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Kapitel 1

Für einen interstellaren Frachter war die Kadhoo I ungewöhnlich klein. Granger rieb sich das unrasierte Kinn, während er das Raumschiff durch die Fenster des Orbitalshuttles musterte. Die Struktur entsprach derjenigen größerer Exemplare: Der Bug war mehrere Stockwerke hoch und enthielt die Zentrale sowie alle für die Besatzung vorgesehenen Bereiche. Außerdem befand sich in der unteren Hälfte nahtlos in die Außenhaut eingefügt das Beiboot.

Am Ende des Bugs begann die Spindel, an der Frachtcontainer angedockt werden konnten. Das Heck schließlich wies ein ganzes Arsenal von konventionellen Triebwerken auf: Plasmadüsen für schnellen Schub, Ionengitter für langsame, aber lange dauernde Beschleunigungsphasen, und chemische Nottriebwerke, falls alle anderen ausfielen. Außerdem waren dort die Fusionsmeiler und Speicherbänke eingebaut und das Antigrav-Aggregat für die Bewegung in der Nähe von Planeten.

In der Mitte der Spindel befand sich der wichtigste Antrieb mit den Kristallen für den Hypersprung. Sie ermöglichten die Überwindung interstellarer Entfernungen. Dieser Teil war bei der Kadhoo I wesentlich ausgeprägter, als es ihrer Größe entsprochen hätte. Ein auf Langstrecke optimiertes Schiff also. Dafür konnte es vier Container weniger mitführen, als es bei normalen Frachtschiffen möglich war.

„Wir haben diese Baureihe für unsere Bedürfnisse konzipiert und auf anderen Welten montieren lassen“, sagte Rosie Burringer, die neben Granger saß. „Xundai ist weitgehend autark und nicht an das Handelsnetz der Trader angeschlossen. Wir haben unsere eigene kleine Handelsflotte. Sie muss wenig transportieren, aber über große Entfernungen.“

„Klingt nach einer durchdachten Strategie“, gab Granger zu. „Kommt es mir nur so vor oder ist der Bug wirklich mit Metallkacheln gepanzert?“

„Ist er, zum Schutz gegen die Strahlung im Fünf-Sonnen-System. Habe ich mir ausbedungen. Als Regierungschefin von Xundai steht mir ein persönliches Raumschiff zu, als Staatsyacht, sozusagen. Aber was soll ich mit einer Yacht? Also habe ich mir die Kadhoo I nach eigenen Wünschen umrüsten lassen. Auf Staatskosten, versteht sich.“

„Kannst du sie behalten, wenn du diese Position verlierst?“, fragte Granger gespannt.

„Weiß ich nicht. Damit ein anderer Bürger zum Präsidenten gewählt wird, müsste sich erst einmal ein Freiwilliger finden. So begehrt ist der Posten nicht. Kaum jemand auf Xundai liebt Bürokratie und Hierarchien. Und diejenigen, die es tun, taugen nicht als Regenten.“

„Also bist du quasi auf Lebenszeit gewählt“, folgerte Granger.

Rosie lachte. „Kann man so sagen. Oder bis ich die Lust verlieren, dann muss eben ein Anderer ran. Notfalls entscheidet das Los. Wer verliert, wird Präsident.“

Das Shuttle dockte an und die beiden stiegen über in das Raumschiff. Die Künstliche Intelligenz begrüßte sie und bot an, sofort zu beschleunigen und den Sprungpunkt anzusteuern. Rosie befahl ihr, noch zu warten.

Das Xundai-System befand sich innerhalb einer interstellaren Dunkelwolke. Es gab nur ein einziges weiteres Sonnensystem in Sprungreichweite. Sonst existierte kein Weg, auf dem ein Raumschiff Xundai erreichen oder es verlassen konnte. Dieses eine System war ungewöhnlich. Es verfügte über fünf Sonnen, die in einem komplexen Reigen umeinander kreisten. Normalerweise war es die erste Etappe jedes Schiffes, das Xundai verließ. Doch für die Kadhoo I war es schon das Ziel. Denn ihr Flug diente einem ganz besonderen Zweck.

In dem Fünf-Sonnen-System vermutete man ein künstlich geschaffenes Wurmloch, das zu der geheimnisvollen Rasse der Yarra-chi führte. Ob es existierte, wusste niemand. Sollte es da sein, würde sein Entdecker in die Geschichte eingehen.

„Wo fangen wir mit der Suche an?“, fragte Granger, während er die Einrichtung der Zentrale musterte. Sie wirkte altmodischer, aber kompakter als die in seinem letzten Schiff, der Adausy.

„Ich habe eine Karte aller Gebiete erstellen lassen, in denen es keine Sprungpunkte gibt“, antwortete Rosie. „Wäre das Wurmloch in der Nähe eines Sprungpunkts, hätten wir es längst entdeckt.“

„Macht Sinn.“

Rosie forderte die KI auf, diese dreidimensionale Karte über die Konsole zu projizieren, sodass Granger sie studieren konnte.

„Einige sind verdammt nah an Sonnen dran“, kommentierte er nach einem ersten Blick. „Und dort drüben war doch der Bogen aus Protuberanzen zwischen zwei Sonnen, der beinahe die Fregatte vernichtet hätte, mit der ich gekommen bin. Ungemütliche Gegend.“

„Die Kadhoo I kommt damit zurecht“, behauptete Rosie. „Startbereit?“

„Immer.“

Während Rosie der KI des Schiffes die notwendigen Anweisungen gab, ging Granger hinunter in die Kabinen. Es gab vier davon und jede war größer als üblich. Man hatte sie gemütlich eingerichtet und mit allem versehen, was man für einen langen Flug brauchte. Er legte sich aufs Bett und tippte auf dem großen Bildschirm herum, den man bequem heruntersenken konnte. Als erstes durchsuchte er die Übersicht über die Vorräte, die sich an Bord befanden. Als er sah, wie viel Bier in den Kühllagern war, ließ er sich zufrieden zurücksinken. Eigentlich konnte jetzt nichts mehr schiefgehen.

Er schlief bereits, als eine heftige Erschütterung durch das Schiff lief. Benommen rappelte er sich auf und stieg hoch in die Zentrale. Rosie saß im Pilotensitz.

„Was ist los?“, fragte er.

„Protuberanzen“, antwortete Rosie knapp.

Granger sah auf die Bildschirme. Die Kadhoo I befand sich nicht in einem gefährlichen Gebiet, flog aber ungewöhnlich nahe an einer der Sonnen vorbei.

„Was soll das werden?“, fragte er.

„Wir waren uns doch einig, dass wir in den Bereichen suchen, in denen Schiffe gewöhnlich nicht unterwegs sind.“

„Deswegen musst du doch nicht direkt nach dem Auftauchen in diesem System in die nächstbeste Sonne fliegen!“

„Direkt nach dem Auftauchen?“ Rosie sah ihn mit gerunzelter Stirn an. „Du hast fast zehn Stunden geschlafen. Weil ich dich nicht wecken wollte, habe ich ohne deine Zustimmung einen Kurs festgelegt.“

Daraufhin hielt Granger erst einmal den Mund. Er beobachtete, wie Rosie in Zusammenarbeit mit der KI weitere Navigationspunkte in dem Fünf-Sonnen-System festlegte und nach den sichersten Wegen zwischen diesen Positionen suchte. Es handelte sich jeweils um eine Art Lagrange-Punkt, wo sich die Gravitationswirkungen der Sonnen aufhoben und so Gebiete relativer Stabilität schufen.

Nachdem der Flugplan für die nächsten drei Tage festgelegt war, wandte sich Rosie wieder an Granger: „Du kannst jetzt die Zentrale übernehmen, ich lege mich hin. Wir sollten zwei Schichten zu je zwölf Stunden einrichten, sodass immer einer von uns hier ist.“

Granger fand keine vernünftigen Argumente gegen diesen Vorschlag, also stimmte er zu. Alter Gewohnheit entsprechend setzte er sich in den Pilotensitz, den Rosie freimachte, und legte die Füße hoch auf die Konsole. Bequemlichkeit war ein hohes Gut für ihn.

Rosie sagte nichts dazu, was er ihr hoch anrechnete.

Nachdem sie weg war, stand er aber noch einmal auf und holte sich eine Büchse Bier. Dann ließ er sich von der KI Musik vorspielen und starrte die Monitore an, auf denen Flugdaten, Messwerte und Ortungsergebnisse regelmäßig aktualisiert wurden.

Er bemerkte nichts Ungewöhnliches. Musste er auch nicht, denn auf alles, was außerhalb des Normalen war, würde ihn die KI sofort hinweisen. Deshalb konnte er es sich leisten, in der Musik zu schwelgen und Tagträumen nachzuhängen. Wie es wäre, auf einem Planeten zu leben, zum Beispiel. Vielleicht mit einer Frau wie Rosie, die ein gewisses Verständnis aufbrachte für Männer wie ihn. Aber es sollte schon eine Welt sein, auf der man seine Ruhe hatte vor diesem ganzen politischen und militärischen Hickhack, das in der Perseus-Kolonie alltäglich war. Besiedelt musste diese Welt natürlich sein, damit man Handel treiben und etwas verdienen könnte; aber mit einer friedlichen Bevölkerung, die nicht zu Abenteuern und Aggression gegen Nachbarn neigte.

Andererseits, das Leben als Trader hatte auch seine Vorteile. Auf seinem eigenen Schiff von Planet zu Planet zu fliegen, ohne irgendwo kleben zu bleiben oder Wurzeln zu schlagen, war nicht schlecht. Man konnte allen Problemen davonfliegen. Wenn eine Welt zu sehr nervte, dann strich man sie eben von seiner Liste. Es gab genügend andere.

Aber für beide Lebensentwürfe war eine Menge Startkapital nötig. Granger wollte ja schließlich nicht wieder bei Null anfangen. Obwohl - genau da befand er sich ja im Moment. Ohne Geld auf dem Konto und ohne eigenes Schiff. Die Kadhoo I gehörte der Regierung von Xundai, nicht ihm.

Er war kurz davor, wieder einzunicken, als die KI sich meldete.

„Ich orte eine Flotte der Scarabs, die gerade im System erschienen ist. Es könnte sein, dass sie Xundai angreifen wollen. Allerdings spricht ihr Kurs nicht dafür, dass sie einen Sprungpunkt dorthin suchen. Wahrscheinlich wissen sie nichts von seiner Existenz.“

„Können sie uns orten?“

„Man kennt ihre technischen Fähigkeiten nicht gut genug, um das einschätzen zu können. Wir fliegen nahe an einer Sonne und zwischen uns steigen Protuberanzen hoch.“

„Okay, da sie technisch weiter sind als wir, dürften sie wissen, dass wir hier sind. Steuere das Schiff auf den nächsten erreichbaren Sprungvektor zu. Gib Alarm, sobald es Anzeichen dafür gibt, das die Scarabs sich für uns interessieren.“

Eine halbe Stunde lang geschah nichts. Granger saß nun gespannt vor den Monitoren und ließ die Finger von der Bierbüchse.

Dann meldete sich die KI wieder: „Die Scarabs kreisen einen bestimmten Punkt im System ein. Ich kann an dieser Stelle keine Besonderheiten orten.“

„Ist es ein Lagrange-Punkt im Gravitationsfeld der fünf Sonnen?“

„Negativ. Allerdings ...“ Die KI unterbrach sich und sprach erst nach ein paar Sekunden weiter: „Ein Objekt mit geringer Masse an diesem Punkt würde mindestens zwei Millionen Jahre einer stabilen Bahn folgen. Es befände sich immer in der Nähe einer der fünf Sonnen, ohne Gefahr zu laufen, in eine davon zu stürzen.“

Granger fuhr vor Schreck herum, als er hinter sich Rosies Stimme hörte.

„Was geht hier vor? Warum wurde ich nicht sofort geweckt? KI, Statusbericht!“

Das klang nicht mehr nach der netten Rosalinde Burringer, die Granger kannte. Ihr Gesicht zeigte einen ernsten, entschlossenen Ausdruck. Ohne dazu aufgefordert zu werden, wechselte er vom Sitz des Piloten auf den des Ortungsspezialisten.

Die KI wiederholte ihre Meldung, fügte aber hinzu: „Soeben ist ein Frachtschiff im System materialisiert. Es dürfte auf dem Weg nach Xundai sein.“

„Kommt es in die Nähe der Scarabs?“, fragte Rosie.

„Es wird deren Position mit einer halben AE Abstand passieren, wenn es auf den üblichen Sprungpunkt nach Xundai zuhält. Jetzt scheint man dort die Scarabs geortet zu haben. Das Schiff geht auf Gegenbeschleunigung.“

„Da man uns in Ruhe lässt, wird man sich auch um den Frachter nicht kümmern“, sagte Granger, um Rosie zu beruhigen.

Doch eine Viertelstunde später zeigte sich, dass dem nicht so war. Eines der Scarab-Schiffe verließ die Formation und beschleunigte mit so hohen Werten auf den Frachter zu, dass der keine Chance hatte, zu entkommen.

Rosie sprang auf. „Wir müssen helfen!“, rief sie.

„Sinnlos“, sagte Granger. „Wir kommen nicht gegen die ganze Flotte an. Nicht einmal gegen dieses eine Schiff. Die Kadhoo I ist nur minimal bewaffnet und wir sind zu weit entfernt.“

„KI, kannst du den Frachter identifizieren?“

„Es handelt sich um die Llorgas, Besitzer ist der Trader Frank Spandar.“

„Verdammt!“, rief Rosie.

„Kennst du ihn?“, fragte Granger.

„Natürlich, ich kenne alle unsere Trader. Netter Kerl. KI, Funkverbindung herstellen.“

„Nein!“, rief Granger. „Was willst du ihm sagen? Herzlichen Glückwunsch zum Heldentod?“

„Er soll versuchen, mit dem Beiboot abzuhauen.“

„Wenn er schlau ist, kommt er von alleine auf die Idee. Wir können ihn dann einsammeln, sobald die Scarabs wieder weg sind.“

Doch der Trader zögerte zu lange. Vielleicht wollte er sein Schiff und die Fracht nicht im Stich lassen. Als die Ortung schließlich zeigte, wie das Beiboot sich von der Llorgas löste, war der Scarab nahe genug, um zu feuern. Er vernichtet Frachtschiff und Beiboot auf einen Schlag.

Granger sagte nichts, während Rosie die Lippen zusammenpresste und einen zischenden Laut ausstieß. Sie ballte die Hände zu Fäusten und machte dann einige Male eine pumpende Bewegung mit den Fingern. Schließlich entspannte sie sich wieder.

„Wir werden von hier verschwinden, sobald wir wissen, was los ist“, sagte Granger. „KI, wie sieht es mit dem Sprungvektor aus?“

„Kurs liegt an“, lautete die Antwort.

Auf den Monitoren der Fernortung war zu sehen, wie das einzelne Schiff der Scarabs zu seinem Verband zurückkehrte. Der hatte seine Position nicht verändert.

„Wenn die Scarabs sich für diese Stelle interessieren, können wir davon ausgehen, dass dort etwas ist. Was tun sie jetzt?“ Granger sah zwar die Bewegungen der feindlichen Schiffe als Punkte und Vektorpfeile auf einem Bildschirm, konnte aber daraus nicht auf deren Absicht schließen.

„Es gibt nur noch minimale Kurskorrekturen“, erklärte die KI. „Die Flotte scheint ihr Ziel erreicht zu haben. Achtung: Ich messe starke Energieausbrüche an. Ich kann diese Energieform nicht zuordnen. Es könnte eine unbekannte Waffe sein, aber auch eine neue Form von Antrieb.“

„Zeig mir eine optische Simulation“, forderte Rosie.

Über der Konsole vor ihr erschien ein dreidimensionales Abbild der Flotte der Scarabs. Die Schiffe hatten sich gleichmäßig um einen Punkt im Raum verteilt. Es waren insgesamt zweihundert Einheiten, die eine Art Kugelschale formten. Zwischen jeweils zwei einander gegenüber fliegenden Schiffen entstanden leuchtende Brücken aus Energie. All diese Energiebahnen trafen sich im Zentrum.

„So haben sie Uruvela angegriffen!“, rief Granger. „Der Planet hatte sich in einer Falte der Raumzeit versteckt und die Scarabs haben mit genau solchen Energiemustern immer wieder versucht, dieses Versteck zu vernichten.“

„Ich weiß nicht, wovon du redest“, beschwerte sich Rosie.

Granger erzählte ihr, was er im Uruvela-System erlebt hatte, wo sich jetzt auch alle Mitglieder der Rasse der H’Ruun mit ihren Konglomeraten im Schutz der intelligenten Ökosphäre versteckt hielten. „Die Scarabs haben es bisher trotz größtem Aufwand nicht geschafft, an Uruvela heranzukommen“, schloss er.

„Also ist dort draußen auch etwas versteckt?“, fragte Rosie, die mit großen Augen zugehört hatte.

„Kann sein. Falls es so ist, werden wir es nicht finden. Mit Uruvela musste man auf telepathischem Weg Kontakt aufnehmen, aber inzwischen reagiert sie darauf nicht mehr.“

„Wenn die Scarabs hier auch aufgeben, ohne etwas erreicht zu haben, sehen wir uns die Stelle an“, entschied Rosie. „KI, weiter auf einen Sprungpunkt zu beschleunigen. Nur für den Fall, dass die Scarabs sich doch noch für uns interessieren sollten.“

„Verstanden“, bestätigte die KI.

Sie mussten einen halben Tag warten, bis die fremden Raumschiffe ihre Aktion abbrachen, offenbar ergebnislos. Die Flotte nahm Kurs aus dem System heraus, doch ein Schiff scherte aus und hielt auf die vier AE entfernte Kadhoo I zu.

„Hypersprung in zwölf Minuten“, sagte die KI unaufgefordert. „Es besteht keine Gefahr für uns.“

Sie sprangen in ein mehrere Lichtjahre entferntes Nachbarsystem und kehrten erst einen Tag später in das Fünf-Sonnen-System zurück.

„Ich kann an dieser Stelle nichts orten“, sagte die KI.

Die Kadhoo I befand sich genau an der Position, an der sich die Energiebahnen der Scarab-Schiffe gekreuzt hatten.

Granger runzelte die Stirn. „Es könnte sich also wirklich um etwas handeln, das von unserem Universum völlig abgeschnitten ist. Wie Uruvela. Schade, dass ich den Koppler nicht mitgenommen habe. Ich könnte vielleicht mit jemand oder etwas telepathisch Kontakt aufnehmen. Ohne ihn sind meine Fähigkeiten zu schwach.“

„Wenn wir nichts finden, fliegen wir nach Xundai und holen das Gerät“, schlug Rosie vor.

„Einverstanden. KI, wie groß ist der Raumbereich, den die Scarabs im Zentrum ihrer Strahlen abgedeckt haben?“

„Etwa zehn Kilometer im Durchmesser, kugelförmig.“

„Das ist nicht viel in kosmischem Maßstab. Ich schlage vor, wir fliegen dieses ganze Gebiet mit minimaler Geschwindigkeit ab. Immer hin und her, im Abstand von einem Kilometer von Bahn zu Bahn. Geht das?“

„Selbstverständlich.“

Granger sah Rosie an. Sie nickte. Die KI ließ eine Kugel als 3-D-Bild über der Konsole aufleuchten und zeichnete die Spur der Kadhoo I als Linie ein. Eine langweilige Stunde lang geschah nichts.

Dann gab die KI Alarm. „Massive Gravitationskräfte ziehen uns vom Kurs weg. Ich gebe Gegenschub mit Höchstleistung.“

Granger und Rosie starrten auf die Monitore, auf denen nichts Ungewöhnliches zu erkennen war.

„Was ist die Ursache?“, wollte Granger wissen.

„Es könnte ein mikroskopisch kleines Schwarzes Loch sein“, antwortete die KI. „Oder der Eingang zu dem gesuchten Wurmloch. Die Effekte sind die gleichen. Leider sind sie stärker als unsere Triebwerke. Die ...“

Das Licht erlosch, alle Monitore und Geräteanzeigen ebenso. Granger hörte, wie sich die Sicherheitsschotte schlossen. Dann folgte eine scheinbar endlose Serie von Schlägen gegen die Schiffshülle, so kam es ihm jedenfalls vor. Er schrie etwas und hörte Rosies Stimme, verstand aber kein Wort. Dann verlor er das Bewusstsein.

Granger fühlte, dass er schwebte. Immer wieder stieß er dabei mit dem Fuß gegen etwas. Das war lästig. Er zog die Knie an. Das löste einen Bewegungsimpuls aus und er stieß mit dem Kopf an. Auch das war lästig. Er streckte die Hand aus und bekam die Armlehne eines Sitzes zu fassen. Diese Lehne befand sich neben seinem Kopf. Erst der Gedanke, dass das normalerweise nicht so war, brachte ihn ganz zu sich.

Es war dunkel, und es war kalt. Verdammt kalt, wie ihm allmählich auffiel. Er musste schnellstens einen Raumanzug anlegen. Die Spinde befanden sich an einer Seitenwand der Zentrale. Vorsichtig tastend versuchte er, sich im Dunkeln zu orientieren. Dies war der Sitz, ein Stück davon entfernt die Konsole des Piloten, darunter der geriffelte Boden der Zentrale. Okay, jetzt konnte er Richtung und Entfernung zum Spind abschätzen.

Vorsichtig drückte er sich ab. Aber bevor er sein Ziel erreichte, stieß er gegen etwas Weiches. Er hielt sich daran fest und betastete es: Rosie!

„Bist du wach?“, fragte er. „Hörst du mich?“

Sie reagierte nicht. In der Dunkelheit konnte er nicht erkennen, ob sie verletzt war. Er bewegte sich langsam weiter vor zu den Spinden und zog Rosie hinter sich her.

Wie es bei Alarm sein sollte, hatten sich die Rollgitter vor den Spinden nach oben geöffnet, sodass man ungehindert an die Raumanzüge herankam. Die Anzüge waren halb liegend so eingelagert, dass man mit den Füßen voraus hineinrutschen konnte.

Dank jahrelangem Training hatte Granger keine Schwierigkeiten damit, den Raumanzug anzulegen, ohne etwas zu sehen. Kaum hatte er die wichtigsten Verschlüsse versiegelt, schaltete sich die Elektronik ein. Er hatte Licht!

Nun kümmerte er sich um Rosie. Sie blutete aus einer Stirnwunde und war bewusstlos. Er versuchte, sie mit leichten Schlägen auf die Wangen und dann mit Kneifen in die Oberarme wach zu bekommen. Aber es gelang ihm nicht. Bewusstlos konnte er sie nicht in einen Raumanzug stecken. Und ohne den erfror sie vermutlich bald. Die Temperatur sank weiter und Granger überkam auch der Eindruck, die Luft würde dünner. Er sah auf die Anzeigen seines Anzugs. Tatsächlich, der Luftdruck näherte sich dem roten Bereich. Bald musste er den Helm schließen.

Da Rosie nicht reagierte, begann er ihren schwebenden Körper mit den Füßen voran in einen Anzug zu bugsieren. Vielleicht gelang es ihm, sie so weit hineinzuschieben, dass die Isolation des Anzugs genügte, sie vor dem Erfrieren zu schützen. Und Sauerstoff? In der Medostation sollte sich eine Atemmaske finden lassen, die er provisorisch mit der Sauerstoffversorgung des Raumanzugs verbinden konnte.

Während er den schlaffen Körper schob und drückte, staunte Granger mit einem Teil seines Bewusstseins über seinen Erfindungsreichtum. In schwierigen Situationen war es eben eine Menge wert, nicht in Panik zu verfallen.

Im nächsten Moment nannte er sich selbst einen Deppen. Er hatte noch nicht das Notfunkgerät seines Anzugs eingeschaltet. Dessen Hyperfunksender reichte zwar nur einige Lichtwochen weit, aber wenn in diesem Umkreis ein Raumschiff auftauchte, würde es die Signale auffangen. Er musste es dann nur rechtzeitig vor dem gefährlichen Objekt warnen, an dem die Kadhoo I gescheitert war. Rasch aktivierte er das automatische Notsignal.

Dann beschäftigte er sich wieder mit Rosie. Wie viel Zeit dabei verging, wusste er nicht. Unerwartet klappte sein Raumhelm automatisch zu. Vor Schreck ließ Granger Rosie los und trieb ein Stück weg von ihr. Er sah auf die Instrumente des Anzugs. Die Temperatur lag nur noch knapp über dem Gefrierpunkt, viel zu kalt für die leichte Bordkombination, die Rosie und er gewöhnlich trugen. Und der Sauerstoffgehalt war unter den Grenzwert gesunken.

Da die Elektronik von Rosies Anzug noch nicht akzeptierte, dass ein Mensch sich in ihm befand, gelang Granger nicht, dessen Sauerstoffversorgung in Betrieb nehmen. Ihr Körper steckte erst bis zur Hüfte darin. Er holte eine Reservesauerstoffflasche, deren Ventil er öffnen konnte, und klemmte sie zwischen Rosies Körper und den Raumanzug. Der Luftstrom reichte bis zu ihrer Nase.

Dann schwebte er zum Schott, entriegelte es mit Hilfe des Notfallcodes und gelangte nach einer schier endlosen Zeit in die Medostation im unteren Deck. Dort riss er das Mundstück eines fest installierten Beatmungsgeräts aus der Halterung, kehrte damit zur Zentrale zurück und versuchte, dessen Schlauch mit einer Reservesauerstoffflasche zu verbinden.

Es gelang nicht. Und Rosie wollte und wollte einfach nicht erwachen. Es war zum Verzweifeln. Diese Verzweiflung brachte ihn auf eine andere Idee. Er kehrte in die Medostation zurück und holte einen Rettungskoffer. Darin befand sich ein modernes Diagnoseinstrument. Vielleicht konnte er damit herausfinden, was mit Rosie war, und ihr eine Spritze geben, die sie aus ihrer Ohnmacht weckte.

Ungeschickte schaffte er es einige Minuten später, die notwendigen Messfühler an Rosies Schläfe und an einem Handgelenk zu befestigen. Dann schaltete er das Gerät ein und starrte auf die Anzeige.

Rot. Nacheinander zeigten mehrere Lämpchen die Farbe Rot. Schließlich bestätigte der kleine Bildschirm den Verdacht, der in Granger hochgekrochen war. Rosie war tot! Nicht wiederbelebbar, Todesursache innere Blutungen - Wahrscheinlichkeit 67%. So lautete die nüchterne Diagnose des Geräts.

Granger ließ alles los und schwebte wie betäubt durch die Zentrale der Kadhoo I. Er war unfähig, sich zu bewegen, weil er sich weigerte, die Realität als solche anzuerkennen. Es konnte einfach nicht sein! So etwas passierte einem Granger Tschad nicht! Wie viele Gefahren hatte er schon überlebt - aber Rosie war einfach gestorben.

Als Stunden später ein Frachter auf dem Weg nach Xundai die Notsignale des Raumanzugs auffing und das Wrack der Kadhoo I anflog, war Granger kaum noch Herr seiner Sinne. Immerhin konnte er sie vor dem Wurmloch warnen. Er selbst und Rosies Leichnam wurden von einer ferngesteuerten Rettungskapsel abgeholt und zu dem Frachtschiff gebracht.

PERSEUS Yarra-chi

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