Читать книгу Zschopautal ... da geht's der Heimat zu! - Malte Kerber - Страница 12

11. September 2. ETAPPE

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Falkenhain – Kriebnitzstausee – Falkenberg – Ringethal – Mittweida – Schönborn – Sachsenburg – Frankenberg

21 Kilometer

Heute früh die übliche Jugendherbergstätigkeit. Dazu gehören selbstverständlich die Morgentoilette und das Packen. Aber das Programm, wie es in Hotels oder Pensionen abläuft, wird im DHJ-Quartier erweitert. Die Betten müssen abgezogen werden, Bettzeug und Handtücher sind abzugeben, und das Zimmer muss auch „aufgeklart“ werden. „Müll wegbringen nicht vergessen!“ Das sind die Regeln!

Aber dies sind Dinge, die Anne und ich routiniert abwickeln. Langjährige Erfahrung! Wenn sich denn nicht beim Verstauen der Sachen in den Rucksäcken, ebenfalls nach einer festgelegten Ordnung, herausstellt, dass etwas „verschwunden“ ist. Folgt darauf die eigentlich verpönte Frage: „Weiß du, wo …?“ Dann läuft der Rhythmus aus dem Takt.

Das Frühstück war wandererfreundlich, vor allem reichhaltig. Wir konnten uns deshalb noch mit einer kleinen Marschverpflegung eindecken. Im Speisesaal bereitete es uns Freude, den morgendlichen Jugendherbergsbetrieb zu beobachten und zu kommentieren. Wer da doch so alles unterwegs ist! So sahen wir zum Beispiel mit ein wenig Wehmut ein Radwanderpärchen – junge Leute, bescheiden auftretend, sportliche Figuren. Am Strand hatten sie gestern Abend ihr kleines Zelt aufgebaut. Es war derselbe Typ wie unsere frühere kleine „Zelthütte“. Am Baum lehnten ihre Räder, zwischen zwei Bäumen die Leine gespannt, darüber die Handtücher zum Trocknen und die Radtrikots zum Auslüften. Es gibt einige Fotos von unseren Radwanderungen, die dieselbe Wanderidylle zeigen. Nun ist das auch schon einige Jahre her. Aber noch sind wir unterwegs …

Abmarsch 09:15 Uhr. Also fast nach Planzeit. Das übliche Foto geschossen. Es zeigt am Beginn jeder Etappe einen von uns beiden vor dem Quartier, in dem wir übernachteten. So auch in diesem Falle. Für den frühen Morgen war es schon erstaunlich warm. Die Sonne versprach einen heißen Tag, was sich in den folgenden Stunden bestätigen sollte. Doch vorerst kühlte uns der Wind mit kleinen frischen Brisen.

Anfangs liefen wir unter einem dichten Blätterdach am Ufer des Sees bis zum Ort Falkenhain. Dann führte uns die Markierung den Hang hoch. Ziemlich steil der Pfad! Unter uns zeigte sich der Kriebsteinsee im wechselnden SCHAU-Spiel. Ganz ruhig lag die angestaute Zschopau, eingeschmiegt, nicht eingezwängt zwischen den dichtbewaldeten Hängen. Die Wasseroberfläche kräuselte sich leicht, grünlich-golden-silbern schimmernd. Nur ab und an strichelten Paddelboote durch das Bild. Ein Ausflugsdampferchen, das heran- und davontuckerte, störte nicht. Und selbstverständlich: Enten ließen sich, sonntäglich gestimmt, ruhig auf dem See treiben. Von der anderen Uferseite lugte aus dem dichten Grün des Hangwaldes das eine oder andere Holzhäuschen zu uns herüber.

Steiler Aufstieg zum Schenkberg. Die Ruinen des ehemaligen Raubschlosses interessierten uns nicht. Seine einstigen Herren kontrollierten und beherrschten von dort oben die Umgebung. Wir dagegen genossen den Blick auf die sich in engen Schwüngen ringelnde Zschopau. Ringethal heißt anschaulich das auf der andern Uferseite liegende Dorf. Der Wanderweg führte uns wieder hinunter zum Fluss. Im kleinen und gottverlassenen Ort „Örtchen“ rasteten wir direkt am Ufer auf einer idyllischen Wiese unter Bäumen. (Das Örtchen heißt „Örtchen“!)

Weiter ging es nach der Pause immer am Fluss entlang. Ein schönes Wandern! Auf dem Weg eine Unterhaltung mit einem jungen Elternpaar, das sein Baby im Kinderwagen durch den Mittagsschlaf spazieren fuhr. Am abgelegenen Gehöft einen bastelnden Motorradbauspezialisten bei millimetergenauen Schneidarbeiten beobachtet. Dann wuchtete sich ein altes Mühlengebäude vierstöckig am Flussufer empor – die Liebenthaler Mühle. In heutigen Zeiten nicht mehr fleißig arbeitend. Das Gebäude aber, das Wehr, die Brücke, das gesamte Gelände sehr gut und auch farbenfroh erhalten und rekonstruiert. Ist die Mühle ein Wohnhaus geworden? Unsere Annahme bestätigte sich.

Drei vierzehn- oder fünfzehnjährige Mädel saßen auf der Bank neben der Brücke. Sie sahen „schick“ aus, aber doch anders, als gleichaltrige Mädchen aus der Stadt in der Regel aussehen. Wir mischten uns in ihre lebhafte Unterhaltung ein: „Wohnt ihr in der Mühle?“

„Ja, wir sind hier drei Familien“, die Antwort. „Wohnt ihr gern in dem alten Haus?“ Die Frage wurde ebenfalls bejahend beantwortet. „Ist es nicht ein wenig einsam, so weit weg von der nächsten Stadt?“ Darauf die Feststellung: „Nein, ist doch schön hier, die Natur und alles!“ Dann kam die Ergänzung: „Nein, in der großen Stadt möchte ich nicht leben, da ist alles so hektisch!“

Irgendwie freuten wir Alten uns über die Antworten. Das klang so ganz anders, als uns klischeehafte Meinungen über die Lebensvorstellungen junger Leute oft weismachen wollen. Den drei wünschten wir vor dem Weiterziehen Gutes für die Zukunft. Sie fanden das nicht komisch, bedankten sich artig.

Einige Kilometer weiter wechselten wir über eine Hängebrücke die Uferseite. Nach Mittweida führte der Weg. Doch wir berührten die Stadt nur an ihrem Rande. Am Eingang Mittweidas auf einer Zschopaubrücke ein Steinrelief. Darauf ein Stahlhelm herausgemeißelt, von der Art, wie ihn die Soldaten der Roten Armee trugen. Ein zweiter Helm war in der US-Army-Form gearbeitet. Ein dritter Helm mit der Öffnung nach oben zwischen beiden eingefügt. Er symbolisiert wohl die im Kampf getöteten Soldaten.

Die sparsame Inschrift auf dem Relief:

Am 7. Mai 1945 trafen sich hier

US-Army Rote Armee

Die Tafel stimmte uns nachdenklich. Wie so oft während unserer Wanderungen begegnete uns auch hier gegenständlich gewordene Geschichte! Und vor allem auch mit Geschichten über den Krieg. Immer wieder fanden wir in den Landschaften, durch die uns die Wanderwege führten, auch Spuren des Krieges. Manche Menschen der älteren Generationen haben aus ihrer Lebenserfahrung heraus das Gespür dafür, sie zu sehen. Junge Leute haben es oft nicht gelehrt bekommen, hinter den Dingen auch deren Geschichte zu sehen.

Weiter wanderten wir. Zogen durch die Waldeinsamkeit. Die Zschopau in einiger Entfernung von unserem Wanderweg fließend. Aber bald waren wir wieder an ihrer Seite und wechselten am Wasserkraftwerk Dreiwerden erneut das Ufer. Wir kamen in ein altes Silberbergbaugebiet. Auf Reichtümer waren wir allerdings nicht aus. Hunger hatten wir bekommen, und in den Rucksäcken fand sich kein Nothappen mehr! Darum liefen wir vom Zschopau-Ufer den Hang zum Stolleneingang des Bergwerks „Alte Hoffnung“ hinauf. Dieser hoch über dem Tal gelegen. Spaziergänger hatten uns darauf aufmerksam gemacht, dass es dort oben Kaffee und Kuchen und vielleicht einen Imbiss geben könnte.

Das Bergwerk ist schon lange nicht mehr in Betrieb, aber es wurde als Schaubergwerk ausgebaut. Nach Anmeldung können Wissensdurstige oder Neugierige bergmännisch „einfahren“. Am Eingang zur Anlage kamen wir, nun ja, kamen wir wieder einmal ins Gespräch. Diesmal mit einem etwa sechzigjährigen Arbeiter, der dort den Besucherverkehr regelt und für Ordnung und Sicherheit verantwortlich zeichnet. Ein drahtiger Typ mit einem flinken Mundwerk, wie man sie im Erzgebirge manchmal antrifft. Wir verstanden uns gleich, und ein lustiger Dialog begann. Von ihm erfuhren wir Interessantes über den Bergbau in dieser Gegend und an der Zschopau. Er machte uns aufmerksam auf „Mundlöcher“ zu den alten Schächten, auf stillgelegte Gleise sowie auf Entwässerungskanäle, die man am Wegesrand sehen kann.

Der Bergbaukundige wies uns auch den Weg zu Kaffee und Kuchen: weiter hinauf zum klitzekleinen Ort Schönborn, an dessen äußerstem Rand wir auf ein klitzekleines Restaurant mit einer nicht klitzekleinen, sondern sehr ansehnlichen jungen Wirtin trafen. Sie führt dort eine klitzekleine Erwerbsquelle. Ach Gott, ist es für das hübsche Frauenzimmer und die wenigen anderen Bewohner dort oben einsam! Sie klagte nicht, machte aber deutlich, dass man sich hier keine großen Sprünge erlauben könne. Außer die in den nahen Wald oder über die Wiesen und Felder!

Nach der kleinen Nachmittagsvesper „sprangen“ wir weiter. Auf schmalem Pfad, steil hangabwärts. Einige hundert Sprünge, und wir fanden zu unserer Wanderfreundin, der Zschopau, zurück. Ein ziemlich langer Kanten Richtung Frankenberg lag noch vor uns. Unterbrochen unser Weg von einer längeren Unterhaltung mit einer größeren Radwandergruppe auf dem Sonntagsausflug – Junge und Alte, Eltern und ihre Kinder, Opa sowie Oma und ihre Enkel, Freunde und Nachbarn, Männlein und Weiblein verschiedenen Alters. Sie zeigten sich an unserem Wandern sehr interessiert und freuten sich darüber, dass wir über ihre schöne Heimat schwärmten. Freundlich-fröhlich und mit guten Wünschen füreinander verabschiedeten wir uns voneinander.

Die Etappe begann wirklich lang zu werden. Wieder stießen wir auf sumpfige Auen am Fluss. Nicht vom Weg abkommen und in die Sümpfe geraten! (Keine Bange, die Wanderstraße war breit!) Endlich an der Sachsenburg! Unsere kleine Hoffnung: Frankenberg konnte folglich nicht mehr weit sein.

Die Burg liegt weit oben über der Zschopau. Zu hoch und zu weit ab von unserem Wanderweg. Am Fluss rasteten wir in der „Fischerschänke“. Diese in einem ehrwürdigen Steinhaus an einem großen Wehr. Dominant im Gelände ein riesiges altes Fabrikgebäude, die ehemaligen „Textilsachsenwerke“. Daneben, zur ehemaligen Fabrik gehörend, kleine Wohnhäuser. Alles sehr romantisch! Reger Sonntagsnachmittagsbetrieb. Wir hielten uns nicht lange auf, sondern machten uns bald wieder auf die Wanderstrümpfe Richtung Frankenberg.

Zum attraktiven Abschluss der Tagesetappe gehörten: ein schöner Deichweg, der Blick zurück auf die Sachsenburg, auf die Auen linker Hand und auf die Zschopau rechter Hand. Zunehmend störend allerdings der Lärm der Autobahn, auf die wir zuwanderten und die wir unterqueren mussten. Quälend lästig diese Art der Umweltverschmutzung und Menschenbeschädigung. Nicht nur nervös, auch wütend könnte ich manchmal darüber werden!

Endlich erreichten wir die Stadt! Der erste Eindruck von Frankenberg: eine graue, eine einfache und eine alte Arbeiterstadt. Unser Hotel allerdings nobel! Wir waren offensichtlich die einzigen Gäste. Im „Hotel zum Rittergut“ bezogen wir am frühen Abend Quartier. Ja, in einem noblen Haus konnten wir ein nobles Zimmer beziehen! Alles bestens!

Die Eingangstür zum Hotel öffnete sich uns nach Telefonanruf über Fernöffnung. Im Haus keine Menschenseele, doch folgten wir genau den Telefonanweisungen, und so kamen wir ohne Pannen zu unserem Zimmerschlüssel und in unser Zimmer. Dort richteten wir uns schnell ein. Viel gibt es ja an „Reisegepäck“ nicht auszupacken und einzuordnen. Körper auffrischen, kurz abruhen und noch einmal in die Stiefel steigen – wir hatten schlicht und einfach einen Mordshunger. Mussten uns folglich erneut auf den Weg machen.

Unser erster Eindruck von der Stadt bestätigte sich. Dazu trug ganz sicher der graue Wolkenhimmel bei, der keine milden Abendfarben zum Bild beisteuerte. (Hoffentlich kommt es nicht zu einer Wetterveränderung!) Großer Markt- bzw. Rathausplatz. Aber auch hier wie in Döbeln zur frühen Abendstunde: „hochgeklappte Bürgersteige“. Endlich trafen wir ein Ehepaar in mittlerem Alter, das wir nach einem Restaurant fragen konnten. Es kam von einer Geburtstagsfeier und war ein wenig angetrunken. Folglich ging es locker und lustig zwischen uns zu, obwohl weder Anne noch ich Alkoholisches im Blut hatten. Die beiden begleiteten uns einige hundert Meter auf dem Weg zu einem Weinrestaurant. Wir bedankten uns beim Abschied für die Begleitung. Anne und ich, wir hatten den Eindruck, dass zumindest der etwa vierzigjährige Mann ein wenig (oder vielleicht auch mehr) „schwarz“ dachte. „Ich bin eher national!“ ließ er nebenbei von sich hören. Es war nicht die Situation und wir hatten zu diesem Zeitpunkt auch nicht den Nerv, der Sache nachzugehen.

Im Weinrestaurant tranken wir keinen Wein, sondern: Weizenbier! Vielleicht war das nicht vornehm, aber das „Weizen“ löscht nach langer Wanderung doch besser den Durst als Wein. Etwas über das Essen, das wir bestellten, lobend zu notieren, entspräche nicht der Wahrheit. Ich hatte eine gebratene Forelle bestellt, die vom Koch unter einem riesigen Berg von Rotkohl versteckt worden war und folglich ihren knusprigen Charakter verloren hatte. Meine diesbezügliche (höfliche!) Frage an den Wirt beantwortete dieser mit dem Hinweis darauf, dass „Forelle unter dem Rotkohl“ ein typisch erzgebirgisches Gericht sei. Da dürfe die Forelle unter dem Rotkohl nicht zu sehen sein …

Das war der heutige Wandertag. Ein Blick aus dem Fenster. Weiter Blick. Der Himmel nicht nur nachtgrau, sondern schlechtwettergrau. Hoffentlich … Gehe ich wie Anne lieber schnell ins Bett! Doch halt! Erst muss ich im Tagebuch noch ein Gedicht festhalten, das ich heute unterwegs am Zschopauufer an einem „Amselstein“ von einer Holztafel abgeschrieben hatte. Das Ganze in einer künstlerisch romantisch gestalteten Schrift, darüber ein Rehbockkopf mit Eichelgezweig. „Herzbewegend“ schön, das Gedicht:

Am Amselstein

Es jauchzt das Herz,

wenn Well’ und Wipfel rauschen,

die Vöglein zwitschern

und die Rehe lauschen.

Doch still!

Der Waldgeist plauscht am „Amselstein“

mit Nix’ und Elf’ im trauten Stelldichein.

Und schläft er hier:

O Wand’rer, stör’ ihn nicht!

Sein Zorn ereilt den frechen Bösewicht!

Wenn sich zwei ihr Lieben hier gestehen,

dann lacht er leis’: das mag er gerne sehen.

Die Frage, ob ich jetzt hier und zu dieser Stunde meinem (T)Annchen wieder einmal die Liebe gestehen sollte, erübrigt sich.

Erstens schläft sie schon, zweitens war der Wandertag lang genug, und drittens sollte auch ich schnell Augen und Ohren schließen, um möglicherweise heranziehendes schlechtes Wetter nicht wahrzunehmen. Vielleicht hilft der alte Kindertrick: „Ich mach die Augen zu, dann ist es dunkel, und du siehst mich nicht mehr! Ätsch!“

Zschopautal ... da geht's der Heimat zu!

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