Читать книгу Sprit bitte - vollgetankt habe ich schon. - Maik Ottleben - Страница 7

Homo sapiens mobiltelefonis

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Ich gebe es zu.

Ich habe auch eins.

Ich möchte meistens auch nicht mehr ohne es sein.

Inzwischen hat man sich so an es gewöhnt, dass ein Leben ohne nicht mehr vorstellbar ist. Man hat es bei der Arbeit, beim Einkaufen, unterwegs, zu Hause und ich bin sicher, mancher kann selbst in intimen Momenten im Bett nicht mehr ohne es (lang lebe der Vibrationsalarm!).

Das Handy.

Mittlerweile verfluche ich diese Erfindung oft als ein Werk des Teufels, der sich bei unserem Benehmen in Bezug auf unseren "Liebling" sicher regelmäßig vor Lachen nicht mehr halten kann.

Ich gehöre zu der Kategorie Menschen, deren Mobiltelefone eigentlich nie gebraucht werden. Ich habe es schon viele Jahre, hauptsächlich weil es damals in Mode kam und cool war.

Inzwischen wurde daraus natürlich ein Smartphone mit vielen tollen Funktionen, die ich weder brauche, noch will oder überhaupt kenne.

Meistens habe ich es stumm geschaltet, oft liegt es in einer Jackentasche oder auf dem Garderobenschrank zu Hause, so dass ich mit schöner Regelmäßigkeit entgangene Anrufe oder längst überholte Nachrichten löschen kann.

Erreichbar bin ich damit so gut wie nie, denn zu Hause habe ich einen Festnetzanschluss, im Auto keine Freisprecheinrichtung (angeblich soll telefonieren ohne solche Einrichtung nicht erlaubt sein) und an der Arbeit - naja, hier soll ich theoretisch arbeiten und nicht stundenlang mit Freunden telefonieren. Für dringende Anrufe steht ein Festnetztelefon griffbereit neben mir, mit dem ich im Notfall auch telefonieren darf.

Meine Familie kennt diese Nummer und ruft, sollte es wirklich wichtig sein, hier an.

Für alle anderen bin ich einfach nicht erreichbar.

Kurzum, ich gehöre wohl zu den maximal zehn Prozent der Bevölkerung unter 50 Jahren die noch nicht süchtig nach ihrem Handy sind.

Läuft man einmal durch die Innenstadt, bekommt man innerhalb von nur fünf Minuten quasi jedes auf dem Markt erhältliche Smartphone zu sehen - die meisten davon mit Zubehör wie Kopfhörern, pinken Ledertaschen und mit Strasssteinen besetzten Schutzhüllen, manche in der Größe von TV-Bildschirmen der 80er Jahre, andere so klein, dass die Lupenfunktion bereits ab Werk aktiviert ist.

Wer nicht wenigstens alle fünfzehn Minuten damit seinen Facebook-Account prüft oder per Whats App aktuelle Informationen über seine Tätigkeit und den Standort verbreitet, ist eindeutig out.

Inzwischen steuern wir unsere Rollläden zu Hause mit dem Smartphone, während wir in der Türkei am Strand liegen.

Wir führen unsere Bankgeschäfte per App und sind verloren, wenn der Standortdienst in einer Tiefgarage uns die NAVI-Arbeit verweigert.

Kurzum: wir sind Junkies, die ohne ihre Droge Handy in den meisten Fällen nicht mehr leben können.

Als ich hier an der Tankstelle zu arbeiten begann, war es noch so, dass die Mehrzahl der Kunden ihr Gespräch vor dem Verkaufsraum führten, beendeten und dann zu mir herein kamen. Diese Zeit scheint bereits sehr lange vergangen zu sein. Mittlerweile machen diese Kunden nur noch einen Bruchteil aus.

Nach und nach hat sich das Bild von Kunden mit Handy zu einkaufenden Mobiltelefonen, an denen zufällig ein Mensch hängt, deutlich verschoben.

Der moderne "Homo sapiens mobiltelefonis" scheint untrennbar mit seinem Gerät verwachsen zu sein. Wenn ich viel Glück habe, unterbricht der Kunde zumindest noch kurz sein Gespräch, um sich wenigstens teilweise mit meiner leider unumgänglichen, aber höchstwahrscheinlich extrem lästigen Anwesenheit zu befassen und mich im Idealfall sogar noch als anderes, menschliches Wesen wahrzunehmen.

Ich habe bereits überlegt, mir eine Handy-Attrappe an ein Ohr zu kleben, um den Kunden damit den Wiedererkennungsvorgang "Handy - Ohr - Kopf - Mensch!" zu erleichtern. Ich fürchte aber, dass die meisten dann versuchen würden, ihre Zigaretten bei mir per Kurznachricht zu kaufen.

Viel öfter ist es leider der Fall, dass ich während des Gesprächs einzelne Wortfetzen zugeworfen bekomme und dann in bester Manier die für mich geltenden Aussagen detektivisch herausfiltern darf.

"Ja, ich bin in ein paar Minuten da. Nein, gerade bin ich an der Tanke. Welche Zigaretten soll ich mitbringen? Marlboro und Lucky rot. Sonst noch irgendwas, dass ich mitbringen soll? Wer kommt nachher noch?"

Spätestens jetzt wird der Kunde mich erstaunt anschauen, weil ich mich noch immer nicht bewegt habe und ihn gelassen und völlig teilnahmslos anschaue. Da ich von Natur aus ein sehr höflicher Mensch bin, fiele es mir im Traum nicht ein, jemanden bei einem Gespräch zu stören, an dessen Ausgang das Schicksal der westlichen Welt zu hängen scheint. Wieso auch sonst sollte man während des Tankens, Bezahlens und Weiterfahrens ein Gespräch führen, als wenn es nicht von immenser Wichtigkeit sein würde? Also bin ich in der Regel still, mische mich nicht ein und warte so lange, bis der Kunde sein Telefonat entweder beendet oder zumindest unterbrochen hat.

Warum nur verstehen die meisten Kunden dies nicht?

Oft reagieren sie äußerst ungehalten, wenn ich aus dem oben angeführten Monolog nicht erkannt habe, dass der Kunde zwei Schachteln Zigaretten erwerben möchte. Hatte er dies nicht mit dem Gesprächspartner besprochen oder galt die Ansage doch mir? Aber woher soll ich wissen, wer noch kommen würde und ob er noch etwas mitbringen sollte? Oder bezog sich doch nur die Aussage mit den Zigaretten auf mich? Mitunter ist es nicht leicht, ich zu sein...

Noch schwieriger wird es, wenn die bei uns leider regelmäßig eintretende, unvermeidliche Sprachbarriere hinzu kommt, da viele unserer Kunden der deutschen Sprache nicht oder nur sehr eingeschränkt mächtig sind.

Da ich dann aus den Gesprächen mit dem Handy leider oft nicht mal grundlegende Informationen herausfiltern kann, sondern mit Glück nur den einen oder anderen Eigennamen verstehe, schauen meine Kunden und ich uns mit schöner Regelmäßigkeit wohl an, als wären wir beide Kühe auf der Weide im strömenden Regen, kurz nachdem der Blitz zwischen uns eingeschlagen hat.

Aber selbst wenn mein Kunde sich einer der zugegebener Maßen wenigen Sprachen bedient, die ich beherrsche, weiß ich noch immer nicht, ob er nun mit mir oder dem Generalsekretär der Vereinten Nationen am anderen Ende der Leitung gesprochen hat.

Ob sich Ban Ki-moon wohl Zigaretten von der Tankstelle mitbringen lässt?

Spricht er überhaupt deutsch?

Wieso sollte er sich seine Zigaretten aus Kassel nach New York mitbringen lassen?

Fragen über Fragen, die der Klärung bedürfen.

Aber ich schweife ab.

Kunden sind in der Regel immer in Eile und wahrscheinlich aus diesem Grund auch immer sehr ungehalten, wenn sie ihre Bestellung an mich direkt gerichtet nun wiederholen müssen. Nicht selten fallen dann auch Worte, die vollkommen unnötig gewesen wären, wenn man den Herrn Generalsekretär für wenige Sekunden vertröstet hätte - ich bin mir fast sicher, dass sowohl er, als auch der Durchschnittstelefonierer am anderen Ende dafür Verständnis aufbringen.

Da die meisten der telefonierenden Kunden noch während der Bezahlung bereits wieder tief in ihr Gespräch versunken sind und sich in der Regel auch gleich mit samt ihrer Käufe in Richtung Ausgang abwenden, erspart mir dies zumindest das "Danke und auf Wiedersehen".

Mein Chef meint ohnehin, ich solle Kunden nicht so oft belügen.

In ganz wenigen Ausnahmefällen ist es dann allerdings schon vorgekommen, dass plötzlich das Gespräch beendet wurde und man sich wieder an meine Anwesenheit erinnerte. Da wurde mir dann auch schon einige Mal vorgeworfen, wie unhöflich ich gewesen sei, weder bitte noch danke gesagt zu haben und überhaupt den Kunden völlig desinteressiert behandelt zu haben.

Was soll ich sagen?

Früher habe ich versucht, mit den Kunden über ihr eigenes Verhalten zu reden, heute entgegne ich eigentlich nur noch: "Wer hat denn damit angefangen?" und greife dann zu meinem Festnetztelefon, um so zu tun, als würde ich ein Gespräch führen.

Erstaunlich, wie oft mancher Kunde dann plötzlich die Gesichtsfarbe wechselt und ohne ein weiteres Wort zu verlieren einfach geht...

Leider haben sich Mobiltelefone in den letzten Jahren stetig weiter entwickelt und zu den Dauertelefonierern sind zwei neue Unter-Gattungen des "Homo sapiens mobiltelefonis" hinzugekommen - der "Homo sapiens mobiltelefonis shortmessages" und der "Homo sapiens mobiltelefonis extremmusicus".

Während der eine mit schöner Regelmäßigkeit gegen unsere Zapfsäulen, die Eingangstür oder Regale rennt, erfreut der andere uns mit lauter, meistens extrem misstönender Musik aus winzigen Handy-Lautsprechern, die jedoch bis zum maximalen Anschlag ausgelastet werden.

Während ich ja für Telefonate mit den Vereinten Nationen noch ein wenig Verständnis aufbringen kann, endet dieses leider direkt bei Textnachrichten. Tragischer Weise sehen dies vor allem jüngere Leute meist anders und sind dementsprechend weder in der Lage mich anzuschauen, noch ihr Wechselgeld zu kontrollieren, da dies einen Zeitverlust von mehreren wertvollen Sekunden bedeuten würde. Diese Zeit könnte durchaus zum Tippen von dutzenden Zeichen einer Nachricht genutzt werden. In der heutigen, schnelllebigen Zeit reden wir hier schon fast von Ewigkeiten.

Ich gestehe, manchmal in Versuchung zu kommen, den entsprechenden Kunden zu wenig Wechselgeld herauszugeben - selbstverständlich nur um zu testen, ob sie es überhaupt bemerken würden. Leider bin ich zu ehrlich für solche Spiele.

Ich bin mir aber sicher, irgendwann die Erlaubnis zu bekommen, zumindest die Bilder unserer Videoüberwachung in der Vorweihnachtszeit als Best-of-DVD auf den Markt bringen zu dürfen. Das dumpfe Geräusch des Einschlags, wenn wieder einmal jemand gegen die Frontscheiben gerannt ist, weil er den Eingang verfehlt hat, klänge in Dolby-surround sicherlich grandios.

Seit Mobiltelefone Musik abspielen können, werden mir sie zusehends unsympathischer.

Natürlich habe ich auch diverse Musikstücke auf meinem Smartphone und höre diese, wenn ich zu Fuß unterwegs bin. Ich benutze dabei allerdings eine recht günstig zu erwerbende Zusatzhardware - die Kopfhörer - und in Geschäften ziehe ich sie der besseren Verständigung mit Mitmenschen halber aus den Ohren.

Ich bin mir sicher, dass viele meiner Mitmenschen meinen Musikgeschmack nicht teilen und empfinde es deshalb als unhöflich, ihnen meine Lieder per Lautsprecher aufzudrängen. Ich stelle mir dann vor, jemand würde die komplette Hitliste der volkstümlichen Hitparade neben mir abspielen und ich müsste das ertragen - nein, wahrlich kein schöner Gedanke, so leid es mir tut, das sagen zu müssen, Herr Silbereisen...

Scheinbar gibt es viele Menschen, die nach der Anschaffung des teuren Mobiltelefons aber leider nicht mehr genug Geld hatten, um noch Kopfhörer zu kaufen. Diese Kunden stehen dann vor mir an der Kasse und aus ihrem Micro-Möchtegern-Ghettoblaster tönt die Musik so laut, dass es in den Ohren schmerzt - vor allem, wenn man hört, welche Qualität die Musik dann meist nur noch hat.

Oft bedarf es mehrerer Aufforderungen meinerseits, bis der Handybesitzer seine Lärmbelästigung endlich herunterfährt, was dann wiederum zur Folge hat, dass meine eigene Stimme übermäßig beansprucht wird, um das nervige Gequietsche aus dem Handy zu übertönen.

Viel lieber sind mir dann doch die Kopfhörerträger. Sie können mich zwar in den meisten Fällen nicht hören, da die Herausnahme der Stöpsel aus den Ohren wahrscheinlich viel zu viel Arbeit bedeuten würde, aber dafür ersparen sie mir im Gegenzug genau wie die Dauertelefonierer jegliche Zwangskonversation, was meine zwischenmenschlichen Aktionen mit dem Kunden auf ein Nicken beschränkt.

Wie konnte der Mensch vor der Erfindung des Handys überhaupt jemals den evolutionären Schritt hin zum aufrechten Gang schaffen - so ganz ohne App?

Sprit bitte - vollgetankt habe ich schon.

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