Читать книгу Auf Bali geht um Vier die Sonne unter - Maik Zehrfeld - Страница 6

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4. Tom

Heute schaffe ich es einfach nicht zu BWL. Es gibt viel zu viel zu tun. Ich muss noch Einkaufen, die Küche auf Vordermann bringen, Etwas essen und den üblichen Internetkrams erledigen. Und nebenbei auch noch den guten Vorsatz vorantreiben, Comedian zu werden. Da bleibt keine Zeit für meinen zweiten Bildungsweg per Studium. Und dann kommt einem mal wieder Mr.HelloKitty59 dazwischen. Schon wieder hat der Sack meinen Wikipedia-Eintrag gelöscht. Langsam bin ich es leid, meine kostbare Freizeit für die Allgemeinbildung und den Fortschritt der Gesellschaft zu opfern, wenn immer wieder alles, was ich mit den Händen aufgebaut habe, von dem Arsch wieder eingerissen wird. Heute habe ich einen kurzen Dokumentarfilm über die Kreation des perfekten Mettbrötchens eingestellt. Das sollte auch den letzten Gourmet-Banausen davon überzeugen, dass mein Beitrag von Wert ist. Ein schmackhafter Beitrag mit wertvollen Essenzen, gewürzt mit einer Prise Humor. Wie ein Mettbrötchen halt.

Aber jetzt ist Schluss mit dem Lotterleben. Nun heißt es in die Hände gespuckt und angepackt. Ich packe meinen Wäscheberg beherzt in beide Hände, stiefel durch die Wohnung und verliere auf dem Weg zur Waschmaschine die Hälfte. Waschmaschine vollgestopft, Waschmittel rein, Hahn aufgedreht und ab geht die Schleuder. Ich spüle schnell ein Messer, eine Gabel und einen Teller in weiser Voraussicht für heute Abend und schnüre die Müllsäcke zusammen, um sie nachher mit runter zu bringen. Danach geht es ins Badezimmer. Rasieren, beim Duschen die Zähne putzen, Fußnägel schneiden, Fingernägel schneiden, Haare stylen. Die Glühbirne fängt an zu flackern. Muss ich mal austauschen. Schnell flitze ich durch die Wohnung und sammle im Vorbeigehen die auf dem Boden liegenden Wäscheteile auf. Diese werfe ich schnell in den Schrank und suche vernünftige Klamotten für den Tag raus. Doch bevor ich mich ankleide, um in die Stadt zu gehen, beschließe ich, eine Pause einzulegen. Das war bislang auch durchaus aufreibend. Immerhin habe ich einiges geschafft. Ich schaue mir mehrere Wiederholungen von King of Queens im Fernsehen an und surfe etwas im Internet. Man hat ja sonst nichts vom Leben. Neben all meinen Pflichten muss ich dann auch noch die Abendplanung in Schwung bringen. Ich zücke mein Handy und schreibe eine SMS an Chris, Matze, Jonas und Linda. Letztere sind alte Schulkollegen von mir. Jonas studiert jetzt Medien Management und Linda ist endlich von ihrem Auslandsaufenthalt in New York wieder da. Das Problem daran ist, dass sie es jedem unter die Nase reiben muss.

„Hey Du! Wie schaut es heute Abend mit Pool spielen aus? Um 8 im Stars. Gruß, Sven“

Das sollte reichen. Bei den momentan aufsteigenden Temperaturen benötige ich unbedingt ein neues Sommerhemd und ein paar T-Shirts. Dieses Jahr ist es im März bereits unüblich warm, also fahre ich in die Innenstadt. Ich habe Glück und verlebe eine Handymusik-freie Bahnfahrt. In der Stadt angekommen mache ich mich auf den Weg zum Kaufhaus meines Vertrauens. Die Innenstadt ist mal wieder verdammt voll. Das wäre ja absolut nicht schlimm, wenn alle Leute einfach gezielt und in einheitlichem Tempo von A nach B laufen würden. Aber nein, da gibt es ja die unterschiedlichsten Typen von Einkaufspassagengängern:

1. Der zielstrebige Erlediger. Dieser ist in der Regel männlich und jung. Er ist auf sein (Einkaufs-)Ziel fokussiert, weiß, was er haben möchte und in etwa, wo er es bekommt. Da er auch noch Wichtigeres vorhat mit seiner Zeit, sieht er das Einkaufen in der Innenstadt als notwendiges Übel, welches möglichst rasant über die Bühne gebracht gehört.

2. Der unentschiedene Vergleicher. Dieser weiß – wenn überhaupt – grob, was er diesen Tag erwerben möchte und durchsucht aber auch wirklich jeden noch so kleinen Pimpfladen. Alle Sortimente werden verglichen und am Ende stets mehr gekauft, als zuvor eingeplant war. Es gibt ja soo viele schöne Sachen. Und diese gelangen in soo viele Tüten, die anderen beim Schlendern durch die Fußgängerzone schlichtweg den Weg versperren.

3. Der preisbewusste Entscheider. Ebenso, wie der unentschiedene Vergleicher ist der Entscheider den ganzen Tag unterwegs und in jedem Kaufhaus anzutreffen. Allerdings beläuft sich sein Kauf tatsächlich nur auf die angestrebten Teile. Zuerst werden alle Preise miteinander verglichen, um dann nach vier Stunden und etlichen Kaffees zurück zu Geschäft A zu gehen, bei dem es das begehrte Stück für vier Cents günstiger gibt, als in Geschäft Q.

4. Der schlendernde Neugierige. Hier scheiden sich die Geister der Logik. In der Regel sind hiermit Menschen gemeint, die schlicht den gesamten Tag „mal gucken wollen, was es so gibt“. Eindeutig erkennbar sind sie durch ihre langsame Fortbewegungsgeschwindigkeit, die im Einkaufsstress der anderen Leute um sie herum nahezu hypnotisch wirkt und ihnen den letzten Nerv stiehlt. Am Ende des stundenlangen Spaziergangs stehen dann entweder endlos viele unnütze Accecoires im Schrank des Schlenders oder aber, er hat den Großteil der Zeit damit gebracht, die Stadttauben zu füttern. Wir haben ja Zeit.

5. Die total Bekloppten. Der schlimmste Fall. Denn sie halten den ganzen Laden erst auf. Und mit Laden ist die Innenstadt an sich gemeint. Die Bekloppten zeichnen sich durch ihre Unberechenbarkeit aus. Das Schlimmste ist, wenn man sich gerade ungeahnt hinter einen Bekloppten gehängt hat, um anhand seiner gebildeten Schneise durch die Menschenmenge zu gelangen, und Unvorhergesehenes geschieht: Er bleibt stehen. Warum in aller Welt gibt es so viele Leute, die meinen, einfach mal stehen bleiben zu müssen? Oder sich gar noch auf der Stelle umzudrehen und in die andere Richtung zu laufen? Bedenken die nicht, dass so etwas in einem Menschenfluss nicht funktioniert? Ich meine, auf der Autobahn macht man doch auch keine Vollbremsung mit Powerslide, weil man sich gerade überlegt hat, vielleicht doch einen Apfel beim Obsthändler zu kaufen. Und das Schlimmste: Total Bekloppte gibt es in der Stadt, im Bahnhof, im Supermarkt - es gibt sie überall. Ständige Richtungs-, Geschwindigkeits- und Schrittlängen-wechsel machen sie zum wohl unverstandensten und nervigsten Individuum der Einkaufswelt. Mal ganz von Frauen abgesehen, aber das ist ein ganz anderes Thema.

Als zielstrebiger Entscheider, der ich nun einmal bin, mache ich mich möglichst gradlinig zum Geschäft meiner Wahl auf, bei dem ich mit großer Sicherheit fündig werden sollte. Schnell vorbei an gut riechendem Essen, schlecht riechenden Leuten und zu teuren Designerläden. Im Laden angekommen schallt mir sofort 90er-Party-Musik in die Ohren. Na ob das so verkaufsfördernd wirkt? Ich gehe in die Abteilung für junge Menschen und lasse mich vom aktuellen Angebot berieseln. Das, was gut aussieht ist zu teuer. Das, was in meiner Preislage ist und gut aussieht, ist natürlich nicht in meiner Größe da. Fängt ja gut an. Doch dann: Meine Augen erhaschen ein perfekt aussehendes Hemd. Stilvoll aber doch jugendlich sportlich. Und auch noch heruntergesetzt, perfekt. Wenn das jetzt auch noch in meiner Größe... M! Tatsächlich, ein reines `M‘ hängt mir freudig vor dem Gesicht. Vor lauter ausgeschütteten Einkaufsendorphinen hüpfe ich hektisch umher. Ich drehe mich um, um meinen Rucksack und meine Jacke zur Seite zu legen. Kurz noch den Pullover ausgezogen, um das Hemd auch in seiner natürlichen Umgebung, dem

T-Shirt, testen zu können. Eine erneute 180-Grad-Drehung in die Ursprungsstellung, und - es ist weg! Wo ist das Hemd hin? Wo ist MEIN Hemd hin? Größe L, Größe S, Größe XXL, Größe S... Verdammt, keines mehr in Größe M da. Verwirrt schaue ich umher. Irgendwo muss es ja sein. Alter Mann hat Korthut in der Hand, junge Frau hat Slips in der Hand, junger Mann hat eine Hose in der Hand, alte Frau hat alten Mann an der Hand, nochmal die sehr junge sehr gutaussehende Frau mit den Slips in der Hand… Da! Junge Frau hat Hemd in der Hand. Mein Hemd. Diese dreiste Diebin. Das hing doch quasi schon bei mir daheim und hat sich bei den neuen Nachbarn Anzug und Hawaiihemd vorgestellt.

„Ähm, Entschuldigung? Das ist mein Hemd, das Sie da haben.“

„Bitte was?“

„Ich habe mir das Hemd rausgesucht. Das haben Sie mir einfach weggenommen...“

„Einfach weggenommen? Sie spinnen doch! Das hing ganz normal an der Wand, oder gehört das etwa alles Ihnen?“

„Ähm, nein..“

„Und sowieso: Solange Sie es nicht bezahlt haben, kann es ja wohl Jeder nehmen. Da hängen doch bestimmt noch andere.“

„Aber das ist doch in meiner Größe! Alle anderen sind nicht M. Und das ist M.“

„Dann müssen Sie halt ein anderes Hemd nehmen. Oder bei einem Verkäufer nachfragen, ob es noch andere im Lager gibt. Das bleibt meins.“

Das muss doch irgendwie zu regeln sein, du verdammtes Miststück.

„Das muss doch irgendwie zu regeln sein. Sie scheinen doch eine freundliche und zuvorkommende Frau zu...“

„Tut mir leid, da ist nichts machbar. Und mit Geschleime kommen Sie erst recht nicht weiter. So, mehr Zeit kann ich mit Ihnen nicht verplempern. Schönen Tag noch.“

Argh. Keine Zeit? Lachhaft. Die schlurft doch sicherlich schon seit Tagesanbruch durch die Läden auf der Suche nach Beute. Und überhaupt, für wen holt die denn das Hemd? Für ihren Freund? Woher will sie denn dann überhaupt wissen, ob das passt? Oder ob es dem gefällt? Klar, die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass er einer dieser Kleidungshörigen ist, die aus Faulheit und Argumentationsschwäche im kleidungsbezogenen Terrain gleich die gesamte Kompetenz an das Frauchen weiter geben. Aber von so einem lass ich mir doch nicht mein Hemd wegnehmen! Langsam schleiche ich der Frau hinterher. Mit einem kleinen Sicherheitsabstand schlendere ich durch die Regale und lasse sie nicht aus den Augen. Ich streiche semi-interessiert an Jacken und Hosen vorbei, fasse hier und da prüfend das Material an, mein Blick bleibt aber steif auf mein Hemd gerichtet. Mein Gott, die Frau nimmt und nimmt und nimmt. Die muss mehrere Liebhaber haben, so viele Hemden und Hosen kann doch kein normaler Mann tragen. Dass ihre dünnen Ärmchen überhaupt diesen Neukleiderberg halten können. Mittlerweile hat mein Hemd mitsamt seiner Entführerin den Männerbereich verlassen. Ich folge den beiden unauffällig und bleibe bei meiner Taktik, hin und wieder obligatorisch das ein oder andere Kleidungsstück anzufassen, um nicht allzu auffällig zu wirken. Mein Handy fängt auf einmal an zu Klingeln. Ich schrecke kurz zusammen und ducke mich hinter einen Ständer voller Jacken. Irritiert schaue ich auf mein Display:

„Sorry, aber kann heute Abend nicht kommen. Erzähl Dir später warum. Gruß, Chris“

Na klasse, wenn das mal kein Timing ist. Und dann hat es sich noch nicht einmal gelohnt. Ich bin froh, meine Diebin nicht aus den Augen verloren zu haben. Sie scheint mich nicht gehört zu haben und shoppt unbelastet weiter, ohne jegliches Gefühl der Paranoia. Wenn sie geht, gehe ich auch. Bleibt sie stehen und schaut sich etwas an, bleibe ich stehen und schaue sie an.

„Sie haben aber einen guten Geschmack. Unsere neue Büstenhalter-Kollektion für diesen Sommer“ höre ich auf einmal eine Stimme in meinem hinteren Kopf. Ich drehe mich erschrocken um und sehe eine ältere Verkäuferin. Mein Blick schnellt zu meiner rechten Hand, die ein teures Stück BH-Spitze streichelt.

„Ähm, ja. Ich dachte… das könnte etwas für meine Freundin sein. Habe mich aber verirrt... äh, geirrt“ will ich mich aus der misslichen Lage befreien und nehme die Hand vom BH. So schnell wie möglich versuche ich der Unterwäscheabteilungsoma und den Bildern, die sie in meinen Kopf gepflanzt hat, zu entkommen. Warum müssen auch immer die alten, verfallenen Frauen in den Dessous-Abteilungen arbeiten? Können einem da nicht mal ein paar Laufstegmodels beratend zur Seite stehen? Die können mit Dessous wenigstens noch etwas anfangen. Das zum Thema Verbesserungen im Bereich verkaufsfördernder Maßnahmen. Aber wo ist meine Hemdnapperin nur hin? Vor lauter Brüsten in meinem Kopf habe ich die vollkommen aus den Augen verloren. Ich schaue hastig umher und suche verzweifelt den Laden ab. Der alte Mann spielt immer noch mit seinem Korthut. Wahnsinn, mit welch simplen Sachen man im Alter doch unterhalten werden kann. Aber ich muss mich konzentrieren! Wo ist diese Frau mit meinem Hemd? Langsam verlässt mich jeglicher Optimismus, Tom noch einmal wieder zu sehen. So habe ich mein neues Lieblingshemd in der Zwischenzeit getauft. Tom hat Klasse, passt perfekt zu mir und steht für Coolness. Wie Tom Hanks. Nur jünger! Auf einmal öffnet sich neben mir eine der Ankleidekabinen und heraus tritt die blöde Kuh, Arm in Arm mit meinem Tom. Erneut tapse ich ihr möglichst unauffällig hinterher und warte auf den richtigen Moment. Oh nein, sie begibt sich langsam Richtung Kasse. Wenn sie erst bezahlt hat, habe ich verloren. Doch was macht sie nun? Kurz vor der Kasse bleibt sie an einem der Wühltische voller Handschuhe stehen. Da man sowohl für Wühltische, als auch für Handschuhe möglichst viele Hände zur freien Verfügung braucht, beschließt Madame Hemddiebin einen folgenschweren Fehler zu begehen: Sie legt ihre anvisierten Beinahe-Einkäufe auf dem Nebentisch ab. Meine Chance! Ich renne geschwind auf leisen Sohlen hinüber, greife gekonnt nach dem Kleiderhaken mit meinem Hemd und renne weg. Einfach weg. Dabei lache ich hämisch in mich hinein. So ein lauter werdendes, lechzendes, versautes Bösewicht-Lachen. Anscheinend habe ich doch lauter gedacht, als ich dachte, denn ein kleiner Junge in der Kinderabteilung in der ich mittlerweile bin schaut etwas verstört aus seinem Buggi hoch zu mir.

„Hey, was soll denn das?“ höre ich eine Frauenstimme schreien. Tja, Lady, wie du mir, so ich Dir. Mit den eigenen Waffen geschlagen. Schachmatt. Tom hat sich für mich entschieden. Auch wenn ich nun Gefahr laufe, eine homoerotische Beziehung mit einem Hemd einzugehen, freue ich mich enorm. Ich beschließe, den Einkauf von T-Shirts auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen und begebe mich direkt zur nächstgelegenen Kasse. Wenn ich das Ding jetzt kaufe, habe ich tatsächlich und unwiderruflich im Einkaufskampf der Geschlechter gesiegt. Taktik, Charme und Intellekt siegen nun doch immer über den haptischen Kaufzwang einer Frau. Während ich in der Schlange stehe, schaue ich bangend um mich in den Laden und wippe ungeduldig mit dem Bein. Die Diebin ist weit und breit nicht zu sehen. Endlich bin ich an der Reihe:

„Das macht dann 24,95 Euro, bitte.“

„Stimmt so.“

Auf Bali geht um Vier die Sonne unter

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