Читать книгу Zschopautal ... da geht's der Heimat zu! - Malte Kerber - Страница 8
Gedanken vor dem Start
ОглавлениеEin Tagebuch führt sehr persönlich durch das Erleben und die Gedanken seines Autors. Das trifft ebenfalls für ein Wandertagebuch zu. Wenn es mehr als einen Leser finden soll, dann bedarf es einer Erklärung, warum Tag für Tag oder auch in unregelmäßigen Zeittakten Buch geführt worden ist.
Meine Frau Anne und ich, wir sind schon seit Jahren gemeinsam unterwegs. Auf der großen Wanderung durch das Leben und auch auf langen Wanderungen durch Lande und Landschaften. Das Ziel unseres „Fahrens in die Welt“: eben Lande und Landschaften kennenzulernen, aber vor allem auch andere Menschen. Nicht zuletzt entdecken wir uns selbst immer wieder neu. Eine wichtige Erkenntnis gewannen wir während tausender Wanderkilometer auf den Fahrrädern und zu Fuß:
Es geht alles seiner Heimat zu.
Anton Günther (1876 – 1937), der wohl bekannteste Volksdichter und Sänger des Erzgebirges, hat diese Verszeile in seinem Lied „Feierobnd“ geschrieben (Liedtext: Seite 85). Er dichtete es selbstverständlich in feinstem erzgebirgischen Dialekt, und so lautet die Zeile im Original:
„’s gieht alles seiner Haamit zu.“
Weit über die Grenzen des Erzgebirges und des Sachsenlandes hinaus wird es gesungen. Der Dichter beschreibt darin einfühlsam, wie die Leute nach dem vollbrachten „Togwerk“ oder „Tochwarch“ heimwärts ziehen. Die Abendstimmung über Berg und Tal, über Wald und Feld lässt sie des Tages Mühen vergessen. Aber er meinte wohl auch:
Alles findet sein Ende,
und ein jeder kommt einmal nach Hause.
Und das haben wir bei unserer Lebensfahrt und während unseres gemeinsamen Wanderns immer eindringlicher erfahren: Ja, es geht alles seiner Heimat zu. Vor allem im Älterwerden.
Im Jahr 2011 bereiteten wir uns ein großes und unvergessliches Wandererlebnis. „Auf Schusters Rappen“ zogen wir über den Fernwanderweg „Romantische Straße“ von den Ufern des Mains bis zum Alpenrand. Von Würzburg bis nach Füssen wanderten wir „im Stück“ 560 Kilometer, mit den Rucksäcken „am Mann“ bzw. „an der Frau“. Eine gute Leistung für unsere zu diesem Zeitpunkt gemeinsamen 146 Lebensjahre! Da wird wohl auch der erfahrene Wanderer zustimmen.
Als wir wieder zu Hause angekommen waren, lag eine wunderbare Zeit hinter uns. Schwer nur fanden wir in den Alltag zurück. Deshalb entschlossen wir uns nach einigen Wochen, dass wir 2011 noch einmal losziehen würden. Nach dem langen „Kanten“ über die „Romantische Straße“ sollte das Wanderjahr mit einer kleineren Tour ausklingen. In den Herbst hinein wollten wir wandern. In den Herbst hinein in zweifacher Hinsicht: einmal was diese Jahreszeit, ihren Reiz und ihre Besonderheiten anbetrifft. Zum zweiten hofften wir auf einen neuen schönen kleinen Abschnitt des gemeinsamen Weges in unseren Lebensherbst hinein.
Die Wanderung sollte uns wieder einmal in das Erzgebirge führen. Als Wegbegleiter entschieden wir uns für die Zschopau. Für den Fluss, der unterhalb des Fichtelberggipfels entspringt und der nach etwa 140 Kilometern in die Freiberger Mulde mündet. Doch wir wollten die Zschopau in ihrem Lauf nicht von der Quelle bis zur Mündung begleiten, so wie es meist üblich ist. In die entgegengesetzte Richtung wollten wir wandern. Von Döbeln bis zum Fichtelberg sollte die Tour gehen.
Wir lieben es, dem Gebirge und den Bergen entgegenzuziehen. Und da war es nicht nur die Quelle, aus der die Zschopau entspringt, welche uns lockte. Wir wollten vor allem zum Fichtelberg wandern. Zu ihm hinauf, um den Wolken ein Stück näher zu sein. Erreicht er auch keine alpinen Höhen, so ist er mit seiner Gipfelhöhe von 1215 Metern der höchste Berg des Erzgebirges und damit der höchste Berg im Osten unseres Landes. Nicht der alte Brocken im Harz, wie viele annehmen. Der Inselsberg im Thüringer Wald kann sich ebenfalls nicht mit dieser stolzen Höhenmarke schmücken. Doch auch diese haben ihre Besonderheiten. Die Erfahrung der Bergsteiger und Wanderer bestätigt immer wieder:
Jeder Berg hat das Seine.
Man muss es nur entdecken. Man sollte den Berg erleben, ihn begreifen. Am besten, indem man sich ihm aus der Ferne nähert und ihn ruhig besteigt. Übrigens sind für uns ältere Wanderer Rekordmarken nicht wichtig. Selbstverständlich freuen wir uns nach jeder Tour über bezwungene Wanderkilometer sowie über bergauf und bergab gestiegene Höhenmeter.
Wer das Unverwechselbare eines Berges mit eigener Kraft und mit seinen eigenen Sinnen erfahren kann, dem ist am Ziel seiner Sehnsucht gleichgültig, ob er auf dem Gipfel einige Meter höher steht oder eben nicht. Eine schöne Metapher auch für die Lebenswanderung, auf der sich jeder von uns befindet.
Das Besondere des Fichtelbergs sowie seiner Tochter, der Zschopau, die er an seinem Osthang zu ihrem Lauf ins Leben entlässt, beides wollten wir erkunden. Deshalb also sollte uns der Weg an der Zschopau entlang führen. Flussaufwärts - dem Berg entgegen.