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2 Tirgaj

Die Ostküste unseres Kontinents führte in einer leichte geschwungenen Linie vom eisigen Norden bis zum ebenso eisigen Süden der Welt. Dabei war diese ganze, fast endlos lange Küste kaum besiedelt. Im Norden nicht, weil dort das von Monstern beherrschte alte Kaiserreich lag, im Süden nicht, weil die Gegend zu weit entfernt war von allen kulturell hochstehenden Völkern. Der Bereich dazwischen war landschaftlich schön, aber fast leer. Einen Grund dafür konnte mir niemand nennen. Die größte Stadt an der Ostküste hieß Marlik. Sie lag an der Mündung des Flusses Djenon und diente als Ausgangshafen für die Schiffe, die das Meer mit Ziel Ostraia überquerten.

Dies war der Hafen, über den die Auswanderer aus den Ringlanden geleitet wurden. Von Marlik aus gelangten sie auf Schiffen des Seevolkes nach Ostraia. Das einzig Interessante, was über die Küste südlich davon zu sagen blieb, betraf einige kleine Küstenstädte, die vom Erztransport lebten. Es gab im Inland einen Bergzug, der fast genau von Nord nach Süd verlief und wie ein Ausleger unseres Ringgebirges wirkte, auch wenn er anders aussah und anders entstanden sein musste. An der Ostflanke dieses Perk-Gebirges gab es reiche Erzadern, die abgebaut wurden. Das Erz transportierte man zum Meer, wo es von Küstenfrachtern aufgenommen und nach Norden bis Marlik gebracht wurde. Dort holten es große Segler aus Ostraia ab.

Weil die Gegend so dünn besiedelt war, konnte man nirgendwo auf Unterstützung hoffen, wenn man den weiten Weg von der Küste bis zum Ringgebirge zurücklegen wollte. Wobei sich im Norden auch noch eine riesige Wüste erstreckte und im Süden ein Dschungel, die ein ebenso großes Hindernis darstellten, wie der genannte Gebirgszug.

Kapitän Bellard Marong hatte den Auftrag, mich zwanzig Meilen südlich von Marlik an Land zu lassen.

„Eine Wegstunde von hier befindet sich einer von den kleinen Häfen, von denen aus die Küstenfrachter Erz nach Marlik bringen“, sagte er, bevor ich die Strickleiter hinunter ins Ruderboot stieg. „Der Ort heißt Tirgaj. Wenn Sie jetzt losmarschieren, treffen Sie kurz nach Einbruch der Dunkelheit dort ein. Gehen Sie in die Hafenkneipe. Eine Frau namens Mirlah wartet dort auf Sie. Die Menschen in Tirgaj sind einfache, misstrauische Leute, aber empfänglich für ein paar Münzen. Nutzen Sie das aus, falls es Probleme gibt. Kurrether sind dort nicht anzutreffen. Mirlah kennt den Weg nach Westen, sie wird Sie begleiten. Sollte sie wider Erwarten nicht da sein, müssen Sie die Reise alleine antreten. Viel Glück!“

Mehr konnte oder wollte er nicht sagen, also marschierte ich in der angegebenen Richtung los, sobald ich an Land war. Wie erwartet war es Nacht, als ich in der Ferne die Lichter aus den Fenstern von Häusern sah. Viele waren es nicht, und das hellste gehörte tatsächlich zu einer Taverne am Hafen.

Ich hatte mir darüber Gedanken gemacht, wie man an einem so abgelegenen Ort reagieren würde, wenn unvermittelt ein Fremder auftauchte. Deshalb hatte ich mir eine Geschichte zurechtgelegt. Aber auf die musste ich nicht zurückgreifen. Im Schankraum saßen einige alte Männer und spielten Karten. Hinter dem Tresen langweilte sich eine ebenso alte, überfette Frau, und in einer Ecke balgten sich Kinder mit einem Hund.

Ich ging zu der Frau, bestellte ein Bier und legte eine Silbermünze hin, die genügen müsste, um eine Woche davon zu leben. Entsprechend groß wurden ihre Augen und sie beeilte sich, mir das Bier zu bringen.

„Ist Mirlah hier?“, fragte ich nach dem ersten Schluck. Das Bier war dünn und nicht gekühlt, entsprechend widerlich schmeckte es. Hier bestand nicht die Gefahr, dass ich mich betrank.

„Klar, ist sie“, antwortete die Frau und brüllte: „Mirlah! Besuch für dich!“

Ein Vorhang, hinter dem ich die Küche vermutete, wurde beiseite geschoben und eine Frau kam heraus. Sie war ebenfalls nicht mehr jung, jedoch kräftig gebaut. Aber nicht fett wie die Wirtin, eher muskulös. Sie kam mir bekannt vor, doch es dauerte einen Moment, bis ich wusste, woher.

Ich bemühte mich, es mir nicht anmerken zu lassen, sondern nickte ihr nur zu. „Sie sind Mirlah?“

„Bin ich. Was wollen Sie?“ Ihr Blick bestätigte mir, dass auch sie mich nach all den Jahren erkannt hatte.

„Bellard Marong hat mir Ihren Namen genannt. Ich brauche jemanden, der mir den Weg zeigt. Sie kennen sich hier in der Gegend aus?“

„Ich bin keine Einheimische, nur auf der Durchreise. Aber ein stückweit kann ich Sie begleiten - falls Sie dafür bezahlen.“

„Was verlangen Sie?“

Mirlah zeigte auf einen Tisch in der Ecke: „Reden wir darüber.“

Wir setzten uns, ich bestellte etwas zu Essen für mich und Bier für Mirlah. Dann ließ uns die dicke Wirtin alleine. Wir waren weit genug vom Tresen und den Kartenspielern entfernt, um nicht belauscht zu werden, wenn wir leise sprachen.

„Wie geht es dir, Gendra?“, fragte ich.

„Gut, soweit das unter diesen Umständen möglich ist. Man hat mich hierher beordert, um einen Mann in die Ringlande zu begleiten. Aber man hat mir nicht gesagt, dass du es bist.“

„Ich wusste auch nur, dass eine Frau namens Mirlah hier wartet.“

Wir sahen uns eine ganze Weile schweigend an, bevor wir weitersprachen. Gendra sah deutlich älter aus, als ich sie in Erinnerung hatte. Die zehn Jahre waren an ihr nicht spurlos vorüber gegangen. Vermutlich hatte sich auch mein Äußeres nicht zu meinem Vorteil verändert.

Ihr Gesicht wirkte härter, eine rötliche Narbe verlief nun seitlich des rechten Kinns. Aber noch immer sah man ihr an, dass sie fit und kräftig war, und kein Mensch würde auf die Idee kommen, sich so ohne Weiteres mit ihr anzulegen. Sie war und blieb eine Söldnerin, und das bedeutete, dass sie regelmäßig trainierte - wenn sie nicht sowieso unterwegs war und kämpfte, oder andere Aufträge ausführte.

„Wer hat dich geschickt?“, fragte ich.

„Ein Beauftragter von Fürst Borran. Ich war in der Nähe von Kroyia, am Rand der Wüste. Es ist ein weiter Weg von dort hierher, weil die Wüste selbst kaum noch passierbar ist. Die Kurrether haben die Stämme der Wüstenkrieger bestochen und sie auf uns gehetzt. Die Stadt Kroyia ist für uns verloren.“

„Wie bist du von da aus hierher gekommen?“

„Entlang des Perk-Gebirges, östlich davon. Dann durch den Dschungel und das weite, fast leere Land bis hier an die Küste.“

„Bist du geritten?“

„Natürlich, sonst wäre ich Monate unterwegs gewesen. Es hat trotzdem mehrere Wochen gedauert. Ich habe genug Geld, um für dich ein Pferd zu kaufen, allerdings gibt es hier keine guten Reittiere.“

„Wo sind Serron und Martie?“

„Wir arbeiten seit einigen Jahren nicht mehr zusammen. Serron ist meist in Dongarth, dort kennt er alles und jeden, wie du weißt. Martie nimmt mal den einen, mal den anderen Auftrag an. Er sagt nicht, wer ihn bezahlt, aber ich habe den Eindruck, er treibt sich in den ganzen Ringlanden herum, um die Kurrether im Auge zu behalten. Inzwischen ist es besser, über seine Freunde nicht allzu gut Bescheid zu wissen. Dann kann man sie nicht verraten, wenn man in eine Falle tappt und verhört wird.“

„Wie kommen wir in die Ringlande, nachdem Kroyia gefallen ist?“, wollte ich wissen.

„Wir reiten von hier aus nach Westen, am Südrand der Wüste entlang. Sowohl die Wüstenkrieger als auch die Dschungelvölker meiden dieses Gebiet. Beide fühlen sich nicht wohl, weil es nicht ihre gewohnte Umgebung ist, und beide haben Angst vor dem jeweils anderen Volk. Es scheint eine Jahrhunderte lange Geschichte von gegenseitigen Überfällen und Kriegen zu geben, wobei sich so etwas wie eine Grenzzone herausgebildet hat.“

„Gibt es Wasser und jagdbares Wild?“

„Nicht im Überfluss, aber ausreichend für zwei erfahrene Reisende.“

„Und Monster?“

„Ich bin hierher gelangt, ohne angegriffen zu werden“, sagte sie nach einer Pause. „Man hat mir hier im Ort gesagt, das sei eine Ausnahme. Deshalb wagen sich Händler nur mit Geleitschutz dorthin.“

Ich war überrascht. „Also wird trotz alledem Handel betrieben?“

„Nicht, wie du es dir vorstellst. Der Westrand des Perk-Gebirges ist reich an Erzen, die man abbaut und hierher nach Tirgaj bringt. Normalerweise sind es Dutzende Esel, die gleichzeitig losziehen, begleitet von doppelt so vielen Söldnern.“

„Was für Söldner?“

„Abenteuerlustige Männer und Frauen, denen das Leben in Marlik oder den kleinen Städten entlang der Küste zu langweilig geworden ist. Ehemalige Soldaten der Ostraianer, die hier nach ihrer aktiven Zeit eine Arbeit gefunden haben, die sie noch leisten können. Stell sie dir nicht als gut ausgebildete Truppe vor. Eher alte Haudegen und Raufbolde, die sich gegenseitig an die Gurgel gehen, wenn die Langeweile zu groß wird.“

„Ich höre heraus, dass wir uns nicht so einem Geleitzug anschließen.“

„Nein, das ist zu gefährlich und zu langsam. Außerdem wollen wir möglichst nicht gesehen werden, sobald wir Tirgaj verlassen haben.“

Ich zog die Augenbrauen hoch. „Wie lange werden wir brauchen?“

„Der Weg, dem die Transporte folgen, führt nicht gerade auf das Ziel zu, sondern in einem Bogen, der weit nach Süden reicht. Die Wüste ...“

„Ich weiß, sie hat ungefähr Kreisform. Es muss wirklich wertvolles Erz sein, das man dort abbaut, wenn so weite Wege sich lohnen.“

Gendra nickte heftig. „Die Ostraianer schmieden daraus ihre Waffen. Und wie du weißt, gleichen die in ihrer Qualität denen aus dem alten Kaiserreich. Auch die Wirkung gegen magische Monster ist dieselbe.“

„Donnerwetter! Ich wusste nicht, dass dafür Eisenerz aus dem Perk-Gebirge notwendig ist. In Ostraia gilt alles, was mit der Waffenproduktion zu tun hat, als ein Staatsgeheimnis.“

„Es hat mich einige Zeit gekostet, das herauszufinden. Aber wie du schon sagtest, man würde einfaches Eisenerz nicht über solche Strecken transportieren. Denn wenn es hier in Tirgaj angekommen ist, muss es gelagert werden, bis ein Küstenschiff anlegt, das es nach Marlik bringt, und von dort geht der Weg weiter über das Meer nach Ostraia. Dieser lange Transportweg macht das Erz ziemlich teuer.“

„Warum sind die Kurrether noch nicht dahinter gekommen?“, fragte ich. „Die überlegenen Waffen der Ostraianer und der Menschen aus dem Kaiserreich sind ihnen bekannt. Ich würde denken, dass sie alles daran setzen, herauszufinden, aus welchem Metall sie sind. Um dann entweder diese Produktion zu unterbinden, indem sie zum Beispiel die Transportwege kappen, oder sogar selbst welche herzustellen.“

„Du vergisst, dass die Kurrether nichts von Arbeit halten. Sie können keinen Stahl schmelzen, keine Schwerter schmieden, keine ihrer Waffen selbst anfertigen. Ihnen gelten all diese Tätigkeiten als minderwertig und nicht ihres Interesses würdig. Es kann aber auch sein, dass die Ostraianer Möglichkeiten gefunden haben, die Erzminen und die Transportwege so zu sichern, dass die Kurrether nichts gegen sie unternehmen können.“

„Das wäre eine Erklärung. Allerdings, wenn es dir gelungen ist, hier in der Stadt solche Geheimnisse herauszufinden, dann können das auch kurrethische Spitzel. Als ich vor zehn Jahren in Marlik war, haben die Kurrether sogar einen der Küstentransporter als Versteck genutzt. Sie müssen also zumindest allgemein über die Transporte informiert sein. Übrigens, als ich hier in die Stadt kam, habe ich keine Schiffe im Hafen gesehen.“

„Die legen in Tirgaj nur kurz an. Das Erz befindet sich in den Lagerhäusern am südlichen Stadtrand. Sobald ein Segler eintrifft, wird er beladen und sticht wieder in See.“

Ich grübelte über die besonderen Waffen nach, von denen ich eine am Gürtel trug. In den Ringlanden waren sie legendär, in Ostraia und auf den Inseln des neuen Kaiserreichs weit im Norden nicht ungewöhnlich. Allerdings galten sie auch dort als teuer und waren nicht Teil der Standardausrüstung von Soldaten. Wenn das dafür notwendige Erz westlich von hier geschürft wurde, so war das viel näher an den Ringlanden als an dieser Küste. Man sollte vor Ort eine Eisenschmelze und Waffenschmieden errichten, am Südrand des Ringgebirges. Mit diesen Waffen könnte man ...

Gendra unterbrach meinen Tagtraum, indem sie sagte: „Vergiss nicht: Wenn man Krieg führen will, braucht man Kämpfer, nicht nur Schwerter.“ Sie ahnte, was in mir vorging. Wahrscheinlich hatte sie ähnliche Gedanken auch schon gehabt.

„Du hast Recht. Wie gehen wir weiter vor? Wenn wir keine Händler begleiten, die Erz transportieren - bleiben wir trotzdem auf dem Weg, den sie nehmen?“

„Ja. Wie schon gesagt, sie reisen immer mit Begleitschutz, deshalb sind die wilden Tiere und Monster entlang dieser Strecke vorsichtig, soweit es überhaupt noch welche gibt. Und das gilt auch für die Menschen.“

„Eingeborene aus dem Dschungel oder ein besonderes Volk?“

„Eingeborene, wie sie in dem Gebiet um Marlik herum leben. Hairam nennt man es, und die Menschen sind dunkelhäutig und meist friedlich. Sie gehören nicht zu den aggressiven Stämmen, die in den Dschungeln entlang des Flusses Djenon zu Hause sind, oder auch südlich des Ringgebirges.“

„Das beruhigt mich.“

„Damit will ich nicht sagen, dass sie immer friedlich sind. Manchmal versuchen sie ihr Glück, aber man kann sie leicht vertreiben.“

„Gut. Wir reisen zu zweit? Wann?“

„Frische Vorräte können wir morgen früh kaufen, Pferde ebenfalls. Je ein Reitpferd und ein Packpferd für uns. Benötigst du sonst noch etwas?“

Ich verneinte und ging zu der dicken Wirtin, um nach einem Zimmer für die Nacht zu fragen.

Niemand in Tirgaj interessierte sich für unseren Aufbruch. Wir ritten davon und ließen ein verschlafenes Städtchen hinter uns, das erst wieder munter werden würde, wenn ein Schiff anlegte, um Erz an Bord zu nehmen.

Wir folgten einem breiten, unbefestigten Weg, der genau nach Westen führte. Die Luft war warm und feucht, sie erinnerte mich an den Dschungel. Zunächst sah ich links und rechts von uns Felder, die aber keinen guten Eindruck machten. Sie waren klein und Unkraut wuchs zwischen den Halmen des Getreides, das man hier anzubauen versuchte.

„Die Menschen in Tirgaj leben zum Teil von dem, was die Eingeborenen sammeln und in der Stadt auf dem Markt verkaufen“, erklärte Gendra. „Aber das meiste bringen die Küstensegler aus Marlik mit. Die haben sonst keine Fracht, und die Kosten trägt die Stadtverwaltung von Marlik.“

„Also zahlen die Ostraianer“, sagte ich. Denn die große Hafenstadt im Norden wurde wegen ihrer strategischen Bedeutung vollständig von Ostraia finanziert.

„Ja, und es sind geringe Kosten, verglichen mit dem Wert des Erzes.“

„Was erwartet uns weiter im Inland?“

„Eine wellige Landschaft. Damit meine ich, es gibt keine hohen Hügel oder gar Berge, aber Erhebungen, ohne die alles hier flach wäre wie ein Holzbrett.“

„Und ebenso unfruchtbar?“

„Im Gegenteil. Es gibt Palmbäume, Sträucher mit Früchten, essbare Wurzeln und jagdbares Kleingetier. Die Menschen, die hier leben, brauchen sich keine Sorgen zu machen wegen des täglichen Essens.“

„Wie im Hairam. Und trotzdem lebt dort kaum jemand, die Eingeborenendörfer liegen weit auseinander. Ist das hier auch so?“

„Ja, das ist eine Fortsetzung dieser Landschaft, die aber südlich in Dschungel übergeht und nordwestlich von hier in die Wüste. In deren Grenzbereich führt der Weg entlang, dem wir folgen. Wenn nichts dazwischen kommt, sehen wir morgen Abend rechts von uns die ersten Dünen am Horizont, und auf der anderen Seite eine dunkle Wand, die der Rand des Dschungels ist. Dort wachsen Bäume und Büsche ziemlich abrupt aus der Landschaft empor, als gebe es eine Trennlinie.“

Da die riesige Wüste vor Jahrtausenden um ein magisches Zentrum herum entstanden war, den Danai-See, war das keine Überraschung. Mächte, die so gewaltige Strukturen erschufen - seien es Götter, Magier oder Naturerscheinungen - konnten auch die Umgebung unter ihrer Kontrolle halten. Der Dschungel rückte nicht auf das Gebiet der Wüste vor und die dehnte sich umgekehrt ebenfalls nicht aus.

Wie immer bei Reisen in schwülwarmen Regionen kamen wir nur langsam voran. Mensch und Tier fühlten sich wegen der Hitze und Luftfeuchtigkeit stark belastet. Da wir einen weiten Weg vor uns hatten, wollten wir die Pferde auch nicht übermäßig antreiben. Andererseits verbot es sich laut Gendra, in dieser Gegend nachts unterwegs zu sein. Ganz sicher waren wir eben doch nicht vor wilden Tieren oder einem Hinterhalt durch Menschen.

Solche Zwischenfälle blieben uns erspart, bis wir am dritten Tag in der Ferne eine Hütte sahen.

„Die ist vor einigen Wochen noch nicht hier gewesen“, sagte Gendra. „Reiten wir in einem großen Bogen um sie herum oder sehen wir sie uns an?“

„Ich verlasse mich auf dich. Meine Erfahrungen mit dem Hairam sind zehn Jahre her. Damals fanden wir in so einer einsam stehenden Hütte Aussätzige.“

„Ich habe nichts von einer Krankheitswelle gehört“, entgegnete sie. „Das hätte sich bestimmt in Tirgaj herumgesprochen. Ich entscheide mich dafür, die Hütte zu untersuchen. Das Gelände hier ist frei genug von Strauchwerk, um einen Hinterhalt auszuschließen. Sollten dort gefährliche Menschen sein, sind wir mit unseren Pferden im Vorteil. Wir können schneller fliehen, als sie rennen können. Also, los!“

Wir ritten auf die Hütte zu, ich voraus, Gendra hinter mir. Mir wurde bewusst, dass in unserer Ausrüstung ein wichtiger Gegenstand fehlte: Ein Bogen! Ohne Fernwaffe waren wir im Nachteil, wenn Angreifer welche hatten. Aber da weder ich noch Gendra gut mit Pfeil und Bogen umgehen konnten, wäre es wohl überflüssiger Ballast gewesen.

Die Hütte erwies sich beim Näherkommen als stabil gebaut, und zwar aus Brettern. Das Material dafür musste also aus einer Stadt oder einem Dorf stammen, wo man Holz bearbeiten konnte. Man hatte es mit Eseln oder Pferdekarren hierher transportiert. Das war ein ziemlicher Aufwand. Vor der Hütte sah ich die Reste eines Lagerfeuers mit einem Bratspieß, der auf zwei gegabelten Eisenstäben ruhte. Auch das war ungewöhnlich und sprach dafür, dass der Besitzer der Hütte nicht nur vorübergehend hier lebte.

Als ich auf fünfzig Schritt heran war und überlegte, ob ich laut rufen und den Bewohner über unsere Ankunft informieren sollte, sah ich, was sich hinter ihr befand. Dort standen zwei Pferde. Eines gesattelt und das andere beladen mit Vorratspacken. Sie sahen aus wie unsere, nur der Reiter war nicht dabei.

„Hier stimmt etwas nicht“, sagte ich zu Gendra. „Und den Vorteil der Geschwindigkeit bei der Flucht haben wir auch nicht mehr. Du bleibst hier, ich reite näher heran.“

Sie nickte nur.

Die Hütte verfügte über keine Tür, nur ein Leinentuch verschloss den Eingang. Nichts rührte sich. Ich rief ein paar Mal „Hallo!“, ohne eine Antwort zu erhalten, dann stieg ich ab. Mit der Klinge des Degens schob ich das Tuch beiseite, bereit, sofort zuzustoßen.

Im Inneren standen ein Feldbett, ein Tisch und ein Stuhl. Einige Kleidungsstücke lagen auf dem Bett, auf dem Tisch waren ein leerer Teller, ein Trinkbecher und Essbesteck. Der Bewohner war nicht hier, aber die Einrichtung zeigte, dass er kein Eingeborener war, sondern aus den Städten an der Küste stammen musste. Vielleicht auch aus den Ringlanden. Sicherlich handelte es sich nicht um einen Kurrether, denn es gab keine Anzeichen von protzigem Wohlstand, nichts Goldenes.

Ich stieg wieder auf mein Pferd, als Gendra einen Warnruf ausstieß.

Ein Mann näherte sich uns. Er kam aus Richtung des Dschungels und schwenkte ein Tuch, um uns auf sich aufmerksam zu machen.

Die Gestalt war schwarz und erinnerte mich an jemanden. Wir ritten nicht zu dem Fremden hin, sondern warteten bei der Hütte ab, deren Besitzer er vermutlich war.

Als der Mann nahe genug war, um das Gesicht zu erkennen, wusste ich, mit wem ich es zu tun hatte: mit O’Praise, dem Kartenmacher! Er war nackt bis auf ein Stoffteil, das er um seine Hüfte geschlungen hatte. Seine Kleidung trug er in der Hand.

„Ich habe in dem Bach dort hinten gebadet“, rief er uns zu. „Ihr seid früher eingetroffen, als ich erwartet hatte. Schön, euch zu sehen! Ich bin reisefertig, wir können losreiten!“

O’Praise war älter geworden, wie nicht anders zu erwarten nach einem Jahrzehnt. Weiße Stellen zeigten sich in seinem krausen Haar und er hatte deutlich an Gewicht zugelegt. Trotzdem machte er einen muskulösen Eindruck. Seine gute Laune war wie immer ansteckend, und ich lachte, als er Hemd und Hose mit Schwung in die Hütte warf, um sich dann uns wieder zuzuwenden.

„Wollt ihr frisches Wasser in eure Wassersäcke füllen?“, fragte er. „Reitet in die Richtung, aus der ich gekommen bin. Dort ist ein breiter Bach, kühl und klar. Westlich von hier versumpft das Gewässer, deshalb macht es Sinn, die Chance zu nutzen.“

Ich stieg ab und musterte ihn. „Was machen Sie hier, weit entfernt von allen Städten und Dörfern, und woher wussten Sie, dass wir kommen würden?“

„Was ich hier mache? Ich habe auf Sie gewartet. Woher ich von euch beiden weiß? Die Ostraianer haben ein Auge auf euch. Selbst in Tirgaj gibt es Informanten. Zum Beispiel ein paar alte Männer, die in der einzigen Taverne Karten spielen. Und um die ungestellte Frage auch gleich zu beantworten: Ja, ich will euch bis zum Perk-Gebirge begleiten. Die Pässe dort müssen erfasst werden, ebenso wie die genaue Lage der Erzminen am Ostrand. Ich reise gerne alleine, aber über lange Distanzen bewährt es sich doch, erfahrene Reisebegleiter mit scharfen Waffen bei sich zu wissen.“

Wir folgten seinem Ratschlag und füllten unsere Wasservorräte auf. Außerdem hatte O’Praise Früchte und Trockenfleisch in seiner Hütte, die wir ebenfalls gerne mitnahmen. Mittags ritten wir zu dritt los. Dabei blieben wir weiterhin auf dem Weg, den die Händler nutzten.

Unterwegs unterhielt ich mich mit dem Kartenmacher.

„Warum haben Sie in so einer stabilen Hütte auf uns gewartet und wer hat die gebaut?“

„Es ist eine von zwei Dutzend Holzhütten, die entlang der Strecke zwischen Tirgaj und dem Perk-Gebirge errichtet werden sollen. Man hat diese hier als erste gebaut, weil dieses Gebiet als sicher gilt. Die Ostraianer machen sich Gedanken über ihre Rohstoffversorgung, insbesondere was das Erz für ihre Waffenproduktion angeht. Sie wollen zum einen den Transport zwischen Bergwerken und Küste beschleunigen und zum anderen die Kurrether davon abhalten, diese Verbindung zu unterbrechen. Eine der Entscheidungen, die getroffen wurden, betrifft den Ausbau des Weges zu einer Straße. Zunächst jedoch errichtet man einfache Hütten, in denen zwei oder drei Soldaten stationiert werden können. Außerdem will man die schwierigen Wegstrecken einebnen und für Fuhrwerke leichter passierbar machen. Ist das geschehen, wird am Perk-Gebirge eine Festung gebaut.“

„Warum tut man das nicht als Erstes, um die Bergwerke zu sichern?“, fragte ich dazwischen.

„Das Baumaterial muss teilweise aus Ostraia gebracht werden, das bedarf einer guten Verbindung. Außerdem müssen Dutzende von Bauhandwerkern dort leben und arbeiten, denn der Bau einer Festung zieht sich über Jahre hin.“

„Verständlich.“

„Des Weiteren gilt es, die Versorgung mit Nahrungsmitteln sicherzustellen, durch die Ansiedlung von Bauernhöfen in der Umgebung. Und als letzten Schritt plant man die Errichtung einer Eisenschmelze, damit nicht mehr das unreine Erz, sondern hochwertiger Stahl zur Küste transportiert wird. Das reduziert die Transportmenge erheblich.“

Gendra sagte: „Das klingt nicht so, als würde es in wenigen Jahren alles fertig sein. Hat man so viel Zeit - und warum fängt man erst jetzt damit an?“

„Zehn Jahre sind dafür vorgesehen. Diese Zeit hat man, oder man fürchtet in Ostraia, sie zu haben, weil der Kampf gegen die Kurrether auch dann noch nicht beendet sein wird. Man richtet sich auf einen Konflikt ein, der Generationen dauern kann.“

„Warum das?“, rief ich aus.

„Unter anderem, weil die Ringlande schneller und vollständiger in die Hände des Gegners gefallen sind, als man sich vorstellen konnte. Man hatte erwartet, dass die Auswanderungswellen das Land rückständig und unregierbar werden lassen. Das ist nicht eingetreten, weil die Kurrether zu früh diesen Plan durchschaut und weitere Auswanderungen unterbunden haben. Die Bevölkerung wird am Verlassen des Landes gehindert. Gleichzeitig benötigt der Aufbau der sogenannten achten Provinz der Ringlande viel mehr Zeit als erhofft. Eben auch, weil nicht genügend Auswanderer eingetroffen sind.“

„Ich weiß, dass nicht alles so gelaufen ist, wie man es erwartet hat“, bestätigte ich. „Es lag auch daran, dass wir Ringländer mit zu großen Hoffnungen in unsere neue Heimat aufgebrochen sind. Aber inzwischen gibt es nicht nur fruchtbare Landstriche, die man unter den Pflug genommen hat, sondern die ersten Städte wurden gegründet. Der Kreislauf der Waren ist so umfangreich, dass immer weniger Unterstützung aus Ostraia geholt werden muss. Und wenn wir etwas von dort benötigen, können wir es bezahlen und müssen es nicht als Geschenk akzeptieren. Zehn Jahre nach der Ankunft der ersten Auswanderer ist das ein großer Erfolg.“

„Zweifellos, aber eben nicht groß genug. Wie dem auch sei, die Ostraianer beginnen ebenso wie die Askajdaner damit, ihre Völker auf einen lange dauernden Konflikt vorzubereiten. Man rechnet nicht mehr mit einem alles entscheidenden militärischen Sieg gegen die Kurrether, sondern hofft, sie nach und nach zermürben zu können.“

„Also sind Sie mit uns unterwegs zum Perk-Gebirge, um den genauen Verlauf des Weges auf Ihren Karten zu erfassen. Dazu mögliche Standorte für eine Festung, neue Dörfer und die Eisenschmelze. Außerdem fruchtbares Land, das leicht zu roden und zu bebauen ist, um die Besatzung der Festung und die anderen Menschen zu ernähren.“

„So ist es.“

„Auf welchem Weg sind Sie hierher gereist?“, wollte Gendra wissen. „Nicht aus Tirgaj, denn dort wären Sie mir aufgefallen.“

„Ich bin aus dem Süden die Küste entlang hochgekommen, habe aber Tirgaj umgangen. Es gibt noch andere Städtchen dort unten, die ebenfalls für den Erztransport gegründet wurden. Sie sind nicht so wichtig, weil die Wege dorthin vom Gebirge aus durch Dschungelgebiete führen. Das ist für kleinere Mengen machbar, aber nicht für das, was geplant ist. Dafür empfiehlt sich diese Strecke hier, die zwischen dem Rand der Wüste und den Ausläufern des Dschungels entlangführt.“

Tatsächlich kamen wir gut voran. Die feuchte Wärme, die uns bisher das Reisen erschwert hatte, ließ nach, während die Landschaft sich änderte. Palmen wurden seltener, andere Baumarten ebenfalls. Stattdessen dominierte Strauchwerk die weite, offene Fläche. Grasende Wildtiere lieferten uns Fleisch, wobei wir uns nicht den großen Herden näherten, die wir in der Ferne sahen. Manche der Tiere ähnelten Stieren und Kühen, andere Rehen, und O’Praise kannte all ihre Namen ebenso wie ihre Nützlichkeit. Manche lieferten Felle, die weich und wärmend waren, andere dünnes, strapazierfähiges Leder. Manche hatten gutes Fleisch, andere waren zäh, aber man konnte Fett gewinnen, das geruchlos verbrannte und sich deshalb für Lampen eignete.

Immer wieder fragte ich den Kartenmacher, warum diese so reich gesegnete Landschaft nicht von Menschen besiedelt war, oder wenigstens anderweitig genutzt. Selbst in den Grenzregionen unserer neuen Heimat, nördlich von Ostraia, waren Jagdgruppen in den unbewohnten Gegenden unterwegs gewesen, bevor wir Umsiedler kamen und Dörfer errichteten.

Seine Antworten blieben allgemein.

„Zu weit entfernt von großen Städten, in die man das Fleisch und die Felle liefern könnte“, sagte er zum Beispiel.

Auf den Einwand, dass sich hier die Gründung von Städten lohnen würde, erwiderte er: „Wer sollte das tun? Die Eingeborenen des Hairam sind zufrieden mit ihrer einfachen Lebensweise. Sie brauchen kaum zu arbeiten, weil die Natur sie so freigiebig versorgt.“

„Sie selbst stammen aus dem Hairam“, wandte ich ein. „Sie sind nicht zufrieden mit dem, was Sie haben. Stattdessen reisen Sie durch die ganze Welt, setzen sich Gefahren aus, wollen immer noch mehr sehen und erleben.“

Er lachte und antwortete: „Ich bin aus der Art geschlagen. Überall gibt es welche, denen die Heimat zu eng ist. Die können aber nicht die Mehrheit mit sich reißen oder gar motivieren, ihre Lebensweise zu ändern.“

„Man könnte meinen, Sie sprechen von den Ringlanden und dem Einfluss des Berges Zeuth“, warf Gendra ein.

„So schlimm ist es nicht. Aber sicherlich kann man sagen, der Zeuth verstärkt nur eine in den meisten Menschen vorhandene Trägheit. Ähnlich, wie der Danai-See. Aber da wir alle keine Magier sind, wissen wir nicht, was wirklich dahinter steckt. Nicht einmal die fähigsten Magi durchschauen das. Womöglich ist diese Landschaft hier von einer magischen Beeinflussung betroffen, die verhindert, dass Städte und Dörfer gegründet und mit einem Netz von Straßen verbunden werden. Aber wenn Sie eine konkrete Antwort haben wollen: Ja, ich denke, man könnte hier so etwas wie die neunte Provinz der Ringlande errichten.“

Wir alle lachten, aber ich hörte schnell wieder auf damit. Es war schwierig gewesen, die Umsiedler bis in den Norden von Ostraia zu führen. Hätte man stattdessen hier auf unserem Heimatkontinent neue Siedlungen errichten können? Nein, antwortete ich mir selbst. Denn nördlich von Ostraia, auf dem anderen Kontinent, lag unsere eigentliche Heimat, von dort stammten unsere Vorfahren. Immer wieder waren wir Auswanderer auf Ruinen aus uralten Zeiten gestoßen, die das bestätigten. Indem wir den Weg über das Meer antraten, kehrten wir also zu unseren Ursprüngen zurück.

„Im Übrigen“, fuhr O’Praise fort, „soll ja so etwas wie eine Besiedlung nun in Angriff genommen werden. Wenn der Weg von der Küste zum Perk-Gebirge zu einer guten Straße ausgebaut wird, hat das Auswirkungen. Die Raststellen im Abstand von ein oder zwei Tagesreisen werden wie Keime sein, aus denen sich Größeres entwickelt. Vielleicht siedelt sich ein Hufschmied in der Mitte der Strecke an. Er hätte sicherlich genug zu tun, wenn häufig Transporte durchkommen. Ein Bauer könnte Obstbäume pflanzen und die Früchte für gutes Geld an die Reisenden verkaufen. Ihr versteht, worauf ich hinaus will.“

Ich nickte und dachte darüber nach, während O’Praise vom Pferd stieg und das Ritual begann, das er mehrfach täglich ausführte. Er nahm aus den Satteltaschen eine Mappe, in der ein Buch, Schreibzeug und ein seltsames Instrument waren. Zunächst notierte er alles, was er um sich herum sah. Von der Art des Pflanzenwuchses über die Tiere bis zur Landschaftsform. Dann hielt er das Instrument in die Sonne und bestimmte auf komplizierte Weise den genauen Ort, an dem wir uns befanden. Außerdem schrieb er auf, wie das Wetter war, in welche Richtung der Wind blies und wie stark. Es dauerte meist eine halbe Stunde, bis er fertig war.

„Wenn Sie alle Gegenden, die Sie bisher bereist haben, so ausführlich dokumentiert haben, müssen Sie eine umfangreiche Bibliothek selbst geschriebener Bücher besitzen“, sagte ich einmal.

Er lachte und antwortete: „Ja, es sind fast fünfzig Bände. In ihnen ist festgehalten, was ich über die Welt weiß.“

„Was sicherlich mehr ist, als jeder andere Mensch weiß“, sagte Gendra. „Diese Bücher müssen wertvoll sein. Nicht zuletzt für Ostraia und die Kurrether. Wo bewahren Sie sie auf?“

„Den Ort kennt niemand außer mir“, antwortete er. „Sie sind außerdem gut geschützt. Sollte doch einmal ein Dieb bis zu ihnen vordringen, so würden sie sich durch ein heftiges Feuer sofort selbst zerstören.“

„Sie sind bereit, die gesamte Arbeit Ihres Lebens zu vernichten?“, fragte ich nach.

Er tippte sich mit dem Schreibstift an den Kopf. „Vieles davon habe mich mir gemerkt, wenn auch bei weitem nicht alles. Aber weil richtig ist, was Gendra gesagt hat, muss sichergestellt werden, dass die Bücher nicht in die Hände der falschen Leute geraten.“

„Oder ihr Kopf“, ergänzte ich trocken.

Er lachte noch einmal, saß auf und wir ritten weiter.

Der Wind wehte von Norden und brachte den Gluthauch der Wüste mit sich. Trockene Luft, die uns feinen Staub in die Augen blies. Das war ich von meinen früheren Reisen her gewohnt, ich konnte mich dem anpassen. Die Pferde würden wir von nun an häufiger rasten lassen und in der Mittagszeit ihnen und uns eine lange Pause gönnen.

Interessant war, was dieser Wind mit der Landschaft machte. Er war nicht kräftig genug, um die Sanddünen zu bewegen, die ich in der Ferne sah. Entweder, die Magie der kreisförmigen Wüste verhinderte das, oder er blies immer so schwach wie derzeit. Jedenfalls sorgte er dafür, dass der Boden mit einer dünnen Schicht aus Staub bedeckt war, in der man jede Spur eine Zeitlang sehen konnte. Kaum etwas wuchs in diesem Streifen von einer Meile Breite südlich der Wüste. Jenseits davon begann der Dschungel, dessen dichtes, dunkelgrünes Laub wie eine Mauer wirkte.

Die mit Staub bedeckte Fläche war trügerisch, denn man sah die Unebenheiten des Bodens nicht so gut. Das war gefährlich für unsere Pferde. Der Weg, dem wir folgten, zeichnete sich nicht mehr so deutlich ab wie bisher, aber solange wir uns in der Mitte zwischen Wüste und Dschungel hielten, konnten wir nicht in die Irre gehen oder in eine Falle geraten.

Trotzdem widerfuhr uns genau das. Unerwartet verloren die Pferde den Boden unter den Hufen. Das Erdreich sackte zunächst eine Handspanne tief ab, und dann noch weiter. Gendra, die vorneweg ritt, sprang mit einem gewagten Satz aus dem Sattel, als sie merkte, wie ihr Pferd strauchelte. Sie landete weich auf dem Boden und sank ein wenig ein.

O’Praise und ich konnten unsere Reittiere noch zurückhalten. Wir ritten ein stückweit in die Gegenrichtung, dann stiegen wir ab. Gendra kam zu uns. Sie stapfte dabei schwerfällig durch Staub, der ihr bis über die Knöchel reichte. Reitpferd und Packpferd zog sie an den Zügeln hinter sich her. Die Tiere scheuten, weil sie offenkundig Angst hatten vor diesem ungewöhnlichen Untergrund.

„Treibsand!“, rief ich O’Praise zu. „Wir müssen hier am Rand bleiben, um nicht zu versinken.“

Er blieb stehen und sah zu, wie Gendra sich abmühte, Schritt für Schritt näher zu uns zu kommen. „Das kann nicht sein“, sagte er. „Treibsand ist nass, er entsteht bei verdeckten Quellen oder in Flussmündungen. Dieser Sand ist trocken. Es muss eine andere Erklärung dafür geben.“

Er kniete sich hin und begann, mit den Händen vorsichtig die Staubschicht beiseite zu fegen. Direkt vor ihm war darunter fester Boden, doch der senkte sich ab, je weiter O’Praise vordrang. Die Schicht aus Sandstaub wurde dicker und dicker.

Gendra trat zu uns. „Ich habe in Tirgaj nichts gehört von solchen Fallen auf dem Weg. Es ist kein Treibsand, sagen Sie?“

„Keinesfalls. Trotzdem muss es etwas Ähnliches sein, denn normaler Sand ist fest, wenn man auf ihn tritt. Das Gewicht des Menschen oder Pferdes drückt auf den Untergrund, verfestigt ihn und man kann nicht einsinken. Höchstens einen Fingerbreit, wenn er locker daliegt. Was also ist das?“

Er richtete sich auf und hielt uns seine Hände entgegen. Obwohl er im Staub gewühlt hatte, glänzten sie, als seien sie nass. Er rieb die Finger aneinander und sagte: „Trocken, aber doch schmierig. So etwas habe ich noch nie erlebt.“

Ich ging zwei Dutzend Schritte Richtung Wüste, wo ich einen schweren Stein fand. Mit dem kehrte ich zurück und wuchtete ihn in die trügerische Sandfläche. Er rollte ein stückweit, dann versank er.

„Es könnte eine Falle sein, die ein Tier gebaut hat“, sagte ich. „Eine riesige Spinne oder etwas Ähnliches, das dort unten auf Beute lauert. Nun ärgert es sich, weil es nur einen Stein gefangen hat.“

„Möglich, aber von so einem Wesen hätten die Händler berichtet, die auf dieser Strecke regelmäßig Erz transportieren.“ O’Praise ging ein Stück zurück. „Hier ist fester Boden.“ Langsam tastete er sich voran, bis klar war, dass sich die trügerische Fläche mitten im Weg befand und sich links und rechts davon etwa drei Schritte weit ausbreitete.

„Das kann noch nicht vorhanden gewesen sein, als die letzten Transporte hier entlang kamen“, folgerte er.

Wir waren so auf dieses seltsame Phänomen konzentriert, dass uns erst das Wiehern eines der Pferde aufmerken ließ.

Ein Mann kam uns auf dem Weg entgegen.

Er war bereits so nahe, dass er mitten in der gefährlichen Fläche war. Trotzdem sank er nicht ein.

Es war eine merkwürdige Gestalt, schlank und groß, in einen weißen Umhang gekleidet. In der einen Hand hielt er einen langen Stock, den er bei jedem Schritt aufsetzte, als wäre der Untergrund steinhart, in der anderen einen Stoffbeutel.

Gendra und ich hatten die Hände an den Waffen, während der Mann näherkam.

O’Praise dagegen musterte ihn und rief ihm dann zu: „Der Boden ist unsicher, gehen Sie weiter nach links oder rechts, bevor Sie versinken!“

Der Mann hielt an, sah sich um als suche er die Gefahr, vor der er gewarnt wurde, und kam dann weiter auf uns zu. Zwei Schritte vor uns blieb er stehen und sah uns der Reihe nach an.

„Der Versuch ist missglückt“, sagte er. „Ich bedauere, dass ich Sie in Gefahr gebracht haben. Mein Name ist Bercain, ich bin ausgebildeter Magi der Magischen Akademie in Dongarth.“

Pentray

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