Читать книгу Pentray - Manfred Rehor - Страница 7

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4 Das Dorf

Gendra ritt schweigend vor uns her, seit Stunden schon. Nun hielt sie ihr Pferd an und wartete, bis wir sie eingeholt hatten.

„Mir geht ein Gedanke nicht aus dem Kopf“, sagte sie. „Ich erzähle ihn euch und ihr sagt mir, ob es völliger Unsinn ist.“

„Fang an!“, ermunterte ich sie.

Während wir langsam weiterritten, begann Gendra: „Es geht um diese Wesen, die den Kurrether befallen haben. O’Praise, Sie sagten, Menschen fallen ihnen nur selten zum Opfer, unsere Körper seien wahrscheinlich nicht so gut geeignet für diese Parasiten.“

„So habe ich es in Erinnerung“, bestätigte der Kartenmacher. „Aber ich weiß das alles nur vom Hörensagen.“

„Die Wesen haben sich aber in dem Kurrether eingenistet. Könnte es sein, dass seine Art anfälliger dafür ist?“

„Wer kann das schon wissen?“, fragte ich. „Worauf willst du hinaus?“

„Es gibt diese Stämme der Wüstenkrieger in der dreihundert Meilen durchmessenden Wüste, in deren Zentrum eine große Stadt liegt, Kherdanai. Das sind zusammen Zehntausende Menschen, und trotzdem hat nur einer von uns etwas über diese Parasiten erfahren. Das bedeutet, der Befall durch sie muss außerordentlich selten sein. Andererseits kommen höchstens vereinzelt Kurrether in diese Wüste. Und trotzdem ist einer von ihnen den Würmern zum Opfer gefallen. Das ist doch ausgesprochen unwahrscheinlich, oder?“

„Na, und?“ Ich verstand noch nicht, worauf sie hinaus wollte.

„Es wäre die perfekte Waffe“, sagte Gendra nach einer Pause. „Ein Parasit, der nur für Kurrether gefährlich ist. Wenn wir einige die Eier dieser Wesen finden und ...“

Magi Bercain hielt sein Pferd an und rief: „Das ist der hinterhältigste Gedanke, den ich je gehört habe!“

O’Praise dagegen lachte. „Warum? Es ist eine Waffe, die den Gegner tötet. Jeder von uns trägt eine tödliche Waffe an seinem Gürtel, und zumindest Gendra, Aron und auch ich haben sie bereits gegen Menschen eingesetzt.“

„Trotzdem“, sagte der Magi. „Einen Feind absichtlich mit einer Krankheit zu infizieren, das ist ...“

„Wie das Vergiften eines Brunnens“, sagte der Kartenmacher. „Ein anständiger Mensch tut es nicht, auch nicht im Krieg. Aber wenn es ums Überleben geht, wenn es heißt, die Anderen oder ich, dann ist jede Waffe erlaubt. So jedenfalls sehen es alle Völker außerhalb der Ringlande.“

„Wer Brunnen vergiftet, tötet damit auch Kinder und Alte“, sagte Gendra. „Aber in den Ringlanden gibt es keine kurrethischen Kinder, und Alte auch nur, solange sie noch eine Funktion als Räte übernehmen können. Es würde also nur Gegner treffen, die wir wirklich loswerden wollen.“

„Alles, was wir über diese Parasiten wissen, haben wir von O’Praise gehört“, wandte ich ein. „Es muss nicht stimmen. Wir wissen nicht einmal, ob der Mann, den wir in der Wüste gesehen haben, wirklich von ihnen befallen worden ist. Vielleicht hat er nur in der Hitze seinen Verstand verloren. Außerdem, wer sollte die Eier dieser Wesen unter Kontrolle halten, damit sie nicht die falschen Menschen infizieren? Man müsste das ausprobieren, Versuche durchführen, die schiefgehen können. Nein, das kommt nicht in Frage!“

Doch so leicht war Gendra nicht zu überzeugen. „Wir könnten zurückreiten und abwarten, bis der Mann stirbt. So, wie er wirkt, kann es nur noch Tage dauern. Dann sammeln wir die Parasiteneier ein. Wenn wir sie sicher verwahren, vielleicht in einem Gefäß, das Magi Bercain mit einem besonderen Spruch versiegelt, können wir sie mitnehmen und von einem Heiler untersuchen lassen. Der müsste uns sagen können, ob und wie man sie einsetzen kann.“

Die Versuchung war groß, dem nachzugeben. Eine Möglichkeit, alle Kurrether sterben zu lassen, ohne die eigene Bevölkerung dabei zu gefährden - das klang wie die Erfüllung eines heimlich gehegten Wunsches. Aber etwas in mir wehrte sich dagegen. Einen Feind im Kampf von Angesicht zu Angesicht mit dem Degen zu töten, fiel mir nicht schwer. Ich hatte es oft genug getan. Aber dieses heimtückische Ermorden aller, das konnte nicht ehrenhaft sein. Das sagte ich auch.

„Heimtückisch?“, entgegnete Gendra. „Wie nennst du dann das, was die Kurrether in den Ringlanden tun? Sie stehlen unter der Hand den Reichtum des Landes und benehmen sich dabei so, als seien sie in Wahrheit Wohltäter. Selbst jetzt, wo sie ihr wahres Gesicht zeigen, indem sie die Passstraßen absperren und ein mörderisches Spitzelsystem einrichten, verhalten sie sich noch so, als müssten wir ihnen dafür dankbar sein.“

Ich rang mich zu einer Entscheidung durch und sagte: „Trotzdem: Wir tun es nicht! O’Praise, zeichnen Sie den genauen Ort, wo wir den Mann gesehen haben, in Ihre Karten ein.“

„Ist bereits geschehen.“

„Dann machen Sie bitte eine Kopie davon, die ich mitnehme. Ich werde sie Fürst Borran vorlegen, sobald ich ihn in den Ringlanden treffe. Soll er entscheiden, ob man dieses Mittel im Kampf gegen die Kurrether einsetzen darf oder nicht.“

Gendra war damit nicht einverstanden, aber da Bercain und O’Praise meinen Vorschlag unterstützten, gab sie schließlich nach. In Gedanken versunken setzten wir unseren Weg fort.

Wir waren weiterhin nicht direkt nach Westen unterwegs, weil die Wüste sich nach Süden ausdehnte. Aber bald würden wir den Punkt erreichen, an dem sie begann, zurückzuweichen. Der Dschungel zu unserer Linken folgte dieser magisch herbeigeführten Landschaftsform und blieb immer im selben Abstand. Die Distanz zwischen den ersten Dünen im Norden und den ersten hohen Bäumen im Süden war überall fast auf einen Schritt genau derselbe, jedenfalls kam es mir so vor. O’Praise bestätigte das. Er ritt manchmal sogar in die Wüste hinein und dann in die andere Richtung, um die so festgestellten Entfernungen in seine Karten einzutragen.

„Was spielt das eigentlich für eine Rolle, ob es etwas mehr oder weniger ist?“, fragte ich ihn irgendwann. „Die freie Fläche ist breit genug, um die Transporte zwischen Gebirge und Küste passieren zu lassen.“

„Das ist richtig“, sagte er. „Das ist sie heute. Aber mein Werk ist nicht nur für die Gegenwart bestimmt. Ich arbeite auch für die Zukunft. Menschen werden sich eines Tages fragen, ob die Landschaft sich verändert. Dann können sie die Entfernungen messen und mit meinen Karten vergleichen. Nur so kann man zum Beispiel feststellen, ob sich die Wüste langsam ausdehnt oder in ihrer Größe gleich bleibt. Dasselbe gilt für den Dschungel. Außerdem erfasse ich die Zusammensetzung der Pflanzenwelt und die Tierarten. Auch dabei geht es vor allem darum, dass man langfristige Veränderungen erst erkennen kann, wenn man Aufzeichnungen aus früheren Zeiten hat.“

„Gibt es solche Aufzeichnungen bereits?“, wollte Gendra wissen.

„Wenige von diesem Kontinent. In Ostraia existieren allerdings Archive, die viele Jahrhunderte zurückreichen. Es ist immer interessant, dort in den alten Unterlagen zu wühlen.“

„Was haben Sie dabei festgestellt?“, fragte ich. „Auch Dinge, die die Ringlande betreffen?“

„Wie gesagt, gibt es darüber wenige Aufzeichnungen. Die Ostraianer haben in ferner Vergangenheit das Gebiet innerhalb des Ringgebirges erkundet, bevor sie eure Vorfahren dort ansiedelten. Es gibt einige interessante Unterschiede zur heutigen Zeit, an denen man erkennen kann, wie die Besiedlung ablief. Allerdings war ich nie selbst in den Ringlanden, sondern weiß nur durch Kontakte mit dortigen Kartenmachern darüber Bescheid.“

„Erzählen Sie!“, forderte ich ihn auf.

„Man hatte erwartet, dass die neu angesiedelten Menschen als erstes Wälder roden, um Platz für Felder und Weideflächen zu schaffen“, begann er. „Dem war aber nicht so. Sie verließen sich auf die Jagd und das Fischen. Statt eine zuverlässige Selbstversorgung aufzubauen, hat man zunächst das Ringgebirge nach nutzbaren Erzen abgesucht. Eisenerz und Kohle waren nicht schwer zu finden, weil noch nie jemand sie abgebaut hatte. Man errichtete Schmelzen und Schmieden und begann, Waffen herzustellen. Eure Vorfahren waren immer schon hervorragende Handwerker. Wahrscheinlich einst sogar die besten der Welt, was ihnen auch in den vielen Kriegen geholfen hat. Erst, als jeder ein Schwert hatte und man sich bekämpfen konnte, besann man sich darauf, dass jagdbares Wild nicht unbegrenzt vorhanden war. Außerdem hatte man in den ersten Wintern bemerkt, dass in einigen Gegenden ziemlich raues, kaltes Wetter herrschte. Nun erst, die Berichte sagen es sei im zwanzigsten Jahr gewesen, gründete man Städte. Dabei waren sich die Menschen uneins, wo sie siedeln sollten. Sie verstreuten sich, anstatt gemeinsam etwas aufzubauen. Deshalb dauerte es weitere Jahrzehnte, bis niemand mehr hungerte und jeder ein Zuhause hatte.“

„Wahrscheinlich hat der Einfluss des Zeuth so lange gebraucht, um die Menschen zu befrieden“, warf ich ein.

„Man weiß es nicht. Jedenfalls entstanden mehrere Siedlungen, die weit auseinander lagen. Einige wurden später aufgegeben, die übrigen bildeten die Ausgangspunkte für die Gründung der sieben Provinzen.“

„Das ist interessant, aber was hat das mit der Arbeit eines Kartenmachers zu tun?“, fragte Gendra ungeduldig.

„Diese Geschichte beantwortet die Frage, warum die Hauptstädte der Provinzen der Ringlande dort liegen, wo sie heute sind“, antwortet O’Praise. „Ich finde es wichtig, das zu wissen, denn es gibt eigentlich in jeder Provinz Stellen, die besser für eine große Stadt geeignet wären. Außerdem erklärt es, warum es sieben Provinzen gibt, die sich weitgehend unabhängig voneinander entwickelt haben. Jeder Ringländer weiß, dass jemand aus Kerrk einen anderen Charakter hat, als jemand aus der Hafenstadt Kethal oder als ein Pferdezüchter aus Pregge. Aber warum ist das so, obwohl eure Vorfahren gleichzeitig in die Ringlande kamen und sich kaum voneinander unterschieden?“

„Kennen Sie die Antwort?“

„Es ist so, weil die ersten Städte so weit von einander entfernt waren, dass man zunächst kaum Kontakt miteinander hatte. Vermutlich für Jahrhunderte. Das genügte, um den Charakter ganzer Bevölkerungsgruppen zu formen, entsprechend der Landschaft, in der sie lebten. Ein Matrose an der Küste denkt und redet anders, als ein Waffenschmied aus dem bergigen Krayhan.“

„Und was ist mit Dongarth?“, fragte ich. „Wann wurde die Hauptstadt gegründet?“

„Als man die Konflikte zwischen den wachsenden sieben Provinzen befriedete, indem die Fürsten einen König wählten. Keine Provinz sollte den Vorteil haben, dass die Königsburg in ihrem Territorium steht. Also hat man sie ins Zentrum der Ringlande gebaut und das Gelände in der Umgebung dem Königshaus als Besitz gegeben.“

„Wie wurde die Stadt besiedelt?“, fragte Gendra. „Ich meine, wie kam die Bevölkerung dorthin? Schließlich ist Dongarth heute mit Abstand die größte Stadt der Ringlande.“

„Zunächst holte man viele Bauarbeiter, um die Burg zu bauen, und ein Teil von ihnen blieb vor Ort. Das Königshaus benötigte Diener und Soldaten. Außerdem hat man bald erkannt, dass wichtige Einrichtungen wie der Tempel des Einen Gottes oder die Magische Akademie des Zeuth nicht in einer Provinzhauptstadt sein sollten. Das hätte dem dortigen Fürsten einen Vorteil gegenüber den anderen verschafft. Deshalb wurden sie ebenfalls in Dongarth neu errichtet. Die Bauarbeiten zogen weitere Handwerker an, die Bedürfnisse von Königshaus, Akademie und Tempel dann einige Händler, und so ging es weiter.“

Ich sagte lachend: „Zumindest widerlegt das die Behauptung, Dongarth habe das Gesindel aus den ganzen Ringlanden angezogen und sei deshalb so groß geworden.“

„Ganz und gar nicht“, widersprach O’Praise mit ernstem Gesicht. „Je größer eine Stadt wird, desto mehr Möglichkeiten bietet sie, sich unehrlich zu verhalten. In einem Dorf kennt jeder jeden, da kommt man damit nicht so ohne weiteres durch. Aber in Dongarth? Da taucht man in der Menge unter und keiner kümmert sich darum, was man angestellt hat. Ein interessantes Phänomen, das aber nicht in das Wissensgebiet eines Kartenmachers fällt, das gebe ich zu.“

Magi Bercain hatte schweigend zugehört. Nun fragte er: „Ist das in anderen Ländern anders?“

„Nein“, gab O’Praise zu. „Ob Ostraia oder Askajdar, die großen Städte entwickeln sich immer zu einem Sammelbecken, in dem es mehr unehrliche Charaktere gibt als auf dem Land.“

„Das beruhigt mich. Und wie steht es mit der Heimat der Kurrether?“

„Niemand weiß es, weil nie jemand dort war. Oder zumindest ist noch kein Reisender lebend zurückgekehrt.“

„Das ist doch ein ideales Ziel für einen Kartenmacher“, sagte ich augenzwinkernd. „Wann fahren Sie los, O’Praise?“

„Sobald die Kurrether besiegt sind“, antwortete er.

Unter solchen Gesprächen verging die Zeit, bis wir einige Tage später in der Ferne das Gebirge aufragen sahen. Wir begegneten weder Menschen noch wilden Tieren, bis auf einige Antilopen, die am Rand des Dschungels lebten und von denen wir welche erlegen konnten. Das frische Fleisch bot eine willkommene Abwechslung in unserer Kost, die ansonsten aus Trockenfleisch und hartem Brot bestand.

„Von nun an führt uns der Weg Richtung Nordwesten, weil die Wüste vor dem Gebirge zurückweicht“, sagte O’Praise. „Bald steigt auch das Gelände an, wie ihr es dort schon sehen könnt. Auch der Dschungel endet. Wir kommen in ein Gebiet, das zunächst karg und wenig bewachsen ist, aber zunehmend bewaldet wird, je höher es ansteigt. Das ist der dunkle Streifen am Horizont.“

„Lebt dort jemand?“, fragte ich.

„Nur direkt am Gebirgsrand. Dort gibt es Holzfäller, Jäger und Bauern. Sie versorgen die Arbeiter in den Erzminen. Es gibt auch einige Dörfer, weil manche Minenarbeiter Familien haben.“

„Wer arbeitet dort?“, wollte ich wissen. „Sicherlich keine Ringländer.“

„Nein. Es ist eine undurchschaubare Mischung von Menschen aus vielen Teilen der Welt. Die Ostraianer haben die Minen angelegt und einige von ihnen sind noch dort. Vor allem Techniker, die den weiteren Vortrieb der Stollen überwachen. Es gibt Eingeborene, die aus den Tobacco-Plantagen weit im Süden geflohen sind und nun hier nicht als Sklaven, sondern gegen Bezahlung arbeiten. Manche sind bereits seit mehreren Generationen hier, die Urenkel ehemaliger Sklaven. Auch von der Küste, aus Marlik und Tirgaj, hat es welche hierher verschlagen, ebenso wie vereinzelte Bürger des neuen Kaiserreichs auf den fünf Inseln. Eben Menschen jeder Art, denen ihre Heimat zu eng war, die aus welchen Gründen auch immer fliehen mussten oder die ein Leben weitab jeder Stadt bevorzugen. Dazu kommen ehemalige Söldner jedweder Herkunft, die den Schutz der Minen gegen wilde Tiere übernommen haben.“

„Gibt es auch andere Gefahren?“, fragte Gendra. „Etwa durch Räuber, die es auf das wertvolle Erz abgesehen haben?“

„Niemand in den Minen weiß, dass es sich nicht um gewöhnliches Eisenerz handelt. Bis auf einige der Ostraianer, natürlich. Wir sollten das auch tunlichst verschweigen.“

Da ich einen der alten Kaiserdegen trug, interessierte mich noch eine andere Frage: „Sie haben Menschen aus dem Kaiserreich erwähnt. Bezogen die früher auch das Erz für ihre besonderen Waffen von hier?“

„Soweit ich weiß, nicht. Es muss ähnliche Vorkommen weit im Norden des Kontinents geben. Allerdings findet man diese Erzsorte nicht in Ostraia oder Askajdar. Das weiß ich sicher. Wobei die Askajdaner eine eigene Waffentechnik entwickelt haben, die moderner ist, als das, was wir kennen. Aber ihre Waffen wirken nicht gegen magische Wesen, das ist ein Nachteil.“

„Und das neue Kaiserreich auf den Inseln?“, hakte ich nach.

„Bekommt das Erz von hier, oder gleich fertige Waffen aus Ostraia.“

„Sie sind ein Mann, der auf vielen Gebieten bewandert ist“, sagte Magi Bercain nach einer Pause. „Sollten Sie jemals den Kurrethern in die Hände fallen, so könnten Sie unter Zwang mehr Geheimnisse verraten, als Dutzende andere Menschen aus allen Kontinenten zusammen.“

„Ganz so ist es nicht, aber sicherlich würden sie vieles erfahren, das sie noch nicht wissen.“ O’Praise wirkte für einen Moment nachdenklich. „Dass sie mich nicht jagen, bedeutet, sie haben noch nicht von mir gehört. Und so soll es bleiben. Hoffen wir das Beste. Nun müssen wir dort entlang.“

Da er nach Südwesten zeigte, fragte ich: „Bedeutet das nicht einen Umweg?“

„Ja, aber es gibt keine direkte Verbindung von hier zu den Minen. Ein reißender Fluss kommt von den Höhen herab, den man nicht überqueren kann. In ihm sammeln sich all die Bäche, die vom Gebirge kommen.“

„Wo fließt er hin?“, fragte Gendra.

„In die Wüste, wo er spurlos versickert.“

„Dann kann er nicht besonders viel Wasser mit sich führen“, sagte ich. „Warum kann man ihn trotzdem nicht überqueren?“

„Es ist ein reißender Strom, wie schon gesagt, breit und tief“, sagte O’Praise. „Weiter oben, wo er noch schmal ist, gibt es eine Brücke. Warum er sich in der Wüste binnen einer Meile in Nichts auflöst, weiß niemand. Vielleicht ist Magie im Spiel.“

„Oder er fließt unterirdisch weiter“, schlug Gendra vor. „So etwas gibt es.“

„Wenn er weiterfließt, müsste er irgendwo wieder an die Oberfläche kommen“, wandte Magi Bercain ein.

„Womöglich speist der Strom den Danai-See im Zentrum der Wüste“, schlug ich vor. „Niemand weiß, woher der sein Wasser bekommt. Er wird nicht kleiner, obwohl in der Hitze viel Seewasser verdunstet.“

O’Praise sah mich verblüfft an. „Das muss die Lösung des Rätsels sein! Von zwei Rätseln, sogar. Danke für diesen Einfall, ich werde ihn gleich notieren.“

Das tat er, dann ritten wir weiter.

Es dauerte noch einmal drei Tage, bis wir weiter oben die Eingänge von Stollen im Gebirge sahen. Wir befanden uns in hügeligem Gelände, dessen Senken von dichtem Wald bewachsen waren. Allerdings nicht von Dschungel, sondern von normalem Laubwald, wie ich ihn aus den Ringlanden kannte. In noch größerer Höhe wuchsen Nadelbäume, ganz wie es zu erwarten war. Die Natur verhielt sich hier nicht anders als in anderen Teilen der Welt.

„Das sind alte Bergwerke, die längst ausgebeutet sind“, erklärte O’Praise. „Je weiter nach Süden man kommt, desto geringer wird die Erzmenge, die man findet. Deswegen hat man die neueren Minen nördlich von hier ins Gestein getrieben. Morgen treffen wir dort ein.“

„Wer wohnt in dem Dorf dort, wenn die Minen nicht mehr in Betrieb sind?“, fragte Magi Bercain und deutete voraus. Da wir über die Kuppe eines Hügels ritten, hatten wir weite Sicht. Trotzdem waren uns bisher die Häuser nicht aufgefallen, die eine halbe Meile entfernt am Waldrand standen.

„Es ist unbewohnt“, sagte O’Praise. „Hier in der Gegend gibt es mehrere Dörfer, die im Laufe der Zeit verlassen wurden, weil die Arbeitsplätze der Minenarbeiter immer weiter nach Norden verlegt wurden.“

„Es ist bald Abend“, sagte ich. „Sehen wir uns das Dorf an. Vielleicht können wir dort bequemer übernachten als im Freien.“

Natürlich war der erste Gedanke, den wir vermutlich alle hatten, dass verlassene Häuser oder gar Dörfer unangenehme Besucher anzogen. Trotzdem waren wir auf das, was uns erwartete, nicht vorbereitet.

Wir ließen die Pferde vor dem ersten Haus zurück und gingen langsam in den Ort hinein. Die Waffen hielten wir in Händen, bereit, auf alles einzuschlagen, was sich zeigte.

Als erstes entdeckte ich ein kleines Mädchen in einem weißen Kleid, das kurz um die Ecke einer Holzhütte blickte. Es sah uns, winkte und verschwand wieder.

Wir blieben ruckartig stehen.

„Ist der Ort noch bewohnt?“, fragte ich O’Praise leise. Unwillkürlich wagte ich es nicht, laut zu sprechen, ohne dass ich hätte sagen können, warum.

„Nicht nach dem, was man mir darüber erzählt hat“, antwortete er. Auch er flüsterte.

„Ich gehe voraus, ihr gebt mir Deckung“, schlug ich vor, weil Gendra und Magi Bercain schwiegen.

Langsam ging ich auf die Holzhütte zu. Sie war einfacher gebaut als die Häuser, die ich weiter hinten sehen konnte. Vermutlich hatte sie als Schuppen gedient, als hier noch Bergarbeiter lebten.

An der Ecke streckte ich vorsichtig den Kopf vor. Eine schmale Straße führte durch den Ort hindurch, nicht gepflastert, sondern nur aus festgetretenem Lehm. Links und rechts davon standen Wohnhäuser, wie man sie auch in den Ringlanden in einfachen Bauerndörfern sah. Sie waren nicht verfallen, allerdings sahen sie auch nicht aus, als würde sich jemand um sie kümmern. Soll heißen, die Türen und Fenster waren intakt und verschlossen, aber das Glas der Fenster war undurchsichtig vor Schmutz und von den Türen blätterte die Farbe ab. Dass man Glasfenster verbaut hatte, sprach für einen gewissen Wohlstand.

Alles sah unbelebt aus. Bis auf eine einzelne Blüte, die mitten auf der Straße lag. Groß und länglich geformt, ähnlich den kurzlebigen Blumen, die ich in Dschungeln gesehen hatte. Hier, in diesem Dorf umgeben von einem lichten Laubwald, fiel sie sofort auf, weil sie nicht hierher passte.

Die Tür der Holzhütte war nur angelehnt. Ich drückte sie auf und sah hinein. Drinnen standen einige offene Kisten, die leer waren. Ein Haufen Sackleinen lag in einer Ecke. Alles war von Staub bedeckt, auch der Boden. Dort sah ich kleine Abdrücke von nackten Füßen. Ich hatte mir das Mädchen also nicht eingebildet. Die Fußabdrücke befanden sich nur im Bereich der Tür, als habe das Mädchen sich hier kurz aufgehalten, sei dann aber wieder hinaus gegangen, bevor ich um die Ecke kam. Nun versteckte es sich irgendwo anders.

Ich ging weiter, auf das erste Wohnhaus zu. Auf dem Weg konnte ich keine Fußabdrücke erkennen, auch nicht Abdrücke von Stiefeln, Pferdehufen oder Wagenrädern. Der Boden schien seit vielen Jahren unberührt.

Irgendwo wurde eine Tür zugeschlagen. Ich fuhr herum und starrte in diese Richtung, sah aber keinen Menschen. Langsam ging ich weiter, nachdem ich mich mit einem Blick nach hinten versichert hatte, dass meine drei Begleiter noch in der Nähe waren. Sie fühlten sich unwohl und standen enger beisammen, als es bei einem plötzlichen Angriff gut gewesen wäre.

Aus den Augenwinkeln sah ich eine Bewegung rechts von mir. Ich schnellte herum, den Degen ausgestreckt. Aber es war nur eine graue Katze, die vor einer Tür saß und sich das Fell leckte. Sie war einen Moment zuvor nicht dort gewesen, da war ich mir ganz sicher. Und die Tür hatte sich ebenfalls nicht geöffnet, das hätte ich gesehen.

Vorsichtig ging ich auf das Tier zu. Es bemerkte mich, stand aber nicht auf, sondern sah mir nur interessiert entgegen. Als ich noch zwei Schritte entfernt war, stand sie auf, machte einen Katzenbuckel und streckte den Schwanz in die Höhe. Dann sprang sie mit einem gewaltigen Satz in meine Richtung. Ich hieb mit dem Degen nach ihr, um zu verhindern, dass ihre Krallen mich erreichten. Aber sie schien mitten in der Luft ihre Richtung zu ändern. Einen Fingerbreit von meiner Klinge entfernt flog ihr Körper nach rechts, sie kam auf allen vieren auf und rannte davon.

„Was war das?“, hörte ich Gendras Stimme hinter mir.

Bercain antwortete: „Magie. Allerdings kann ich keine magische Aura in unserer Umgebung spüren. Wir müssen vorsichtig sein.“

Ich hätte beinahe gelacht. Noch vorsichtiger? Bevor wir in eine Falle liefen, die uns das Leben kosten konnte, sollten wir eigentlich dieses Dorf verlassen. Trotzdem ging ich weiter, hinter der Katze her, die längst meinem Blick entschwunden war. Ich erreichte den Dorfplatz, der auch nur eine weite Fläche aus festem Lehm war. In seiner Mitte befand sich ein Brunnen mit einer Winde und einem Eimer. Der Eimer war nass.

Ich drehte mich einmal um mich selbst und sah die Häuser an, die um den Platz standen. Außerdem sah ich genauer auf den Boden in der Hoffnung, eine Spur aus Wassertropfen zu entdecken, die vom Brunnen wegführte. Aber die Häuser machten alle einen unbewohnten Eindruck und Spuren sah ich auch keine.

„Dort!“, hörte ich O’Praise hinter mir rufen.

Ich sah, wie er mit ausgestreckten Arm schräg nach oben zeigte. Ich hatte mich zu sehr auf den Boden konzentriert und das Wichtigste verpasst. Denn auf dem Dach eines der Häuser stand ein Junge. Er war etwas größer als das Mädchen, einfach gekleidet, und hielt sich am Schornstein fest. So sah er zu mir herunter, winkte, ging um den Schornstein herum und verschwand meinem Blick.

Ich rannte zu dem Haus, stieß die Tür auf und starrte ins Innere. Der Boden war mit Staub bedeckt, und in diesem Staub waren keine Fußabdrücke zu sehen. Trotzdem ging ich hinein, fand eine Treppe in den ersten Stock und dort eine Leiter, die hoch unter das Dach führte. Dort hatte man offenbar früher einmal Dinge gelagert, die man selten benötigte. Ein Kochtopf aus Gusseisen lag zwischen rostigem Werkzeug und Stoffbündeln. Eine weitere Leiter führte durch eine Klappe hinauf auf das Dach. Überall lag Staub, nirgendwo sah ich einen Hinweis darauf, dass in den letzten Jahren Menschen hier gewesen waren.

Ich drückte die Dachluke auf und kletterte hinaus. Von oben konnte ich weit in die Umgebung sehen, auch hinunter auf den Dorfplatz, wo meine drei Begleiter standen. Aber den Jungen sah nicht. Wohin auch immer er verschwunden war, er hatte nicht den Weg durch die Dachluke in das Haus genommen. Konnte er fliegen?

Nachdem ich wieder unten bei meinen Freunden war, sagte ich: „Wir verlassen das Dorf und gehen weiter nach Norden. Und zwar sofort, die Sonne geht schon unter. Wenn wir bei den Minenarbeitern sind, können wir sie fragen, welcher Spuk sich hier eingenistet hat.“

O’Praise stimmte zu, ebenso Magi Bercain. Ich sah Gendra an. Sie hatte den Kopf schief gelegt und schien auf etwas zu lauschen.

„Was ist?“, fragte ich.

„Hörst du es nicht? Vögel haben angefangen, zu zwitschern. Überall um uns herum. Bisher war es still im Dorf. Jetzt sind sie wie aus dem Nichts gekommen. Das Rätsel ist gelöst.“

Zunächst verstand ich nicht, was sie meinte. Aber dann wurde es mir klar und ich hörte auch dem Gezwitscher der Vögel zu. Es klang fröhlich, unaufgeregt und war wirklich überall um uns herum.

„Elfen!“, sagte ich und rief, so laut ich konnte: „Kommt heraus, ihr seid durchschaut!“

Eine Weile tat sich nichts, dann ging die Tür eines Hauses auf der anderen Seite des Platzes auf und das Mädchen in dem weißen Kleid kam heraus. Es winkte uns zu und ich zögerte keinen Moment, zu ihm zu gehen. Denn was ich für ein Kind gehalten hatte, war in Wirklichkeit eine zierliche, schlanke Frau. Die Katze strich um ihre Beine, kam uns dann entgegen und sprang auf den Rand des Dorfbrunnens. Dort begann sie wieder, ihr Fell zu putzen.

Der Junge erschien neben der Frau. An ihm erkannte ich nun auch die typischen Merkmale der Elfen, nämlich einen jugendlichen Körper in Verbindung mit einem alt wirkenden, aber fröhlichen Gesicht.

„Willkommen, Aron von Reichenstein!“, rief er mit heller Stimme. „Das hat aber lange gedauert.“

„Sie kennen mich?“, fragte ich. Da ich schon früher mit solchen Wesen zusammengetroffen war, konnten die beiden von mir gehört haben. Es bestand die Möglichkeit, dass Elfen untereinander Nachrichten austauschten. Selbst über diese enormen Entfernungen und aus den Ringlanden heraus.

„Selbstverständlich“, sagte der Elf. „Dürfen wir uns vorstellen? Ich bin Arin und das ist Lirina. Willkommen in unserem Zuhause.“

„Was meinen Sie mit Zuhause?“, fragte ich. „Dieses ganze Dorf hier?“

„Natürlich nicht. Wir nutzten die Überreste dieses verlassenen Ortes nur, um Reisende anzulocken. Unsere Heimat ist der Wald. Dort drüben ist eine schöne Lichtung, wo wir reden können. Das ist auch ein wunderbarer Platz zum Übernachten. Es gibt eine Quelle mit frischem Wasser und Sträucher mit leckeren Beeren.“

Ich sah in die Richtung, in die Arin deutete, aber da waren nur zwei Häuser, die zum Dorf gehörten. Also meinte er den Wald, der weiter in der Ferne wuchs.

Gendra war nähergekommen. Natürlich hatte sie ihr Schwert inzwischen weggesteckt. „Wieso reden Sie von den Überresten eines verlassenen Orts?“, fragte sie. „Die Häuser sehen aus, als könnten ihre ehemaligen Bewohner jederzeit zurückkehren und wieder einziehen.“

Diesmal antwortete Lirina: „So soll es für Menschen aussehen. Es soll sie neugierig machen und hierher locken, damit wir sie in Ruhe beobachten können - und entscheiden, ob sie gefährlich sind oder nicht. In Wirklichkeit sieht das Dorf so aus!“

Die Elfin machte eine Handbewegung und die Welt um uns herum veränderte sich. Die Häuser waren nun verfallen, die meisten ohne Dach. Auf dem Platz in der Mitte des Dorfes lagen zerbrochene Holzbalken und anderer Müll herum. Von dem Brunnen war nur noch der Umriss auf dem Boden zu sehen, sein Inneres war aufgefüllt mit Dreck und Abfällen. Unkraut wucherte überall. Der Wald reichte von allen Seiten bis an die Häuserreste heran.

„Beeindruckend!“, sagte Bercain. „Wie nennt sich der Zauber, der das bewirkt?“

„Den Namen könnt ihr Menschen nicht aussprechen, geschweige denn diese Art von Magie nutzen“, sagte Arin. „Gehen wir.“

Wir folgten ihm auf dem gewundenen Weg zwischen den Überresten des Dorfes hindurch in den Wald hinein. Lirina bildete den Abschluss. Nach ein paar Minuten erreichten wir die versprochene Lichtung, und sie sah wirklich idyllisch aus. Wie der ideale Rastplatz, den man sich unterwegs auf einer langen Reise wünscht. Fast schon zu schön.

„Ist das, was ich sehe, Realität oder auch nur ein Trugbild?“, fragte ich.

Arin lachte. „Macht das einen Unterschied? Aber um Sie zu beruhigen: Hier wirken nur Schutzzauber, keine Magie der Illusion.“

Die Lichtung durchmaß zwei Dutzend Schritte und war zum Teil mit Gras bewachsen, zum Teil von Büschen bedeckt, die saftige rote Beeren trugen. Eine Quelle bildete an ihrem Rand einen kleinen Teich, aus dem ein Bach floss.

„Hier verbringen wir die Nacht“, sagte ich. „Wir müssen aber noch unsere Pferde holen.“

„Da kommen sie schon“, sagte Lirina und zeigte zwischen die Bäume.

Tatsächlich kamen unsere Reittiere zu uns. Sie trugen nicht nur ihre Sättel, sondern auch die Satteltaschen und Säcke mit den Vorräten, obwohl wir die abgeladen hatten, bevor wir in das Dorf gingen.

„Da war aber nicht nur Magie am Werk“, sagte ich. „Jemand muss das von Hand gemacht haben. Und das war kein kleiner Elf.“

„Wir haben unsere Helfer“, behauptete Arin. Er zeigte auf einen grauen Schatten, der zwischen den Bäumen hinter unseren Pferden zu sehen war.

Zunächst dachte ich, das sei die Katze von vorhin. Aber das Wesen war zu groß. Viel zu groß, sogar. Es musste mir bis an die Hüfte reichen, sein Fell war grau-weiß gestreift. Trotzdem hatte es den Körperbau einer Katze und bewegte sich ebenso geschmeidig.

Als bemerke es meinen Blick, starrte das Wesen nun mit seinen grünen Augen direkt zu mir her, riss das Maul auf und fauchte. Die Zähne waren furchterregend. Dann schnellte es herum und verschwand im Wald.

Ich ging zu unseren Pferden und überprüfte Zaumzeug und Sattelgurte. Alles war in Ordnung. Das konnte nur jemand gemacht haben, der über Hände verfügte. Also hatten die Elfen menschliche Helfer, einen anderen Schluss konnte ich nicht ziehen.

„Legt eure Decken dort drüben auf die Grasfläche neben dem Bach“, unterbrach Lirina meine Gedanken. „Der Boden ist weich, aber nicht feucht, die Büsche schützen euch vor dem Wind. Regen gibt es diese Nacht keinen. Auch um eure Sicherheit braucht ihr nicht besorgt sein, darum kümmern wir uns. Außerdem haben wir etwas zu Essen vorbereitet.“

Wir richteten unser Lager ein, nachdem wir die Pferde wieder abgeladen hatten, und setzten uns um ein kleines Feuer, das Arin in der Zwischenzeit entfachte. Das Abendessen bestand aus Obst und Beeren, wie bei Elfen nicht anders zu erwarten, aber es gab auch eine Art Früchtebrot, das gut sättigte. Das Wasser aus dem Bach schmeckte frisch und in mir breitete sich eine wohlige Ruhe aus.

„Wie viele Elfen leben außerhalb der Ringlande?“, wollte O’Praise wissen.

„Die Frage stellen Sie doch nicht im Ernst?“, fragte Arin zurück. „Die Welt ist groß und wir sind in vielen Landstrichen zu Hause. Aber hier, entlang des Ostrandes des Perk-Gebirges, sind wir nur einige Dutzend. Es ist keine schöne Gegend. Damit meine ich nicht diesen Wald, sondern das, was im Nordosten und Südosten davon liegt, also Wüste und Dschungel. Beides sind Landschaftsarten, in denen wir Elfen uns nicht wohlfühlen. Ähnlich, wie an der Küste des Meeres.“

„Und warum sind Sie hier?“, fragte ich. „Zum Schutz, sagten Sie. Um unwillkommene Besucher in dieses scheinbar guterhaltene, unbewohnte Dorf zu locken. Was wäre, wenn wir Kurrether wären, oder ein Trupp von denen bezahlte Söldner?“

„Dann würden bald einige dekorative Skelette zwischen den Hausruinen liegen“, entgegnete Lirina. „Aber solche Gäste mussten wir bisher nicht willkommen heißen. Um die Frage zu beantworten, warum wir überhaupt hier sind: Wir leisten unseren Beitrag im Kampf gegen die Kurrether. Wir wissen von der Bedeutung des Erzes, das hier im Gebirge gewonnen wird. Mehr dürfen und werden wir darüber nicht sagen.“

Und daran hielten sich die beiden, weshalb unser Gespräch sich nur noch um das in den nächsten Tagen zu erwartende Wetter und andere unverdächtige Themen drehte, bis wir uns schlafen legten.

Am folgenden Morgen waren die beiden Elfen fort. Wir sattelten unsere Pferde und führten sie durch den Wald zu dem Dorf, das so in der Morgensonne lag, wie wir es zuerst gesehen hatten: unbewohnt, aber nicht zerfallen.

Zwei Tage später erreichten wir, ohne weitere Zwischenfälle und ohne ein weiteres Dorf zu passieren, das erste Bergwerk. Man begrüßte uns mürrisch, weil man in uns Leute vermutete, die aus Tirgaj geschickt worden waren, um die Arbeit zu kontrollieren. Nachdem wir diesen Verdacht entkräftet hatten, führte man uns zu einem kleinen Ort. Soortall nannte sich diese Niederlassung, die dem verlassenen Dorf glich, aber bewohnt war. Von hier aus führte ein breiter Weg entlang der Höhenlagen des Gebirges weiter nach Norden. Wir kamen durch mehrere Siedlungen, die größer waren als Soortall, und sahen auch einige Getreidefelder in tieferen Lagen. Entlang den Hängen gab es Viehweiden, wo hauptsächlich Ziegen und Schafe grasten, aber auch einige Kühe. Diese Gegend war weitgehend autark, man konnte hier fast alles selbst produzieren, was man zum Leben benötigte. Alle paar Wochen brachten Händler Waren aus Tirgaj und nahmen Erz mit zurück.

Ich fragte einige der Arbeiter, warum sie an so einem entlegenen Ort lebten. Zunächst bekam ich nur ausweichende Antworten, aber dann erhielt ich von einem angetrunkenen Mann in einer Taverne einen Hinweis auf den wahren Grund. Er zwinkerte mir zu, blickte sich verstohlen um und zog einen kleinen Lederbeutel aus der Tasche. Als er ihn öffnete, sah ich Körnchen von Gold darin.

„Man findet hier alles Mögliche im Gestein des Berges“, sagte er. „Die Ostraianer interessieren sich aber nur für das Eisenerz, warum auch immer. Niemand hat etwas dagegen, wenn wir die anderen Sachen unter uns aufteilen. Solange es geheim bleibt, versteht sich. Zehn Jahre hier arbeiten, und man kann sich irgendwo anders als wohlhabender Mann zur Ruhe setzen.“

Ich versprach ihm, das für mich zu behalten.

Vierzig Meilen nördlich von Soortall gab es ein weiteres Geheimnis: Den Beginn einer Passstraße, die über das Perk-Gebirge nach Westen führte. Wobei Straße ein übertriebener Begriff war, denn der Weg war streckenweise so schmal und schwierig zu meistern, dass man zu Fuß gehen musste. Ihn mit einem Pferd zu nutzen, war unmöglich, selbst Maultiere waren überfordert, da man manche Hindernisse überklettern musste.

O’Praise war die meiste Zeit damit beschäftigt, Arbeiter und Vorarbeiter auszufragen nach den Besonderheiten dieser Gegend und auch nach allem, was man über die Passstraße wusste. Er fügte diese Informationen zu einer groben Skizze zusammen, die zeigte, wo der Weg entlang führte, wo Gefahren drohten und wo es Wasser gab. Auch einige geschützte Kavernen und Höhlen zeichnete er ein, obwohl deren Existenz auch nicht sicher war. Wer das Gebirge überqueren wollte, konnte sich auf diese Angaben nicht verlassen.

„Von dem Dschungel jenseits des Perk-Gebirges habe ich zuverlässigere Informationen“, fügte der Kartenmacher hinzu. „Aber das bedeutet leider nicht, dass ich genau sagen kann, wo dort die Wege verlaufen und wie man zu einem Dorf mit freundlich gesinnten Eingeborenen gelangt. Sehen Sie sich diese Karte an und ich erzähle Ihnen alles Weitere, das ich darüber weiß.“

Am folgenden Morgen brach ich alleine über die Passstraße nach Westen auf.

Pentray

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