt bloß mit den Achseln und nimmt einen weiteren Biss.
»Du weißt, dass das nicht gut gehen kann?« Ich nehme ein Kissenbezug und hänge es über die Leine.
»So wie bei dir?«, erwidert er mit halbvollen Mund.
»Wie?«
Evan fährt sich über den Dreitagebart, als ich zum ihm rüberblinzle. »Du hast mich schon richtig verstanden.«
Ich schüttle den Kopf. Ich habe noch nie etwas mit meinen Gästen angefangen. Und das werde ich auch nicht.
Meint er möglicherweise Dylan? Niemals. Er weiß nicht, dass ich Dylan beauftragt habe, ein antikes Möbelstück zu restaurieren. Oder? Absolut unmöglich.
Außerdem läuft nichts zwischen Dylan und mir. Und ein Arbeitsverhältnis haben wir auch nicht. Jedenfalls nicht so eins wie Evan mit seinen Kundinnen.
Ich nehme das nächste Stück Wäsche und lege es über eine freie Leine.
»Ich hab dich gesehen.«
»Wo? Wann?«, frage ich so gleichgültig wie möglich und lenke mich mit einem Laken ab.
»Tu nicht so scheinheilig.«
Er ist wütend auf mich. Das bin ich mir gar nicht gewohnt. Klar, als Kinder haben wir uns gezankt und gestritten, und uns mit wüsten Beschimpfungen angeschrien. Doch das ist Jahre her. Was das hier nur eins bedeuten kann: Er weiß, dass ich bei Dylan war.
Als ich mich bücke und nach einem weiteren Wäschestück greife, reißt es mir Evan aus der Hand und wirft es in den Korb zurück.
»Was hattest du bei ihm zu suchen? Ja, ich weiß, du warst bei Sawyer. Ich habe dich heute Morgen in Richtung Moores Grundstück fahren sehen. Erst dachte ich, du würdest zu deinem Gärtner gehen. Aber als ich vorhin durch das Esszimmer gegangen bin, ist mir gleich aufgefallen, dass der alte Kasten fehlt. Hast du wirklich gedacht, ich würde es nicht bemerken?«
Ich versuche an einem dicken Kloß im Hals vorbeizuschlucken. Mir war von Anfang an bewusst, dass ich mit dem Feuer spiele, wenn ich Dylan beauftrage, mein Möbelstück aufzufrischen. Ich habe es ignoriert, obwohl ich wusste, dass mir meine Familie die Hölle heiß macht, sobald sie davon erfährt.
Gott, ich fühle mich wie ein kleines Mädchen, als ich jetzt in Evans Gesicht sehe. Seine Kiefermuskeln sind angespannt.
»Was ist daran schon schlimm?«, frage ich etwas unsicher. »Dylan macht mir einen Gefallen und er verdient etwas dabei. Fertig.« Ich will nicht, dass Evan meine Mimik sieht und drehe mich weg, auch wenn es zu spät ist.
»Deine Augen glühen, wenn du von ihm sprichst.«
»So ein Quatsch.« Selbst in meinen Ohren klingt meine Stimme falsch.
»Du warst schon immer eine schlechte Lügnerin.«
»Und du sollst nicht zu viel in etwas hineininterpretieren. Da ist nichts. Gar nichts.«
»Hat er dich angefasst?«
»Nein. Weit davon entfernt.« Ich muss mich beschäftigen. Evan darf nicht sehen, wie sehr ich mir wünsche, Dylan hätte mich berührt, oder etwa geküsst. Sobald ich ein Laken in der Hand habe, nimmt es mir Evan wieder aus der Hand und lässt es in den Korb zurückfallen. Sein halbes Sandwich bettet er obendrauf.
Er legt seine Hände auf meine Schultern. »Du bist meine Schwester. Ich will nur, dass dir nicht so ein Arschloch wie Sawyer dir wehtut.«
»Ich bin erwachsen. Ich kann auf mich selbst aufpassen.«
»Du weißt nicht, wie er zu Frauen ist.«
»Aber du?« Plötzlich werde ich wütend. Ich schlage Evans Hände weg und verschränke meine Arme vor der Brust. »Niemand hat doch wirklich eine Ahnung, wie Dylan tatsächlich ist. Wie willst du ihn kennen, wenn er sich nie blicken lässt? Hast du überhaupt schon mal ein Wort mit ihm gewechselt?«
»Little Pearl ist nicht der einzige Ort, wo man ausgehen kann. Und ich brauche mich nicht mit ihm zu unterhalten, um zu wissen, was für ein mieser Kerl er ist. Er reißt Frauen auf, legt sie flach und wirf sie dann weg.«
Sofort schießt mir das Bild von gestern durch den Kopf. Wie Dylan eine Schwarzhaarigen an seinen Pick-up gedrückt und sie geküsst hat. Ich blinzle mehrmals, will Dylan nicht mit einer anderen zusammen sehen. Sondern wünsche mir mich in seinen Armen.
Ich muss den Kopf in den Nacken legen, damit ich Evan in die Augen sehen kann. »So wie du?«, scherze ich, um die Stimmung aufzulockern und mich von der Erinnerung an das knutschenden Paar abzulenken. Doch das geht völlig nach hinten los.
Evan beobachtet mich mit finsterer Miene. »Steck mich niemals mehr mit Sawyer in einen Topf. Hast du gehört?«
»Sorry.« Ich hebe die Hände in die Höhe. »Ich werde es mir merken. Aber überlass meine Entscheidungen mir.«
Habe ich soeben vor meinem Bruder zugegeben, dass ich mir mehr von Dylan erhoffe, als nur den restaurierten Schrank? Scheiße, das kommt nicht gut.
»Kann ich nicht.« Evan nimmt sein Sandwich wieder in die Hand, mit dem er jetzt auf mich zeigt. »Sawyer ist ein Mistkerl. Er benutzt Frauen.«
»Ich lasse mich nicht benutzen.«
»Du gibst es also zu, du willst mit ihm in die Kiste.«
Ich versuche nicht zu eingeschnappt dreinzuschauen. »Und wenn es so wäre? Vielleicht habe ich ja einfach Bock, mal mit ihm zu schlafen und das war’s dann.«
Wieder zeigt er mit seinem Essen auf mich. Seine Augen sind nur noch zwei enge Schlitze. »Sicher. Wenn du nur mit ihm Sex haben möchtest, würdest du erstens: Nicht das Wort schlafen benutzen. Und zweitens: Hättest du einen anderen Gesichtsausdruck.«
»Okay, jetzt reichts. Ich habe keine Lust mehr, noch weiter mit dir über dieses Thema zu diskutieren.«
»Über welches? Sex oder Dylan Sawyer?«
Ich seufze, bevor ich mich weiter um die Wäsche kümmere. Dieses Mal lässt mich Evan weitermachen.
»Bitte pass auf dich auf, Cee.« Sein Ton klingt versöhnlich, weshalb ich den Blick von den Klammern nehme, die ich gerade befestigen wollte und sehe meinen Bruder an. »Er hat keinen guten Ruf, das weißt du. Tu dir einen Gefallen und sei vorsichtig.«
»Immer.« Ich schenke Evan ein Lächeln, um ihn zu beruhigen und um das, was ich gleich sagen werde, abzuschwächen. »Behältst du es bitte für dich?«
Mein Bruder hebt sein Cap, fährt sich durch die kurzen Haare und sieht mich fast schon verzweifelt an. »Dir ist schon klar, dass das etwas viel verlangt ist?«
»Ich werde es Mom und Dad erzählen, wenn der Kasten wieder an seinem Platz ist. Dann brauchen sie sich nicht unnötig aufregen. Du übrigens auch nicht.«
»Und was ist mit den anderen? Sobald sie erfahren, dass ich dich gedeckt habe, werden sie mir den Hals umdrehen.«
Ich zucke mit den Achseln. »Du musst dich ja nicht verraten.«
»Ich hab dich auch lieb, Schwesterherz.« Evans Mundwinkel wandern kurz nach oben, dann wird er gleich wieder ernst. »Ich werde still sein, wenn du mir versprichst, dich nicht mehr mit ihm abzugeben, sobald er seine Arbeit getan hat.«
Das kann ich nicht. Das will ich nicht. »Ich verspreche dir, auf mich aufzupassen«, antworte ich ausweichend.
»Das ist nicht ganz das, was ich hören will.«
»Ja, ich weiß.«
Evan holt tief Atem. »Was soll ich nur mit dir machen?«
»Weißt du, dass du mein Lieblingsbruder bist?«
»Klar, elende Heuchlerin.«