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Kapitel 3

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Sie trafen ihn im Onkel Nestor, einer urgemütlichen Eifel-Gaststätte, die es schon seit vielen Generationen gab. Baumann wusste, dass Claudio fast jede freie Minute in diesem Lokal verbrachte. Ursprünglich einmal hatte das Gebäude unter Denkmalschutz gestanden, allerdings war das Lokal seit seiner Entstehung durch unzählige Umbau- und Restaurationsarbeiten stetig verändert worden. Sein momentaner Besitzer war ein Kunstsammler aus dem Ruhrgebiet mit dem Namen Elias. Er hatte die Gaststätte kurzerhand in eine Art Galerie verwandelt. Überall standen antike Möbelstücke und Sitzgelegenheiten verschiedenster

Epochen herum und an den Wänden hingen antike Ölgemälde, Masken und Fotografien. Das einzige was heute noch unter den Denkmalschutz fiel, war die eigentümliche Kundschaft, die aus ausnahmslos aus wahrhaftigen Eifelanern bestand.

Claudio Guerrero saß auf einem zierlichen Luis XIV Stuhl hinter einem kleinen runden Ecktisch und trank einheimischen Rotwein. Elias stand hinter dem geräumigen Tresen und zapfte Bier. Auf einmal deutete er auf die Eingangstür, der sich gerade zwei vornehm gekleidete Herren näherten. Sie betraten den Schankraum und grüßten freundlich, aber niemand außer dem Wirt grüßte zurück. Die Einheimischen starrten die Neuankömmlinge an. Deren Kleidung war teuer, um nicht zu sagen luxuriös. Allein ihre Schuhe durften mehr gekostet haben, als all das, was die meisten Besucher am Leibe trugen. Und sie waren auf Hochglanz poliert, die Bügelfalten ihrer Hosen messerscharf, die dazu passenden Jacken aus hochwertigem Material und natürlich gänzlich ohne jedes Stäubchen. Gewohnt selbstsicher passierten sie die alte rote Telefonkabine aus England, die Elias zu Dekorationszwecken seitlich der Eingangstür aufgestellt hatte und näherte sich dem kleinen Ecktisch.

„Hallo Claudio.“, grüßte Peter Baumann freundlich und nahm auf einem der freien Stühle Platz. „Man hat uns gesagt, dass wir dich hier finden würden. Wenn ich kurz vorstellen darf: Das hier ist mein Kollege Bertram.“

„Angenehm!“

„Klaus und das hier ist Herr Guerrero, wie er leibt und lebt.“

Er lachte über seinen müden Scherz und sah zu, wie sein Kollege Claudio eine Hand entgegenstreckte. Klaus Bertram war etwa Anfang fünfzig und hatte volles, dunkles Haar. Nur sein Gesicht wurde von einer meißelartigen Nase dominiert, die man bei jeder anderen Person als charakteristisch bezeichnet hätte, bei Bertram aber einfach nur außergewöhnlich dick wirkte. Er besaß ein weiches Kinn und abgerundete Wangen, welche ihm wiederum eine offene und freundliche Ausstrahlung verliehen, jedoch als Claudio ihm die Hand schüttelte, bemerkte er die harten Augen hinter dessen ganz in Gold gefasster Sonnenbrille. Zugleich richtete sich sein Blick auf die ausgefallene Seidenkrawatte, die Baumanns Kollege trug. Sie war mit einer goldenen Spange versehen, die zusätzlich von einem großen Edelstein geziert wurde. Claudio war sich sicher, dass er echt war.

„Nun sagt schon, was treibt ausgerechnet euch hierher in die Eifel?“

„Staatssekretär Von Sanden möchte dich kennenlernen.“

Man sah Claudio nicht an, ob diese Aussage ihn sonderlich beeindruckte.

„Trinkt ihr Bier, oder lieber so wie ich einen Roten?“ fragte er ohne darauf einzugehen.

„Wir sollen dich jetzt gleich mitnehmen!“

„Mitnehmen, wohin?“

„Nach Bonn!“

Wie von Geisterhand herangeschafft, standen plötzlich zwei Eifelpils auf dem Tischchen. Elias zwinkerte mit den Augen und Claudio grinste vor sich hin. „Prost meine Herren. Na dann plaudert doch mal ein bisschen aus dem Nähkästchen.“

„Hör zu Claudio. Wir haben nicht die Zeit um dir große Geschichten zu erzählen. Trink deinen Wein aus und dann komm mit.“

„Und was ist mit eurem Bier? Wäre doch wirklich schade drum.“

Automatisch setzte Baumann die Lippen an sein Bierglas und nahm einen kräftigen Schluck. Danach blickte er Claudio an und versuchte seine Stimme unter Kontrolle zu behalten.

„Mensch Claudio, Staatssekretär Von Sanden will dich kennenlernen. Möglicherweise hat er einen Job für dich.“

Claudio rülpste und Peter Baumann wich zurück.

„Was denn für einen Job?“

„Das möchte er dir selber sagen. Trink aus und komm mit!“

„Und wenn ich nicht will?“

„Claudio, du spinnst! Das hier ist vielleicht die Chance deines Lebens. Also mach schon, oder willst du ewig so weitermachen und langweilige Artikel für Heimatblätter in der Eifel schreiben?“

„Sagt eurem Boss einen schönen Gruß von mir und dass ich morgen früh um acht Uhr bei ihm auf der Matte stehe. Und jetzt gehe ich nach Hause.“

Damit stand er auf und ging. Peter Baumann starrte wie gelähmt auf sein halbvolles Bierglas. Er zweifelte keine Sekunde an Claudios Seriösität, auch wenn er sein Handeln umso weniger verstand. Draußen war es mittlerweile dunkel geworden. Elias zündete Kerzen und Räucherstäbchen an. Ein Gitarrenduo spielte auf einer kleinen Bühne sanfte Jazzklänge und die beiden Beamten spürten die Wirkung des langen Tages. Es war Zeit, den Rückweg nach Bonn anzutreten.

Claudio schloss die Tür auf und betrat seinen Hausflur. Luna, die kleine Mischlingshündin, die er von seiner Ex-Freundin Edith übernommen hatte, legte den Kopf schief und kam auf ihn zugerannt.

„Na, du kleine Nervensäge. Kontrollierst du neuerdings schon, wann ich nach Hause komme?“

Luna drehte elegant den Kopf auf die andere Seite und blinzelte ihn an. Fast schien es so, als wollte sie sagen: Wird auch langsam Zeit, dass du kommst. Gib mir endlich etwas zu fressen. Claudio streichelte über ihr weiches Fell.

„Also gut, du hast mich überzeugt, du Streunerin. Für dich gibt es TroFu und für mich die Zeitung und eine Tasse Kaffee.“

Köttelbach in der Eifel. Warum war er gerade hier gelandet war? Nun das ist eine lange Geschichte. Sagen wir einfach, wo die Liebe hinfiel…

Er hatte gerade die Haustür hinter sich zugeworfen, als ihm noch etwas einfiel: Die Zeitung. Er öffnete sie wieder und sah, dass die Zeitung schon wieder auf dem Rasen lag. „Was ist bloß los mit dem Jungen? Er schafft es nie, sie weiter als bis auf den Rasen zu werfen. Er schritt über den Rasen. Unter seinen Schuhsohlen knirschten trockene Blätter. Sie stammten von der Hecke, die sein Nachbar gestern gestutzt hatte. Er klemmte sich die Zeitung unter den Arm, schlenderte wieder zurück zum Haus und betrat den Flur.

Überhaupt war das mit den Nachbarn in der Eifel so eine Sache. Im Allgemeinen ließen sie ihn in Ruhe, auch wenn sie für seinen Geschmack ein wenig zu häufig aus ihren Häusern krochen, um nachzusehen ob auch wirklich noch alles in Ordnung war. Das Haus in dem er wohnte besaß zwei Stockwerke. Neben seinem Schlafzimmer befanden sich oben noch ein Gästezimmer und das Bad. Den ersten Stock teilten sich Küche, ein Gäste-WC und das geräumige Wohnzimmer. Letzteres war ein Mittelding zwischen einem Salon und der Art von Bibliothek, die ein Liebhaber guter Bücher Stück für Stück zusammentrug, je nachdem wie sich die Gelegenheit dazu ergab. Die schwere Couchgarnitur aus Leder, der wuchtige Esstisch mit den acht passenden Stühlen, ebenfalls Leder, die antiken Holzregale -und Schränke, der Sekretär sowie die auffällige Standuhr, alles stammte aus der Gründerzeit und verbreitete zusammen mit dem gusseisernen Kaminofen eine gewisse Behaglichkeit. In der Ecke des Zimmers stand eine restaurierte, amerikanische Musikbox. Zwei Wände wurden durch Regale verdeckt, auf denen präkolumbische Keramiken unterschiedlicher Formen und Epochen standen. Die beiden anderen Wände schmückten eine Reihe historischer Bilder, die ebenfalls aus dem fernen Südamerika stammten und von antiken Lampen mit bunten Tiffanyglasschirmchen angestrahlt wurden. All das spiegelte seine persönliche Note wieder.

Die automatische Kaffeemaschine auf der Rückseite seiner Küchenbar hatte gerade ein einigermaßen trinkbares Gebräu fertiggestellt und Luna kaute eifrig auf einer klebrigen Masse aus ihrem Aluminium Napf herum, also konnte er sich getrost an den Küchentisch setzten und einen Blick in die Tageszeitung werfen. Innerlich brannte er darauf zu erfahren, was der Staatssekretär von ihm wollte. Und trotzdem dachte er nicht im Traum daran, sich gleich am Anfang von ihm einwickeln zu lassen. Am anderen Morgen klopfte er pünktlich um acht Uhr an jene Tür, die zum Büro des Staatssekretärs Von Sanden führte.

„Herein!“

Roger Peters öffnete und blickte sofort in Von Sandens strenger Miene.

„Ah der Herr Guerrero gibt sich die Ehre. Eigentlich habe ich Sie ja bereits gestern erwartet.“

Er deutete auf den Stuhl zu seiner linken. Claudio setzte sich.

„Nun, ich hatte ein wenig getrunken und da wollte ich nicht…“

„Sie wollten keinen schlechten Eindruck bei mir hinterlassen, nicht wahr Herr Guerrero?“

„Äh ja. Das stimmt ganz genau.“

Aber es war bei weitem nicht selbstverständlich, dass er pünktlich in Bonn eingetroffen war. Er fuhr einen alten englischen Sportwagen und der hatte seine Tücken.

„Nun gut, wir wollen es dabei belassen“, sagte Von Sanden beinahe gutmütig. „Herr Guerrero, ich habe einen Job für Sie!“

„Davon habe ich bereits gehört, aber Baumann wollte partout nicht herauslassen um was es dabei geht. Ich dachte mir nur, dass wenn Sie mir extra zwei von ihren Beamten vorbeischicken, es sich allerdings um eine ernste Sache handeln muss.“

Von Sanden sah ihn eine Zeitlang an, ohne etwas zu sagen. Auf einmal verließen die Worte sehr ernst sogar fast unhörbar seinem Mund. Unmittelbar danach hatte er sich wieder gefasst.

„Hören Sie zu. Ich weiß, dass sie viele Jahre in Südamerika gelebt haben. Erzählen Sie mir doch einmal was Sie über Peru wissen?“

Die Frage kam für Claudio völlig unerwartet. Er schluckte. Was sollte das jetzt?

„Staat in den Anden, alte Kulturen, die Inkas, Machu Pichu, Ceviche…“

Was sollte er noch darauf noch antworten? Von Sanden nickte zustimmend.

„Ich sehe wir verstehen uns. Sie kennen sich in der Hauptstadt Lima aus?“

„Wie in meiner Westentasche! Darf ich Sie fragen, warum Sie das so interessiert?“

„Eben, aus reine Interesse“, erwiderte Von Sanden mit einem Gesichtsausdruck der fast schon scheinheilig wirkte, während er auf Claudio blickte, der sich vorkam, wie das Opfer in einer Falle. Und der Staatssekretär fackelte nicht lange.

„Gut, dann reden wir über mein Angebot. Sind sie doch interessiert oder etwa nicht?“

Es gelang Claudio sich von dem intensiven Blick seines Gegenübers zu lösen. „Momentmal“, sagte er. „Wenn ich mich recht erinnern kann, so haben Sie mir bisher noch kein konkretes Angebot vorgelegt. Also woran soll ich da bitte schön interessiert sein?“

Auf einmal wirkte Von Sanden genervt. Dieser Claudio Guerrero war anscheinend nicht ganz so einfach zu überzeugen.

„In Ordnung“, sagte er und zündete sich eine Zigarette an. Er zog an dem Filter, bis sich der erste Teil fast komplett in ein Ascheröllchen verwandelt hatte.

„Ganz wie Sie wünschen. Dann nehmen wir eben den komplizierten Weg, auch wenn ich eigentlich dafür keine Zeit habe. Ich sitze gerade hier mit ihnen zusammen und biete ihnen einen höchst interessanten und dazu noch lukrativen Job an, nur die Einzelheiten dazu gibt es später. Ich kann Ihnen jedoch versichern, dass Sie äußerst zufrieden sein werden…“

Claudio räusperte sich.

„Das ist mir allerdings dann doch ein bisschen wenig an Informationen, Herr Staatssekretär.“

Von Sanden stand auf, gestikulierte heftig mit beiden Händen, sagte etwas von Vertrauen, suchte nach einer neuen Zigarette und setzte sich wieder. Claudio genoss es sichtlich, dass er den vor Selbstbewusstsein nur so strotzenden Mann aus der Fassung gebracht hatte. Er legte sogar noch einen drauf.

„Sie können doch schlecht von mir verlangen, dass ich einzig und allein auf ihr Wort vertraue. Warum sollte ich das wohl tun?“

Von Sanden kochte vor Wut. Mit so viel Gegenwehr hatte er nicht gerechnet. Anderseits war es wirklich etwas dürftig, was er bisher an Informationen gegenüber Claudio herausgelassen hatte. Er zündete sich die neue Zigarette an, die er immer noch in der Hand hielt, inhalierte den Rauch und versuchte sich innerlich zu beruhigen.

„Sie sollen uns einen kleinen Dienst erweisen, mehr nicht.“

„Soll ich für Sie in Peru etwa nach dem El Dorado suchen?“ fragte Claudio ins Blaue hinein.

„Sicher nicht“, antwortete Von Sanden todernst.

„Das war nur ein Scherz Herr Staatsekretär!“

Von Sanden ignorierte die Antwort. Stattdessen fragte er: „Also, was ist nun? Kann ich auf Ihre Mitarbeit zählen?“

Claudio überlegte angestrengt, doch er kam zu keinem Ergebnis. Er wusste einfach nicht, was er von dem Staatssekretär und seinem Angebot halten sollte. Es klang alles ein bisschen zu verlockend.

„Warum gerade ich“, fragte er schließlich.

„Weil ich da draußen einen guten Mann brauche.“

„Mit da draußen meinen Sie die peruanische Hauptstadt Lima?“

Von Sanden nickte vorsichtig. „Genau so ist es mein lieber Herr Guerrero. Glauben Sie mir, wir haben sie ganz schön unter die Lupe genommen. Sie kennen Südamerika wie kaum ein Zweiter. Außerdem sprechen Sie die Landessprache und verstehen etwas von den alten Kulturen und Bräuche der Einheimischen. Wenn ich mich richtig erinnere, dann ist ihnen sogar Quetchua, die alte Sprache der Inkas geläufig, nicht wahr?“

„Donnerwetter!“ Claudio grinste. „Da hat aber jemand seine Hausaufgaben gemacht.“

Von Sanden schnippte die Asche von der Zigarette. Wie kleine Staubwölkchen segelte sie zu Boden. „Sehen sie, Herr Guerrero. Ich habe Sie kommen lassen, weil ich für eine delikate Aufgabe einen guten Mann benötige. Jemanden, der besondere Fähigkeiten und Kenntnissen besitzt und ich weiß, was Sie können! Und nun hoffe ich nur, dass Sie einen gültigen Reisepass und saubere Kleidung besitzen. Ihr Flieger geht in 24 Stunden und Sie haben einen ziemlich weiten Weg vor sich.“

Auf einmal war es wieder da und Claudio spürte die Veränderung in seiner Magengegend. Das Kribbeln, eine zunehmende Nervosität. Er war wieder ganz der Alte und fühlte sich wie vor der ersten Verabredung mit einer schönen Frau.




Händler des Todes

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