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IM BALLSAAL Angelica betritt das Parkett

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Sie ist höchstens siebzehn Jahre alt und bewegt sich mit großer Selbstverständlichkeit zwischen den kostbaren Möbeln im Palazzo Ponteleone in Palermo, umringt von jungen Fürsten, die um eine Mazurka, eine Polka, einen Walzer betteln, aber ihr Carnet ist längst gefüllt, jeder Tanz vergeben. Die dunkelhaarige Angelica, von florentinischen Nonnen erzogen und von ihrem Verlobten Tancredi mit dem letzten Schliff versehen, zieht mit ihrer rosafarbenen Robe, den prächtigen weißen Schultern, dem zarten Hals, dem »Strahlenglanz ihrer Augen« und dem »Erdbeermund« alle Blicke auf sich. Giuseppe Tomasi di Lampedusa bringt seine Heldin in Stellung, schließlich steht ihr Großes bevor. Tancredis Onkel Don Fabrizio Salina nutzt den wichtigsten Ball der Wintersaison 1862, um seine zukünftige Nichte in die Gesellschaft einzuführen. Das ist nicht ohne Risiko, denn Angelica kommt aus einer Familie, die mitnichten der Heiratspolitik sizilianischer Adliger entspricht: Zwar ist sie die Tochter des unermesslich reichen Don Calogero Sedára aus dem Landesinneren von Don Fabrizios Lehnsbesitz Donnafugata. Aber ihr Großvater trug noch den Spitznamen Peppe ’Mmerda, Scheiß-Peppe, so ungehobelt war er. Und ihre Mutter kann weder lesen noch schreiben. Doch das florentinische Pensionat hat bei Angelica vieles wettgemacht. Den Rest erledigt ihre ehrfurchtgebietende Schönheit. Als Angelica den Onkel zu einem Tanz überredet und der groß gewachsene Fürst mit ihr das Parkett betritt und sie in einem Walzer durch den Saal schwenkt, halten alle anderen Gäste inne.

Die Ballszene ist nur einer der vielen Höhepunkte des posthum erschienenen Romans Der Leopard, in dem es um den sozialen Aufstieg einer neuen gesellschaftlichen Klasse und den Niedergang der alten Elite geht. Und darum, wie der junge Tancredi inmitten des Umbruchs die sich ändernden Machtverhältnisse für sich nutzt. Don Fabrizio, der sich auf Sternenkonstellationen versteht und astronomische Studien betreibt, befördert zwar die Verlobung seines Neffen, will aber den politischen Wandel nach der Einigung von 1860 nicht mitgestalten. Tomasi bietet alle erzählerischen Mittel auf, um den Lebensstil der Aristokratie angemessen in Szene zu setzen. Weil das exorbitante Fest im Palazzo Ponteleone in der Verfilmung von Luchino Visconti dreißig Minuten dauert und den Schlussakkord bildet, wurde es für viele zur Signatur der Familiengeschichte. Noch berühmter ist allerdings Tancredis nüchterne Feststellung »Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, dann muss sich alles ändern« – man spricht vom gattopardismo, meint damit das passive Beharren auf den Gegebenheiten bei oberflächlichem Aktionismus, zitiert den Satz allenthalben, wenn es um Italien geht, ohne allerdings den Zusammenhang zu bedenken. Auch Giuseppe Tomasi di Lampedusas Charakterisierung des nassforschen jungen Mannes wird außer Acht gelassen; häufig schreibt man die Äußerung sogar dem Fürsten selbst zu. Der Roman, der auf abenteuerliche Weise in die italienische Öffentlichkeit gelangte, kam im November 1958 heraus und wurde zu einem literarischen Ereignis. Niemand wäre je auf den Gedanken gekommen, dass ausgerechnet dieser schüchterne Müßiggänger ein Buch schreiben würde. Sein Familienhintergrund ließ alles andere vermuten als künstlerische Ambitionen. Giuseppe Tomasi di Lampedusa, Herzog von Palma, Baron von Montechiaro, Baron von Falconieri, wohnhaft in der Via Butera in einem baufälligen Palazzo – ein Schriftsteller? Seinen Erfolg hat er nicht mehr erlebt. Zwölf Auflagen im ersten Jahr, 70.000 verkaufte Exemplare, eine Fülle von Auslandslizenzen. Ein Komet, aber mit seinem Stil ein Fremdkörper im Panorama der Nachkriegsliteratur, die noch mit der Aufarbeitung des Faschismus, den Partisanenkämpfen und der Industrialisierung befasst war und mit spröden, knappen Erzählformen operierte. Als viel zu traditionalistisch und opulent war das Manuskript von dem Turiner Verlagshaus Einaudi abgelehnt worden, und nun galt der Roman nach wenigen Monaten als ein Werk von Weltrang. Wie schon im 19. Jahrhundert probierte man ausgerechnet in Sizilien eine andere Art der Wirklichkeitsbetrachtung aus.

Trauer und Licht

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