Читать книгу Auf Bali geht um Vier die Sonne unter - Maik Zehrfeld - Страница 9

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7. Das Leben in vollen Zügen genießen

Verkäuferinnen wirken gleich um einiges unfreundlicher und weniger ambitioniert, wenn es darum geht, gesonderte Fälle zu bearbeiten.

„Ich möchte das einfach nur umtauschen. M ist mir zu klein, ich brauche L.“

„Meinen Sie? Sie sehen für mich eher wie ein M-Typ aus...“

„Aber genau das ist mir ja zu klein. Die fallen vielleicht einfach klein aus...“

„Eigentlich nicht, aber okay. Ich schau mal, was ich für Sie tun kann.“

Na geht doch. Während die Verkäuferin wild an ihrer Kasse herum tippt, kann man ihrer Nase kaum aus dem Weg gehen. Was für ein Brummer. Es ist wie bei einem Autounfall: Schrecklich, aber man kann nicht wegsehen. Will man ihr während eines Dialogs einfach nur höflich in das Gesicht schauen, gleitet der Blick immer wieder automatisch zum dominierenden Geruchsorgan. Mike Krüger müsste sich zwölf Ferrari kaufen, um die zu ihrer Nase fehlende Länge zu kompensieren.

„So hier.“

Die sprechende Nase drückt mir einen Zettel in die Hand.

„Bitte unterschreiben. Holen Sie nun einfach ein größeres Hemd und kommen Sie noch einmal zu mir, zum Entsichern.“

„Alles klar, danke.“

Leicht ängstlich, kein Exemplar in Größe L vorfinden zu können, mache ich mich auf zum Regal, an dem Toms Brüder hängen. Aber ich habe Glück, eine Größe L ist noch vorhanden. Um einem absoluten Desaster aus dem Weg zu gehen, entschließe ich mich, das Hemd nun doch vor Ort anzuprobieren. Ein schneller Blick zu den Umkleiden zeigt, dass dafür keine Zeit ist. Spontan entschließe ich mich dazu, es direkt auf dem Gang zu testen. Ich lege meine Klamotten zur Seite und kämpfe mich aus meinem Sweatshirt. Dabei immer ein Auge auf das neue Hemd gerichtet. Geschwind in die Hemdärmel, die Knopfreihe zugeknöpft, und: Es ist zu groß! Ich werd bekloppt. Das kann doch nicht sein. Für was für Menschen werden denn bitte diese Konfektionsgrößen geschneidert? Mit 1,74m und 71 Kilogramm bin ich doch nun auch nicht soo unnormal, oder? Kurzfristig überlege ich, für einen besseren Fit des Hemdes einfach ein paar Pfund zuzulegen. Ist ja schnell gemacht. Aber für ein Hemd meine gesamten anderen Klamotten zu benachteiligen erscheint mir dann doch ungerecht. Genervt und leicht zornig erregt schreite ich zurück zur Kasse und knalle meinen Kassenbeleg auf die Theke.

„Sie sollten doch das neue Hemd direkt mitbringen...“

„Zu groß.“

„Aber Sie haben doch gesagt...“

„Geld. Können Sie mir bitte das Geld geben?“

Der Pegel an Unfreundlichkeit steigt sekündlich an bei der Verkäuferin. Widerspenstig tippt sie erneut eine Runde auf ihrer Rechenmaschine herum und zahlt mir den Betrag als Gutschrift aus.

„Danke. Man riecht sich später.“

Ich nehme den Gutschein und wanke bedröppelt aus dem Laden. Schöne Scheiße. Nun muss ich noch ein drittes Mal los, um endlich etwas eingekauft zu bekommen. Dem zielstrebigen Einkaufstyp scheine ich nicht mehr anzugehören.

Noch immer etwas gefrustet mache ich mich auf den Weg zu meiner Bahnstation. In etwa gleicher Schrittgeschwindigkeit und mit anscheinend identischem Ziel läuft eine kleine Gruppe Jugendlicher neben mir her. Meine Stimmung vermiest sich noch mehr, als ein Handy zu klingeln beginnt. Einer der Jugendlichen rückt seine Basecap von Viertel vor Neun auf Sechszehn vor Zwölf.

„Ey, wisst ihr? Ich hab da voll das neue Witzige!“

Kaum sind die Worte ausgesprochen, fingere ich auch schon in meiner Jackentasche nach der digitalen Erlösung namens Kopfhörer. Verdammter Mist, zu Hause vergessen! Und schon beginnt eine hochfrequente Stimme, einen gespielten Anruf nachzustellen. Intuitiv verkleinere ich meine Schrittfrequenz und hoffe, dass das Übel einfach seinen Lauf nimmt. Möglichst von mir weg. Ich nutze die gewonnene Schlenderzeit und schaue mir die Einkaufsstraße etwas genauer an. Von den Geschäften her sieht sie wohl aus, wie jede andere Fußgängerzone in Deutschland. Fressbude, Kleidung, Elektronik, Fressbude,... Immer das Gleiche. Doch dann muss ich kurzfristig stehen bleiben. Ein prüfender zweiter Blick bestätigt meine Hoffnung und verbessert meine Laune schlagartig. Da steht doch tatsächlich inmitten all der 08/15-Geschäfte ein Unternehmen, welches sich auf Lampen und Beleuchtungsartikel spezialisiert hat. Soweit, so langweilig. Aber der Claim des Unternehmens, der dick und fett am Eingang zu lesen ist, der hat was:

„Watt ihr Volt!“

Danke schön. Genau so etwas sollte das Ziel eines jeden Werbetreibenden sein. Ein simples und einprägsames Wortspiel passend zur Ausrichtung des Unternehmens. Kurz überlege ich, diese Idee mit dem Kauf einer Glühbirne zu unterstützen, aber dann fällt mir ein, dass ich eine Glühbirne momentan einfach mal so gar nicht gebrauchen kann. Kaum habe ich mich wieder auf den Weg zur Bahnhaltestelle gemacht, höre ich auch schon wieder lauter werdende auswechselbare Hip Hop Beats. Die Gruppe Handys mit Jugendlichen ist an einem Stand mit gefälschten Armbanduhren und sonstigem Bling-Bling stehen geblieben. Ich beschleunige kurz und ziehe gekonnt vorbei. Immerhin habe ich das schon einmal hinter mich gebracht. Der Blick auf die Anzeigetafel sorgt für eine weitere Beschleunigung. Die Bahn fährt anscheinend gerade ein. Gekonnt fliege ich die Treppenstufen geradezu herunter und renne in das Bahnabteil. Mit meiner Leistung zufrieden setze ich mich in einen der Viererplätze. Wenn man erst einmal auf der anderen Seite der Plastikscheibe ist, sind Menschen, die rennend versuchen eine Bahn zu erwischen schon wieder mit einem hohen Unterhaltungswert gesegnet. Gerade sonst eher unsportliche Menschen haben dann eine gewisse Komik an sich. Wenn allerdings eine Gruppe Kindergartenkinder anfängt, auf einen zu zu rennen, schlägt das Gefühl schnell in Angst rum. Meine Ohren erwarten sehnsüchtig das Schließsignal der Türen. Da, ein Piepen, wunderbar. Alle Türen schließen, perfekt. Aber warum hören die Kleinen nicht auf zu rennen und lassen sich weinend auf den Boden fallen um ihre Erzieherinnen in den Wahn zu nerven? Ganz einfach: Weil ein älterer Herr mit einem Schritt auf den Stufensensor eine Tür offen gehalten hat. Er meinte es sicherlich gut, aber im Alter anscheinend verlorene Weitblick und die missglückte Einschätzung der Situation werden ihn noch abstrafen.

„Nils, Jasmin, Mareike, Tim, setzt euch bei dem jungen Mann in den Vierer“ höre ich eine der alten Kinderführerinnen auch schon raunzen.

„Niklas, Judith, Kim und Tom, ihr setzt euch mit mir hier rüber.“

Tom. Hätte ich nicht wenigstens den haben können? Der sieht auch viel ruhiger aus, als die acht Kinderaugen, die mich jetzt doof anglotzen. Das kommt davon, wenn man vor zwölf Uhr aufsteht, um mit der Bahn zu fahren. Klasse Idee. Nach fünf nervenaufreibenden Stationen und einer verkippten Capri-Sonne, bin ich froh, das Höllenabteil verlassen zu können und kann die Altersfalten der Erzieherinnen absolut nachvollziehen. Die sieht zwar aus wie 39 ist aber bestimmt erst Vierzehn. Mit solchen Kindern kann man einfach nicht gut aussehen. Auf dem Weg zu meiner Haustür fingere ich nach meinem Schlüssel. Ich fische ihn aus meiner Hosentasche und finde daran hängend meine Kopfhörer. Die 98 Stufen gehe ich in Demut nach oben.

Ich habe noch ein bisschen Zeit, bis mein angepeilter Zug nach Köln fährt und surfe noch ein wenig im Internet. Kaum bin ich online, schreibt mir Jonas eine Nachricht und erscheint blinkend am unteren Bildschirmrand.

SvenTheMan80 (13:12)

Mensch Jonas, was lungerst du in meiner Taskleiste rum? Haste keine eigene? :)

Cpt.Jonas (13:12)

Haha, du bist ja witzig. Ich bin hier grad mit CuteFTP am rumwerkeln, aber hab nur Probleme. Dieses Drecksprogramm macht mich fertif...

Cpt.Jonas (13:13)-f + g

SvenTheMan80 (13:13)

Was macht das eigentlich?

Cpt.Jonas (13:14)

Es ist scheiße!!!!1

SvenTheMan80 (13:14)

Okay, ich formulier es anders: Was soll es denn machen?

Cpt.Jonas (13:14)

Funktionieren...

SvenTheMan80 (13:15)

Mein Gott, arbeitest du bei Microsoft? du gibst kurze korrekte Antworten, die kein Schwein weiter bringen...

Cpt.Jonas (13:15)

Bist du Günther Jauch? Wer dumme Fragen stellt, bekommt dumme Antworten. ;)

Nach einer guten Viertelstunde kranker Vergleiche und einer ähnlich kranken Diagnose seiner Softwareproblematik kamen wir zu dem Entschluss, dass er bei seinem Passwort die Groß- und Kleinschreibung vergessen hat. Dank dieser kleinen unnützen Odyssee hätte ich beinahe die Zeit vergessen. Ich verabschiede mich von Jonas und packe schnell meinen letzten Kram zusammen. Die S-Bahn zum Bahnhof erwische ich gerade pünktlich und schaffe es somit mit etwas Pufferzeit zum Hauptbahnhof der Deutschen Bahn. Immerhin muss ich ja auch noch ein Ticket holen. Und das ist nicht immer ein Spaziergang. Der Bahnhof selbst ist heute erstaunlich wenig überfüllt. Die Chance, einigermaßen unbeschadet die gesamte Halle zu durchqueren um zu den Kartenautomaten zu gelangen, scheint recht hoch zu sein. Hier am Bahnhof ist es ähnlich, wie in der Fußgängerzone, mit dem einen kleinen aber bedeutsamen Unterschied: Koffer. Am besten noch kleine Trollies, die man hinter sich herzieht und die kein Schwein sieht. Dazu kommt dann ein plötzliches Stoppen, weil die feine Dame, die genau am Aufgang zu den Bahnsteigen 3 und 4, steht gucken muss, wo denn wohl Bahnsteig 2 liegen könnte. Eine Kettenreaktion wird in Gang gesetzt: Um einen Auflaufunfall zu vermeiden muss ein älterer Herr ausweichen und blockiert somit den Gegenverkehr. Alle müssen langsamer werden, bleiben stehen oder rempeln sich an. Das Weltklima verschlechtert sich, weil alle von sich gegenseitig jeweils denken „man, was ist das denn nur für ein volltrunkener Penner?!“. So ist niemandem geholfen. Und kein Wunder, dass der Bahnhof heute einigermaßen leer erscheint: Anscheinend haben sich alle Menschen Hannovers dazu entschlossen, sich in diesem Augenblick ein Bahnticket an einem der zahlarmen Automaten ziehen zu wollen. Aus Zeitgründen lasse ich eine eingehende Prüfung der verschiedenen Warteoptionen ausfallen und stelle mich bei der nächstbesten Schlange an. Dieses Mal habe ich wirklich Glück. Ein junges Pärchen vor mir scheint kurzfristig eingefallen zu sein, dass es doof ist, vor einem Automaten Schlange zu stehen und entschließt sich zu gehen. Außerdem entpuppt sich die weitere Menschenmasse vor mir als eine Großfamilie, die gesammelt zu elft von dannen zieht, als der Familienvater selbiges mit dem Automatenticket macht. Ich wusle mich durch die Automatenlogik und erhalte nach kurzer Zeit einen kleinen Ausdruck für 63 Euro. Hannover Hbf – Köln Hbf; Köln Hbf – Hannover Hbf. Fein. Danach gehe ich den gesamten Weg durch die Bahnhofshalle zurück zu meinem Gleis ohne einen Auflauf zu veranstalten und schaue nach, in welchem Abschnitt die Wagen der zweiten Klasse bestimmt sind, stehen zu bleiben. Ich gehe etwa einen Abschnitt weiter, als auf dem Plan angegeben, lege meinen Rucksack ab und schaue auf die Uhr. Na klasse, noch zwölf Minuten. Da wird einem das Timing bereits vollkommen dadurch versaut, dass alles einigermaßen planmäßig abläuft. Kaum ist mir dieser Gedanke durch den Kopf gegangen, da ertönt auch schon eine alte Männerstimme durch die Bahnsteiglautsprecher:

„ICE 2049 aus Berlin Ostbahnhof bis Köln Hauptbahnhof über Bielefeld, Hamm, Dortmund, Abfahrt 14:31 Uhr, wird voraussichtlich etwa fünf Minuten später eintreffen. Wir danken für Ihre Geduld.“

Was denn bitte für eine Geduld? Dass er es noch einmal wiederholt und in gebrochenem Englisch aufsagt, macht das Ganze auch nicht besser. Um weiteres Unheil möglichst aus dem Weg zu gehen, stöpsele ich meine Kopfhörer in Handy und Ohren. So überhört man die Durchsagen und ärgert sich erst über eine Verspätung, wenn es wirklich dazu kommt und nicht elf Minuten vorher.

23 aufregende Minuten und eine Tüte Chips aus dem Automaten später fährt auch schon der Zug ein. Um „ist der noch frei?“-Gesprächen gegenüber gewappnet zu sein, schalte ich meinen MP3-Player ab und stöpsele mein rechtes Ohr frei. Mein angezielter Waggon bleibt selbstverständlich nicht dort stehen, wo er stehen bleiben sollte, aber ich habe Glück und stehe direkt vor einer anderen Eingangstür. Die Tür öffnet sich und ich bin froh, dass viele Menschen aussteigen wollen. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass in dem Waggon noch freie Plätze vorhanden sind. Denn sind wir mal ehrlich: Drei Euronen für eine Platzreservierung? Nein danke. Schade ist nur, dass anscheinend alle Reisenden mit Hannover als Ziel durch genau meine anvisierte Tür aussteigen müssen. Neidisch schaue ich zur Tür am anderen Ende des Abteils, wo bereits Leute einsteigen. Kein Wunder, dass das hier nicht voran geht. Eine alte Dame hat ihre kompletten Erbschaften mit dabei und lässt sich diese von diversen Herren über die Schwelle tragen. Somit dürfte sich die Verspätung des Zuges noch weiter ausbauen. Endlich ist der Weg frei und ich schlängle mich durch den dünnen Eingang und haste in das Abteil. Ein freier Platz ist schnell gefunden. Zumindest sitzt da keiner drauf. Ein schneller prüfender Blick auf die Reservierungsanzeige erfüllt meine Hoffnungen und ich lege meinen Rucksack ab. Während ich im Begriff bin, meinen stilvollen Kurzmantel abzulegen fällt mir ein, dass es doch irgendwie geiler ist, in Fahrtrichtung an einem Fensterplatz zu sitzen und entschließe mich, doch eine Reihe weiter zu gehen. Auch hier der Blick zur Digitalanzeige: Frei. Wunderbar. Sitzplatz, Armlehne, Fenster, Tisch – alles dabei. Erleichtert lasse ich mich in den Sitz sinken und schaue den nach mir Eingestiegenen bei der hektischen Platzsuche zu. „Ist der noch frei?“ hier „Entschuldigen Sie, ich glaube, Sie sitzen auf meinem Platz“ dort. Selbstzufrieden, bereits die Früchte der eisernen Platzsuche gefunden zu haben, stöpsele ich mir den Kopfhörer wieder in mein rechtes Ohr und schalte mein mobiles Orchester an.

„And when I’m tired of walking alone, I put my headphones on. And whe…”

Und wieder aus. Ein älterer Herr stupst mich mehrmals an.

„Junger Mann?!“

„Hä?“

„Sie sitzen auf meinem Platz...“

„Wie meinen?“

„Ich habe den reserviert.“

„Aber ich habe doch vorhin extra geguckt...“

„Ja, die schalten sich manchmal erst später ein.“

Tatsache. Mein erneuter Blick auf die Anzeige zeigt mir ein sarkastisch aufleuchtendes „Hannover Hbf – Dortmund Hbf“. Na super. In der Zeit in der ich selbstzufrieden vor mich hin gesessen habe, haben alle anderen Leute Plätze fürs Leben gefunden. Der Waggon scheint voll zu sein. Ich packe meine Klamotten zusammen und mache mich auf zum nächsten Wagen. Auf dem Gang stecke ich hinter einer dicken Frau fest, die versucht, möglichst unerotisch ihre Jacke auszuziehen. Mit Erfolg. Ein wehmütiger Blick nach links offenbart mir, dass auf meinem zuerst anvisierten Platz ein Herr mittleren Alters neben einer hübschen jungen Frau sitzt. Und bei beiden Plätzen liegt keine Reservierung vor. Fuck. Im nächsten Abteil sieht es nicht viel besser aus. Anscheinend wollen alle ihren Freitagabend in Köln verbringen. Hinten links entdecke ich eine kleine Lücke im Meer der Köpfe und mache mich auf den Weg. Nach einigen Schritten entpuppt sich der vermeidliche Parkplatz als Kleinwagen. Zwei kleine Kinder grinsen mich an. Es ist ein hämisches, schadenfrohes Grinsen. Gut, dass ihr in die Weltwirtschaftskrise hinein geboren wurdet, ihr Drecksblagen. Wenn es um Sitzplätze im Zug geht, gibt es keine Freunde oder Zukunft, die auf kleinen Beinchen unterwegs ist. Ein weiterer verzweifelter Rundumblick offenbart mir jedoch eine andere frei erscheinende Stelle. Aber nicht nur das: Auf der anderen Seite des Gangs scheint ein anderer junger Mann dasselbe Problem wie ich zu haben. Er schaut genau in die Richtung meines neuen Ziels. Dann schaut er zu mir. Wir bleiben beide einen kurzen Augenblick stehen. Schnell laufe ich zügigen Schrittes über den Gang. Er fängt schon beinahe zu rennen an. Doch dieses Mal hat er das Pech: Ein voluminöser Herr möchte einen Schokoriegel aus seinem Koffer holen und versperrt den Gang und die Grenzübergänge an alle Ostblockstaaten gleichzeitig. Ich schere kurz davor in den freien Platz ein und schicke ein hämisches Grinsen zu meinem Interimskontrahenten hinüber. Dieser lässt seine Faust schwingen und zieht erbost in die andere Richtung ab. Noch im Endorphinrausch des Sieges schwelgend, schaue ich auch hier auf die Reservierungsanzeige: „Hannover Hbf – Bielefeld Hbf“ steht dort geschrieben. Aber der Zug ist seit einigen Minuten in Bewegung und weit und breit niemand zu sehen, der berechtigte Ansprüche auf den Platz zu erheben scheint. Die ältere Dame am Fensterplatz scheint von dem ganzen Schauspiel etwas irritiert zu sein und schaut von ihrem Taschenbuch zu mir hoch. Ich setze mich erst einmal hin und warte ab. Nach wenigen Momenten sehe ich mich in meiner Entscheidung bestätigt, denn die Reservierung erlischt. Klasse, denke ich mir und lege meine Klamotten ab.

„hen it’s time to get out of this all, I put my headphones on. And when…”

Erneut werde ich aus dem kurzen Musikintermezzo geprügelt.

„Nein, ich möchte nichts trinken, danke.“

„Ähm, das ist mein Platz, auf dem Sie da sitzen,“ sabbelt es und hält demonstrierend eine Platzkarte in die Luft.

„Aber, das Licht ist bereits aus,…“

„15 Minuten!“

„Was, 15 Minuten?“

„So lange hat man noch ein Anrecht darauf. 14:31 Abfahrt, 14:46 erlischt es…“

Und wir haben 14:45 Uhr. Bingo. Erneut sammel ich meine Sachen und stehe auf. Ich versuche erst gar nicht, im nächsten Waggon unter zu kommen, sondern hocke mich im Zwischenbereich vor den Toiletten hin. Gar nicht mal soo unbequem.

„hen it feels like everything’s lost, I don’t wanna listen to the static of the radio.“

30 Minuten und fünf Sitzpositionswechsel später, denke ich weitaus anders darüber. Es macht schon was aus, die drei Euro Gebühr für eine Sitzplatzkarte zu zahlen. Das weiß man erst nach einem solchen Trip zu schätzen. Wundert mich, dass nicht auch hier jemand kam, und meinte, der Platz würde ihm gehören, und auf ein über meinem Kopf leuchtendes Schild oder seinen eingeritzten Namen deutet. Das zum Thema „Das Leben in vollen Zügen genießen“. Volle Züge sind scheiße.

„Eine Durchsage: Sven Bukholz wird aufgrund einer Signalstörung um zirka fünfzehn Minuten angepisster sein. Ich wiederhole: Sven Bukholz wird aufgrund einer Signalstörung etwa zwanzig Minuten angepisster sein. The passenger Sven Bukholz will be pissed of about 25 minutes more, because of signal failure. Thank you for traveling without style.“

Auf Bali geht um Vier die Sonne unter

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