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Kapitel 2

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Peter Baumann war Frühaufsteher. Ganz besonders liebte er den Augenblick, wenn am Horizont das perlenfarbige Licht zu einem rötlich-gelben Streifen heranwuchs. Besonders dann vermochte er am besten nachzudenken und Gedanken zu ordnen, die ihm noch im Schlaf gekommen waren. Er arbeitete beim Auswärtigen Amt und obwohl die ganze Mischpoke bereits vor vielen Jahren nach Berlin gezogen war, hatte er es vorgezogen seiner Heimatstadt Bonn treu zu bleiben und sein eigenes Büro im langen Eugen zu behalten. Seitdem pendelte er zwischen den beiden Städten hin und her oder die Kollegen kamen zu ihm und blieben dann meist über Nacht. So geschehen auch am gestrigen Abend, als er zusammen mit Klaus Bertram bis spät in die Nacht zusammengesessen, diskutiert und Wein getrunken hatte. Dabei war es um neue Verordnungen gegangen, die ausländischen Geschäftsleuten weitreichende Reisefreiheiten bringen sollten. Der Kollege Bertram schlief sein Resultat des gestrigen Alkoholexzesses auf dem bequemen Klappsofa in seinem Wohnzimmer aus. Peter hatte noch nicht einmal halb so viel getrunken, wie Klaus, trotzdem fühlte er sich schlapp und irgendwie abgespannt. Er versuchte sich zu entspannen, spürte jedoch sogleich eine aufkommende Verkrampfung seiner Muskeln in den Beinen und im Rücken. Er brummte etwas vor sich hin und ließ sich missmutig aus dem Bett rollen. Dabei konnte er mit seinem Leben ganz zufrieden sein. In jungen Jahren war er aus dem Bergischen Land nach Bonn gekommen und hatte sich um einen Beamtenposten beim Auswärtigen Amt beworben. Und das war ein gutes Stück Arbeit gewesen, denn man hatte ihm zunächst nichts in den Schoß gelegt. Ganz im Gegenteil, die Konkurrenz war sehr zahlreich gewesen. Dabei handelte es sich meistens um Diplomatensöhne, Wirtschaftswissenschaftler, Angehörige von Akademikern und Politikern, die alle etwas besaßen, dass er nicht hatte. Das Vitamin B, sprich Beziehungen.

Er seufzte vor sich hin, als er daran dachte, wie er gebüffelt hatte, während sich die andern im Schwimmbad oder in den Rheinauen vergnügten. Doch sein Motto lautete, den anderen immer ein Stückchen voraus zu sein. Schließlich wusste er, was er wollte. Ganz nach oben.

Er schnappte sich seinen Morgenmantel und ging ins Bad. Das wechselnd heiße und kalte Wasser in der Dusche erweckten seine Lebensgeister. Rasch zog er sich an und ging nach unten, um die Morgenzeitung zu holen. Er öffnete die Haustür. Die Zeitung lag wie gewohnt auf der obersten Stufe. Er hob sie auf und schlenderte zurück in Richtung Küche. Dabei kam er an seinem Wohnzimmer vorbei. Die Tür stand offen. Der zusammengefaltete Klumpen auf dem Klappsofa war der Kollege Klaus Bertram. Peter lächelte, ging weiter in die Küche, legte die Zeitung auf den Tisch und stellte die Espressomaschine an. Vom Wohnzimmer aus drang Bertrams Schnarchen zu ihm herüber. Peter grinste und beobachtete, wie die braune Brühe aus der Espressomaschine in die kleine Tasse floss. Als ein einigermaßen trinkbares Gebräu zustande gekommen war, setzte er sich an den Küchentisch und griff nach der Zeitung. Ein vertrautes Geräusch drang in seine Ohren. „Sein tiefgezogener und rasselnder Atem hörte sich an wie das Grunzen eines wilden Tieres“, dachte er und fing an, ziellos in der Zeitung herum zu blättern. Es dauerte nicht lange, da vernahm er ein abruptes Stottern und ein Stöhnen. Klaus gähnte, reckte sich und starrte ihn an.

„Guten Morgen, Herr Kollege! Wie geht es dir am ersten Tag deines restlichen Lebens?“

„Du meine Güte“, Klaus räusperte sich. „Wie spät ist es überhaupt?“

Peter schaute auf die Küchenuhr. „Gleich halb acht.“

„Ach, doch noch so früh? Ehrlich gesagt, mir hat es wesentlich besser gefallen, als Irene noch bei dir wohnte. Da bist du niemals vor halb zehn hier unten erschienen. – Oh verdammt, es tut mir wirklich leid!“ Er bemerkte seinen Fehler sofort. Irene hatte sich erst vor kurzem von ihm getrennt und noch immer fühlte der den Schmerz ihrer Abwesenheit. Auch wenn sie sich in der letzten Zeit meistens nur noch gestritten haben. Das Stigma des Verlassenen saß tief in ihm drin. Klaus erhob sich von dem Sofa und trottete auf das Badezimmer zu. „Ich spring nur schnell in den Pool“, sagte er und strahlte Peter an. Der musste lachen und betätigte abermals den Startknopf der Espressomaschine. Diesmal hoffte er auf ein Getränk, dass nicht nach seinem eher masochistischen Kaffeegeschmack gebraut werden würde. Als er die kleine Tasse für Klaus auf den Tisch stellte und sich gerade setzen wollte, klingelte das Telefon. Das verdammte Ding stand mitsamt der Ladestation auf dem Kühlschrank. Peter sprang auf, ging hinüber zum Kühlschrank, nahm das drahtlose Gerät aus seiner Station und hielt es sich ans Ohr.

„Ja, hallo?“

„Guten Morgen Peter“, tönte eine sanfte weibliche Stimme aus dem Hörer. Sie gehörte seiner Sekretärin Michelle Fitt, ohne die in seinem Büro rein gar nichts lief.

„Big Daddy hat gerade angerufen und nach dir gefragt. Du sollst so schnell wie möglich in sein Büro kommen.“

Peter Baumann schluckte. „Guten Morgen Michelle. Wie, ist der denn hier in Bonn?“

„Sieht so aus, oder?“ Sie ließ ein gekünzeltes Seufzen hören.

„Hat er gesagt um was es geht?“

„Ach was, wo denkst du hin? Mir sagt er doch nichts, aber seiner Stimme nach zu urteilen…Es herrscht mächtig dicke Luft, wenn Du mich fragst. Am besten, Du kommst schnell her!“

Mit Big Daddy meinte sie Staatssekretär Von Sanden, den großen Boss schlechthin. Peter kannte seinen charismatischen Vorgesetzten beruflich und privat aus gewissen Kreisen und hatte ihm immer große Sympathien entgegengebracht. Und wenn der schon so früh am Morgen nach ihm verlangte, war mit Sicherheit etwas im Gange. Einen Augenblick lang blieb er regungslos an seinem Küchentisch sitzen. Er war so sehr mit seinen Gedanken beschäftigt, dass er gar nicht bemerkte, wie Klaus frisch geduscht in die Küche kam.

„Mein Gott, was ist denn hier los?“, fragte er. Als Peter nicht sofort antwortete, fragte er weiter. „Ist dir nicht gut? Du scheinst mir ein wenig durcheinander zu sein?“

„Big Daddy bittet um sofortige Audienz“, antwortete Peter zögerlich.

„Hä? Ich verstehe nur Bahnhof. Da geht man kurz unter die Dusche und wenn man zurück kommt, hast du ein Techtelmechtel mit dem Staatssekretär. Was wollte er denn?“

„Natürlich hat er mich nicht persönlich angerufen. Ich hatte Michelle an der Strippe. Aber allem Anschein nach ist es dringend.“

„Was? Und da sitzt du noch hier herum? Klaus nippte an seinem Espresso. Der war schon fast kalt.

„Am besten, Du machst dich schleunigst vom Acker. Ich halte hier in der Zwischenzeit die Stellung. Das ist wirklich kein Problem für mich.


Es dauerte nicht lange, da klopfte Peter Baumann zaghaft an eine gewisse Bürotür und öffnete sie. Drinnen verstummte das Gemurmel und alle Gesichter richteten sich auf ihn, als er eintrat. Staatssekretär Von Sanden kam sofort zur Sache. „Meine Herren, darf ich vorstellen: Das ist Peter Baumann, einer meiner fähigsten Mitarbeiter. Peter, das sind Rolf Meier vom BKA und Frank Schoppenhauer vom BND.“

Bauman grüßte freundlich und setzte sich auf einen schwarzen Lehnstuhl, der normalerweise für Besucher gedacht war. Im Grunde genommen war er ja auch gar nichts anderes. Die beiden anderen Herren kannte er nicht persönlich, doch im war so, als ob er ihre Gesichter schon einmal in der Zeitung gesehen hätte. In jedem Fall schienen sie mächtig wichtig zu sein, was darauf schließen ließ, dass sie vor einem großen Problem standen.

„Danke, dass Du so schnell herkommen konntest“, begrüßte ihn Von Sanden trocken. Dann wandte er sich an den Herrn, der zu seiner linken stand. „Rolf, wenn du für Herrn Baumann bitte noch einmal wiederholen könntest, was wir soeben besprochen haben?“

Rolf Meiner schenkte Baumann einen abschätzenden Blick. Dabei kratzte er sich am Rücken. Er hatte einen Sonnenbrand und pellte sich. Er war erst vor zwei Tagen von einem einwöchentlichen Urlaub auf Mallorca zurückgekehrt und seine Haut besaß noch die gleiche Farbe wie seine Haare, -rot. Er wollte gerade mit seinem Bericht beginnen, da schien Von Sanden es sich anders zu überlegen.

„Ach was, las gut sein Rolf. Hier nimm dieses Blatt, Peter und lies selbst.“

Er reichte Baumann ein Fax, welches an ihn persönlich gerichtet war und von der deutschen Botschaft in Lima stammte. Peter Baumann nahm die Nachricht an sich und las. Der Text war kurz und knapp gehalten.

„Deutscher Diplomat in einem Penthouse tot aufgefunden. Augenscheinlich wurde er ermordet. Erbeten Anweisung bezüglich weiterem Vorgehens.“

Peter Baumann überflog die Nachricht noch einmal und spürte, wie sich sein Magen verkrampfte. Der Tag hatte gerade erst begonnen und schon fühlte er sich seinen Aufgaben nicht mehr gewachsen. Und es kam noch schlimmer. Er verstand Von Sandens Reaktion, als er den Rest der Geschichte zu hören bekam. Demnach war der Diplomat Robert Werner von einer Frau gefesselt und kopfüber an der Zimmerdecke hängend gefunden worden.

„Von einer Nutte“, fügte Rolf Meier schnell hinzu. Ich habe bereits mit den Kollegen in Lima telefoniert. Äh natürlich nicht ich selbst, sondern unser Dolmetscher. Sie wollen auf Bitten der deutschen Botschaft die Angelegenheit noch eine Zeitlang geheim halten.“

Jetzt wusste Baumann worum es ging. Eine hochrangige Persönlichkeit war ermordet und von einer Prostituierten tot aufgefunden worden. Diese Tatsache stellte nicht gerade die beste Art von Publicity dar und nun suchte man händeringend nach einem Ausweg, beziehungsweise nach einer Geschichte, die man der Öffentlichkeit präsentieren konnte. Aber genau das war das Problem mit dem berühmt sein. Man musste sich andauernd mit der Presse herumschlagen und die achteten peinlichst darauf, dass man sich keinen Fehltritt leistete. Und Mord war ein verdammt großer Fehltritt.

„Ich will ganz ehrlich zu dir sein, mein lieber Baumann. Wie du weißt, stehen in diesem Jahr Bundestagswahlen an. Da können wir keine Negativpresse gebrauchen. Du verstehst doch sicher, was ich meine?“

Das tat er allerdings. Man brauchte auch nur eins und eins zusammen zu zählen. Die Regierungskoalition hing an einem seidenen Faden und die Umfragewerte lagen im Keller. Robert Werner war ein Vertrauter des Bundeskanzlers. Die Nachricht von seiner Ermordung würde wie eine Bombe einschlagen. Besonders dann, wenn wie in diesem Fall Prostitution und zweifelhafte Sexpraktiken mit im Spiel waren. Baumann verstand jedoch noch nicht, welchen Part man ihm in dieser Angelegenheit zugedacht hatte. Doch das sollte sich sogleich ändern.

Staatssekretär Von Sanden räusperte sich. „Also dann Peter, jetzt weißt du im Großen und Ganzen worum es geht. Was wir jetzt am dringendsten benötigen, ist jemanden vor Ort, der diesen Fall für uns ins rechte Licht rückt.“

Baumann sah seinen Vorgesetzten verdutzt an.

„Sie wollen den Vorfall verschleiern“, dachte er.

„Selbstverständlich wollen auch wir, dass der Fall untersucht und der Mörder von Robert Werner gefasst und bestraft wird. Nur möchten wir verhindern, dass gewisse Einzelheiten ans Licht der Öffentlichkeit geraten. Sind wir da einer Meinung?“

Die anwesenden Herren stimmten ihm zu. Nur Baumann hielt sich etwas zurück.

„Selbstverständlich werde ich sofort eine Gruppe von Spezialisten zusammenstellen und nach Peru schicken“, sagte Rolf Meier. Von Sanden blickte ihn scharf an, dann donnerte er los.

„ Das ist genau das, was ich befürchte Rolf! Um Gotteswillen kein ganzes Team! Hier geht es um Geheimhaltung verdammt noch mal und außerdem müssen wir die Souveränität eines fremden Landes respektieren. Die Peruaner werden wenig begeistert sein, wenn wir eine ganze Horde von Spürnasen nach Lima schicken. Nein, wir brauchen nur einen einzigen Mann. Doch der muss sich in dem südamerikanischen Land bestens auskennen, gewisse ermittlungstechnische Fähigkeiten mitbringen und vor allem Spanisch sprechen. Und hier kommst du ins Spiel, Peter. Ich erwarte von dir, dass du mir diesen passenden Mann bringst, hast du verstanden?“

Peter Baumann zuckte zusammen. Unsicher betrachtete er die kleine Runde. Er wusste, hier ging es um Macht, Politik und Einfluss. Damit kannte er sich nur wenig aus. Und trotzdem begriff er, was für ihn auf dem Spiel stand. Der Staatssekretär hat sich ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt, als er nur von einem Mann gesprochen hatte. Und wo soll ich diesen Spezialisten jetzt bitte schön auf die Schnelle her bekommen?“

Er hob den Blich und starrte auf das Gemälde mit dem lächerlichen Stilleben, welches genau über Big Daddys Kopf an der Wand hing.

„Claudio Guerrero“, hörte er sich auf einmal leise sagen.“

Staatsekretär Von Sanden blickt ihn erstaunt an.

„Ach du hast schon jemanden im Auge? Na das ist ja prima. Eigentlich wollte ich dir noch mit auf den Weg geben, dass die Sache eilt. Wer ist denn dieser Claudio Guerrero?“

„Ein Schriftsteller aus der Eifel.“

Von Sanden verdrehte die Augen.

„Wie bitte? Ein Journalist und dann auch noch aus der Eifel? Genau aus jener Gegend, wo man nichts aber auch gar nicht geheim halten kann?“

Baumann zuckte mit den Schultern, ließ sich jedoch nicht beirren.

„Ich denke, dass Guerrero der richtige Mann für uns ist. Er hat lange Zeit in Peru gelebt und kennt Land und Leute wie aus dem FF. Selbstverständlich spricht er die Landessprache und nicht nur das! Er versteht sich sogar in Quetschua, der alten Inkasprache, denn genau die sind im Übrigen sein Steckenpferd.“

Staatssekretär Von Sanden blickte ihn ziemlich ratlos an.

„Naja mein Freund, das ist ja alles gut und schön, aber was wir brauchen, ist ein Ermittler, einen richtigen Spürhund, sozusagen!“

„Eben, Claudio Guerrero! Das sagte ich doch bereits. Er hat sogar für peruanische Institutionen gearbeitet. Und warum soll ein Reisejournalist nicht auch ermitteln können? Das widerspricht sich doch keinesfalls.“

„Und im Moment macht er was?“

„Er sitzt in der Eifel und schreibt für irgend so ein Heimatblatt. Als ich ihn das letzte Mal traf, sah er nicht gerade glücklich aus. Vielleicht ist es genau so eine anspruchsvolle Aufgabe, die ihn wieder in die richtige Spur bringt.“

„Na dann sehen wir uns den Wunderknappen doch einfach einmal an“, schlug Von Sanden vor. Peter Baumann musste sich zusammenreißen, um nicht auf der Stelle laut loszubrüllen. Claudio Guerrero war alles, bloß kein Wunderknabe.


Händler des Todes

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