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Kapitel 2

Aller guten Dinge sind drei

In München schien an demselben Nikolaussonntag die späte Nachmittagssonne auf die Kupferkuppel der Gökhan-Moschee und ließ die hellgrüne Patina in einem besonderen Glanz erstrahlen.

„Wie weit bist du?“, dröhnte es in Nora Kardinals Ohr, an das ihr Smartphone unter einem Tschador geklemmt war. Reflexartig hielt sie sich die Hand an ihre Ohrmuschel und friemelte mit dem Daumen ihr Handy zum Mund.

„Ich bin jetzt bei der Moschee und treffe mich gleich mit dem Imam. Ich glaube, wir sind nah dran“, wisperte Kriminaloberkommissarin Kardinal ihrem Einsatzleiter zu. Inzwischen war sie fünfunddreißig Jahre alt und sollte heute die Früchte der Saat ernten, die sie in den letzten sechs Jahren Ermittlungsarbeit in die Erde der Münchener Salafistenszene gesetzt hatte. Optisch fügte sie sich perfekt ein in diese fast undurchdringbare Parallelwelt von Anhängern, die unter dem Schutzschirm der Religionsfreiheit gefährliche und überstanden geglaubte patriarchalische Lebensweisen der vorangegangenen Jahrhunderte zu etablieren versuchten.

Ihr eigenes nordafrikanisches Aussehen half ihr bei ihrer verdeckten Tätigkeit. Die neuen Glaubensbrüder und -schwestern nannten sie Yasemine, und in Noras langen, dunklen Gewändern, ihrer Arbeitskleidung quasi, verschwand ihre sportliche Gestalt trotz ihrer 1,76 Meter Größe und ließ sie kleiner erscheinen. Hinter ihrer runden Hornbrille blitzten tiefbraune, kluge Augen, die von dichten schwarzen Wimpern eingerahmt waren. Unter ihrem Hidschab oder wahlweise dem Tschador verbarg sie dunkelbraunes, gewelltes, schulterlanges Haar, welches sie meistens zum Zopf zusammengebunden hatte.

Nora hatte sechs Jahre darauf hingearbeitet, in diese Szene einzudringen und aufzusteigen, um über die wichtigen Schaltzentralen geplante Attentate aufzuspüren. Ihre tunesischstämmige Mutter hatte mit ihr als Kind nur Arabisch gesprochen, was ihr ermöglichte, einen Fuß in das Tor der islamistischen Welt zu setzen und das Vertrauen eines entscheidenden Wissensträgers zu gewinnen.

Vor wenigen Minuten hatte sie das Treffen mit ihm in der Gökhan-Moschee beendet, die, eingefriedet von einer niedrigen grauen Betonmauer, hinter der wild und ungeordnet immergrüne Sträucher wuchsen, welche einen idealen Sichtschutz boten, als beliebter Treffpunkt für den islamistischen Austausch genutzt wurde. Die Betonmauer mit dem überdimensionierten Strauchbewuchs wirkte wie eine Aneinanderreihung von lang gestreckten Blumenkästen, die für die hochgewachsenen Pflanzen viel zu klein geraten waren.

Nora verließ das Moscheegelände, nahm ihr Handy in die Hand und tippte Sieberts Nummer auswendig auf das Display, während der Imam erschien, mit dem sie sich vor wenigen Minuten getroffen hatte.

Sie sprach beiläufig in ihr Handy: „Kontaktperson verlässt die Moschee und wird sich jetzt auf dem Weihnachtsmarkt mit einem Ahmed treffen!“

„Jetzt?“

„Ja, jetzt sofort.“

„Scheiße, die Observationstruppe steht noch nicht!“

Stille. Angestrengt überlegte Siebert, was zu tun war.

„Nora, zieh dich trotzdem zurück, mit Glück kriegen wir es hin!“

„Nein, das mach ich nicht. Zu riskant, so lange zu warten. Wir verpassen ihn sonst. Ich folge ihm bis zum Weihnachtsmarkt und übergebe dort an euch.“

Noras Stimme zitterte, ohne dass sie ahnte, aus welchem Grund sie ihr wegzubrechen drohte. Selbst wenn ihr in diesem Moment jemand zugeflüstert hätte, dass in wenigen Minuten ein nie da gewesener, zu einer tödlichen Wende in ihrem Leben führender Kontrollverlust über sie hereinbrechen würde, hätte sie ihren Einsatz zu Ende gebracht. Für Nora war es nie eine Frage, für welchen Weg sie sich bei einer Gabelung entscheiden würde. Es war immer der regelkonforme Pfad, den sie ihr gesamtes Leben beschritten hatte und bis zum Ende gegangen war und der ihr die tiefe Gewissheit verschaffte, das Richtige zu tun. Dass sie einmal über geplante gemeingefährliche Gesetzesbrüche unendliche Dankbarkeit empfinden könnte, war in der gesetzestreuen Welt, in der sie lebte, unvorstellbar.

„Nora, auf keinen Fall wirst du ihn verfolgen! Gib die Beschreibung durch. Vielleicht können wir ihn mit einer kleineren Einheit finden und aufnehmen!“, befahl ihr die Stimme am anderen Ende.

Als ihr jetziger Einsatzleiter und VE*-Führer(*VE = Verdeckter Ermittler) Max Siebert ihr vor sechs Jahren die Verwendung als verdeckte Ermittlerin näherzubringen versucht hatte, war sie zunächst skeptisch gewesen, denn sie war mit ihrem Job in Hamburg zufrieden – wie man so sagt. Die überraschende Offenbarung ihres damaligen Freundes jedoch, unter keinen Umständen in Beziehungslangeweile erstarren zu wollen und sie nicht mehr zu lieben, bildete eine Zäsur in ihrem Leben und gab den entscheidenden Impuls, nach München zu ziehen, um als neugeborener Single das Leben einer anderen zu leben. Ihr Freund hatte noch beiläufig mitgeteilt, schon länger eine neue Partnerin zu haben und lange nicht mehr so glücklich gewesen zu sein. Dabei hatte er seinen Kopf geneigt und sie mitfühlend angeschaut. Das war es. Vorbei. Nora hatte es damals noch verwirrt, dass er geweint hatte, was ihr naheging und Hoffnung in ihr aufkeimen ließ. Erst später verstand sie, dass er nur um seiner selbst willen getrauert hatte. Als ihr Freund sie zum Abschied gütig in den Arm nehmen wollte, wies sie ihn zurück. Ein Wiedersehen gab es nicht mehr. Nora sprang kopfüber in ein polizeilich überwachtes Abenteuer.

In München hatte sie sich schnell eingelebt und erkannte in der Veränderung auch den Vorteil, ihre in der Nähe von München lebende Mutter und ihren urbayrischen Vater häufiger sehen zu können, die ihr bei einem der ersten Besuche Isa geschenkt hatten, ein entzückendes schwarzes Hundewelpenknäuel.

Entgegen aller Regeln verfolgte Nora den Imam. Auf keinen Fall wollte sie es darauf ankommen lassen, ob Siebert seine Leute zusammenbekam. Keiner hatte diesen Ahmed bisher zu Gesicht bekommen. Das Risiko einzugehen, dass er außer Kontrolle geriet, war keine Option. Sie musste handeln. In einem geschützten, unbeobachteten Bereich entledigte sich Nora eilig ihres Tschadors und stopfte den Ganzkörperschleier in ihren handlichen Rucksack, während sie die Kontaktperson zu Fuß verfolgte. Ihr Handy hielt sie dabei in der Hand und hörte, wie Siebert von ferne fluchte.

Bevor sie den an diesem Abend mit all seinen Bretterbuden im warmen Licht erstrahlenden Christkindlmarkt sehen konnte, stieg ihr bereits der Duft nach gebrannten Mandeln, Glühwein und Zimt in die Nase. Trotz der frostigen Winterzeit wurde Nora während der Verfolgung heiß.

Dichte Menschenmassen in Weihnachtsstimmung bevölkerten den Markt und wärmten ihre Hände an den heißen Punschbechern, während in dem Fahrgeschäft an der Ecke der besonders beliebte Feuerwehrwagen, das Polizeiauto und die in Rosa lackierte Feenkutsche mit ihren kleinen Fahrgästen im Kreis getrieben wurden. Nora stieß während ihrer Verfolgung gegen unbekannte Schultern und schob sich durch die sich amüsierende Menschenmenge, während die wohlbekannten Angstwellen durch ihren Bauch tobten und die Panikattacke übermächtig wurde. Sie hyperventilierte, und die Musik um sie herum wurde dumpf.

Immer mehr fürchtete sie sich vor Menschenansammlungen. Immer häufiger musste sie bei diesen Beklemmungen ihre Zahlen und Verse aufsagen. Immer verzweifelter versuchte sie, diese sinnlosen Gedanken und die tiefe Furcht mit ausgedachten Versen zu vertreiben und zu neutralisieren. Gerade jagte wieder so ein Scheißgedanke durch ihren Kopf. Sie stellte sich vor, wie ihre Labradorhündin Isa auf ihrer Hundedecke selig schlief. Oh Gott, was, wenn ein Einbrecher kommt? Was ist mit Isa? Was wird er tun? Sie wird bellen. Er hat eine Waffe! Was wäre wenn ...

Die Zwangsgedanken entwickelten sich übermächtig zu einem Hemmnis und verlangsamten Noras Schritt. Der Abstand zwischen ihr und der Zielperson wurde größer, aber noch konnte sie sie sehen.

„Nora, wo bist du? Gib deine Standortdaten durch. Ich habe eine einsatzbereite kleine Einheit um den Christ­kindlmarkt aufstellen können. Wir übernehmen jetzt.“

Schweigen am anderen Ende des Handys.

„Ey, antworte doch ...! Verdammt, du gefährdest den Einsatz!“

Nora war in ihrer dunklen Welt angekommen und begann, die sie beruhigenden Verse leise vor sich hin zu murmeln:

„Aller guten Dinge sind drei,

sagten drei kleine Dreikäsehoch

und kauften drei Brote,

Schwarzbrot, Graubrot, Weißbrot,

bevor sie sich dreimal bekreuzigten.“

Sie bekreuzigte sich dreimal.

Jetzt muss ich nur noch dreimal bis dreißig zählen, und dann wird alles gut, dachte sie. Alles wird gut. Alles wird gut. Aber sie wurde durch die Stimme aus ihrem Handy unterbrochen.

„Nora, du kommst sofort zu mir. Ich breche den Einsatz ab ... Scheiße, Mann!“

In ihrem tragischen Drang, das Ritual zu Ende bringen zu müssen, drückte sie auf den roten Hörer ihres Displays und beendete den Kontakt zu Siebert.

Sie begann von Neuem und konnte endlich ungestört ihren zwanghaften Vers zu Ende bringen. Das war jetzt alles, was zählte. Nora wiederholte den Reim wie ein Mantra und zählte im Anschluss dreimal bis dreißig und spürte, wie ihre Anspannung von ihr abließ und sie etwas ruhiger wurde. Sie fühlte sich besser, und die Angst wich von ihr. Die Zielperson hatte sie allerdings verloren. Sofort schoss erneut Adrenalin durch ihren Körper, und Verzweiflung ergriff Besitz von ihr. Sie hatte einen sehr wichtigen Einsatz, für den sie sechs Jahre operativ gearbeitet hatte, in nur wenigen Minuten vollständig zerstört. Erst hatte sie sich Sieberts Anweisung widersetzt, und nun hatte sie den Imam und damit auch Ahmed verloren. Ein riesenhafter Scheißärger rollte auf sie zu, das wusste sie.

Mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern schickte sie sich an, den Christkindlmarkt zu verlassen, da stellte sich ihr unerwartet jemand in den Weg. Bedrohlich baute sich der Imam auf und feindete sie an.

„Wieso verfolgst du mich?“, fragte er sie auf Arabisch.

Seine Stimme klang spitz und beängstigend, und er schaute sie von oben bis unten an. Es entging ihm nicht, dass sie ihren Tschador nicht mehr trug.

„Das tue ich nicht. Ich ... ich bin hier verabredet mit einer Freundin.“ Mit fester Stimme versuchte sie, zu überzeugen. Dabei führte sie ihre Hand, in der sie immer noch ihr Handy hielt, heimlich hinter ihren Rücken, um es in der Hosentasche verbergen zu können, aber es war zu spät.

„Und wofür benötigst du das Handy?“, fragte er wütend, packte ihren Arm, riss ihn nach vorne und entwand ihr das Gerät.

Ihr wurde heiß, sie spürte, wie etwas Warmes von ihrem Magen in ihre Kehle hochschoss und ihr Herz so stark im Hals zu schlagen begann, dass sie das Gefühl hatte, an ihrem eigenen Herzen zu ersticken. Sie sprach kein Wort.

Bevor der Imam sie packen konnte, drehte sie sich jedoch blitzartig um und rannte durch die Seitenstraßen, weg von der Musik und den Lichtern, bis ihre Lunge zu platzen schien.

Sie konnte ihren Verfolger abhängen, aber er hatte ihr Handy. Die nächste Katastrophe. Sie war am Boden zerstört. Nora wischte sich erst eine Haarsträhne und dann eine Träne aus dem Gesicht.

Mutlos war sie und ohne Idee, wie sie Siebert diesen Misserfolg erklären könnte, aber sie hatte eine schreckliche Ahnung, was auf sie zukommen würde.

Nora hetzte mit ihrem Mountainbike, welches sie am Präsidium abgestellt hatte, nach Hause und betrat ihre Dachgeschosswohnung. Vom Klappern der Schlüssel geweckt, hob Isa kurz den Kopf und klopfte vor Freude mit dem Schwanz gegen ihre Hundedecke. Als Erstes legte Nora den Wohnungsschlüssel so auf den Flurtisch, dass das Bild des Anhängers nach oben zeigte und über dem Schlüssel zum Liegen kam. Dann kontrollierte sie, ob ihre aufgehängten Jacken im richtigen Abstand an der Garderobe hingen. Erst danach wandte sie sich ihrer Labradorhündin zu, die ungeduldig während Noras Ordnungsphase schwanzwedelnd um ihre Beine herumstrich und ihr mehrfach mit der noch vom Schlaf warmen Schnauze gegen das Bein stupste.

„Warte, Isa, noch einen Moment.“

Nora kramte ihr privates Handy aus der untersten Schublade ihres Schreibtisches hervor und schrieb per WhatsApp an Siebert:

Scheiße, Imam hat mein Handy. Ahmed verloren. Morgen um 10, wie immer.

Sieberts vielfache Versuche, Nora auch auf ihrem privaten Handy zu erreichen, blieben erfolglos. Sie hatte es ausgestellt.

Nora beugte sich zu Isa herab, und die Hundedame ließ sich zufrieden auf dem Rücken liegend kraulen. In diesem Moment war Nora erleichtert und vergaß für einen kurzen Augenblick die eben erlebte Katastrophe. Sie fuhr immer wieder mit der Hand durch Isas glänzendes Fell und genoss die beruhigende Wirkung. Nora legte sich zu ihr, vergrub ihren Kopf in ihr Fell und genoss den Hundegeruch, der Isa umgab, wenn sie geschlafen hatte. Am scheensten is’, wenns schee is’, dachte sie.

***

Der Duft von frisch gebackenen Franzbrötchen stieg Nora am nächsten Morgen in die Nase, als sie die Lieblingsfrühstückskneipe von Max Siebert betrat. Das einzige Lokal in München, welches selbst gebackene Franzbrötchen anbot. Siebert saß auf einem knallroten Sessel und wartete auf sie. Als er Nora entdeckt hatte, winkte er ihr zu.

Sie grüßte zurück und passierte einen an der Wand hängenden Spiegel. Ganz nah trat sie heran, kontrollierte ihr in Mantel, Mütze und dicken Schal eingehülltes Äußeres und strich dreimal über ihre im scharfen Bogen geschwungenen dichten Augenbrauen. Sie setzte sich an Sieberts Tisch und bestellte sich einen Cappuccino.

Sieberts Miene war so finster, dass sie kein Wort herausbrachte.

Max Siebert hatte rötliche Haare, eine sportliche Figur und bei anderen Anlässen freundliche Augen. Überdies trug er einen Dreitagebart, den Nora sexy fand. Heute trug er allerdings einen grauen Anzug, was sie irritierte. Auch fand sie ihn in dieser Sekunde ganz und gar nicht sexy. Er unterbrach das Schweigen.

„Nora, ich musste noch nie einen Einsatz abbrechen, weil mein Ermittler verrücktspielt. Hast du denn gar nichts gelernt? Und wieso hast du den Kontakt abgebrochen?“

Natürlich kannte Nora den Grund. Aber konnte sie ihn verraten? Würde es nicht heißen, du musst etwas unternehmen, und sie wäre am Ende des Tages womöglich dienstunfähig? Das wollte sie auf keinen Fall und verbarg daher ihre Erkrankung und den daraus resultierenden Misserfolg erneut mit einer Lüge. Einen Fehler durch eine Lüge zu verbergen, heißt, einen Flecken durch ein Loch zu ersetzen, hatte einmal ein einflussreicher griechischer Philosoph gesagt. Der Spruch stand in Noras WhatsApp-­Status. Aber die Wahrheit wollte Nora nicht sagen, und sie nahm in Kauf, dass alles noch schlimmer kommen könnte.

„Ich kann es dir nicht erklären, Max, vielleicht kein Netz?“ Sie zuckte mit den Schultern.

Ungläubig sah er sie an.

„Wie konnte der Imam dein Handy kriegen? Mann, was für ’ne Aktion. Echt, Nora!“

Siebert war misstrauisch und strich sich während der Befragung durch seinen rötlichen Bart.

Nora schilderte ihm kleinlaut, dass der Imam sie während der Verfolgung entdeckt und direkt angesprochen hatte.

„Ich bin verbrannt!“, stellte sie fest.

Er sah sie fassungslos an und konnte seine Wut kaum zügeln. Nora zuckte zusammen, als er mit der Hand auf den Tisch schlug.

„Du bist raus. Ich zieh dich ab!“

Sie starrte auf ihren unberührten Cappuccino und trank einen Schluck. Er war kalt.

„Ich bespreche das mit dem Leiter für operative Einheiten, und dann sehen wir weiter. Du musst aus dem Einsatz raus und zurück nach Hamburg.“

Nora schluckte, das hatte sie vermutet, aber das wollte sie nicht. Wollte sie auf keinen Fall. Sie liebte München und ihre Arbeit hier. All das sollte jetzt vorbei sein? Aber es hatte keinen Sinn zu opponieren. Die Entscheidung würde so fallen, das wusste sie. Nach Hamburg zurückzukehren, war aber immer noch besser, als in irgendeiner Abteilung als Dienstunfähige am Computerschreibtisch zu verenden.

„Wo wird man mich einsetzen?“

„Das weiß ich nicht“, erwiderte Siebert etwas freundlicher. „Ich bespreche das mit dem zuständigen Kollegen in Hamburg. Du hörst von mir. Wahrscheinlich geht es sehr schnell. München ist jetzt ein gefährliches Pflaster für dich. Du musst hier weg. Wenn ich mehr weiß, rufe ich dich an.“

Die Andeutung eines Lächelns huschte über sein Gesicht. Ihr quirliges Temperament hatte ihn fasziniert, aber er wusste, dass er über seinen schon länger gehegten Verdacht nicht würde schweigen dürfen.

„’tschuldigung“, sagte Nora, als sie mit einem Mann in einem passgenauen Nadelstreifenanzug an der Tür des Cafés zusammenstieß und dann ihren Weg fortsetzte. Beim Hinausgehen musterte der Mann im Anzug sie eingehend und stellte sich sodann an den Tresen. „Einen Espresso doppio bitte.“

Siebert stand auf und stellte sich neben den Mann.

„War sie das?“, fragte der Mann Siebert und leckte sich mit der Zunge die Crema von der Oberlippe.

„Ja.“

„Max, ich setze in Hamburg meinen besten Mann auf sie an. Schick mir bitte Personalbogen und Liste ihrer Vorlieben und Besonderheiten.“

Mit diesen Worten beendete Horst Röpke das kurze Treffen.

Als am Nachmittag des gleichen Tages Noras Telefon klingelte, lag sie mit Isa auf dem Sofa und nahm erstarrt die Anordnung von Max Siebert entgegen, dass sie bereits am nächsten Tag nach Hamburg zurückkehren müsse. In der Abteilung für vermisste Personen sollte sie anfangen, die der Abteilung für Kapitalverbrechen angegliedert war.

„Ich kümmere mich um die Formalien und deine Wohnung hier in München. In Hamburg kommst du vorläufig in einer Dienstwohnung unter.“

Die vielen Informationen prasselten auf sie ein.

„Nora, ich kann dich nur schützen, wenn du auf mich hörst und sofort das Nötigste packst. Heute Abend geht dein Zug.“

„Du denkst an meinen Hund, den muss ich doch mitnehmen?“, fragte sie mit letzter Kraft.

„Ja, mach dir keine Sorgen“, beruhigte er sie. Sie hörte zwar Max’ sanfte Stimme, aber nicht, was er sagte. Ihre Gedanken schweiften ab. Was sollte sie in Hamburg, was in dieser unsäglichen Abteilung? Es war ihr jetzt schon zuwider.

Das Konzerthaus

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