Читать книгу Händler des Todes - Malcom Brady - Страница 3
Kapitel 1
ОглавлениеDas Licht der Ampelanlage hatte noch nicht umgeschaltet, da ging es bereits los. Das Dröhnen der Autos, Mopeds, Kombis und Linienbusse. Milagros saß in einem Taxi und beobachtete den stockenden Verkehr. Dabei drückte sie sich entspannt in die Polster des alten Chevrolets und versuchte der Fahrt etwas Angenehmes abzugewinnen. Endlich sprang die Ampel auf Grün und die Blechlawine setzte sich in Bewegung. Während das Taxi die imposante Silhouette des Mariott Hotels passierte, drängelte sich ein Jugendlicher auf einer Honda-Maschine gefährlich nah an den Oldtimer heran. Hinter ihm, auf dem Sozius, saß ein junges Mädchen mit langen, schwarzen Haaren und klammerte sich an ihm fest.
„Na, wenn das mal gut geht“, dachte Milagros.
Auf der Avenida Benavides ging plötzlich nichts mehr. Sie standen hinter einem grünen Vehikel, dessen Auspuff, beziehungsweise das, was noch davon übrig geblieben war, so viele dicke Rauchwolken ausspuckte, dass Milagros den Atem anhielt und so schnell wie möglich die Fensterscheibe nach oben kurbelte. Erst danach atmete sie weiter. Es nütze ihr jedoch nur wenig. Schon bald drangen die Abgase in den Innenraum des Taxis und benebelten ihre Atemwege. Sie hustete und klopfte dem Fahrer auf die Schultern. Der blickte in den Rückspiegel und nickte mit seinem Kopf. Er hatte die unausgesprochene Gestik verstanden und wechselte rasch auf die Überholspur. No Problema!
Den Komfort eines Taxis hatte sich Milagros nicht immer leisten können. Sie stammte aus einem Provinznest in der peruanischen Sierra. Ihre Eltern hatten einen kleinen Bauernhof besessen und Tag ein, Tag aus versucht, der kargen Landschaft etwas abzugewinnen. Damals waren sie fünf Geschwister gewesen. Vier Mädchen und ein Junge. Vier zu viel, wie es ihr Vater immer betont hatte. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn es noch weitere Stammhalter und Arbeitskräfte für den Hof gegeben hätte, aber der Allmächtige hatte es anscheinend anders gewollt. So war sie in erbärmlichen Verhältnissen aufgewachsen und mit ihr der Wille und die Entschlossenheit, mehr aus ihrem eigen Leben zu machen. Ansonsten wäre ihr nur die Suche nach einem Campesino geblieben, der sie zur Frau nahm, solange sie noch jung war. Mit sechszehn wurde sie als bildhübsche junge Frau eines Tages von ihrer Mutter um eine Unterredung gebeten. Sie saß unter einem der großen Mangobäume, die vor ihrem Haus standen und zeigte ihr das Kleid. Es war jenes Kleid, das ihr Leben von nun an weitreichend verändern sollte, denn dazu bekam sie ein Busticket nach Lima und eine Adresse in Miraflores. Letztere hatte jemand mit einem Kugelschreiber auf die Rückseite eines Taschenkalenders gekritzelt. Zum Abschied heulte ihre Mutter wie ein Schoßhund und dass, obwohl Milagros so heftig winkte, dass sie sich dabei beinahe den Arm auskugelte. Was danach folgte war sicherlich nicht einfach, aber es ersparte ihr zumindest das triste Leben in den Bergen. Immerhin wartete ab sofort die pulsierende Großstadt Lima auf sie und Dona Rivera hatte hoch und heilig versprochen, gut auf sie aufzupassen. Besagte Dame war so etwas wie ihre Vermittlerin und wollte sich um alle Angelegenheiten kümmern. Unterkunft und zahlungskräftige Kundschaft eingeschlossen. Der Abschied von ihrem Vater verlief kurz und schmerzlos. Er murmelte nur etwas davon, dass die Gringos in der Hauptstadt für Jungfrauen ganz besonders gut bezahlten. Nur ganz langsam sollte sie eine Ahnung davon bekommen, was seine Worte bedeuteten.
In Lima wohnte sie im Reducto. Die kleine Pension mit dem wohlklingenden Namen lag in der Avenida Ricardo Palma, einem der Außenbezirke von Miraflores. Dort teilte sie sich zunächst ein Zimmer mit zwei anderen Mädchen. Hier schliefen sie, kochten zusammen, tanzten Salsa und tauschten ihre Kleider untereinander aus. Schöne Kleider waren wichtig. Durch sie bekam man die betuchtesten Kunden. Ihr erster Freier war Engländer und erwies sich als ein wahrer Gentleman. Zwar stand er auf blutjunge Mädchen, aber zu Milagros Glück war er geduldig und einfühlsam. Dona Rivera hatte ihn ihr vermittelt, jedoch nicht ohne sie vorher auf alles vorzubereiten. Milagros wusste, wie sie sich bewegen musste, damit der Schmerz noch auszuhalten war. Später arbeitete sie in der Posada del Inca. Das war ein Striplokal, in dem überwiegend Ausländer verkehrten. Sie arbeitete hart und fand schnell heraus, wie man die anwesenden Gäste zum Trinken animierte. Bald schon vermochte sie die Männer in zwei Kategorien einzuteilen: Diejenigen, die nur herkamen um sich zu betrinken und jene, die tatsächlich ein Mädchen suchten. Bei denjenigen, die sie in der letzten Gruppe vermutete, legte sie sich dann ganz besonders ins Zeug. Und die Männer standen Schlange bei ihr. Besonders die Älteren. Das war keineswegs verwunderlich, war sie doch das jüngste Pferdchen im Stall von Dona Rivera. Dazu war es ihr gelungen, sich bis heute eine gewisse Unschuld zu bewahren und ihr freundliches, zurückhaltendes Wesen brachte ihr noch zusätzliche Pluspunkte ein. Darauf standen die Männer. Wahrscheinlich hatte sie auch genau aus diesem Grund den Job als Hostess bekommen. Ganz zufällig hatte sie eines Tages die Annonce im Comercio gesehen.
„Begleitagentur sucht hübsche junge Damen mit Niveau für außergewöhnlich gut bezahlte Tätigkeit.“ Darunter hatte eine Adresse in San Isidro gestanden und Milagros war einfach hingegangen und hatte sich vorgestellt. Ihr Ansprechpartner hieß Reynaldo Mosquera. Er war ein großgewachsener, braungebrannter Kolumbianer, der in dem vornehmen Kolonialviertel eine exklusive Agentur betrieb und bei seinen Kunden handelte es sich überwiegend um Ausländer mit speziellen Wünschen.
„Gerade deshalb sei ein gepflegtes Äußeres, sowie völlige Diskretion ein absolutes Muss“, hatte er ihr erklärt. Später fügte er noch hinzu, dass die Wünsche seiner Kunden zwar speziell, jedoch nicht unerfüllbar seien und das sie, falls sie etwas partout nicht mochte, den Service auch ablehnen konnte. Allein diese Erklärung hatte sie beruhigt und dazu bewogen, den Job anzunehmen. Immerhin versprach er ihr eine Stange mehr Geld bei gleichzeitig geringerer Arbeitszeit. Danach war sie kurzerhand aus dem Reducto ausgezogen und hatte sich ein kleines Apartment in der Avenida Larco gemietet. Jetzt konnte sie von ihrem Balkon aus den Pazifischen Ozean sehen. Welch eine Verbesserung! Das einzige Manko war, dass sie fortan nicht mehr zu Fuß zu ihrer Arbeit gehen konnte. Aber wofür gab es schließlich Taxis?
„Der Verkehr wird aber auch immer schlimmer! Wissen Sie was? Halten Sie bitte an. Ich steige schon hier aus und gehe das fehlende Stück zu Fuß durch den Kennedy Park.“ Der Fahrer nickte mit dem Kopf und hielt vor einem Zebrastreifen. Milagros legte einen 10 Sol Schein auf die Ablage, öffnete die Seitentür und stieg aus. Ein feuchter Luftschwall kam ihr entgegen, als sie auf hohen Absätzen zwischen den wartenden Autos hin und her stöckelte. Jemand hupte. Ein Mestizengesicht in einem alten VW Käfer grinste sie unverschämt an und pfiff, so laut er nur konnte, als sie an seiner Schrottlaube vorbeikam. Beinahe wäre sie noch in einen weißen Toyota gerannt, weil der Penner von Autofahrer sie glatt übersehen hatte, aber sie konnte gerade noch ausweichen und bewegte sich nun so schnell es ihre hohen Hacken eben zuließen, auf die andere Straßenseite zu.
„So, das wäre geschafft!“ Knapp zwanzig Meter weiter befand sich der schützende Eingang des Kennedy-Parks.
Reynaldo Mosquera stand mit dem Rücken gewandt zu den Fenstern seines großzügigen Büros und meditierte vor sich hin. Er liebte diese alten, hohen Räume. Allein die Fenster, eine riesige Boden-Dach-Konstruktion aus Bleiglas und geschmiedetem Eisen, waren mehr als vierhundert Jahre alt. Sie stammten noch aus der Zeit, als die Spanier das koloniale Lima als Drehkreuz für ihre Eroberungszüge benutzten. Durch die großen Fenster strömte helles Sonnenlicht in den Raum und formte einen rasterartigen Schatten, der ganz mit dem karierten Muster des hochwertigen Marmorfußbodens übereinstimmte. Die vorhandenen Möbel waren antik und ausgefallen. Integriert in das voluminöse Büro erstrahlten sie in ihrem vollen Glanz. Als Milagros die Tür öffnete, schaute er sie an und grüßte freundlich.
„ Ist wohl ziemlich ruhig bei dir heute, was?“ fragte sie.
Er nickte in Gedanken versunken, denn das war beileibe nicht zum ersten Mal so.
„Heute habe ich nur einen Termin für dich. Allerdings erst um neun. Du musst dich also noch ein bisschen gedulden.“
„Aber das ist ja noch eine ganze Stunde!“
„Bei dem Kunden handelt es sich um irgendein hohes Tier aus Deutschland. Er wird hier anrufen, sobald er fertig ist. Hat etwas von einer Konferenz gefaselt und davon, dass er sich danach noch kurz aufs Ohr legen will. Also so viel Zeit wirst du ja wohl haben!“
„Na ja, eigentlich habe ich Dona Rivera versprochen, nachher noch bei ihr vorbeizuschauen und…“
„Ja was und? Das kannst du doch immer noch, Dona Rivera läuft dir doch nicht davon! Und von dem Aleman bekommst du fünfhundert Dollar, dafür lohnt es sich doch ein bisschen zu warten, oder etwa nicht? Du sollst übrigens die Schwesterntracht mitbringen!“
Milagros zog eine Grimasse. „Ach schon wieder so einer, der auf Doktorspiele steht! In welchem Hotel ist er denn abgestiegen?“
„Nicht im Hotel. Du sollst direkt in sein Apartment kommen. Die Adresse habe ich dir aufgeschrieben. Ist gar nicht weit von hier. Er wohnt in einem der neuen Hochhäuser direkt am Malecon. Aber bitte, setzt dich doch noch für einen Augenblick hin. Magst Du Kaffee?“
„Ja gerne.“
Innerlich musste sie lachen. Noch vor einem Jahr hätte Reynaldo sie wahrscheinlich aus seinem Büro gejagt, aber heute sah die Sache ganz anders aus. Sie war sein Zugpferd und die meisten Kunden fragten speziell nach ihrem Service. Darunter befanden sich Geschäftsleute oder Abgeordnete, aber manchmal hatte sie auch einen richtig dicken Fisch an der Angel. Das war dann ein hochrangiger Politiker oder ein Diplomat, aber die waren meistens am Schlimmsten. Daher wusste Reynaldo nur zu gut, was er an ihr hatte und vor allem, dass er sich 100 prozentig auf sie verlassen konnte. Und das wiederum hatte ihr gemeinsames Geschäftsverhältnis zu ihren Gunsten verändert. Sie war so etwas wie sein Partner geworden.
Reynaldo brachte den Kaffee. Milagros zündete sich eine Zigarette an und inhalierte den Rauch. Dazu nippte sie an dem Kaffee, stand aber ganz plötzlich auf, ging zur Toilette, überprüfte ihr Makeup, kam wieder zurück, setzte sich und trank ihre Tasse aus. Danach zündete sie sich eine zweite Zigarette an und drückte den Stummel in den Aschenbecher, nachdem sie den Glimmstengel nur bis zur Hälfte geraucht hatte. Es waren gerade einmal fünfzehn Minuten vergangen.
„Ich geh jetzt rüber zu ihm“, sagte sie entschlossen.
„Ist noch ein bisschen früh Milagros.“
„Ach was, ich habe keine Lust mehr noch länger zu warten. Ich mach halt langsam. Mit den Stöckeln hier kann ich sowieso nicht schnell laufen.“ Sie zeigte auf ihre hohen Absätze. Reynaldo nickte ihr zu. „Ist schon gut. Du tust ja doch, was du für richtig hältst. Aber vergiss nicht die Schwesterntracht mitzunehmen.“ Er legte ihr eine gefüllte Plastiktüte auf den Tisch, die Milagros sogleich in ihre geräumige Handtasche stopfte.
„Si Senor!“ Dann stand sie auf und stöckelte anmutig aus dem Raum. Ihre Absätze klapperten noch, als sie am Ende des Ganges in den Aufzug stieg. Reynaldo konnte sich ein schwaches Lächeln nicht verkneifen. Er wusste was er an ihr hatte.
Die neuen Hochhäuser befanden sich in der Calle Venecia, nur zwei Blocks von Reynaldos Büro entfernt. Milagros passierte die schwere Drehtür im Foyer und ging, ohne sich beim Wachmann anzumelden, hinüber zum Aufzug. Niemand kümmerte sich ernsthaft darum was sie hier tat, oder zu wem sie wollte. Dafür sorgten unter anderem Reynaldos kleine Zuwendungen. Der Mann, den sie besuchen wollte, hieß Robert Werner. Was oder wer er war, wusste sie nicht. Es hätte sie auch nicht groß interessiert. Der Zimmernummer nach zu urteilen, musste er vermögend sein. Es war die 44. Die vierer Nummern bedeuteten viertes Stockwerk und hier befanden sich ausschließlich die Penthouse-Wohnungen. Sie fuhr hinauf und landete direkt vor seinem Apartment. Bevor sie an die Tür klopfte, überprüfte sie mittels eines kleinen Kosmetikspiegels, den sie immer in der Handtasche bei sich führte, abermals ihr Aussehen Alles war perfekt. Sie setzte ein verführerisches Lächeln auf und klopfte. Es kam keine Antwort. Sie schaute auf ihre Armbanduhr. Es war 20.30 Uhr.
„Und wenn die Konferenz noch im Gange ist?“
Sie klopfte nochmals und drückte automatisch gegen den Knauf. Zu ihrer Überraschung gab die Tür nach und ließ sich öffnen. Also musste dieser Werner bereits auf seinem Zimmer sein.
Das war er auch, aber ganz und gar nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Er hing im Salon an der Decke, verschnürt wie ein Paket, mit dem Kopf nach unten und rührte sich nicht. Zuerst glaubte Milagros noch an einen perversen Scherz und näherte sich ihm vorsichtig, aber dann blickte sie in ein verzerrtes, blutleeres Gesicht und bemerkte die blutverklebten Haare, sowie die rote Lache, die sich unter ihm gebildet hatte und nun im Begriff war sich auf dem hellen Velourteppich auszubreiten. Das war die bittere Realität. Nur das Messer, welches hinten in seinem Rücken steckte, sah sie nicht mehr. Reflexartig drehte sie sich um und lief aus dem Raum. Sie befand sich bereits wieder auf dem Weg nach unten, als endlich der erste Schrei aus ihr herausbrach.