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Der Kunde ist König

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Seit unsere Vorfahren vor einigen tausend Jahren von den Bäumen gefallen, pardon, gestiegen sind und zur Fanfare aus "2001 - Odyssee im Weltraum" auf die Steinsäule eingeprügelt haben, gelten unter uns bestimmte und gesellschaftlich anerkannte Verhaltensregeln.

Die Zeiten, als wir Männer einer Frau als Sympathiebezeugung die Keule übergezogen haben, um sie danach in unsere Höhle zu schleifen, sind längst vorbei. Heutzutage sind es eher die Ehemänner, die von ihren Frauen mit dem Nudelholz (einer leichteren, griffigeren und seltsamerweise sozial akzeptierten Keulenform) eine liebevolle Ermahnung verpasst bekommen, wenn ihnen an einem Samstagnachmittag die Nachspielzeit von Dortmund gegen Schalke wichtiger erscheint als ein voller Mülleimer oder der für kleinere Elefantensafaris geeignete Rasen im Garten.

Nichtsdestotrotz haben wir uns im Laufe der Zeit in Sachen Kommunikation und Interaktion von Grunzlauten, gegenseitigem Lausen und am After schnuppern zu gesprochenen Worten, Händeschütteln und Küsschen-links-Küsschen-rechts weiterentwickelt.

Im Normalfall sind diese Konventionen allseits bekannt und werden uns bereits im Kleinkinderalter von unseren Eltern vorgelebt, im Kindergarten verfeinert und spätestens während der Schulzeit zu Automatismen im Umgang miteinander verinnerlicht.

Jedenfalls sollte es eigentlich so sein.

Früher fand die "Evolution der Interaktion" deutlich langsamer statt und vollzog sich über Jahrhunderte, was eigentlich auch kein Wunder ist, wenn man die allgemeinen Umstände damals in Betracht zieht.

Vor die Wahl gestellt, entweder vor einem König niederzuknien oder enthauptet zu werden, haben sich doch erstaunlich viele die Hosen schmutzig gemacht - an den Knien. Logischerweise hat die Erfindung der Guillotine während der französischen Revolution gerade diesen Entwicklungsprozess noch einmal deutlich verlangsamt.

Da wir inzwischen in Deutschland aber alle zivilisiert sind (jedenfalls im Vergleich zu den eingangs erwähnten Keulen schwingenden Vorfahren), wurden solche publikumswirksamen und beliebten Massenveranstaltungen zu Gunsten langweiliger Gerichtsverfahren abgeschafft. Da bei letzteren aber ohnehin meist eine schwere Kindheit, der übermäßige Konsum alkoholischer oder sonst wie bewusstseinsverändernder Mittel und dazu ein ganz furchtbarer Heuschnupfen das Urteil ins Lächerliche ziehen, kann sich auch unserer Miteinander einfacher und schneller ändern. Ohne entsprechende Repressalien sehen viele eben keinen Grund, den Normen und Verhaltensregeln zu folgen.

Oder um es bildlich darzustellen: wenn ich morgens vor meinem Arbeitgeber keinen Kotau veranstalte, wird er mir deswegen nicht mit einem breiten Küchenmesser alles oberhalb der Schultern amputieren, sondern nur wieder einmal völlig entnervt mit den Augen rollen. Diese reichlich sinnlose Geste bereitet mir aber bereits seit Jahren keine schlaflosen Nächte mehr.

Ich bin mir fast sicher, dass er sich manchmal die "gute, alte Zeit" zurück wünscht...

Ich selbst stamme aus einer wohl durchaus in Erziehungsfragen als konservativ geltenden Familie.

Eine Begrüßung gehört daher, wenn ich hinter der Kasse stehe, selbstredend zu der Interaktion mit dem Menschen vom Planet Kundschaft. Ohne ein "Guten Tag" fehlt mir einfach der Einstieg.

Natürlich habe ich viele Kunden, die mich fragen würden, was ich geraucht habe, wenn ich ihnen mit "Guten Tag, was kann ich für sie tun?" käme.

Die meisten von ihnen kennen mich schon viele Jahre oder sind noch relativ jung, so dass ein einfaches "Hallo" vollkommen ausreichend ist. Gut, bei manchen nehme ich auch gerne grinsend ein "Nicht du schon wieder!" oder "Muss das sein?" - dies aber dann doch nur bei Kunden, von denen ich mir sicher bin, dass sie mit Höflichkeiten wie "Dein Kollege wäre mir auch lieber gewesen." oder "Warum soll es dir besser gehen als mir?" antworten.

Entgegen dazu scheint die Interaktion vieler Mitmenschen inzwischen auf Twitter, Facebook und SMS beschränkt zu sein.

Oft kommt auf meine Begrüßung keine Reaktion oder sogar nur ein verdutzter Blick.

Wenn man lange genug mit Kunden zu tun hat, sollte man sich dementsprechend eines relativ schnell abgewöhnen: von Kunden die gleiche Höflichkeit und den gleichen Respekt zu erwarten, die man ihnen gegenüber an den Tag legt.

Ich selbst bin Ende dreißig und trotz mehrerer Jahre, die ich diesen Beruf hier nun schon ausübe, sind graue Haare und Falten bisher unerwarteter Weise an mir vorbei gegangen. Ich kann wohl nichtsdestotrotz mit Fug und Recht behaupten, kein "Junge" mehr zu sein, was aber den Durchschnittskunden natürlich nicht im Geringsten daran hindert, mich erst mal zu duzen.

Vielleicht bin ich einfach schon zu alt, wurde zu spießig erzogen oder bin einfach zu versnobt, aber grundsätzlich halte ich mich im Umgang mit anderen Menschen an gewisse Grundregeln.

Fremde duze ich zum Beispiel nicht einfach, sofern sie nicht garantiert noch minderjährig sind oder mit dem Duzen angefangen haben.

Selbstverständlich erntet man von eben diesen Kunden, die einen zwei Sekunden vorher selbst noch geduzt haben meist völlig empörte Blicke, wenn man sie dann einfach dreist zurück duzt. Es gibt zwar auch diejenigen, die dann plötzlich merken, dass sie selbst den Grund dafür geliefert haben und sich mit einem Nicken oder schiefen Grinsen entschuldigen, bzw. mein Duzen akzeptieren, aber der Großteil unserer Kunden gehört leider nicht zu dieser Kategorie.

Im Stillen hege ich den Verdacht, dass die Chance auf Zugehörigkeit zu dieser Gruppierung proportional zu Einkommen, PS-Zahl und Größe des Auspuffs am Auto des Kunden ist. Sollte sich irgendwann ein Sponsor dafür finden, werde ich zu diesem Thema sicherlich eine wissenschaftlich fundierte Studie erstellen.

Natürlich bin ich mit vielen Kunden auch ganz normal längst beim Du angekommen.

Einige wenige kenne ich privat, die meisten aber einfach auf Grund der langen Zeit, die sie schon meine Kunden sind.

Wenn ich hinter der Kasse stehe, sind sie jedoch keine Freunde für sobald sie den Shop betreten, - sie sind meine Kunden, die mir am Monatsende die Zahlung meiner Miete ermöglichen, während ich ihnen bei der Erfüllung ihrer Einkaufswünsche und kleinen Probleme behilflich bin.

Ich wünsche mir oft, Kunden würden das genauso sehen...

Mit dieser Einstellung zu Begrüßungen und der Anrede des Gesprächspartners dürften leider nur maximal 50% der Kunden konform gehen.

Selbstverständlich reicht es aus, mich nur anzuschauen oder sogar völlig zu ignorieren, bis man mir an der Kasse das Geld schweigend hinwirft, aber so richtig angenehm ist das eigentlich nicht.

Erstaunlicherweise scheint die mathematische Formel der Duzer von eben auch hier in fast unveränderter Form ihre Anwendung finden zu können.

Während der Krawatte tragende BMW-Fahrer, dessen motorisierte Genitalverlängerung ich bereits Kilometer bevor er mich erreicht hören kann, nicht mal ein einfaches Nicken auf meinen Gruß erwidert, wird die junge Studentin mit ihrem alten gebrauchten Golf mit fast an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit neben dem Gruß noch ein Lächeln für mich haben.

Natürlich rede ich mir gerne ein, dass dieses Lächeln seine Herkunft in meinem guten Aussehen und meinem großen Charme hat (neben meiner famosen Intelligenz und meiner schier endlosen Bescheidenheit sicherlich meine hervorstechendsten Eigenschaften), aber in Wahrheit ist es wohl einfach pure Freundlichkeit seitens der Kundin.

Wie überall gibt es auch hier Ausnahmen, die diese Regel bestätigen, diese sind allerdings wirklich nur genau das: Ausnahmen.

Die in meiner Jugend gelernten Worte "Bitte" und "Danke" scheinen seit der Jahrtausendwende ohnehin immer mehr aus der Mode zu kommen.

Ich habe vor einiger Zeit während einer normalen 9-Stundenschicht versucht, die Nutzung dieser beiden Worte durch Kunden zu zählen. Da das Ergebnis jedwede vorherige pessimistische Schätzung bereits nach kurzer Zeit zu unterbieten begann, wurde der Versuch jedoch vorzeitig abgebrochen. Eine Weiterführung des Experiments hätte mich nur vollends deprimiert.

Eine kurz im Internet durchgeführte Recherche zu dem Thema hatte ergeben, dass meine Krankenkasse die Behandlung derart durch Dummheit selbst herbeigeführter Depressionen wohl nicht übernehmen würde.

Leider hört Kundenfreundlichkeit nicht bei einem ungenutzten "Danke" auf...

Jeder kennt den Spruch "Der Kunde ist König." und hat ihn in der einem oder anderen Situation sicher auch schon benutzt.

Ich nehme mich da selbst auch nicht aus, denn früher gehörte ich auch zu den Menschen, die im Geschäft der Meinung sind, dass sich die Sonne um sie dreht und alle Verkäufer und Berater nur als Monde um mich zu kreisen hätten.

Inzwischen bin ich davon kuriert, denn ich kenne nun beide Seiten der Medaille und weiß, wie unsagbar glücklich man über Kunden ist, die diesen Spruch anbringen.

Es gibt kaum etwas Schöneres für einen Kassierer, als Kunden, die sich ein dutzend Mal neu entscheiden, den gesamten Betrieb aufhalten und dann so tun, als wären sie der Mittelpunkt des Universums.

Als Kassierer denke ich in solchen Momenten gerne wieder an die besagte Guillotine und die Französische Revolution zurück.

Ich weiß nicht, wie oft ich den Spruch zu hören bekomme, aber es vergeht keine Woche, in der es nicht ein paar Mal vorkommt. Manchmal antworte ich mit einem "in Deutschland wurde die Monarchie abgeschafft" oder "Wir sind eine Republik.", oft ignoriere ich es aber auch einfach nur. Es kommt ohnehin fast immer von Menschen, deren Benehmen man mit Worten beschreiben möchte, für die es bei einigen isolierten Völkern dieser Welt wahrscheinlich nicht mal einen entsprechenden Wortlaut gibt.

Sie sind laut, vulgär und haben durch ihren Status als Kunde das Recht, mich wie einen Leibeigenen aus dem finstersten Mittelalter zu behandeln, wobei ihre Intelligenz in der Regel nicht einmal dazu ausreicht, um mit dem Begriff Mittelalter etwas anfangen zu können.

Sie entscheiden sich ungeachtet der sich stetig verlängernden Schlange hinter ihnen mindestens dreimal bei der Zigarettensorte neu und haben dabei noch alle Zeit der Welt, um über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Packungsgrößen Referate zu halten. Referate, die in puncto Spannung und Länge einer Etatdebatte im Bundestag in Nichts nachstehen.

Begeht man den groben Fehler und bittet sie, sich doch endlich zu entscheiden oder schlimmer noch, sich wenigstens mal ein wenig zu beeilen, geht der Spaß meistens erst richtig los.

Hat man Glück, bekommt man nur den oben zitierten Spruch oder ein "ich habe doch Zeit" zu hören. Ist der Kunde allerdings - was bei uns leider eher die Regel als die Ausnahme an einem Samstagabend ist - bereits bei einem Blutalkoholpegel jenseits der messbaren Promillewerte, geht es rund.

Es ist immer wieder erstaunlich, zu welchen Beleidigungen ein Gehirn fähig ist, dass ansonsten in dermaßen alkoholisierten Zustand keinen auch nur annähernd deutsch artikulierten Satz mehr zu Stande bringt.

Hier ergeben sich für den geplagten Kassierer in der Regel drei Alternativen der Interaktion, von denen er je nach Situation das kleinere Übel wählen kann.

Möglichkeit a) Er ruft direkt die Polizei an, die dann recht schnell dafür Sorge trägt, dass der inzwischen meist sehr lautstark unartikulierte Laute von sich Gebende den Rest der Nacht an einem Ort verbringen kann, an dem er garantiert nicht gestört wird und vor allem auch niemand anderen stören kann.

Hat man sich für das Telefonat entschieden, heißt es nur noch die Minuten bis zum Eintreffen der Herren in Uniform halbwegs gut zu überstehen.

Man kann den Schreihals beispielsweise so lange ignorieren und sich austoben lassen oder alternativ auch selbst zur Tat schreiten und ihn zur Tür hinaus befördern. Hierbei ist allerdings peinlich genau darauf zu achten, dass die Tür auch geöffnet ist und zur gleichen Zeit kein LKW am Eingang vorbeifährt. Dieser würde das Problem zwar dauerhaft lösen, dafür haben Arbeitgeber meistens etwas gegen die dadurch entstehende Sauerei direkt vor ihrem Ladenbereich.

Normalerweise ist der Anruf bei der Polizei allerdings auch nur die letzte Wahl, die man trifft, schließlich gibt es noch Variante b und c, die beide meist mehr Spaß bringen und zudem eine willkommene Möglichkeit bieten, aufgestauten Stress abzubauen oder wieder aktives Training der eigenen Selbstbeherrschung zu betreiben.

Möglichkeit b besteht dementsprechend auch darin, den Betrunkenen selbst derart laut anzuschreien, dass er freiwillig den Rückzug antritt. Hilfreich hierbei ist nicht nur ein großes Lungenvolumen, sondern auch die Bereitschaft, dies wenn nötig bis zu Letzt auszureizen. Oftmals ist es erstaunlich, wie weit Menschen zurückprallen, wenn man sie aus nur einem Meter Distanz mit voller Hingabe anschreit.

Kassierer, die in ihrer Freizeit Apnoe-tauchen betreiben oder Wärmflaschen aufblasen, bis diese platzen, sollte sich allerdings doch etwas zurückhalten - geplatzte Trommelfelle brauchen ewig, bis sie verheilen.

Selbstverständlich empfiehlt sich diese Maßnahme nur bei einzelnen Personen (bei Gruppen steht einem in der Regel der eigene Selbsterhaltungstrieb im Wege) und auch dann nur, wenn sie die eigene Größe und das eigene Kampfgewicht nicht deutlich überbieten können.

Variante c hingegen ist für genau diese Situationen quasi ideal.

Man ignoriert den Störenfried so weit wie möglich und tut seine Arbeit. Hierbei ist allerdings dringend darauf zu achten, dass man versucht, eben jene Person so höflich wie es noch machbar ist, dazu zu bewegen, den Shop zu verlassen.

Der Spagat zwischen völliger Ruhe, der ohnehin sinnlosen Diskussion mit einem Betrunkenen und dem Drang das Ganze mittels Pfefferspray und Baseballschläger vorzeitig zu beenden ist allerdings nicht immer einfach. Gehen sie aber davon aus, dass jeder Buddhist sie danach für ihre Selbstbeherrschung und innere Stärke bewundern wird.

Das Schwierigste an allen drei Varianten ist es ohnehin, ruhig zu bleiben und die eigene Atmung zu kontrollieren, denn schließlich möchte man in der Zeit, in der man sich nun mit dem Betrunken auseinander setzen muss, nicht zu tief einatmen - vor allem dann nicht, wenn man danach noch mit dem Auto fahren muss.

Sprit bitte - vollgetankt habe ich schon.

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