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3. Ermittlungen

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»Hallo Robert, wie schön, dass du da bist!« Habiba rennt ihrem geliebten Freund in die Arme, als er durch die Tür vom Onkel Suhls Haus hereinkommt. Als Margrit und Nili ihm folgen, ergänzt die aparte zwanzigjährige Mitbewohnerin, die mittlerweile festes Mitglied der Familie geworden ist10: »Schöne Überraschung mitten in der Woche. Wir freuen uns, euch zu sehen!«

»Hola y como siempre bienvenida, mi querida Nili!«11, tönt es aus der Küche. »Wie gut, dass du angerufen hast, um euch zum Abendessen anzukündigen. Du musst es gerochen haben, meine Liebe, dass ich heute wieder einmal etwas ganz Besonderes ausprobieren wollte, da kommt ihr mir wie gerufen!«

Oma Clarissa, eine adrette und für ihr hohes Alter rüstig wirkende alte Dame, kommt ihrer Enkelin entgegen und schließt sie liebevoll in die Arme. »Schön, auch Sie wieder hier zu begrüßen, Margrit, und Sie ebenfalls, lieber Robert! Seid alle herzlich willkommen!«, ergänzt sie mit freudigem Lächeln.

»Was gibt es denn Leckeres, Abuelita?«, erkundigt sich Nili, die neugierig geworden ist, und schnuppert. »Es duftet jedenfalls großartig von der Küche her!«

»Ich verrate nur so viel, mein liebes Kind: schwangeres Huhn! Habiba hat gestern zwei schöne Poularden von Imas Eulenhof mitgebracht. Die sind wie gemacht für dieses Rezept. Ich habe es von unserer Zugehfrau Hannah Bartels bekommen und wollte es unbedingt ausprobieren.«

Nili schmunzelt. »Ich wette, dass es bei deinem Probeversuch mindestens eine im Original nicht enthaltene Zugabe geben wird, Abuelita.«

»Schon gewonnen, querida! Ihr alle wisst ja: Ohne ›Kamum‹ läuft bei eurer Abuelita gar nichts.12 Deswegen bin ich auch in meinem hohen Alter noch so stark und rüstig.«

Alle lächeln vergnügt über diese Äußerung, obwohl sich Nili insgeheim ernsthaft sorgt, hat sie doch in letzter Zeit einige deutliche Anzeichen von zunehmender Schwäche bei ihrer Oma bemerkt. »Ist Ima noch bei ihrem geliebten Federvieh?«, fragt sie, um sich von dem unguten Gedanken abzulenken.

»Nein, Nili, sie ist beim Friseur und ich hole sie dort in einer Viertelstunde ab! Kommen Sie mit, Margrit, wir beziehen aber vorher noch rasch Ihr Bett!«, sagt Habiba und beide gehen ins Obergeschoss.

Nili nutzt die willkommene Pause, um im Badezimmer zu verschwinden und sich dort ein paar belebende Minuten unter der wärmenden Dusche zu gönnen. Wie sie es stets tut, begutachtet sie sich kritisch, während sie sich abtrocknet. Der Vierzigjährigen offenbart sich eine schöne, brünette Frau mit einer sehr attraktiven, weiblichen Figur. »Ein paar Kilo weniger kämen dir dennoch gut zupass, Nili!«, sagt sie seufzend zu ihrem Spiegelbild, haben ihr doch die zahlreichen Ermittlungseinsätze der letzten Wochen kaum Zeit für die sonst üblichen Gymnastik- und Judo-Trainingseinheiten gelassen. Nur das tägliche einstündige Jogging versucht sie eisern und, wenn möglich, gemeinsam mit ihrem Waldi durchzuziehen.

Gespannt sitzen sie kurze Zeit später am großen Tisch im Esszimmer, als Habiba und Nili die beiden Servierplatten mit den goldbraun gebratenen Hühnern hereinbringen. Um ein jedes herum ist eine bunte Mischung aus verschiedenen Gemüsesorten angerichtet. Abuelitas Llajhua, die extrem scharfe Ají-Tunke aus den bolivianischen Anden, wird separat in einer Sauciere serviert. »Robert, amtieren Sie bitte heute hier als Chefarzt und führen den ersten ›Kaiserschnitt‹ durch«, schlägt Ima Lissy vor und überreicht ihm mit einem breiten Lächeln die Geflügelschere, um den Vogel zu tranchieren. Geschickt trennt er Brust und Rücken in der Mitte, nachdem er den Faden entfernt hat, mit dem das Huhn am unteren Ende zugebunden war. Dann befolgt er Abuelitas Anleitung, die beiden Hälften erneut zu halbieren und die große Orange aus der Bauchhöhle in Scheiben zu schneiden.

»Aha, das ist also die Erklärung für die Schwangerschaft!«, belächelt Margrit die ›Operation‹.

Ima Lissy schmunzelt. »Richtig kombiniert, Frau Kriminaloberkommissarin!«

Als die vier Portionen verteilt sind, wiederholt Robert die Prozedur mit dem zweiten Huhn und legt sich und Habiba je ein Fleischstück auf den Teller. Alle nehmen sich schließlich von dem reichhaltigen Gemüsesortiment und bis auf Margrit greifen sie zu Abuelitas scharfer Chilisauce. Das Urteil fällt einstimmig aus: Köstlich und zart sind die mit aromatischem Waldhonig einmassierten kroschen Brathühner, ebenso wie das im Rohr mitgegarte und angeröstete Gemüse. Robert und Nili teilen sich eine weitere Portion des leckeren Brathuhns. Als sie alle satt sind, blickt die Runde grienend auf die auf der Servierplatte verbliebene Portion.

»Ich weiß genau, was jetzt wohl alle denken!«, feixt Nili. »Wenn unser lieber Ferdl noch bei uns wäre, gäbe es hier ganz sicher kein Überbleibsel!«13

Bevor sie etwas später zu Bett geht, schreibt Nili einen E-Mail-Kurzbericht an Waldi und ihre Kieler Kollegen und löst dann auch noch das ihrem Vetter Jan-Jürgen angedeutete Versprechen ein, indem sie ihm per Handy einige Details der Tat im Jagdrevier für seinen Bericht im Courier durchgibt.

*

Wie sie sich gestern vorgenommen hat, steht Nili am nächsten Morgen sehr früh auf, um vor dem Frühstück den obligaten Joggingparcours zu absolvieren. Als sie dann gemeinsam mit ihren beiden Mitarbeitern kurz vor neun Uhr im Polizeihochhaus in der Großen Paaschburg eintrifft, sind die Staatsanwälte Frau Doktor Cornelia Bach und Doktor Paul Kramer sowie der Leiter der Itzehoer Bezirksinspektion, Kriminaloberrat Heinrich Stöver, zur anberaumten Lagebesprechung vor Ort. Dazu seine Oberkommissare Hauke Steffens und Dörte Westermann sowie die Kriminaltechniker der KTU, Lilo Papst und Uwe Lindemann.

Im Anschluss an die Begrüßung eröffnet Stöver die Aussprache in seiner üblichen schnodderigen Art, die ihm nicht zuletzt seinen Spitznamen ›Hein Gröhl‹ beschert hat: »Also, Lüüt! Dann man rut mit den Dingen! Wat häv ju?«14

Hauke und Dörte berichten abwechselnd, unterstützt durch gelegentliche Erläuterungen der beiden SpuSi-Kollegen, sehr ausführlich von dem bisher angenommenen Hergang des Doppelmordes. Nili beantwortet die daraufhin von der Staatsanwältin gestellte Frage, wen sie als mutmaßlichen Täter annimmt: »Im Augenblick kommt er oder sie für mich vordringlich aus dem Kreis derer, die üblicherweise als Gäste in Herrn von Waldheims Revier gejagt haben und darüber hinaus mit der Jagdhütte gut vertraut gewesen sein müssen. Sagt mal, Lilo und Uwe, habt ihr bei der Durchsuchung der beiden Wohnungen etwas über den befreundeten Jägerkreis gefunden? Und was haben die Auswertungen der Handys unserer beiden Opfer ergeben?«

»Die Anruf- und Personenlisten der Handys werden noch ausgewertet«, berichtet Uwe. »Außerdem haben wir ihre Bewegungsprotokolle der letzten Tage beim Provider angefordert.«

Lilo ergänzt: »In beiden Wohnungen fanden wir außer deren Notebooks nichts Relevantes, hatten aber noch keinen Zugriff auf die Daten, weil sie passwortgeschützt sind. Ich würde euch die Notebooks gern mitgeben, eure Leute knacken die Codes sicherlich schneller als wir.«

»Danke, Lilo, das übernehmen wir gern. Unser Kollege Timo Bohn hat sich inzwischen in der Materie sehr gut eingearbeitet und wird es sicherlich schaffen. Aber wir sollten auch einen weiteren Kreis von infrage kommenden Tätern aus der konkurrierenden Pharmabranche sowie der kriminellen Nachahmungsmafia nicht ganz außer Acht lassen. Wie wir von berufener Seite erfahren haben, hat es bei der Deuromedic bereits mindestens einen aufgedeckten Fälschungsfall gegeben. Mit den gut organisierten Banden ist nicht zu spaßen und unsere ORGA-Kollegen im LKA werden sich nun auch mit diesem Milieu näher beschäftigen.«

»Ich darf doch noch hinzufügen«, meldet sich Robert zu Wort, »dass Frau Masal heute während der Fahrt ebenso mutmaßte, dass sich der Täter aus irgendeinem Rachegelüst in den Kreis der Jäger eingeschlichen haben könnte, um die beiden Männer zu richten.«

Nili reagiert ein wenig pikiert: »Das war reine Spekulation. Hier zählen doch nur Fakten!«

»Mit Verlaub, Nili«, verteidigt Margrit ihren Kollegen. »Wir wissen doch alle, wie oft Sie mit ähnlichen Mutmaßungen bereits recht behalten haben, nicht wahr?«

Frau Doktor Bach nickt zustimmend. »Ganz von der Hand zu weisen ist Ihr Einfall nicht, geschätzte Frau Erste Kriminalhauptkommissarin. Mir sind während meiner Amtszeit zwei Fälle untergekommen, bei denen Hinterbliebene von im Krankenhaus gestorbenen Patienten einen Stationsarzt und eine Oberschwester getötet haben, weil sie diese wegen falscher Medikation für deren Tod verantwortlich hielten. Mir ist bekannt, dass Deuromedic unter anderen ein Präparat für die Krebstherapie vertreibt; da könnte sehr wahrscheinlich irgendwann etwas Ähnliches passieren. Wir sollten also die durchaus zu Recht vorgebrachte Hypothese nicht ganz außer Acht lassen. Jedenfalls danken wir Ihnen, dass Ihre beiden Mitarbeiter uns auch während Ihres Urlaubs weiterhin unterstützen werden. Bitte grüßen Sie auch Herrn Doktor Mohr. Wir wünschen Ihnen beiden eine schöne Reise und gute Erholung!«

*

Als sie im Kieler Polizeizentrum am Eichhof eintreffen, gehen sie gleich in die Kantine, denn es ist bereits Mittagspause. An der Essenausgabe treffen sie auf Timo und Manolo, die gerade bei Rosi ihre Wahl treffen.

Timo stellt der Küchenfee den neuen Kollegen vor: »Mahlzeit, Rosi, ich nehme heute den Veggie-Teller! Dies ist Ferdls Nachfolger, Manolo aus Spanien.« Er legt für sie beide je einen Essensgutschein in die Schale.

»Angenehm, Manolo!« Rosi lächelt und mustert den Neuen aufmerksam. »Wie ich Sie einschätze, werden Sie mich wohl kaum so oft wie Ferdl beehren wollen. Ich hoffe aber, Sie können sich mit unserer norddeutschen Kost anfreunden.«

»Danke, Rosi, keine Sorge, werde mir alle Mühe geben.« Manolo schmunzelt. »Heute probiere ich gleich mal Ihre Rindsroulade. Die hat meine aus Itzehoe stammende Mutter auch des Öfteren gemacht. Deswegen bin ich mit den hiesigen Speisen einigermaßen vertraut.«

»Na dann, guten Hunger und hoffentlich schmecken Ihnen meine Rouladen ebenso gut!« Rosi gibt einen zusätzlichen Löffel Rotkohl und reichlich Sauce auf Manolos Teller.

Nili, Robert und Margrit wählen ebenfalls die sehr verlockend aussehenden Rouladen.

Sie gesellen sich zu Kriminalrat Dr. Walter Mohr an den Tisch. Der gutaussehende, zumeist in einen edlen Harris-Tweedanzug gekleidete Enddreißiger mit der leicht grau melierten lockigen Haarmähne, einer altmodischen vernickelten Brille und dem gepflegten Kinnbärtchen mutet wie ein Gelehrter an. Dem ist aber nicht so, denn er ist der Leiter des Dezernats 21 im LKA und damit zuständig für die Bekämpfung von organisierter und Rauschmittelkriminalität.

Mit einem freundlichen »Ich grüße Sie!« empfängt er seine nach und nach hinzukommenden Mitarbeiter. »War wohl ziemlich heftig gestern?«

»Hey, Waldi!«, antwortet Nili. Im Vorbeigehen streichelt sie kurz die Wange ihres Lebensgefährten. »Na ja, zwei Leichen auf einen Schlag sind schließlich auch für uns nicht unbedingt alltäglich!«

»Ja, Nili, ich weiß! Ich habe deinen gestrigen Bericht gelesen. Hat die heutige Lage Neues ergeben?«

Interessiert erfahren die hiesigen Mitarbeiter die letzten Entwicklungen, vor allem lauschen sie Nilis ausführlicher Schilderung von ihrem Gespräch mit Prokurist Doktor Braun von der Deuromedic. Danach sagt sie: »Wir haben Ihnen Arbeit mitgebracht, Timo: Da sind zwei passwortgeschützte Notebooks, von denen wir gern die Inhalte erfahren würden.«

Robert überreicht dem Kollegen die PCs und grient. »Die gehörten den beiden Opfern. Na, dann kannst du uns ja gleich mal zeigen, was du von Meister Ferdl gelernt hast!«

»Sind Sie inzwischen gut untergekommen, Herr Inspector Iturri?«, wirft Waldi ein.

»Danke, Herr Doktor«, antwortet Manolo, »alles in bester Ordnung. Ich konnte die Wohnung des Kollegen Csmarits übernehmen. Meine Wirtin, Frau Johansen, ist eine sehr nette Dame, wir verstehen uns bestens!« Er lächelt: »Sie hat sich sogar mit dem Frühstück meinen Gewohnheiten angepasst: Anstatt Milchkaffee und Brötchen mit Konfitüre, Wurst und Käse bekam ich heute bereits schwarzen Espresso und Croissants!«

»Na bestens, Manolo!« Nili lächelt. »Noch eine Frage«, setzt sie fort. »Sie waren doch im Baskenland zuletzt mit der Bekämpfung von organisierter Kriminalität beschäftigt, nicht wahr? Haben Sie womöglich auch Erfahrungen mit der Pharmabranche gemacht?«

»Durchaus, Señora Comisaria! Auch bei uns hat es einige Skandale wegen gefälschter Medikamente gegeben. Einen habe ich sogar bearbeitet. Das Patent für das Potenzmittel Viagra stand für den Hersteller noch vor dem Auslaufdatum, aber es tummelten sich bereits zig Nachahmer aus der Türkei, aus Indien und China auf dem Internetmarkt, was natürlich bis zum Wegfall des Patentschutzes illegal war. Wir haben mit Hilfe von Scheinbestellungen mehrere Versandapotheken ertappt und diese, sofern sie außerhalb des EU-Gebietes waren, über Interpol am Weiterverkauf gehindert. Jedenfalls stand eine ganze Armada von Generika auf Stand-by, handelt es sich doch um einen Milliardenmarkt, der da lockt!«

»Also, geschätzte Mitarbeiter«, verkündet Nili, »dann werden wir uns – natürlich neben der Doppelmordaufklärung – dieses Gebiet der organisierten Kriminalität etwas näher zur Brust nehmen. Vielleicht durchsuchen Sie schon mal vorsorglich Ihre Cold-Case-Stapel nach diesbezüglichen Fällen, die wir im Rahmen dieser Aktion wieder aufleben lassen könnten.«

Während Timo sich mit der Ermittlung der Passwörter an beiden Notebooks beschäftigt, Robert die am Tatort und in der Jagdhütte gemachten Fotos auf das Smartboard überträgt und Margrit sowie Manolo die Aktenberge nach Fällen in der Pharmabranche durchforsten, sitzt Nili vor einem Fakten- und Aufgabenkatalog, den sie als Excel-Diagramm erstellt. Da kommt ihr ein Einfall: »Sagt mal, Margrit und Robert: Könnt ihr euch an die Betroffenheit des Leichenbeschauers erinnern, weil er doch einige Male Gastjäger bei von Waldheim war? Er war mit Sicherheit nicht der Einzige. Ich krieg mal seine Telefonnummer heraus!«

Nili googelt Herrn Dr. med. Wolfgang Degenhardt und ruft sogleich in der Praxis des in Itzehoe niedergelassenen Allgemeinmediziners an. Da dieser gerade eine Patientin in der Sprechstunde behandelt, hinterlässt sie ihre Nummer mit der Bitte um Rückruf. Anschließend widmet sie sich erneut ihrer Vorhabenliste. Die Berichte der Obduktion und der Ballistik stehen zwar noch aus, viel Neues verspricht sie sich von diesen jedoch eher nicht. Es ist bereits bekannt, dass beide Opfer mit derselben Jägerwaffe aus dem Besitz von Jochen von Waldheim getötet wurden. Die Identifizierung der Vielzahl von Spuren in der Jagdhütte wird dagegen noch einiges an Zeit in Anspruch nehmen, wenn man überhaupt alle jemandem zuordnen kann. Daher hat für sie die Feststellung der infrage kommenden Jäger oberste Priorität.

»Bingo!«, lässt Timo plötzlich seinen ersten Erfolg verlauten. »Stellt euch vor, das Passwort für Herrn von Waldheims Notebook lautet ›Timotheus‹!«

»Gute Arbeit!«, lobt Nili erfreut.

»Ein Namensvetter von dir? Wie bist du denn darauf gekommen?«, will Margrit wissen, während sie sich alle neugierig um Timos Arbeitsplatz gesellen.

»Na, bevor ich die zeitraubende Spy-Software einsetze, habe ich zunächst unseren Herrn von und zu gegoogelt, um etwas über ihn und seine Familie zu erfahren. Der Sohn heißt Timothy Bertram – Spitzname Timmy. Daraus ergab sich im Laufe meiner erweiterten Suche schließlich ›Timotheus‹!«

»Prima kombiniert, Watson!«, scherzt Robert.

Timo schmunzelt. »Lag auf der Hand. Meistens wählen die Leute ein besonderes Geburtsdatum oder den Namen eines nahestehenden Familienmitgliedes.«

»Oder der Geliebten!«, wirft Manolo ein. »Jetzt wird’s spannend. Was hat er denn für Dateien gespeichert?«

»Es sind derer etwa fünfzig, soweit ich es überschlagen habe. Die meisten sind frei zugänglich, einige sind aber auch verschlüsselt. Ich werde die freien auf eure PCs überspielen, damit ihr sie euch ansehen könnt. Dann mache ich mich an die Entschlüsselung der geschützten Dateien, okay?«

Nili betrachtet den Bildschirm des Laptops. »Schauen Sie mal, das Jagdemblem auf diesem Icon. Das gleiche Motiv hing über der Tür der Hütte. Bin gespannt, was dahintersteckt!« Sie klickt das Icon an und es erscheint eine Liste mit Namen und Telefonnummern.

Margrit ist die Erste, die sich äußert: »Dies ist also die Liste seiner Jagdfreunde. Bezeichnenderweise nur ihre Vornamen.«

»Richtig, Margrit, und die dazugehörigen Nachnamen finden Sie und Manolo bitte durch die entsprechenden Anrufe gleich mal heraus. Diesen einen hier, den Wolfgang, den können Sie allerdings außen vor lassen. Der werte Herr Doktor Degenhart wird mich vermutlich bald zurückrufen.« Als hätte es nur dieses Stichwortes bedurft, läutet Nilis Apparat.

»Danke, dass Sie so schnell zurückrufen, Herr Doktor. Der Anlass ist, dass ich mich bei Ihnen etwas näher über den Kreis der Gastjäger bei Herrn von Waldheim erkundigen wollte. Wir brauchen nämlich so viele Informationen wie möglich.«

»Sie glauben doch nicht im Ernst, Frau Kriminalkommissarin, dass der Mörder in den Kreisen unserer Jagdfreunde zu finden ist! Es handelt sich hier doch ausschließlich um honorige Kollegen sowie um Leute aus der hiesigen Politik und Wirtschaft. Ich halte so etwas für absolut abwegig und ausgeschlossen. Von mir erfahren Sie jedenfalls keinen Namen. Ich halte für jeden dieser mir bekannten und bestens vertrauten Persönlichkeiten meine Hand ins Feuer!«

»Wie oft haben wir uns so etwas schon anhören müssen, geschätzter Herr Doktor. Was sich allerdings danach herausstellte, verursachte nicht zuletzt großes Erstaunen und tiefe Enttäuschung. Haben Sie dennoch vielen Dank für das Gespräch. Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Tag.« Nili legt den Hörer zurück. »Du bornierter Hornochse!«, schimpft sie und lächelt hintergründig. Eine Sekunde später hebt sie erneut ab und betätigt die Wahlwiederholung. Das Besetztzeichen tutet ihr ins Ohr. »Da hab ich dich wohl offensichtlich aufgescheucht!«, folgert sie. »Wen willst du wohl warnen?«

»Ach, Frau Nili«, wirft Timo plötzlich ein, »das hätte ich beinahe vergessen, sorry! Kollege Hummel rief an: Wir sollen heute allesamt um sechzehn Uhr dreißig auf dem Schießstand erscheinen. Sollten wir nicht kommen, gäbe es für uns keinen Ballistikbericht, hat er gesagt.«

»Kollege Hummel hat leider recht«, äußert Nili und blickt auf ihre Armbanduhr. »Ich habe bereits ein schlechtes Gewissen, denn ich bin überfällig! Also, in einer Viertelstunde gehen wir alle hin. Manolo, kommen Sie bitte auch mit. Selbst wenn Sie bei uns keine Waffe führen dürfen, sollten sie dennoch in Übung bleiben.«

»Und wie oft ist das bei euch vorgeschrieben?«, erkundigt sich Manolo.

Timo kneift die Augen zusammen und rezitiert aus dem Gedächtnis: »Gemäß Polizeidienstverordnung 211 hat jeder Polizeibeamte zehn Schießübungen pro Jahr mit insgesamt etwa einhundertfünfzig Schuss zu absolvieren. Ist aber in der Praxis illusorisch, bei dem Arbeitsaufwand kommst du nicht einmal auf die Hälfte. Und wie ist es bei euch?«

»Eigentlich ist für Polizeikräfte eine umfassende Schießübung je Quartal vorgeschrieben. Das wird aber ziemlich locker gehandhabt. Bei unseren Aktiven in der Spezialgruppe der GEO sind – sofern gerade kein Einsatz stattfindet – tagtägliche taktische Übungen angesagt, dabei wird auch meistens scharf geschossen. Aber ich wäre auch längst wieder dran, bin ja seit fast einem Jahr nur noch Schreibtischtäter. Als persönliche Pistole haben wir die HK USP Compact. Was führt ihr hier als Dienstwaffe?«

Robert holt seine Pistole aus dem Holster hervor: »Das ist sie, unsere Walther P99 Q. Die wurde vor einigen Jahren bei uns neu eingeführt. Hatten anfängliche Schwierigkeiten mit der automatischen Nachladung. Wenn man aber die etwas andere Handhabung beherrscht, ist sie perfekt. Zeige ich dir nachher am Schießstand.«

*

»Beachtlich! Glückwunsch, Señora Comisaria! Ich würde Sie sofort bei uns in der GEO einstellen.« Manolo zeigt sich tief beeindruckt, als sie gegen achtzehn Uhr den Schießstand wieder verlassen.

»Kommt nicht in die Tüte, Kollege, wir geben unsere Chefin nicht her!«, scherzt Margrit.

Nili lächelt. »Ach was, Sie waren alle wirklich gut. Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Und Sie, Manolo, sind ein hervorragender Schütze und Ihr Reaktionsvermögen beim taktischen Schießen hat mich beeindruckt. Da bestätigt sich erneut, dass die Übung den Meister macht. Jedenfalls ist es gut zu wissen, dass man sich auf den Nebenmann oder die entsprechende Frau verlassen kann, wenn’s denn drauf ankommt. Machen wir also Schluss für heute. Hasta mañana, Kollegen!«

Nachdem sie in ihren grünen Cross Polo eingestiegen ist, greift sie zum Handy und wählt Waldis Nummer.

Als er nicht rangeht, spricht sie ihm auf die Mailbox: »Hallo Waldi, wir haben soeben Feierabend gemacht. Kommst du zu mir oder treffen wir uns beim Griechen um die Ecke? Meldest du dich bitte? Ich liebe dich!«

Als sie eine halbe Stunde später in die Tiefgarage ihres Apartmenthauses fährt und ihr Auto parkt, bemerkt sie die SMS mit der Antwort: Hi, Schnuggelfrau! Treffe dich um acht im Sirtaki.

*

»Für mich heute nur einen Hirtensalat, Georgios! Die Roulade von heute Mittag, vor allem aber Rosis leckere Spätzle, waren mehr als genug als Tagesration. Ich muss sowieso wieder ein paar überflüssige Pfunde loswerden.« »Aber Nili, das stimmt doch nicht!«, protestiert Georgios’ etwas stämmige Frau Marita. »Du siehst immer so schön schlank aus. Ich beneide dich so sehr um deine Figur!« Sie stellt einen Korb mit dem traditionellen Knobibrot des Hauses samt einem Schälchen Tsatsiki auf den Tisch. Georgios hat ihnen bereits die Karaffe mit dem blutroten Kamaros gebracht.

»Du hast ja recht, Marita«, sagt Waldi. »Nili aber auch! Unser Mittagessen war sehr deftig und ich schließe mich ihr deshalb an. Also für heute bitte nur zwei Hirtensalate! Endaxi?«

»Na denn, in Ordnung, ihr Asketen! Ich stelle euch trotzdem einen kleinen Teller mit meinen köstlichen Sardellen aus dem Ofen dazu. Die müsst ihr unbedingt probieren!«

Nili lacht. Als sie wieder allein sind, fragt sie Waldi: »Was denkst du über den Fall?«

»Dass es ein gezielter Rachezug war, steht für mich außer Zweifel. Aber wenn du auf das mögliche Motiv anspielst, Nili, bin ich ratlos. Ich glaube, intime Beziehungsmotive können wir wohl ausschließen, nicht wahr? Dazu kämen weitere in Frage: interne firmenbezogene Feindschaften, Pharmakonkurrenten, geprellte Kunden, Medikamentenfälschung, Abrechnungsbetrug gegenüber Krankenkassen in Verbindung mit korrupten Ärzten und was weiß ich noch alles für schmutzige Machenschaften.«

»Aber gleich ein Doppelmord, Waldi? Ich gebe zu, diese Möglichkeiten sind mir auch schon im Kopf herumgegangen, sie zünden jedoch nicht. Wir haben uns bisher bei den Ermittlungen auf von Waldheim eingeschossen, aber da ist ja auch noch sein Mitarbeiter, Heino Folkerts. Wie uns Prokurist Doktor Braun erzählte, ist dieser einer Medikamentenfälschungsmafia auf die Spur gekommen. Das könnte doch auch ein Motiv sein. Wir werden diesen Herrn morgen mal näher unter die Lupe nehmen. Bleibt noch viel zu tun, bevor es nächste Woche in den Urlaub geht, Liebster. Ich freue mich schon riesig auf die sonnige Riviera dei Fiori und die schönen Taggiasca-Olivenhaine, von denen du immer so schwärmst.«

Kein Septemberurlaub in Ligurien

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