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3 Am Rand der Wüste

Die Kunst der Magie galt als schwer zu erlernen. Das war einer der Gründe, warum man die Adepten viele Jahre lang in einer Akademie unterrichtete. Ein anderer Grund war, dass jemand, der die Magie beherrschte, eine enorme Macht in Händen hielt, die er nicht missbrauchen durfte. Deshalb war es ein wichtiger Teil der Ausbildung, den künftigen Magiern die richtigen Verhaltensweisen nahezubringen, die einzuhalten sie sich verpflichteten. Nur, wer sowohl über die Kenntnisse der Kunst selbst, als auch über die notwendigen gefestigten Charakterzüge verfügte, durfte sich schließlich Magi nennen und eine entsprechende Robe tragen.

Dieser Mann mit Namen Bercain behauptete, ein Magi zu sein. Er trug weder die Robe, auf die alle dieses Standes so stolz waren, noch passte sein Verhalten zu einem Absolventen der Akademie. Außerdem befanden wir uns hier weit außerhalb der Ringlande. In diesem Landstrich waren Gendra und ich die einzigen Ringländer, soweit wir wussten.

Kurz, ich hielt den Mann für einen Betrüger und war bereit, sofort den Degen zu ziehen, falls er eine verdächtige Bewegung machte.

Er bemerkte es und runzelte die Stirn. Aber einen Moment später verklärte sich sein bärtiges Gesicht zu einem Lächeln. Er steckte den langen Stock mit einem kräftigen Stoß in den Boden, öffnete seinen Stoffbeutel und wühlte darin herum.

„Hier!“, sagte er und zeigte ein gefaltetes Stück Pergament vor.

O’Praise nahm es und las, was darauf geschrieben stand. „Klingt glaubwürdig“, sagte er und reichte das Schreiben an mich weiter.

Tatsächlich waren es nur wenige Zeilen, die den Namen Bercain nannten und eine Beschreibung seiner Person enthielten. Darunter stand: „Dieser Mann ist im Auftrag von Magi Achain unterwegs, um die Gebiete südöstlich der Ringlande zu erkunden. Seine Aufgabe ist es, mögliche weitere Routen für Umsiedler nach Marlik ausfindig zu machen.“

Darunter war das Namenszeichen von Achain, das ich nur zu gut kannte. Ob das Schreiben echt war, konnte ich natürlich trotzdem nicht beurteilen, aber es wirkte zumindest so.

„Das mit anderen Routen für Umsiedler hat sich inzwischen erledigt, weil niemand mehr aus den Ringlanden herauskommt“, sagte Bercain, nachdem ich mit dem Lesen fertig war. „Deshalb beschloss ich, mir die Wege des Erzes anzusehen. Ich habe die Hoffnung, dass ich dabei helfen kann, die Transporte sicherer zu machen.“

Ich gab das Pergament an Gendra weiter und sagte: „Wenn das den Kurrethern in die Hände fällt ...“

Bercain winkte lässig ab. „Was sollte daran verräterisch sein?“

Gendra schüttelte den Kopf, nachdem sie alles gelesen hatte, und fragte: „Wovon redet ihr überhaupt? Das ist ein Beleg über den Kauf eines Reitpferdes.“

Ich sah erst sie entgeistert an und dann das Pergament, das sie mir hinhielt. Sein Text hatte sich verändert und bestand nun aus einigen hingekritzelten Worten und einer Zahl - dem Kaufpreis für eine Stute mit Sattel und Zaumzeug.

O’Praise warf auch einen Blick darauf, dann sagte er lachend: „Sie sind also tatsächlich ein gelernter Magi, Bercain! Eines weiteren Beweises bedarf es vorerst nicht.“

Auf eine erneute wedelnde Handbewegung Bercains veränderte sich der Text vor meinen Augen und ich sah wieder die ursprüngliche Mitteilung. Kein Zweifel, der Mann konnte etwas!

„Sind Sie verantwortlich für diesen seltsamen Treibsand, der sich auf dem Weg gebildet hat?“, fragte ich.

„Ja, das war ein Versuch, der leider nicht gelungen ist. Die Idee dahinter ist, dass die Landschaft selbst, der Boden unter unseren Füßen, darüber entscheidet, wer hier passieren darf und wer nicht. So könnte man zum Beispiel Kurrether versinken lassen, während Ringländer oder Ostraianer an derselben Stelle über festen Boden gehen.“

„Eine seltsame Vorstellung“, sagte ich. „Der Erdboden kann nicht denken, also nicht entscheiden. Wie soll das funktionieren?“

„Mit Hilfe eines Artefakts, das ich aus der Sammlung der Magischen Akademie in Dongarth, äh, ausgeliehen habe. Ich habe es auf dem Weg vergraben.“ Bercain zeigte auf eine Stelle, die ein Dutzend Schritte von uns entfernt war. „Wie Sie gesehen haben, konnte ich problemlos auf dem Weg gehen, denn ich bin Ringländer. Leider sind Sie eingesunken, und ich muss nun herausfinden, warum.“

„Vielleicht, weil ich dabei bin“, warf O’Praise ein.

„Sie sind kein Kurrether“, widersprach Bercain. „Hoffe ich jedenfalls. Woher stammen Sie?“

„Aus dem Norden des Hairam.“

„Das wäre eine mögliche Erklärung. Ich habe zwar die Eingeborenen berücksichtigt, die weit verstreut in der Umgebung von Tirgaj leben, aber vielleicht unterscheiden Sie sich zu sehr von denen. Ich werde versuchen, das in das Artefakt mit einzuarbeiten.“

Er legte seinen Beutel auf den Boden, ging um den Kartenmacher herum und machte dabei seltsame Bewegungen mit den Händen. Anschließend zog er den Stock aus der Erde, hob den Beutel wieder auf und sagte: „Sie sind auf dem Weg zum Perk-Gebirge?“

„Richtig“, antwortete ich. „Können wir jetzt weiterreiten, ohne einzusinken?“

„Noch nicht, ich muss erst zum Artefakt. Warten Sie hier.“

Wir sahen zu, wie er über die trügerische Fläche aus staubfeinem Sand ging und ein Dutzend Schritte von uns entfernt stehenblieb. Dort kniete er sich hin und legte beide Hände auf den Boden. In dieser Haltung verharrte er fast eine halbe Stunde. Dann stand er auf, was ihm Mühe bereitete und nur gelang, weil er seinen Stock bei sich hatte. Sein Rücken schien ihm Probleme zu bereiten. Er winkte uns zu sich und ich wagte die ersten Schritte. Der Boden war fest.

„Gehen Sie hinter mir her“, sagte ich zu O’Praise.

Der Kartenmacher trat vorsichtig auf, aber auch für ihn war der Untergrund nun hart. „Ein beeindruckendes Beispiel für angewandte Magie“, sagte er.

„Sehr gut!“, freute sich Bercain. „Dann kann ich das Artefakt hier lassen.“

„Sie müssen ein mächtiger Mann sein“, lobte ich ihn.

„Sie überschätzen mich“, wehrte er ab. „Allerdings habe ich mich in der Akademie auf die Erdmagie spezialisiert. Ein Gebiet, das von anderen Adepten gerne gemieden wird. Feuermagie zum Beispiel ist deutlich beliebter.“

„Vermutlich kann man damit beeindruckendere Zauber wirken“, sagte ich. „Wo haben Sie Ihr Lager?“

„Südlich von hier, im Schutz des Dschungels. Wollen Sie mitkommen? Ich packe meine Sachen und begleite Sie nach Westen. Ich will mir den weiteren Weg ansehen und passende Stellen für solche Fallen ausfindig machen.“

Wir stimmten zu und folgten ihm, die Pferde an den Zügeln führend. Bercain war ein rüstiger Wanderer, der mit seinem Stock vor uns her marschierte. Erst unterwegs wurde uns klar, dass wir mehrere Meilen weit gehen mussten, bis wir die Ausläufer des Dschungels betraten.

Der Magier unterhielt uns mit Berichten über seine Begegnungen mit wilden Tieren. Er lebte alleine hier und war in keiner Waffenkunst bewandert. Nur die Magie schützte ihn und versorgte ihn auch mit Jagdbeute. Sein Repertoire an Tricks schien unerschöpflich. Falls es stimmte, was er sagte, konnte er sogar sumpfigen Untergrund in Stein verwandeln - von einem Moment zum nächsten. Das war hilfreich, wenn ein Tier, zum Beispiel ein wildes Schwein, an so einer Stelle stand. Bercain ließ den Boden zu Stein werden, seine Jagdbeute steckte fest und konnte weder davonlaufen noch ihn angreifen. Er brauchte sie nur mit einem Knüppel zu erschlagen. Dann ließ er den Boden wieder erweichen und brachte die Beute zu seinem Lager.

„Verjagen Sie so auch die Eingeborenen, die es im Dschungel geben soll?“, fragte ich.

„Die haben solche Jagdszenen heimlich beobachtet und lassen mich in Ruhe“, erwiderte Bercain. „Außerdem sind es nur einige gut versteckte Dörfer mit wenigen Bewohnern.“

„Wieso sind sie versteckt?“, wollte O’Praise wissen.

„Soweit ich es in Erfahrung bringen konnte, handelt es sich bei den Menschen um Flüchtlinge, die weiter aus dem Süden hochgekommen sind. Dort herrschen brutale Stammeskönige, die ihre Völker wie Sklaven für sich arbeiten lassen. Man baut Tobacco an und verkauft ihn unter anderem in die Ringlande. Beziehungsweise tauscht ihn ein gegen Waffen und weitere Dinge, die für diese Könige wertvoll sind.“

„Wieso unter anderem in die Ringlande?“, fragte ich. „Gibt es noch mehr Abnehmer?“

„Ich bin nicht sicher, aber es scheint an der Westküste des Kontinents eine Hafenstadt zu geben, in der fremde Schiffe anlegen. Um die Kurrether kann es sich nicht handeln, denn ich glaube, die haben die Unsitte des Rauchens nicht angenommen. Das einzige andere Volk im Westen ist Askajdar. Aber ich weiß nicht, ob ich mit dieser Vermutung richtig liege.“

„Das muss ich herausfinden!“, rief O’Praise. „Darüber war mir bisher nichts bekannt. Wo genau liegt die Hafenstadt? Wie heißt sie und wer sind ihre Bewohner?“

Bercain schüttelte den Kopf. „Mehr weiß ich nicht. Entweder, Sie reisen zu den Dschungelkönigen, oder direkt an die Westküste. Beides dürfte aber gefährlich sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie als Sklave auf einer Tobacco-Plantage landen, ist ziemlich hoch. Falls Sie überleben, meine ich.“

„Auf meinen Reisen habe ich schon viele gefährliche Situationen überstanden“, sagte der Kartenmacher. „Sobald ich mit der Erfassung der Ostseite des Perk-Gebirges fertig bin, mache ich mich auf den Weg.“

Das Lager des Magi stellte sich als eine aus Stangen gebaute Hütte heraus, kunstlos mit Laubwerk abgedeckt. Davor war genügend Platz für ein Lagerfeuer und in der Nähe eine Quelle, die frisches Wasser lieferte. Mehr brauchte man auch nicht, da es hier immer warm war. Man musste sich vor Regen und Insekten schützen, nicht vor Kälte.

Bei dem Pferd, das bei der Hütte angeleint war, handelte es sich vielleicht um die Stute, deren Kauf auf dem magischen Dokument bestätigt wurde. Falls ja, hatte Bercain zu viel für sie bezahlt, aber das sagte ich ihm nicht. Wir halfen ihm, seine Habseligkeiten in die Satteltaschen zu stecken. Einiges luden wir auch unseren Packpferden auf, damit die Stute nicht so schwer zu tragen hatte. Dann führten wir die Pferde aus dem Dschungel heraus. Erst bei Einbruch der Dunkelheit erreichten wir wieder die Stelle, an der wir Bercain begegnet waren.

An dem Bach, der dort in der Nähe war, übernachteten wir. Am folgenden Morgen setzten wir unseren Weg fort, der nun in einem viele Meilen weiten, leichten Bogen nach Süden führte, um die Ausläufer der Wüste herum.

Fast eine Woche waren wir gemeinsam unterwegs. In dieser Zeit erfuhr ich einiges von Bercain über sein Leben und die Verhältnisse in den Ringlanden, zumindest was die Magische Akademie betraf.

Seit die Kurretherin Anghery die Position der Erzmagierin übernommen hatte, durfte niemand mehr eine abweichende Meinung äußern. Schon gar keine, die gegen die Kurrether gerichtet war. Innerhalb der Akademie hatten sich zwei Gruppen gebildet. Bercain nannte die eine dumme Karrieristen. Das waren die Adepten und Lehrer, die sich Vorteile davon versprachen, wenn sie zu ihrer neuen Herrin hielten. Mehr als Zweidrittel der Leute in der Akademie gehörten dazu.

Die übrigen verhielten sich konspirativ, gaben sich nach außen ebenfalls linientreu, schmiedeten jedoch eigene Pläne. Einer davon war die Entsendung von Magi in Regionen außerhalb des Ringgebirges. Selbstverständlich sagte man das nicht, sondern dachte sich sinnvolle Aufgaben in anderen Provinzen aus, um die Reise eines Magi dorthin zu rechtfertigten. Der verschwand dann unterwegs und suchte sich einen Weg über das Ringgebirge. Sei es mit Hilfe magischer Fähigkeiten über die gesperrten Passstraßen, sei es auf dem Seeweg, um von der Westküste des Kontinents aus nach Osten vorzustoßen.

Bercain blieb vage, als ich ihn fragte, wie er bis an den Rand der Wüste gelangt war. Er war über einen der Pässe gekommen, war jedoch nicht bereit, zu erzählen, wie er das geschafft hatte. Aufgrund seiner besonderen Fähigkeiten im Umgang mit Erdreich und Gestein konnte ich mir aber vorstellen, dass es für einen wie ihn gewisse Möglichkeiten gab, sich im Gebirge Wege zu bahnen.

Interessant und konkret wurde es, als wir über die Zukunft sprachen. Der Kampf der freien Völker gegen die Kurrether würde lange dauern, womöglich Generationen. Das wusste ich inzwischen von O’Praise - zumindest, dass die Ostraianer mit solchen Zeiträumen rechneten. Wie schätzten die Menschen in den Ringlanden die Situation ein?

„Über das, was außerhalb des Ringgebirges ist, weiß kaum jemand etwas“, berichtete Bercain. „Es hat sich herumgesprochen, dass es eine neue, achte Provinz gibt, in der das Leben leicht und frei sein soll. Aber die meisten Bürger fürchten genau diese Freiheit, weshalb sie sich ein eigenes Bild davon ausmalen. Das ergibt dann so etwas wie die Ringlande, nur dass jeder reich ist. Diese Vorstellung verfestigt sich mehr und mehr, besonders, weil der Wohlstand in unserer Heimat immer weiter sinkt.“

Gendra nickte zu dem, was Bercain sagte. Sie hatte die Ringlande früher als der Magi verlassen, teilte aber dessen Eindrücke. „Der Mangel an jungen, gut ausgebildeten Handwerkern, die zupacken können und auch wollen, hat sich bald bemerkbar gemacht“, berichtete sie. „Es fehlen genau diejenigen, die eine eigene Werkstatt eröffnen und diese erfolgreich leiten können. Ebenso sind von den Bauern vor allem jene mit den Auswanderern gegangen, die selbständig einen Hof führen können und energisch anpacken, wenn es sein muss. Von den Händlern ganz zu schweigen, denn wer von denen einen Sinn für Geschäfte hatte und etwas aufbauen wollte, gehörte zu den ersten, die gingen.“

„Zurückgeblieben sind die Helfer, die Alten und die Unmotivierten“, bestätigte der Magi. „Obwohl es natürlich auch von den anderen immer noch viele gibt. Aber diejenigen, die unternehmend sind, hart arbeiten, mehr tun als unbedingt notwendig, die werden nun durch die Kontrolleure und die Steuern ausgebremst. Jeder, der einen höheren Verdienst hat als ein Tagelöhner, muss das meiste davon abgeben. Es ist wohl verständlich, dass es niemanden gibt, der mehr tut, als erforderlich ist, um sich und seine Familie zu ernähren. Wozu auch?“

Wir ritten gut eine Stunde schweigend weiter, bevor Bercain wieder etwas sagte.

„Wann wird die achte Provinz den Ringlanden zu Hilfe kommen?“

Alle sahen mich an, weil ich der einzige war, der die neue Heimat kannte.

„In zwanzig Jahren, vielleicht in dreißig. Wenn die dort geborenen Kinder alt genug sind, um in den Kampf einzugreifen.“

„Sind die Familien kinderreich?“, wollte Gendra wissen.

„Und ob. Vier bis fünf sind die Regel. Das ergab sich von alleine, weil schon die Kleinen mithelfen, um die Familie zu erhalten. Was da heranwächst, ist eine robuste Generation, die von Anfang an gewöhnt ist an Mühe und Arbeit. Und daran, dass man selbst etwas tun muss, wenn man etwas erreichen will. Allerdings ...“ Ich zögerte.

„Was?“, fragte Bercain nach.

„Ich bin mir nicht sicher, ob diese Generation noch etwas mit den Ringlanden zu tun haben will. Für sie ist das die Heimat ihrer Vorfahren, die von ihren Eltern verlassen wurde. Eine ferne Gegend, in der Menschen leben, die zu träge sind, um sich gegen eine friedliche Invasion aufzulehnen. Die Kinder, die heute aufwachsen, werden sich fragen, ob es sich lohnt, für solche Menschen etwas zu tun. Die achte Provinz ist riesig, größer als die Ringlande. Man benötigt die alte Heimat nicht mehr. Auch deshalb, weil wir ja dafür gesorgt haben, dass das meiste, was die ringländische Kultur ausmacht, dort verfügbar ist.“

Gendra nickte und zählte auf: „Kopien von Kunstwerken, teilweise sogar die Originale. Bücher aller Art. Magische Artefakte, Aufzeichnungen von Sagen und Märchen. Dazu das schriftlich festgehaltene Wissen der Handwerksberufe und der übrigen gebildeten Schichten. Wer sich das alles aneignet, kann ein Land aufbauen, das den Ringlanden in vielem gleicht, aber frei ist.“

„Das besser ist, als das Original“, fasste ich zusammen. „Wir können nur hoffen, dass sie bereit sein werden, gegen die Kurrether vorzugehen. Vielleicht nicht aus Liebe zur alten Heimat, sonder aus demselben Grund, den die Ostraianer und die Askajdaner haben: Die Ringlande tragen einen wesentlichen Teil dazu bei, dass die Kurrether ihren Krieg gegen alle anderen Völker finanzieren können.“

Wieder ritten wir eine ganze Weile schweigend weiter.

Dann zeigte O’Praise nach rechts und links. „Eine lebensfeindliche Wüste, ein undurchdringlicher Dschungel. Dazwischen wir, unterwegs um Aufgaben zu erfüllen, die im großen Spiel der Welt lächerlich klein sind. Und die doch, nicht nur unserer Einschätzung nach, erledigt werden müssen. Wir erledigen diese Aufgaben nach bestem Können. Und warum? Nur zum Teil aus Einsicht in ihre Notwendigkeit. Denn wir alle haben das Gefühl, eine Pflicht erfüllen zu müssen. Jenseits von vernünftigen Überlegungen handeln wir. Meine Hoffnung ist es, dass die erste Generation, die in der achten Provinz erwachsen wird, ein ähnliches Pflichtgefühl zeigt.“

Gendra nickte. „Wünschen wir uns, dass das alles gut ausgeht und die Kurrether nicht eines Tages über die Welt herrschen. Die anderen Völker wären dann nur noch Sklaven, die für sie arbeiten.“

„Was werden sie tun, wenn es dazu kommt?“, überlegte Bercain laut.

„Wer?“, fragte ich begriffsstutzig zurück.

„Die Kurrether. Ihr Ziel ist es, alle Völker zu unterwerfen. Was, wenn es ihnen gelingt?“

Ich dachte darüber nach, bevor ich antwortete: „Sie werden sich gegenseitig zerfleischen, untereinander um die Macht kämpfen. Wenn sie die Welt beherrschen, wird es Regenten für die verschiedenen Länder oder sogar Kontinente geben. Und die werden sich mit allem bekämpfen, was sie haben, um noch mehr Macht zu erlangen.“

„Interessanter Gedanke“, sagte O’Praise. „Niemand weiß, welche Struktur die Herrschaft in der Heimat der Kurrether derzeit hat. Ob es einen König gibt oder einen gewählten obersten Herrscher. Aber egal, welche Regierungsform sie haben, wenn ihre maßlose Aggression sich nicht mehr nach außen richten kann - weil es kein noch nicht erobertes Außen mehr gibt - wird sie sich gegen ihr eigenes Volk richten.“

„Dabei ist das alles so unnötig“, sagte Magi Bercain. „Die Welt bietet genügend Platz.“

„Irgendwann wird die ganze Welt besiedelt sein“, widersprach Gendra.

„Das liegt noch Jahrtausende in der Zukunft. Schauen Sie sich um. Im Norden eine riesige Wüste, in der nur einige kriegerische Stämme leben. Mehr ernährt das Land dort nicht. Aber südlich von hier? Einige Eingeborenenstämme in einem Dschungelgebiet, das sich hunderte Meilen weit erstreckt. Vielleicht sogar ...“

„Rund eintausend Meilen weit nach Süden, wobei die Landschaft sich merklich ändert und zum Beispiel riesigen Tobacco-Plantagen weicht“, sagte O’Praise. „Und sechshundert Meilen weit nach Westen, von hier aus. Aber das sind nur geschätzte Werte. Von dem, was sich im Süden dieses Kontinents befindet, weiß selbst ich nur vom Hörensagen. Trotzdem haben Sie Recht: Alleine, um diesen Kontinent vollständig zu besiedeln, wären Millionen und Abermillionen Menschen erforderlich. Auch Ostraia ist halbleer, um es einmal so zu sagen, und der Rest des Kontinents nördlich davon wird gerade von einigen zehntausend ringländischen Auswanderern unter den Pflug genommen. Er ist weitaus größer als die Ringlande selbst.“

„Wie steht es mit Askajdar?“, wollte ich wissen.

„Dieser Kontinent ist eine Ausnahme. Er ist dicht besiedelt von verschiedenen Völkern, die aber alle miteinander verwandt sich und sich in Aussehen und Kultur von der übrigen Welt unterscheiden. Askajdar hat ein Gleichgewicht erreicht, das stabil ist: Es gibt kein Wachstum, weil kein Platz mehr vorhanden ist, aber die Menschen vermehren sich auch nicht weiter, als für den Erhalt der Bevölkerungszahl notwendig ist. Deshalb besteht keine Notwendigkeit, andere Kontinente zu besiedeln. Askajdar ist sich selbst genug.“

„Es wäre schön, wenn das für alle Völker gelten würde“, sagte ich.

„Das ist nicht möglich, weil manche von ihrer innersten Einstellung her herrschen wollen. Es gibt viele Gebiete auf der Welt, wie wir gerade festgestellt haben, die die Kurrether besiedeln könnten, ohne andere unterjochen zu müssen. Aber sie wollen Herrscher sein. Wie einst die Vorfahren der Ringländer.“ O’Praise sah mich nachdenklich an, bevor er fortfuhr. „Erst die zwangsweise Umsiedlung in das befriedende und träge machende Gebiet um den Berg Zeuth hat euch zu nicht so gewalttätigen Menschen gemacht. Vielleicht wird man dereinst mit den Kurrethern ähnlich verfahren.“

Ich lachte auf. Diese Vorstellung war zu komisch. Alle Ringländer würden ihre bisherige Heimat verlassen und durch Kurrether ersetzt, die dann dort ein träges und friedliches Leben führten.

Gendra hielt ihr Pferd an. „Ich muss euer philosophisches Gespräch unterbrechen. Was ist das dort?“ Sie deutete nach rechts, auf die fernen Dünen der Wüste.

Ich starrte in die angegebene Richtung und sah etwas aufblitzen. „Metall“, sagte ich. „Wo poliertes Metall ist, sind Menschen. Reiten wir hin?“

„Noch nicht“, sagte O’Praise und deutete nach Westen. „Zunächst warten wir auf die dort.“

Tatsächlich bewegten sich weit voraus einige dunkle Punkte auf dem Weg, dem wir folgten.

„Das sind Händler mit Eisenerz“, erklärte Bercain. „Ob das Glitzern in der Wüste etwas mit ihnen zu tun hat?“

„Wir bleiben hier und machen uns bereit, notfalls zu den Waffen zu greifen“, sagte ich. „Gendra und ich wissen uns zu verteidigen. O’Praise?“

Der dunkelhäutige Kartenmacher zog ein vergleichsweise kleines Messer heraus. „Ich habe einige von denen zum Werfen. Außerdem einen Dolch.“

„Können Sie damit umgehen?“, fragte ich skeptisch.

O’Praise lachte. „Gut genug, um tausende Meilen auf Reisen überlebt zu haben.“

„Das überzeugt mich. Magi Bercain, ich nehme an, um Sie brauchen wir uns keine Sorgen zu machen?“

„Wohl kaum. Allerdings werde ich absteigen. Auf dem Pferd sitzend nützt mir mein Stock als Waffe nicht viel.“

„Ich dachte eher an ihre magischen Fähigkeiten“, sagte ich. „Können Sie sich verteidigen?“

„Ja, aber ich setzte Magie nicht gerne im direkten Kampf ein. Wie schon gesagt, bin ich kein Feuermagier, sondern auf das Erdreich spezialisiert. Und das ist eine eher behäbige Materie, die sich weniger für blitzartige Aktionen eignet.“

„Ich werde ebenfalls absteigen“, sagte nun O’Praise. „Der Magi und ich werden unsere Reitpferde und die beiden Packpferde beiseite führen. Dann haben Sie beide, Gendra und Aron, mehr Platz auf dem Weg. Sie bleiben im Sattel, damit Sie schnell eingreifen oder jemanden verfolgen können.“

So vorbereitet blieben wir, wo wir waren, und sahen abwechselnd in die Wüste und nach Westen. Das Aufblitzen von Metall wiederholte sich nicht, während die Händler langsam näher kamen. Es war eine Kolonne von etwa zwanzig Maultieren, die von Menschen zu Fuß geführt und begleitet wurden. Eine langsame und umständliche Art, um schwere Lasten über eine weite Entfernung zu befördern.

Als die ersten Eselsführer in Rufweite waren, blieben sie stehen. Sie berieten sich und schickten dann einen einzelnen Mann zu uns. Eine Gefahr konnten sie in unserer kleinen Gruppe eigentlich nicht sehen, denn wir waren vier und sie mehr als zwei Dutzend. Aber vermutlich war es gerade die Art, wie wir mitten auf dem Weg standen und abwarteten, die sie misstrauisch machte.

Der Mann war mit einer Art Machete bewaffnet, die ohne Scheide an seinem Gürtel hing - eine gefährliche Angewohnheit, bei der man sich selbst verletzen konnte. Aber vielleicht hatte er sie nur mitgenommen, um nicht wehrlos zu wirken.

Er war mittelgroß und hager, das Gesicht wirkte wie gegerbt, so sonnenverbrannt war es. Zunächst musterte er Gendra und mich, dann Bercain und O’Praise, die mit unseren Pferden abseits standen.

„Wer seid ihr?“, fragte er.

„Reisende auf dem Weg zum Gebirge“, antwortete ich. „Und ihr?“

„Wir transportieren Erz zur Küste.“ Er überlegte einen Moment, bevor er hinzufügte: „Es ist nur Eisenerz. Ein Überfall bringt euch also nicht viel ein.“

„Warum lohnt sich dann der weite Transport?“, provozierte ich ihn.

Er zuckte mit den Schultern und antwortet: „Keine Ahnung. Jemand bezahlt dafür, also machen wir es. Geht aus dem Weg, damit wir weiterkönnen.“

„So viel Platz nehmen wir nicht ein“, sagte ich. „Übrigens, da ist jemand in der Wüste. Gehört der zu euch?“

Er sah zu den fernen Dünen hin und fragte: „Wo ist da jemand?“

„Er versteckt sich“, behauptete ich. „Ich habe etwas Metallisches aufblitzen sehen. Das kann nur von einem Menschen stammen.“

„Ach, der.“ Der Mann machte eine abfällige Handbewegung. „Ein Verrückter, der uns seit mehreren Tagen belästigt. Wir werfen Steine nach ihm, wenn er uns zu nahe kommt. Dann verschwindet er wieder für eine Weile. Er ist harmlos.“

„Von was lebt er?“, fragte ich. „In der Wüste gibt es weder Nahrung noch Wasser. Außer man kennt sich aus und findet eine Oase.“

„Wissen wir nicht. Wir staunen auch darüber. Vielleicht ist es eine Art von Magie, die ihn am Leben hält. Eigentlich müsste er längst tot sein. Wobei er fast schon aussieht, wie ein vertrockneter Leichnam.“

„Ist er bewaffnet?“, wollte Gendra wissen.

„Ja, er hat ein Schwert. Aber sein Geist ist so verwirrt, dass er damit nur herumfuchtelt, ohne recht zu wissen, was er damit anfangen soll. Schwert und Rüstung sind auch nicht mehr in gutem Zustand. Was ihr gesehen habt, war vermutlich die Vergoldung, die überall darauf ist. Der Kerl muss einmal ein reicher Mann gewesen sein.“

„Vergoldet?“ Ich sah Gendra an und wusste, dass sie denselben Gedanken hatte, wie ich: Das hörte sich nach einem Kurrether an.

„Wir werden nach ihm suchen“, sagte ich. „Vielleicht ist er ein Spion, der diesen Weg beobachtet.“

„Viel Glück“, wünschte uns der Mann. „Aber eigentlich ist es nicht nötig. Wenn ihr lange genug wartet, kommt er zu euch. Und jetzt müssen wir weiter.“ Er rief etwas zu seinen Begleitern und die trieben die Kette beladener Maultiere wieder an und kamen näher.

Ich ging zu Bercain, denn der Magier lebte schon länger hier.

„Haben Sie früher etwas von so einem geistig verwirrten Wüstenbewohner bemerkt?“, fragte ich ihn.

„Nein. Weder gehört noch gesehen. Was kein Wunder ist, wenn er die Händler mit dem Erz begleitet. Dann ist er jetzt erst in diese Gegend gekommen. Aber Sie haben Recht, er kann in der Wüste nicht lange überleben. Gibt es hier am Südrand eine Oase hinter den Dünen?“

Die Frage war an O’Praise gerichtet. Der nahm seine Umhängetasche und suchte darin herum, bis er eine gefaltete Karte fand, die zwischen vielen anderen ihrer Art steckte. Nach einem kurzen Blick darauf schüttelte er den Kopf. „Die nächste mir bekannte Oase liegt zwanzig Meilen nordwestlich an einer Karawanenroute, die selten benutzt wird.“

Wir sahen zu, wie die Maultiere vorbeizogen. Sie schienen nicht schwer beladen zu sein und standen gut im Futter. Vielleicht war beides nötig, damit sie die vielen hundert Meilen zwischen Gebirge und Küste bewältigen konnten. Sicherlich waren auch längere Pausen unterwegs notwendig, damit sie sich erholten. Außerdem musste genügend Kapazität vorhanden sein, um die Last auf andere Tiere umzuverteilen, falls eines von ihnen unterwegs verendete.

Die Treiber beachteten uns nicht weiter, aber am Ende des langen Zuges ritt ein Mann auf einem Esel. Er war besser gekleidet und hielt vor uns an.

„Ich bin Raktogan“, sagte er. „Handelsherr aus Tirgaj. Mein Auftrag lautet, Erz vom Gebirge zur Küste zu bringen, wie ihr bereits erfahren habt. Seid ihr Söldner, die nach Arbeit suchen?“

„Nein, wir sind auf dem Weg zum Perk-Gebirge“, antwortete ich. „Benötigen Sie die Dienste von Söldnern?“

„Man weiß nie“, sagte er vorsichtig. „Mein Treiber hat euch von dem Verrückten in der Wüste berichtet. Ein harmloser Kerl, dem die Sonne das Gehirn verbrannt hat. Aber wo einer ist, können mehr sein. Wenn ihr nachseht und mögliche Gefahren für uns beseitigt, wäre mir das ein Silberstück wert.“

Er nahm eine Münze aus der Tasche, warf sie hoch und fing sie wieder auf, damit wir sehen konnten, wie sie in der Sonne glänzte.

„Der Treiber sagte, man könne den Mann mit ein paar Steinwürfen vertreiben“, entgegnete ich.

„Ich sagte doch schon, dass ich wissen will, ob er alleine dort ist. Das kann eigentlich nicht sein. Also seht nach!“ Raktogan trieb seinen Esel an und folgte der langen Kette von Maultieren.

„Wenn es ein Kurrether ist, der sich dort herumtreibt, sollten wir tatsächlich nachsehen“, sagte Gendra. „Womöglich verstellt er sich und verfolgt den Weg des wertvollen Erzes. Der Händler und seine Leute scheinen nicht zu wissen, was genau sie transportieren, und das ist gut so.“

„Also reiten wir in die Wüste?“, fragte ich.

O’Praise und Bercain stimmten beide zu, allerdings war es in der Zwischenzeit Abend geworden. Wir beschlossen, ein Lager weiter südlich, zwischen dem Strauchwerk am Ausläufer des Dschungels einzurichten, während die Maultiere weiterzogen. Offenbar machten ihre Treiber erst Rast, wenn es ganz dunkel war.

Etwa eine Stunde später sahen wir in der Ferne ein großes Lagerfeuer, um das sich die Treiber versammelten.

Nachts hielten wir abwechselnd Wache, wie man es in abgelegenen Gegenden tun musste, aber es blieb ruhig. Am folgenden Morgen weckten uns noch vor Sonnenaufgang die fernen Rufe der Maultiertreiber, die ihre Tiere wieder beluden, um weiterzuziehen.

Bis wir unser Lager aufgeräumt und die Spuren so weit wie möglich beseitigt hatten, schien die Sonne bereits. Und in ihrem Licht sah ich wieder das verräterische Blinken in der Wüste, weit entfernt auf der Kuppe einer Düne. Von dort oben konnte man sicherlich gut den Weg der Maultiere verfolgen und auch uns sehen.

Wir ließen die Packpferde angeleint zurück und galoppierten zu viert los, auf dieses Ziel zu.

Als wir die ersten Ausläufer der Dünen erreichten, wurden wir langsamer. Wir suchten uns einen Weg in den Talsenken zwischen ihnen, wobei wir immer die Kämme im Auge behielten. Aber zunächst fanden wir keine Spur von dem Beobachter, den wir hier vermuteten.

Dann, nachdem wir die ersten haushohen Sanddünen hinter uns hatten, entdeckte ich einen dunklen Fleck, der sich langsam von uns wegbewegte. Wir ritten näher und sahen einen Mann, der sich mühsam die Seite einer Düne hochkämpfte, wobei er häufig abrutschte. Er bewegte sich, als sei er betrunken und bemerke gar nicht, auf was für einem Untergrund er sich bewegte. Immer wieder verlor er alles an Höhe, was er in den vergangenen Minuten erreicht hatte, ging aber an der gleichen Stelle wieder nach oben.

Als wir nahe genug waren, um ihn genauer zu erkennen, war eindeutig, dass es sich um einen Kurrether handelte. Seine abgerissene Kleidung, bestehend aus einer Lederrüstung und einem Hemd, musste einmal teuer gewesen sein. Die Knöpfe, soweit sie noch daran waren, glänzten golden, ebenso wie der Griff des Schwerts, das er in einer Scheide am Gürtel trug.

„Hallo!“, rief ich ihn an. „Wer sind Sie?“

Zunächst reagierte er nicht. Ich musste mehrfach rufen, während wir von den Pferden stiegen und langsam auf ihn zu gingen.

Schließlich drehte er sich um. Er sah fürchterlich aus. Sein Gesicht war eingefallen wie bei einem Verhungernden, die Haare hingen wirr von seinem Kopf. Das Erschreckendste an ihm waren aber seine Augenhöhlen. Denn die waren leer, die Augäpfel fehlten. Trotzdem starrte er uns an, als würde er uns sehen, und kam dann mit unsicheren Schritten auf uns zu.

Wir wichen zurück, so dass immer ein Sicherheitsabstand zwischen uns bestand.

Gendra räusperte sich, bevor sie vorbrachte: „Der Maultiertreiber sagte, der Mann sei ungefährlich.“

„Glaubst du, er versteht, was wir sagen?“, fragte ich.

„Zumindest hört er uns.“ Sie rief: „Bleiben Sie stehen! Wer sind Sie!“

Der Mann wankte weiter.

„Halt!“, brüllte ich nun, so laut ich konnte.

Diesmal reagierte er. Er hielt an und streckte uns in einer abwehrenden Geste die Arme entgegen. Seine Finger waren wie Krallen, die Fingernägel krumm und überlang. Sein Mund öffnete sich und ein helles Kreischen kam heraus.

Es hörte sich unmenschlich an, nicht um Hilfe bittend, sondern drohend. So zumindest kam es mir vor. Aber da er nun nicht mehr näherkam, blieben auch wir stehen.

„Ich glaube, ich habe von solchen Menschen schon einmal gehört“, sagte O’Praise. „Sie sind besessen, aber nicht von einem bösen Geist, sondern von einem ekelerregenden Monster der Wüste.“

„Was heißt das, besessen?“

„Angeblich gibt es eine Art von Würmern, die im Sand lauern. Ihre Opfer sind kleine Wüstentiere, nur selten wird ein Mensch von ihnen befallen. Vielleicht sind unsere Körper nicht so geeignet für sie. Sie sind klein und eigentlich ungefährlich - außer sie kommen mit nackter Haut in Berührung. Sei es, dass jemand barfuß geht, sei es, dass er sich mit den Händen abstützt, während er eine Düne hochklettert. Dann dringen sie durch die Haut in den Körper ein. Meist bekommt man dadurch nur einen Furunkel, der nach ein paar Wochen abheilt und eine Narbe zurücklässt. Aber manchmal gelingt es den Würmern, bis in das Gehirn ihrer Opfer vorzudringen. Sie fressen es auf und setzen sich und ihre Brut an seine Stelle.“

„Das hört sich bestialisch an und kann nicht stimmen“, sagte Bercain. „Ein Mensch kann ohne Gehirn nicht leben.“

„Wie gesagt, angeblich übernehmen diese Würmer die Stelle des Gehirns. Sie versuchen, den Körper zu steuern, was ihnen aber nur schlecht gelingt. Außerdem fressen sie ihn von innen her weiter auf, sie übernehmen dabei die Funktion der Muskeln und Organe. Deshalb können Menschen, die von diesen Unwesen befallen sind, nicht normal sterben. Sie sind zum Schluss nur noch eine Hülle aus Haut, deren Inneres aus Würmern besteht.“

„Sind sie gefährlich?“, fragte ich und behielt den schwankenden Kurrether scharf im Auge. Er machte keinen Schritt mehr auf uns zu.

„Ich weiß es nicht. Jedenfalls kann man sie nur töten, indem man sie verbrennt. Ansonsten fallen sie eines Tages einfach um, wenn die Würmer das gesamte Innere des Körpers bis auf die Knochen gefressen haben. Dann werden sie gefährlich, weil sie unzählige Eier legen. Aus denen kommen neue winzige Würmer hervor und suchen nach einem Opfer. Der Kreislauf beginnt von vorne.“

„Warum verfolgt er die Maultiere mit dem Erz?“, wollte ich wissen.

„Vielleicht ist noch ein Rest Gehirn im Schädel dieses Mannes, das ihm sagt, dass er ein Mensch ist, und er will zu seinesgleichen.“

„Und nun?“ Ich sah O’Praise fragend an.

„Ich weiß nicht. Sollen wir ihn überwältigen und verbrennen?“

„Ich bin dagegen“, sagte Gendra. „Wir jagen ihn weiter in die Wüste hinein. Wenn er niemanden angreift, müssen wir ihn nicht töten. Noch dazu nur aufgrund einer Vermutung, denn einen Beweis für Ihre Annahme haben Sie offenbar nicht, Kartenmacher.“

„Ich habe nur einmal davon gehört, am Lagerfeuer eines Stammes der Wüstenkrieger. Es war eine von vielen Geschichten über die Gefahren der Wüste, mehr nicht.“

Mit lautem Gebrüll gingen wir näher an den Mann heran. Er wich zurück, wandte sich schließlich um und versuchte wieder, den Hang der Düne hochzuklettern, dasselbe Unterfangen, bei dem wir ihn schon beobachtet hatten. Diesmal strengte er seine Kräfte mehr an und er schaffte es. Oben drehte er sich um und sah zu uns herunter, als wolle er sehen, ob wir ihm folgten. Ich glaubte, einen dünnen, weißen Faden aus seinem linken Auge ringeln zu sehen, der sich dann wieder zurückzog. Aber er war schon zu weit weg, vielleicht war das nur Einbildung.

Über den Kamm der Düne entschwand er unserem Blick.

Wir ritten zurück zum Weg.

„Zweifellos war es ein Kurrether“, sagte ich unterwegs. „Das kann bedeuten, dass noch mehr von ihnen hier in der Gegend sind.“

„Hätten die sich dann nicht um ihn gekümmert?“, fragte Bercain.

„Wer weiß“, sagte ich. „Vielleicht gehörte er zu einem Erkundungstrupp und ist der einzige Überlebende, sozusagen.“

Die Maultiere waren unserem Blick entschwunden. Wir setzten unseren Weg nach Westen fort, auf das ferne Gebirge zu.

Pentray

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