Читать книгу Trauer und Licht - Maike Albath - Страница 13
ОглавлениеIn diesen Familien überkreuzen und vermischen sich die Stränge mehrfach. Während Lolette, Licys Schwester, 1920 mit ihrer Mutter Alice zum Stiefvater übergesiedelt war und kurze Zeit später den italienischen Diplomaten Augusto Biancheri heiratete, Boris Biancheris Vater, kehrte Licy mit ihrem Mann André Pilar bald darauf nach Stomersee in Lettland zurück. Die kleine, zarte, sanfte Lolette ähnelte ihrer italienischen Mutter, aber Licy kam nach dem deutsch-baltischen Vater: groß, laut, entschieden. Sie hing an dem verstorbenen Baron Wolff, fühlte sich ihm in Stomersee näher, außerdem wollte sie die Besitzansprüche der Familie unterstreichen. Und sie mochte den riesigen alten Kasten, der nach einem Brand 1905 in neogotischer Manier wiederaufgebaut worden war. Im Winter waren allerdings nur wenige Räume bewohnbar, weshalb sie sich zum Teil auch in Riga aufhielt. Biancheri erläutert die historischen Zusammenhänge »Nach 1918 gehörte Lettland zeitweilig zum Deutschen Reich, die politischen Verhältnisse waren kompliziert, die Machtverhältnisse unübersichtlich. Die Baltendeutschen kämpften gegen das kommunistische Regime, sie waren später dann aber an einem Staatsstreich beteiligt, bei dem sie alles Vertrauen verspielten, schließlich erhielten sie im selbständigen Lettland einen Minderheitenstatus. Lettland war mehr oder weniger sozialistisch.« Seine Schlösser durfte der deutsch-baltische Adel behalten, der Grundbesitz wurde bis auf einige Hektar eingezogen.
Durch Felix Böhm, dessen Bruder Max Licy von der bahnbrechenden Methode der Psychoanalyse berichtet hatte, kam die lettische Baronesse zum Berliner Psychoanalytischen Institut. Böhm stammte ebenfalls aus Riga, außerdem hatte er sich mit einem Thema befasst, das Licy gerade sehr umtrieb: Homosexualität. »Meine Tante hat Anfang der zwanziger Jahre am Berliner Institut Seminare besucht und eine Lehranalyse bei Max Eitingon gemacht, Freud traf sie nur einmal kurz in Wien. Sie begann schon damals, als Psychoanalytikerin zu arbeiten. Nach dem Krieg war sie Mitbegründerin der italienischen Psychoanalytischen Gesellschaft, der SPI, und sogar deren Vizepräsidentin. In Palermo war sie die erste Psychoanalytikerin überhaupt! Zwischen den beiden Weltkriegen lebte Licy in Stomersee, auch nachdem sie Giuseppe geheiratet hatte. Sie liebte Stomersee, es war der Ort, der ihr am meisten bedeutete. Mein Onkel Giuseppe war gutmütig und willfährig und besuchte sie dort, es gibt Fotos von diesen Aufenthalten. Ob er dieses kalte Schloss zwischen zwei Seen inmitten von Wäldern wirklich mochte, vermag ich nicht zu sagen. Einen größeren Kontrast zu Sizilien mit seiner Sonne und dem Meer kann man sich nicht vorstellen. Aber er tat auf jeden Fall so, als gefiele es ihm dort.« Bevor die beiden 1932 heiraten konnten, hatte allerdings erst einmal Licys erste Ehe annulliert werden müssen. Obwohl André Pilar mehr als einverstanden war und seine Neigungen offenkundig, war das keine einfache Angelegenheit. Im Unterschied zu ihrem sizilianischen Verehrer, dessen Leben unter den Augen seiner Mutter in ruhigen Bahnen verlaufen war, hatte Licy schon mit Mitte zwanzig mehrere Brüche verkraften müssen: die Russische Revolution und die Flucht aus Stomersee, den Wechsel der Nationalität, den Verlust von großen Teilen ihrer Besitztümer, den Tod ihres Vaters und die Entdeckung, dass André Pilar keineswegs ein gewöhnlicher Ehemann sein würde. Als ihr das Ausmaß ihrer Verstrickungen bewusst wurde, erlitt sie mit Mitte zwanzig in Berlin einen Nervenzusammenbruch und bekam starke Medikamente. Das Resultat war eine enorme Gewichtszunahme: Licy wandelte sich zur Matrone. Ausladende Hüte und wallende Gewänder unterstrichen ihre imposante Erscheinung. »Un donnone«, lautet die italienische Bezeichnung für Frauen dieser Art, was aber durchaus auch respektvoll gemeint ist. Hinzu kam ihr dominanter Charakter.
Die Beziehung zwischen Giuseppe und Licy war ungewöhnlich, überraschend und zugleich symptomatisch. Vielleicht brauchte er ein nordisch-adliges Geschöpf dieser Art, um sich gegen seine Mutter zu behaupten. Was aber nicht hieß, dass Beatrice klein beigegeben hätte, im Gegenteil. Immerhin besaß Licy die Instrumente, um das Beziehungsknäuel zu durchschauen. Ihre Hinwendung zur Psychoanalyse ging sicher auf die Krise zurück, die sie als junge Frau erlitten hatte. Die Ausbildung war, wie es damals häufiger vorkam, unkonventionell verlaufen: eine vierjährige Lehranalyse mit Unterbrechungen, keine systematischen Seminare, eher punktuelle Interventionen, ein paar Stunden auf der Couch, ab und zu eine Supervision. In Stomersee und Riga führte Licy erste Behandlungen durch, allerdings häufig mit Bekannten, zu denen zum Beispiel das Hausmädchen der Familie und der Verwalter von Stomersee zählten, was eigentlich gegen das Berufsethos verstieß. Licys Eltern lebten mittlerweile in Rom an der Piazza dell’Indipendenza, und ihre Verbindung zu Italien wurde enger. 1929 wandte sie sich an den Triestiner Edoardo Weiss, den großen Pionier der neuartigen Behandlungsmethode in Italien, und bekundete ihr Interesse an der italienischen Gesellschaft für Psychoanalyse. Weiss war Mediziner, hatte in Wien studiert und bei Freud auf der Couch gelegen. Er sollte später zum Förderer und Unterstützer Licys werden. Es muss in derselben Zeit gewesen sein, als die Freundschaft zu Giuseppe einen anderen Charakter gewann und sich in eine Liebesbeziehung wandelte, was die beiden aber sorgfältig verbargen. Sie trafen sich in Rom, 1931 hielt sich Giuseppe erneut für mehrere Wochen in Riga und Stomersee auf. Briefe wurden postlagernd geschickt, weitere Reisen Giuseppes nach Rom mit getürkten Einladungen eines eingeweihten Freundes generalstabsmäßig vorbereitet. Tête-à-tête im Kino, am Cafétisch, im Park.
Beinahe täglich schrieb Giuseppe nun stürmische Liebesbriefe auf Französisch, zärtlich, überschwänglich, kopflos, in dem stillen Sizilianer loderten also noch ganz andere Kräfte. Am 17. Februar 1932 hieß es: »Liebe Goodi, mein Leben, mein Leben, meine Schöne, mein Engel, my sweet beloved, meine Freundin: ich denke an Dich mit einer so großen Liebe und so großen Freundschaft, mit tiefem Respekt und einer furiosen Sehnsucht! Ich liebe Deine Seele, meine Liebe, ich liebe Deine Augen, ich liebe Deinen Mund, ich liebe es, wenn Du Deine Spielchen mit mir treibst, ich liebe es, wenn Du mich von ganz Nahem mit Deinen ernsten Augen anschaust, ich liebe es, wenn Du lachst, ich liebe es, wenn Du süß seufzt. Ich liebe jede Facette Deines Gefühls und jede Falte Deines Körpers; ich bin verrückt nach Dir und zugleich bist Du meine gesamte Weisheit. Ich liebe Dich, Licy, ich möchte, dass Du mich für immer liebst, ich bete Dich an, ich will, dass Du mir gehörst. Jetzt gehe ich in mein Zimmer hinauf und werde versuchen, mit dem Gedanken an Dich und dem Begehren nach Dir in jeder Vene einzuschlafen.« Das Paar hatte sich offenkundig verlobt, teilte den Entschluss aber niemandem mit, sondern wartete auf den richtigen Moment: »Dass das endlich der Augenblick sein wird, in dem ich meinen nun zwei Jahre andauernden Durst nach Dir befriedigen kann, den ich bisher nur in kleinen Zügen zu stillen vermochte.« 1932 reiste die baltische Baronesse nach Palermo, trat aber als Freundin und immerhin ja auch angeheiratete Verwandte auf. Giuseppes Eltern wäre die 37-jährige Psychoanalytikerin nicht im Traum als Ehekandidatin in den Sinn gekommen. Viel zu alt – und auf befremdliche Weise unabhängig. Keine Frau für ihren einzigen Sohn, auch aus dynastischen Gründen nicht, denn schließlich hatte er einen Titel zu vererben und für den Fortbestand der Tomasis zu sorgen. So ließ Giuseppe nichts mehr von seinen Plänen verlauten. Das Paar wechselte weiter romantische Briefe, in denen viel von Proust die Rede war, den sie beide verehrten. »Meine Schönheit«, »Mein Engel«, »Meine Angebetete«, adressierte Giuseppe seine zukünftige Frau, oder auch »Muri«, »Murili«, »My sweet beloved«. Später sollten sich die Kosenamen wandeln, mit einem markanten Geschlechterwechsel – als »mein Kleiner« wird Licy dann tituliert. Es ging hoch her in diesen Briefen, schließlich musste hier alles formuliert werden, was in der Wirklichkeit noch nicht gelebt werden konnte, oder zumindest nicht richtig.
»Sie waren beide glänzende Briefeschreiber«, meint Boris Biancheri. »Man hatte damals aber auch viel Zeit für solche Dinge. Mit welcher Umständlichkeit mein Onkel seinen Müßiggang zelebrierte und darüber auch noch Buch führte, ist schon beeindruckend.« Am 8. Mai 1932 schrieb er aus Palermo: »Um zehn nach neun stehe ich auf, wie immer (die Uhrzeit, um die ich in Stomersee die Glocken läuten ließ). Pietro bringt mir mein Frühstück: Milchkaffee, Brot, Butter, dann verlässt er das Zimmer, um meine Garderobe und meine Schuhe vorzubereiten. Während ich esse, lese ich Zeitung. Toilette. Um halb elf gehe ich in die Buchhaltung, es handelt sich um eine Reihe von Zimmern, die Du nie gesehen hast am anderen Ende des Hofes. Dort hält sich mein Vater auf und tätigt Zahlungen oder lässt sich bezahlen, und dort erreichen mich die Neuigkeiten des Tages. Gegen Mittag verlasse ich das Hause und gehe zur Post, um Nachrichten von Muri zu erhalten oder auch, um keine zu erhalten, dann gehe ich in den Club, wo ich Briefe an ›Murili-Darling‹ schreibe, so wie in diesem Augenblick. Um eins trifft mein Vater ein und berichtet mir, was alles passiert ist. Um zwanzig nach eins machen wir uns auf den Weg. Unterwegs kaufen wir ein bisschen Obst ein, um diese Jahreszeit Kirschen und Aprikosen. Dann Mittagessen in der Art, wie Du es erlebt hast. Anschließend nehmen wir in der Bibliothek Platz und unterhalten uns: Meine Mutter beklagt sich über die Hausangestellten und Handwerker. Um drei kehre ich in meine Räume zurück, um zu lesen und Notizen zu machen bis gegen sechs. Um sechs verlasse ich mit meiner Mutter zu Fuß das Haus. Wir gehen die Via Ingham entlang, am Teatro Politeama vorbei bis zur Via Libertà, wo wir ein Erdbeereis mit Sahne zu uns nehmen (sehr lecker). Anschließend deponiere ich meine Mutter um Viertel nach sieben bei ihrer Schwester, also direkt gegenüber von der Eisdiele, und gehe wieder in den Club, wo ich mich dazu hergebe, die schüchternen Seelen mit meinen kühnen Meinungen zu traktieren. Ein junger Mann, der es schlecht getroffen hatte, gestand mir gestern, dass er die Nacht zuvor gar nicht habe schlafen können wegen meiner abwegigen Prophezeiungen (sehr phantasievoll und detailliert), die ich vor ihm ausgebreitet hatte. Um halb zehn (unglaublich!) Abendessen. Bibliothek bis um halb elf, dann gehe ich wieder aus, um Sciarra zu treffen, den Philosophen, oder meine Cousins im Club oder in einem Café.«
Licy wusste also bestens Bescheid über die Gepflogenheiten ihres zukünftigen Gatten, auch die enge Bindung an die Mutter – täglich ein gemeinsamer Spaziergang, auf dem er sich von ihr mit Eis füttern ließ – kann ihr nicht entgangen sein. Im August verließ Giuseppe Palermo Richtung Norden. Am 17. schickte er seiner Mutter einen Brief, in dem er ausführlich von den schönen Landschaften bei Kufstein berichtet und im Detail Mittagsmahlzeiten und Kuchensorten beschreibt. Drei Tage später traf er in Riga ein. Am 20. August 1932 gaben sich Giuseppe und Licy in der russisch-orthodoxen Kirche der Stadt das Ja-Wort. Jetzt musste er auch zuhause die Karten auf den Tisch legen! Am Tag seiner Hochzeit schrieb der verlorene sizilianische Sohn weitschweifige Briefe nach Hause, sowohl an seinen Vater als auch an seine Mutter, und tat so, als habe er sich just zur Eheschließung entschieden. Wortreich ließ er sich über die tiefe Zuneigung aus, die Licy seinen Eltern gegenüber hege. Nun sollten doch auch sie ihren Segen geben: »Euerm Giuseppe, der Euch verehrt, schreibt doch gleich, wie Euch zumute ist und vervollständigt unser Glück.« Es war offenkundig, dass er voller Schuldgefühle steckte, und weil er neun Tage lang nichts hörte, schickte er noch einen weiteren fünfseitigen Brief, in dem er ausführlich die Komplikationen der Scheidung Licys schilderte, ihren guten Charakter wortreich darlegte, die Mutter drei Mal beschwor, ihn zu entschuldigen, falls er sie traurig gemacht haben sollte. Ein fünfunddreißigjähriger Mann! »Ich bitte Euch: Ich weiß, wie sehr Ihr mich liebt und wie sehr alle Eure Gedanken um mich kreisen, aber ich bitte Euch, lasst Euch nicht von einem unvernünftigen Anflug von Zorn mitreißen, was nicht nur mein derzeitiges Glück trüben würde, das riesig ist (und das Euch rühren würde, könntet Ihr mich sehen), sondern auch mein zukünftiges.« Und schließlich ging es ans Eingemachte: »Licy ist schön, ein Engel an Sanftheit und Güte, sie hat ein auf merkwürdige Weise kompliziertes Leben mit großer Würde und unvergleichlicher Reinheit ertragen, und sie ist reich: Sie erhält 60.000 Lire im Jahr nur für sich, ohne Abzüge, netto, außerdem Stomersee und das, was das Land ringsum bringt, und wegen ihrer gesellschaftlichen Position und ihrer Persönlichkeit ist sie hier eine Art Königin; sie will in Italien leben außer im Hochsommer. Darauf, dass niemand mich je so verstanden hat und verstehen wird, will ich gar nicht erst bestehen, denn das wisst Ihr. Ich bitte Euch, denkt darüber nach, bevor Ihr ein so vielversprechendes Vorhaben (nichts kann es verhindern) mit einer Geste von Ungeduld zerstört.«
Zu verhindern war ohnehin nicht mehr viel, denn es war ja längst geschehen. Es trafen einigermaßen beschwichtigende Briefe ein, aber Giuseppe schien spätere Verwerfungen schon geahnt zu haben. Der anfängliche Enthusiasmus seiner neuen Schwiegermutter – eine Hochzeit für die arme Licy, endlich, nach all dem Kummer! – wich großer Irritation, als sich herausstellte, dass es nichts mehr zu feiern gab. Eine Hochzeit ohne Fest, wie sollte man das der weitläufigen Verwandtschaft, den Großtanten, Großonkeln, Cousinen, Cousins, Nichten und Neffen erklären? Wie sich, um Himmels willen, rechtfertigen? Ende September kam es zu einem Treffen in Bozen, zu dem die verschwägerten Eltern und die Brautleute anreisten und bei dem viel diplomatisches Fingerspitzengefühl notwendig war. Immerhin, Pietro Torretta, schließlich auch der Bruder der Bräutigammutter, war ja Botschafter gewesen. Boris Biancheri hat unterdessen Fotos seiner Großmutter Alice auf dem Tisch ausgebreitet und schildert die komplizierte Familiendiplomatie. Vielleicht ist es kein Zufall, dass auch er selbst den Beruf seines Stiefgroßvaters ergriff? Seine Großmutter wusste jedenfalls, wie es um ihre Tochter Licy stand, und hatte eine ganz andere Sicht auf die Dinge. In ihr Tagebuch schrieb sie: »Licy trauert ihrer verlorenen Position in Lettland nach, wo ihre Familie, ihr Name und auch sie selbst so ein großes Prestige besitzen, während sie in Palermo niemand ist und in zwei Zimmerchen wird wohnen müssen, in denen sie nicht einmal Besucher wird empfangen können, die sie sehen möchten. Weder versteht sie die Würde der Familie und den Titel, den sie jetzt trägt, noch kann sie dies überhaupt anerkennen.« Dass den Eheleuten keine eigene Wohnung im Palazzo Lampedusa zustand, sondern sie sich Wand an Wand mit Beatrice und Giulio Tomasi arrangieren sollten, fand Alice höchst befremdlich. Beatrice würde es nie zulassen, dass man ihr den Sohn wegnähme, bemerkte Don Giulio trocken. Für ihn selbst schien die enge Bindung zwischen Mutter und Sohn entlastend gewesen zu sein, zumindest war er so aus der Schusslinie. Als er dann 1934 auch noch starb, erbte Giuseppe den Titel und war nun der »principe di Lampedusa« – und endgültig an Palermo gefesselt: Ein sizilianischer Sohn kann eine verwitwete Mutter unmöglich allein lassen. Er hat für sie da zu sein. Immer. Die Ehe mit Licy geriet erst viel später in ruhigere Fahrwasser.
Boris Biancheri fängt an zu lachen, als ich Näheres über die Verbindung von Giuseppe und Licy wissen will. »Die Beziehung zu seiner Frau war sehr intensiv, stark vergeistigt und hochliterarisch. Meine Tante war von einer beeindruckenden Intellektualität, beide waren unglaublich gebildet. Sie unterhielten sich in einem fort über Bücher, zitierten auswendig Balzac, Thackeray oder Trollope, es war ein Feuerwerk. Und sie führten ihre Gespräche in mehreren Sprachen. Giuseppe hatte einen fürchterlichen Akzent, aber er konnte hervorragend Englisch und Französisch, und meine Tante war sowieso in allen Weltsprachen zuhause, es handelte sich also um eine extrem kosmopolitische Konversation. Giuseppes Mutter hat meine Tante Licy eher abgelehnt. Sie war ihr vielleicht zu gelehrsam, zu russisch, zu viele Reisen, zu viele Sprachen, zu viele Bücher. Eben überhaupt nicht das, was Beatrice Tomasi di Lampedusa für die ideale Frau eines sizilianischen Fürsten hielt.« Nicht einmal kochen konnte sie – aber ob Fürstin Beatrice jemals am Herd gestanden hatte? »Licy war einfach sehr eigensinnig, aber auch komisch. Sie bereitete Giuseppe solche schrecklichen Dinge zu wie eingelegte Heringe, und er war so gutmütig, sie auch zu essen. Sie mochte diese osteuropäische Küche, Zwiebeln, Fische, all dieses Zeug«, bemerkt Boris Biancheri leicht angeekelt, der bei Besuchen zu seinem Entsetzen feststellten musste, dass es in der Via Butera kein Mittagessen gab. Kein pranzo, keine seconda colazione in einem italienischen Haushalt – unvorstellbar. Anfang der dreißiger Jahre hatte das Ehepaar nur in Stomersee seine Ruhe. Während sich in Deutschland die politischen Verhältnisse zuspitzten und Hitler an die Macht kam, führten sie dort ein unbehelligtes Leben als Schlossherren. Es gibt Fotos aus der Zeit, Schnappschüsse: Giuseppe eine Spur tapsig, aber tadellos gekleidet mit Krawatte, Weste und Einstecktuch, Licy voluminös, doch elegant mit ausladendem Strohhut, beide lächelnd am Kaffeetisch im Park von Stomersee. Auf einem anderen Bild kurz nach ihrer Hochzeit stehen sie am offenen Fenster des Schlosses, Giuseppe schaut verschmitzt, Licy stolz, sie strahlen ein tiefes Einverständnis aus.
Licys naheliegender Anspruch, mit ihrem Ehemann eigene Räume zu bewohnen, am besten in einem anderen Stockwerk als die Schwiegereltern, war für sizilianische Verhältnisse überzogen. Die wenigen Monate mit ihrer Schwiegermutter unter einem Dach in den Jahren nach der Hochzeit müssen die Hölle gewesen sein, denn in den Briefen kommen die beiden immer wieder darauf zurück. Bis 1939 lebten sie de facto getrennt: Giuseppe am Rockzipfel der autoritären Mutter, Licy allein in Stomersee, wo sie zumindest ihre Patienten hatte. Ab und zu kam ihr erster Ehemann vorbei, ab und zu ihre Freundin Lila Ilašenko. Dass ihre Ehe diese Entwicklung nahm, machte ihr sehr zu schaffen. Eine Zeitlang war das Unglück groß. Sie schickte abwechselnd wütende, sehnsüchtige, verzweifelte und resignierte Briefe nach Palermo. Hinzu kamen diverse Krankheiten, vor allem eine verschleppte Gonorrhö, mit der sich Licy bei Giuseppe angesteckt hatte. Hier staunt man über ihre Großmut, denn in diesem Zusammenhang ist nie ein Vorwurf zu hören. Den Ärzten schenkte man damals aus Scham – vermutlich hatte sich Giuseppe die Infektion im Bordell geholt – keinen reinen Wein ein, darüber hinaus ließ sich Licy ohnehin nichts sagen und griff häufig zur Selbstmedikation. Zwischendurch mobilisierte sie dann wieder erstaunliche Energien, vor allem wenn es um ihren Beruf ging. Als sich die Gelegenheit bot, von der italienischen Gesellschaft für Psychoanalyse SPI aufgenommen zu werden, schuftete sie wie ein Pferd: »Du kannst Dir vorstellen, dass Dein Kleiner an allen Gliedern vor Ehrgeiz zitterte, mit seinen Bemühungen endlich an ein Ziel gekommen zu sein«, berichtete sie ihrem Mann 1936. »Jetzt also lässt sich Dein Kleiner um sieben Uhr morgens wecken, trinkt schwarzen Kaffee und arbeitet bis mittags, dann von neuem von drei bis sechs.« 1937 bekam sie sogar eine neue Patientin, eine Frau Sommer mit suizidalen Absichten, ein interessanter Fall, über den sie sich mit ihrem Mann schriftlich ausführlich austauschte. Licys Sitzungen dauerten oft drei bis vier Stunden, und sie ließ Frau Sommer samt Kind gleich auf Stomersee einziehen, nicht gerade im Sinne des freudschen Gebots von Abstinenz. Licy selbst schien also durchaus etwas Vereinnahmendes zu haben. Aber Palermo, Tür an Tür mit Fürstin Beatrice? Nie wieder. Es braucht nicht viel Phantasie, sich den Psychoterror vorzustellen, dem sie dort vom Frühstück bis in die Nacht ausgesetzt gewesen sein muss. Die Waffen einer sizilianischen Schwiegermutter sind scharf. Im Klartext: »Ich habe weder die physische noch die moralische Kraft, mich einer Situation auszusetzen, die meinem ganzen Wesen zutiefst widerspricht, und dann ohne Unterstützung von Deiner Seite, denn Du hast die Feindseligkeit, die mich umgab, ausdrücklich geleugnet«, so ein Brief vom 20. März 1936. Der Gedanke an all die Erniedrigungen und Lügen ließ sie nachts wachliegen. Giuseppe wirkte wie ein geschlagener Hund, aber jetzt müsste er sich doch entscheiden! »Und glaubst Du, mein Freund, dass wir noch so viel Zeit vor uns haben?«, fragte sie verzweifelt. Man könne nicht immer den Weg des geringsten Widerstandes gehen. Nein. Dann wurde auch noch das Geld knapp, im Palazzo Lampedusa begann man zu sparen und Licy indirekt vorzuwerfen, dass sie zu viel koste. Die Inflation hatte ihr Einkommen vernichtet, die Tomasis lebten ohnehin in prekären Verhältnissen, mit Personal, versteht sich. Außerdem hatte Giuseppe die Vermögensverhältnisse seiner Frau nie durchschaut: Stomersee war nämlich ihrem ersten Ehemann André überschrieben worden, weil er Lette war und Licy meinte, auf diese Weise den Besitz schützen zu können. Am 17. April 1936 ließ die verbannte Ehefrau Giuseppe wissen: »Wenn wir das gemeinsame Leben wiederaufnehmen wollen, müssen alle Ursachen des Unglücks und des häuslichen Kummers an der Wurzel gepackt werden: keine dritte Person zwischen uns. Es hängt von Dir ab. Glaub’ nicht, dass ich mir etwa nicht klarmache, dass das für Dich ziemlich unangenehm sein muss.« Im Palazzo Lampedusa trafen stapelweise Briefe ein, André Pilar, Licys Freundin Lila Iljaschenko, alle versuchten, die Wogen zu glätten und für Licy Partei zu nehmen. Am Ende meldete sich sogar Licys Mutter Alice zu Wort. Sie ließ ihren Schwiegersohn Giuseppe am 17. Juni 1936 wissen: »Licys Ideal wäre es, mit Dir zusammen in wenigen Zimmern allein zu leben, die ihr oder dir gehören, als absolute Herrin. So oft hat sie, ohne jemals zu klagen oder auf Einzelheiten einzugehen, davon gesprochen, wie froh sie wäre, in Torretta oder auch auf dem Occhio oder in einer kleinen Wohnung im Haus neben der Trinacaria zu leben, sie nach ihrem Geschmack einzurichten und die Freiheit mit Dir zu genießen.«
»Meine Großmutter war eigentlich nicht der Typ, der sich einmischte, vermutlich tat sie es nur, weil sie sich Sorgen um ihre Tochter machte«, erinnert sich Biancheri. »Sie fürchtete um Licys Gesundheit und ihre psychische Stabilität.« Alice Barbi Torretta kam eben aus Modena und war als junge Sängerin durch ganz Europa getourt, ihre Vorstellungen von einer Ehe lagen jenseits dessen, was Beatrice Tomasi di Lampedusa für verkraftbar hielt. »Meine Erinnerung setzt etwa 1939 ein, als ich knapp zehn war«, erzählt Boris Biancheri. »Ich weiß genau, wie mein Onkel damals aussah: nicht sonderlich groß und eher korpulent mit breiten Schultern. Damals war die Ehe wieder in ruhigeren Fahrwassern, sie hatten sich irgendwie arrangiert. Außerdem brach dann der Krieg aus, der äußere Druck wurde so groß, auf einmal rauften sie sich alle zusammen, sogar mit Beatrice. Giuseppe und Tante Licy kamen im Sommer in unser Haus am Meer in Ligurien. Besonders gesprächig war er damals nicht. Außer den beiden reiste übrigens auch immer Licys erster Mann André Pilar an, ich war es also gewohnt, zwei Onkel zu haben, Onkel Giuseppe und Onkel André. Die beiden waren gute Freunde geworden. Als ich klein war und noch wenig Gespür für die Eigenarten eines Menschen besaß, war mir Onkel André lieber. Er arbeitete in der Schweiz und brachte immer Pralinen mit. Onkel Giuseppe hatte nur irgendwelches sizilianisches Gebäck dabei, das ich nicht sonderlich mochte. Als ich älter wurde, entdeckte ich, dass Giuseppe ein außergewöhnlicher Mensch war, klug, humorvoll und sehr selbstironisch. Ein Kind kann das noch nicht wertschätzen.« Gemeinsam mit seinem Bruder begann Boris Biancheri, das Ehepaar in Palermo zu besuchen. Die Ferienaufenthalte haben sich ihm tief eingeprägt. »Meine Tante war ungescheut exzentrisch und gab gar nichts auf das, was die Leute sagten. Sie legte merkwürdige Verhaltensweisen an den Tag. Sie war immer ganz in Schwarz gewandet, so als trüge sie Trauer, nach meinem Empfinden trug sie Trauer für ein ganzes Jahrhundert. Denn obwohl Tante Licy so frei und emanzipiert war, war ihre große Liebe das 19. Jahrhundert. Sie sah aus wie eine Fledermaus. Sobald sie das Haus verließ, setzte sie einen Hut mit Schleier auf. Wenn sie mit Onkel Giuseppe zu uns nach Rom kam, warf sie ihre Kopfbedeckung immer auf irgendeine kleine Stehlampe. Allerdings brannten diese Lampen Löcher in ihre Hüte, mein Bruder sagte zu ihr ›Auntie‹ – wir benutzten immer die englische Anrede –, ›siehst du nicht, dass deine Hüte voller Löcher sind?‹ Es störte sie nicht weiter. Außerdem rauchte sie dauernd, immerzu. Sie steckte sich eine Zigarette an, zog eine Schublade auf, legte die Zigarette hinein und schloss die Schublade. Nach einer Weile rauchte es dann aus der Kommode. In vielem war sie vollkommen unkonventionell. Eines Tages wollte sie allen Ernstes ein Go-Kart erwerben. Auf dem Land gab es einen Weg den Berg hoch, den sie nicht mehr zu Fuß bewältigen wollte, sie konnte nicht Auto fahren, andere Verkehrsmittel gab es nicht. Also ging sie zu einem Laden, der Go-Karts vertrieb, und wollte eins kaufen. Der Händler starrte diese alte Dame an und hielt sie für verrückt. Und ein anderes Mal verkündete sie uns, dass sie sich die Haare zukünftig mit der Tinte von Tintenfischen färben würde. Sie war vollkommen frei – ein freier Mensch.«
Als in Europa der Zweite Weltkrieg ausbrach, waren Giuseppes Sympathien für den Duce seit langem abgeklungen und sein Pessimismus kaum zu überbieten: Die sizilianische Aristokratie hielt er für dumm, das Bürgertum für geldgierig, die Bauern für gewalttätig. Hitler war ihm ein Grauen. Dass Italien ausgerechnet seinem geliebten England den Krieg erklärte, fand er absurd. 1939 wurde er für drei Monate zu einem Offizierslehrgang einberufen, dann aber wieder beurlaubt. Er saß in der Bibliothek herum und langweilte sich. In den Briefen, die das Ehepaar wechselte, ging es ausführlich um den Cockerspaniel Crab und dessen Speiseplan, aber auch um die Erbstreitigkeiten: »Des entrevues et des réunions parteilles et générales avec tous les héritiers which are a smart remarkable assembly of people, one-third fools, one-third lunatics, anche the rest of them rascals«, schrieb er in dem typischen mehrsprachigen Duktus, den die beiden pflegten. Unterdessen änderten sich die politischen Verhältnisse: Der Hitler-Stalin-Pakt erlaubte der Sowjetunion den Zugriff auf Lettland. Nach dem Überfall der Deutschen auf Polen kam es zu einem Aussiedlungsvertrag – die Deutsch-Balten mussten Lettland verlassen. Gegen Ende des Jahres 1939 verbarg Licy ihre Chippendale-Möbel und den Sekretär beim Gärtner unter Lumpen und versteckte ihre Gemälde beim Kutscher. Spiegel und Konsolen wurden im Heuschober verstaut, das Silber verschifft. Sie wollte nach Riga: »Alle fliehen ohne Ausnahme, mit zwei Handkoffern. In zehn Tagen wird es hier keinen Arzt mehr geben, keinen Rechtsanwalt. Die Pastoren gehen fort und verlassen unsere alten lettischen Kirchen.« Bei ihrem Abschied tröstete sie ihre weinenden Dienstboten und versicherte, wiederzukommen, was ihr nur noch einmal gelingen sollte: 1942 biwakierte sie für einen Besuch in einem Zelt vor dem geplünderten Schloss, Lettland war mittlerweile von den Deutschen besetzt. Licy mochte die Nazis nicht, aber die Bolschewisten, die ihr Stomersee nahmen, fand sie noch schlimmer. Giuseppe sah Mussolinis außenpolitische Gebaren mit Abscheu: »Man möchte auf seinen Pass spucken, der einen als Mensch ausweist«, schrieb er 1943 seiner Frau.
Schon 1940 hatten die alliierten Bombenangriffe auf Palermo begonnen. Man wollte die Materiallieferungen für die italienischen und deutschen Truppen nach Afrika unterbinden. 1942 spitzte sich die Lage zu, denn Sizilien bot den englischen und amerikanischen Truppen die Möglichkeit, die Wehrmacht an einer Seitenflanke anzugreifen. Es wurde gefährlich, und Giuseppe reiste mit seiner Mutter nach Capo d’Orlando zu seinen Cousins. In der Familie Piccolo herrschte keine finanzielle Not, im Unterschied zu seinen Eltern verstand sich seine Tante, von Giuseppes Mutter verächtlich »die Bäuerin« genannt, auf die Bewirtschaftung ihrer Besitztümer und verdiente viel Geld mit dem Anbau von Zitronen. In ihrem Haushalt lebte man mitten im Krieg, als in vielen Teilen der Insel Hunger herrschte und es häufig nur Orangen gab, auf großem Fuß. Die Tante legte Wert auf gutes Essen und beschäftigte eine hervorragende Köchin. Ostern 1942 schilderte Giuseppe seiner Frau das Festmahl, das aus Lasagne, vol-au-vent mit Languste, panierten Koteletts mit Kartoffeln, Erbsen und Schinken bestand, und zum Nachtisch gab es eine köstliche Torte nach einem Rezept von Escoffier aus Blätterteig, Sahne und kandierten Kirschen. Weil die Lage in Palermo immer unsicherer wurde, mietete er für seine Bücher und Möbel ein Haus in der Nähe von Capo d’Orlando.
Als Giuseppe am 7. April 1943 dann wieder mit dem Zug in Palermo eintraf und zur Via Lampedusa ging, traute er seinen Augen nicht. Das Dach, die Treppen, große Teile des ersten Stockwerks, die Außenmauer: von einer Bombe zertrümmert. Den Palazzo Lampedusa gab es nicht mehr. Er war fassungslos, schaffte es gerade noch auf eine Polizeistation und bat um Bewachung, dann packte er ein Paar Pantoffeln und Licys Fischotternpelz in eine Tasche und machte sich zu Fuß zu einem Verwandten nach Bagheria auf, wo er drei Tage vollkommen verwirrt neben der Feuerstelle hockte, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Es hatte dem Fürsten die Sprache verschlagen. Ein dramatischerer Angriff auf seine Identität war nicht vorstellbar, denn der Palazzo barg alles, was ihn ausmachte: nicht nur die Gegenwart, auch die Vergangenheit und die Geschichte seiner Familie. Die Bibliothek, sämtliche Bilder, die Möbel und das Porzellan waren mit Bedeutung aufgeladen. Es war, als hätte man ihm beide Beine abgehackt. Am 9. April schreibt er an Licy: »Muri, ma très chère Muri, ich schreibe Dir in großer Eile und im Zustand äußerster Trauer. Unser armes altes, liebes Haus hat am vergangenen Montag, dem 5. April, sehr schwere Verwundungen davongetragen. Die Treppe gibt es nicht mehr; der Trocchetto, der grüne und der gelbe Salon wurden ebenfalls sehr schwer getroffen. Du kannst Dir vorstellen, wie mir zumute war, als ich mich vergangenen Mittwoch nichtsahnend dorthin begab, und dann dieser fürchterliche Anblick. Ich kam nicht mehr hinein, da die Treppe nicht mehr vorhanden war und die Trümmer (ungefähr zwei Stockwerke hoch) den Übergang zur Dienstbotentreppe versperrten.« Ohne diesen Verlust wäre sein Roman Der Leopard vermutlich nie entstanden. Die Zerstörung des Palazzo, den Giuseppe Tomasi als Speicher seines Gedächtnisses empfand, war die Voraussetzung für seine schriftstellerische Arbeit. Nur durch den Akt der Erinnerung ließ sich der Verlust ausgleichen.
Licy begriff, wie verunsichernd dieses Ereignis auf ihren Mann gewirkt haben musste, und nachdem auch noch das angemietete Haus zerstört worden war, reiste sie unter großen Widrigkeiten an. Am 10. Juli landeten die Alliierten in Sizilien, die Befreiung der Insel ging schnell vonstatten. Weil Capo d’Orlando umkämpft war, setzte sich die kleine Familie etwas weiter südlich in einen Ort namens Ficarra ab. Unter dem Druck der Verhältnisse klappte es jetzt sogar zu dritt, zumindest eine Zeitlang. Nach dem Waffenstillstand im September 1943, der de facto eine Kapitulation Italiens war, kehrte das Ehepaar nach Palermo zurück und mietete sich einige Zimmer an der Piazza Castelnuovo. Als die Amerikaner nach unbescholtenen Persönlichkeiten suchten, empfahl sein Schwiegervater, der Botschafter a. D. Pietro Torretta, Giuseppe Tomasi di Lampedusa für die Leitung des Roten Kreuzes, die er dann eine Zeitlang übernahm. Zum ersten Mal in seinem Leben eine geregelte Beschäftigung! Aber die Aufgabe war kompliziert, auch weil die Amerikaner zahlreiche Mafiosi als Bürgermeister eingesetzt hatten. Schon nach anderthalb Jahren gab Giuseppe auf. Er war immer noch mit dem Elternhaus befasst, am Ende ließ sich doch einiges retten aus dem Palazzo, und seine Mutter bestand 1946 darauf, in den letzten beiden unzerstörten Zimmern zu wohnen. Als nach dem Referendum im Juni über die zukünftige italienische Regierungsform, bei dem erstmals auch Frauen Wahlrecht hatten, die Monarchie zugunsten der Republik mit 54,3 Prozent der Stimmen abgeschafft wurde, verstand Beatrice die Welt endgültig nicht mehr: Jetzt sei sie eine nullità, ein Nichts, irgendeine beliebige Signora, beschwerte sie sich bei der Portiersfrau. 1946 starb sie. Giuseppe verkaufte die Ruine, und wie durch ein Wunder lösten sich auf einmal die Erbstreitigkeiten, er konnte den Palazzo Benso in der Via Butera erwerben, den heutigen Palazzo Lanza Tomasi, in dem jetzt sein Erbe verwaltet wird. Auf der Meeresseite lagen damals meterhoch die Trümmer, in denen Prostituierte ihre Kundschaft empfingen.