Читать книгу Auf Bali geht um Vier die Sonne unter - Maik Zehrfeld - Страница 3
Оглавление1. Vorsätze
Sieben. Sechs. Fünf. Vier. Drei. Zwei. Eins. „FROHES NEUES!“ So wird es wohl gewesen sein. Ich meine, so ist es doch eigentlich immer, oder? Okay, hier und da heißt es halt „Three. Two. One“ oder „Troi. Deux. Un“, aber die Aussage bleibt die Selbe. Ob jung oder alt, ob schwarz oder weiß, ob Israeli oder Palästinenser, ob Dortmunder oder Schalker. Sie alle zählen in das neue Jahr und euphorisch hoffend in die Zukunft. Und sie alle haben gute Vorsätze. Besser in der Schule sein. Mehr mit den Enkeln unternehmen. Präsident werden. Weltfrieden schaffen. Endlich mal wieder deutscher Meister sein. Alles absolut realistisch. Zumindest realistischer als meine Wünsche. Denn nächstes Jahr, da möchte ich auch mal wieder in das Public-Countdowning am Silvesterabend einstimmen. Naja, vielleicht habe ich das ja auch in good old 2011 getan? Denn schon beinahe obligatorisch schreiben wir bereits den zweiten Januar des Jahres und meiner einer hat bislang größtenteils 2012 verschlafen. Definitiv habe ich dieses Jahr den größten Teil meines - nennen wir es gnädiger Weise „Essens“ – durch den Mund in die eigentlich nicht von Darwin-Schrägstrich-Gott dafür vorgesehene Richtung geschleudert. Und von meinen Freunden habe ich auch noch nichts gehört. Könnte die ja mal fragen, wie mein Silvester so war. Denen geht es aber sicherlich genauso. Neujahr ist für Über-11-Jährige doch mittlerweile ein Tag der Resozialisation und Reue geworden. Um 0:01 Uhr fasst man sich noch den Vorsatz, weniger zu trinken um geschätzte vierundsiebzig Minuten später so viel intus zu haben, dass schnell das Stadium des Vergessens eintritt. Und das nicht nur bezüglich ein paar Vorsätze. Mir fehlt dieses Mal alles zwischen etwa 21 Uhr am Silvesterabend und... Nun ja, jetzt. Ich weiß noch, wie ich die Tür geöffnet habe und Chris und Matze davor standen. Viertel vor Neun waren somit endlich alle Gäste anwesend.
„Nimm!“ begrüßte mich Chris mit einer Kanne Bier. Wie immer war er in Feierlaune. Ein lautes Anstoßen, ein kräftiger Schluck und er verschwandt in der Küche, zwei Kästen Bier im Schlepptau. Wenn es um die Grundversorgung geht, ist er auf einmal nicht mehr so unsportlich wie ein italienischer Schwalbenkönig sondern flexibel und sprung-freudig wie ein chinesisches Turnmädchen bei Olympia.
„Hi Sven“ sagte Matze, noch immer im Treppenhaus stehend.
„Hi! Komm doch rein und häng Dich auf“ antwortete ich und nahm ihm die Tüte No-Name-Chips ab. Matze suchte sich einen freien Platz im Wohnzimmer und kurz darauf stoß auch Chris dazu. Nun waren also endlich alle geladenen Gäste da. Alle beide.
Kurz nachdem Chris erneut „Nimm!“ gesagt hat, gibt es ein lautes Anstoßen, einen kräftigen Schluck, und... Ta-daa! Zweiter Januar. Das Einzige was mich beruhigt ist, dass es nicht das erste Mal so verlief. Seit 2003/2004 machen wir das im Grunde genommen so. Jahr für Jahr. Flasche für Flasche. So wissen wir wenigstens, woran wir sind. Alle bauen Silvester immer die größten Feiererwartungen auf, um dann enttäuscht zu werden. Dieses Feierzwangenttäuschungsritual lassen wir uns nicht bieten. Wir besiegen es. Niedrige Erwartungen sind die Basis eines hohen Erfüllungspotenzials. Nicht zuletzt können wir mit einer jährlich hundertprozentigen Rücklaufquote aller Eingeladenen rechnen. Wer kann das schon von sich behaupten? Paris Hilton mit Sicherheit nicht. Die muss Absagen von Stargästen hinnehmen und sich darüber ärgern, dass irgendeine andere Millionärs-Medien-Matschbirne eine teurere Party schmeißt. Feierzwangenttäuschungsritual deluxe. Armes Mädchen. Und wir befolgen schlicht the same procedure as every year. Zumindest solange the procedure ein Etikett mit dem Namen „Krombacher“ trägt. Oder „Heineken“.
Da der Vorsatz, in 364 Tagen nicht mehr nur zu dritt in das neue Jahr hinein zu zählen (und sich im Nachhinein noch daran zu erinnern!), wohl etwas utopisch erscheint, will ich auch noch etwas Realistisches vorschlagen: Ich werde Comedian! Das wollte ich schon immer werden. Regelmäßig bringe ich meine Mitmenschen zum Lachen. Die perfekte Ausgangssituation also. Und bei den Ladies kommt man als Comedian doch sicher auch bombig an. Die stehen doch alle auf Typen, bei denen man über Anderes als die Frisur, die Kleidung oder das Gemächt lachen kann. Humor ist das neue Schwarz. Da bin ich mir so sicher, wie nackte Brüste im Nachtprogramm eines Sportfernsehsenders.
So reihe ich mich also in die anderen realistischen Vorsätze der Menschen dieser Welt ein. Weltfrieden, Präsidentschaft, Israelisch-palästinensische Freundschaft. Nur der Schalker muss Jahr für Jahr auf seine Schale warten.
Sieben. Sechs. Fünf. Vier. Drei. Zwei. Eins. „Und der Hot Button hat wieder zugeschlagen!“
Ich hasse diese Call-In-Quiz-Sendungen. Aber irgendwie bleibe ich dann doch immer mal zwischendurch dort hängen. Einfach nur, um mich darüber aufzuregen. Über den „Sender“, das „Spielprinzip“, die Verarsche. Und am meisten über die Idioten, die da anrufen. Klar, schon verlockend, so eine kleine, bunte und mit einer Zahl beschriftete, glitzernde Schachtel, die sich Geldpaket schimpft. Da könnten ja Millionen drin sein in großen Scheinen. Sind sie aber nicht! Heute werden Wörter gesucht, die mit „Schul“ anfangen. Die heiße Endphase läuft, es wird bereits mehrere Minuten überzogen. Die Sendung endet gleich. Die Sendung endet mittlerweile seit geschlagenen drei Stunden. Als ich das erste Mal rein gezappt habe, war ein Wort gelöst: Schulfreund. Kurze Zeit später wurde mit Schulsport der zweite Begriff erraten. Durch seine packende Art und verschlüsselten Hinweise bringt der ehemalige Container-Bewohner mich dazu, weiter zu schauen. Okay das, und weil ich stark verkatert zu faul bin, nach Alternativen im Fernsehprogramm zu suchen. Meine Aufzeichnungen zählen mittlerweile 84 fehlgeschlagene Lösungsversuche, 46 Aufleger und zwei Beleidigungen, von denen zwei absolut berechtigt waren. Zumindest einleuchtender als die um 0:23 Uhr nachts folgende Auflösung der Sendung, die um 22 Uhr zu Ende sein sollte: „Schulschiffzeit“. What the…? Ich nehme mir die Lösung zu Herzen und wuchte meinen trägen Körper Richtung Badezimmerporzellan. Danach statte ich dem Sportsender-Nachtprogramm noch einen kurzen Besuch ab, säubere die Sauerei notdürftig und gehe schlafen.
Irgendetwas macht ein Geräusch. Und das viel zu laut und viel zu nah an meinem Kopf. Ich fuchtele wild in der Luft herum. Mehr oder weniger kann ich das hektische Gesumme und Gepiepe orten. Ein gezielter Glücksschlag und es ist aus. Endlich. Schön. Weiterschlafen ist angesagt und ich drehe mich im Halbschlaf auf die andere Seite meines Alabasterkörpers.
„Sven? Hallo? Sveeheeen?“
Ich wundere mich kurz, warum mein feuchter Traum, dem ich mich soeben wieder widmen wollte, so laut ist. Eine so kleine, blonde, gut gebaute Süße, und dann so laut? Naja, es kommt ja auf das Innere im Menschen an.
„Wach auf, du Sau!“
Frivoler Sprachschatz geht ja in Ordnung, gerne sogar. Aber eine rauchige, männliche Stimme? Und sehe ich da Bartstoppeln? Wuaah! Mein feuchter wird ein schwuler Traum. Hilfe! Ne, das ist nichts für mich. Ich wache lieber schreckhaft auf.
„Wie, was.... Gott?“ murmel ich nun pseudo-aufrecht sitzend blind in den Raum.
„Das hätteste wohl gern“ tönt es halblaut von halbrechts. Ich taste nach meiner Brille und erwische mein Handy. Ahh, mein Handy.
„Hallo? Chris?“ frage ich immer noch etwas zweifelnd in das leichte Stück Billig-Plastik aus dem fernen Osten.
„Na endlich. du hast es erfasst. Wo bleibste denn?“
„Watt? Wann ist denn?“
„Bereits halb.“
„Halb wann?“
„Halb jetzt. Halb drei und du pennst.“
„Scheiße, ja. Unterschreibst du für mich? Danke. Ich mach’s auch wieder gut, versprochen.“
„Jaja, aber du weißt: Nur 86 Prozent aller Täuschungsversuche klappen. Immer das gleiche mit Dir. Hau Dich weg. Wir sehen uns nachher. Bleibt’s bei 8?“
„Yep, bleibt. Danke nochmal. Bis denne!“
Verdammt, schon wieder verpennt. Dieser ganze BWL-Kram liegt mir nicht. Zumal die Motivationsmethoden von unserem Prof bei mir nicht ganz ziehen wollen.
„Bei mir werden nur fünf Prozent durchfallen! 50 Prozent werden nicht bestehen und die restlichen 45 Prozent werden es nicht ganz schaffen. Willkommen im Semester!”
Da wäre Comedian doch viel besser. Da muss man auch nur abends arbeiten. Und man kommt besser bei den Frauen an. Ich nehme gewohnheitsmäßig die Fernbedienung in die Hand und wähle gekonnt im Blindflug die 15 auf den Tasten. Sportfernsehen. Ach, was hab‘ ich aber auch für ein Pech. Da muss natürlich gerade etwas über Sport kommen. Der kurze naive Zapping-Versuch auf den Musiksender wird jäh von irgendeiner untertitelten Ami-Scheiße unterbrochen. Musikfernsehen ist so Neunziger. Leider. Ich schalte den Fernseher genervt wieder aus und beschließe, meinen neu angestrebten Werdegang in Angriff zu nehmen. Aber erst einmal wird gefrühstückt. Und da heute passenderweise die Vorlesung für mich ausfällt, kann ich mir dafür Zeit nehmen.
Es soll ja Menschen geben, die essen kein Fleisch. Andere essen keine Tiere. Wieder andere nichts, was auch nur an Tiere erinnert oder damit zu tun hat. „Das hat ´nen Vokal im Namen, das ess‘ ich net“. Ich fühle mich nach den drei mehr als schmackhaften Mettbrötchen wie neu geboren. Das Geheimnis: Chili-Gewürzpulver und eine selbstgemachte Fleisch- Grill-Gewürzmische. Selbstverständlich neben dem obligatorischen Salz und Pfeffer. So erhält das Ganze eine pikant-exotische Note, klar im Abgang. Die armen Vegetarier, Veganer und Menschen ohne Zähne. Die verpassen was.
Nachdem ich diese Worte geschrieben und den Wikipedia-Artikel somit für die Nachwelt fertig gestellt habe, raffe ich mich auf, zum nahe gelegenen Elektrofachgeschäft mit dem Planeten im Namen zu gehen. Ich muss etwas Schulungsmaterial für meine kommende Berufung besorgen. So wenig Zeit und Geld ein Student auch hat, für Mettbrötchen und eine DVD reicht es immer noch irgendwie.
„Ist ja auch für meine Zukunft, quasi eine Investition in meine Bildung.“
„Toll. Macht Sechs-Fuffzich.“
„Stimmt so.“
„Aber das sind nur fünf Euro!“
Na toll, die Kassiererinnen hier sind meinem Unterhaltungsniveau wohl noch nicht gewachsen. Es kommen mir kurz Zweifel, ob die Welt vielleicht einfach noch nicht bereit für mein enormes Komikpotenzial ist. Während ich Richtung Heimat schlendere, lese ich gebannt den Klappentext des silberrunden Schlüssels zu meiner Lustigkeitslizenz für Anerkennung, Geld und Frauen. Hm, ein halbglatziges, verschwitztes, leicht pumeliges Ebenbild von Stefan Raab, welcher ausnahmslos über seine Freundin erzählt? Und das soll lustig sein? Während ich gerade noch einen Beinahe-Unfall mit einer Straßenlaterne vermeiden kann, denke ich mir, dass man so etwas vielleicht nur nachvollziehen kann, wenn man gerade selbst in einer Beziehung steckt, bei der mindestens zwei Partner aus mehr als einer linken Hand bestehen. Und nein, rechte Hände meine ich damit nicht. Daheim angekommen beschließe ich, dem Berliner Witzejongleur der Neuzeit eine Chance zu geben und drücke erwartungsvoll auf „Play“.