Читать книгу Kinder mit herausforderndem Verhalten in der KiTa - Maike Rönnau-Böse - Страница 7
1 Einführung 1.1 Herausforderndes Verhalten in Kita und Grundschule
ОглавлениеIn vielen Kindertageseinrichtungen empfinden die dort tätigen pädagogischen Fachkräfte seit längerem eine Zunahme von Kindern, die »auffälliges« Verhalten zeigen: Es wird beklagt, dass Kinder sich weniger an Regeln halten, dass sie impulsiver sind und sich schlechter selbst steuern können oder dass die Aufmerksamkeitsspannen immer geringer würden. Die Fachkräfte erleben sich (heraus) gefordert und zunehmend belastet (Rudow, 2004; Fröhlich-Gildhoff, Lorenz, Tinius & Sippel, 2013).
Im Unterschied zu diesen von den Fachkräften beschriebenen gestiegenen Belastungen und Verhaltensänderungen der Kinder geben breite epidemiologische Studien keine Hinweise auf die Zunahme von Verhaltensauffälligkeiten: Die in Deutschland größte, repräsentativ durchgeführte Untersuchung (12.368 Kinder und Jugendliche), die »KiGGS-Studie« des Robert-Koch-Instituts (Hölling, Schlack, Petermann, Ravens-Sieberer & Mauz, 2014), kann Zahlen über einen Zehn-Jahres-Vergleich vorlegen. Dabei zeigt sich: »Insgesamt 20,2 % der Kinder und Jugendlichen im Alter von 3 bis 17 Jahren ließen sich in der KiGGS Welle 1 [2009-2012] mit dem SDQ-Symptomfragebogen einer Risikogruppe für psychische Auffälligkeiten (grenzwertig auffällig oder auffällig)[…] zuordnen: In der KiGGS-Basiserhebung [2003-2006] waren dies 20,0 %[…]. Damit ließ sich insgesamt keine bedeutsame Veränderung über die Zeit in der Häufigkeit psychischer Auffälligkeiten nachweisen« (Hölling et al., 2014, S. 809). In den neuesten Ergebnissen der KiGGS-Studie (»Welle 2«) konnte sogar eine leichte Abnahme dieser Zahlen beobachtet werden (Baumgarten et al., 2018).
Deutliche und verfestigte Verhaltensauffälligkeiten im Kindergartenalter sind allerdings ein Risikofaktor für die Entwicklung psychischer Störungen und für deren Chronifizierung im weiteren Kindes-, Jugendlichen- und Erwachsenenalter (Belfer, 2008; Dougherty et al., 2015; Hofstra, Van der Ende & Verhulst, 2000).
Über die unmittelbaren Folgen für den Alltag von Kindern und Fachkräften in Kindertageseinrichtungen oder auch auf Veränderungen der Interaktionsqualität der pädagogischen Fachkräfte liegen allerdings keine spezifischen Studien vor. Wird allerdings den als herausfordernd erlebten Verhaltensweisen der Kinder nicht professionell begegnet – dazu gehört ggf. auch ein Weiterverweisen an andere Institutionen wie Erziehungsberatung oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen –, fühlen sich die Fachkräfte von den Verhaltensweisen der Kinder überfordert. Es droht dann eine Verschlechterung der Bedingungen für die Kinder, eine mögliche verringerte Interaktions- und Beziehungsqualität sowie daraus folgend eine Ausgrenzung der Kinder in der Kindertageseinrichtung – und eine Verlagerung der Problematik in die Schule.
Auf Seiten der Fachkräfte kann ein dauerhaftes Erleben der Überforderung und Hilflosigkeit zudem einen Risikofaktor für die Entwicklung psychischer Erkrankungen wie Depressionen darstellen (Köhler et al., 2018).
In einer Analyse der Forschungslage konnten Hoffer und Fröhlich-Gildhoff (2019) zudem zeigen, dass Eltern und Fachkräfte deutlich unterschiedliche Einschätzungen des Unterstützungsbedarfs der betroffenen Kinder haben und nur ein sehr geringer Prozentsatz von 3 bis 20 % der Betroffenen professionelle Hilfen außerhalb der Kindertageseinrichtungen erhält.