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Auf nach Andorra!

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Sind Sie schon einmal mit dem Zug durch Südfrankreich bis nach Toulouse gefahren? Im Sommer? Wenn das Rattern des Zuges auf eine wohlige Schläfrigkeit trifft? Das ist, frei nach einer Bierwerbung, genau mein Element. Ich freue mich, dass ich mir für die letzten drei Monate meiner Reise zu den kleinen Staaten Europas einen Interrail-Pass gegönnt habe. Fast wie früher als junger Mann, nur dass ich jetzt die nötige Reife für einen Senioren-Pass besitze. Einfach traumhaft, draußen die Sommerlandschaft vorbei reisen zu sehen, und drinnen, im Kopf, reisen die Gedanken zurück zu den Orten, die ich seit meiner Abreise vor knapp drei Monaten bereits besucht habe. Zu den Orten, aber vor allem zu den großartigen Menschen, die ich auf meiner bisherigen Reise kennenlernen durfte. So denke ich mit Dankbarkeit an die vielen freundlichen Luxemburger, an die Präsidentin der freien Republik Saugeais, an die ehemaligen Bankiers aus der Schweiz und Liechtenstein, an etliche Teilnehmer der Spiele der kleinen Staaten in Montenegro, an Mönche und Pilger am Berg Athos, an Zyprer, Malteser sowie Menschen im Vatikan, San Marino und Monaco. Und während ich so vor mich hin träume, fällt mir plötzlich auf, dass ich von den sechs europäischen Mikrostaaten („Zwergstaaten“) bereits fünf besucht habe. Nur noch Andorra, dann ist die Liste komplett. Und von den vier souveränen europäischen Kleinstaaten mit weniger als einer Million Einwohnern fehlt auch nur noch Island. Island, das zwar weniger Einwohner hat als Malta, aber aufgrund seiner enormen Fläche nicht zu den Mikrostaaten zählt. Im zweiten Teil der Reise stehen demnach „Exoten“ im Mittelpunkt: autonome Gebiete oder Exklaven, die völkerrechtlich zu größeren Staaten oder Staatenbünden gehören, königliche Besitztümer, Mikronationen, ein völkerrechtlich nicht anerkannter Kleinstaat und ein ganz besonderer Distrikt.

Wird auch für diese „Exoten“ der Titel dieses Buches gelten? Klein, aber (nicht immer) fein? Es ist davon auszugehen. Denn so ist nun einmal diese Welt. Die Welt der Kleinen. Sie ist auch nicht viel anders als die Welt der Großen. Es ist nicht immer alles fein. Nicht immer. Doch die Kleinen haben so manche Eigenart zu bieten, die sie von den Großen unterscheidet. Das Wissen, klein und besonders zu sein, kann ein nicht nur bescheidenes Selbstbewusstsein hervorbringen („how big we are!“, so das Motto der Spiele der kleinen Staaten). Am sympathischsten ist es mir, wenn sich die lokalen Eigenheiten mit einem Zugehörigkeitsgefühl zu Europa paaren.

Nicht mehr lange, dann hat mein Zug Toulouse erreicht. Morgen fahre ich dann weiter mit der Regionalbahn bis zum französischen Grenzort L’Hospitalet-près-l’Andorre, von wo aus es nur noch ein Katzensprung bis nach Andorra sein dürfte. Andorra, unwillkürlich denkt man bei diesem Namen an das gleichnamige Theaterstück von Max Frisch. Erinnern Sie sich noch an Ihre Schulzeit, an den Deutschunterricht? Oder vielleicht haben Sie das Stück ja sogar freiwillig gelesen? Oder es sogar im Theater erlebt? Nun, was soll ich sagen, das Stück des genialen Schweizers dreht sich ja um das Thema Antisemitismus und ist damit heute wohl wieder genauso aktuell wie zu seiner Uraufführung 1961. Nur mit dem real existierenden Andorra hat das Werk nichts zu tun, denn Max Frisch verwendete diesen Namen für einen fiktiven Staat, bei dem es sich wohl um Deutschland oder die Schweiz zur Zeit des Nationalsozialismus handeln dürfte. Immerhin wurde durch das Drama „Andorra“ dieser Name auch bei denjenigen Menschen bekannt, die im Erdkundeunterricht nicht mitbekommen haben, dass es in den Pyrenäen einen „Zwergstaat“ gleichen Namens gibt.

Wie gelangt man nun also dorthin? Wie gesagt, am nächsten Morgen nehme ich die Regionalbahn von Toulouse Richtung Andorra. Richtung Andorra. Nicht bis nach Andorra. Im Grenzort L’Hospitalet-près-l’Andorre endet der Zug. Und nun? Im Internet fand ich zwar die Angabe, dass es einen Bus bis ins 13 km entfernte Pas de la Casa in Andorra gibt, aber dieser Bus (aus Toulouse kommend!) ist wohl bereits abgefahren. Also gut, dann werde ich mal wieder versuchen zu trampen, oder soll ich etwa die Serpentinenstraße hinauf laufen? Siehe da, nach ein paar Minuten hält auch bereits ein Auto und – ein weiterer Tramper steigt aus. Ein junger Mann aus Deutschland, auf dem Weg zum Sommerurlaub in Andorra. Na prima, dann trampen wir jetzt halt zu zweit, warum auch nicht?

Ich habe Ihnen ja noch nicht erzählt, liebe Leserinnen und Leser, dass Pas de la Casa in Andorra ein bei den Bewohnern von L’Hospitalet-près-l’Andorre und Umgebung sehr beliebter Einkaufsort ist. Für Alkohol, Tabak, Elektroartikel, Benzin usw., d. h. für all den wichtigen Dingen, die dort viel billiger sind als in Frankreich. Und all das, wohl auch genau in dieser Reihenfolge, will der lebensfrohe junge Mann dort erwerben, der uns schließlich mitnimmt. Ein junger Mann mit einem ganz, ganz jungen Hund in einem ganz, ganz alten Auto (in dem die beiden wahrscheinlich leben). Eine sehr unterhaltsame Fahrt, in deren Verlauf der Hund auf der Rückbank mal eben sein Geschäft erledigt. Nun denn, ich sitze ja vorn und mein Mittramper beweist Tierliebe und Humor. An der Grenze stört sich auch niemand an dem cannabinoiden Geruch, der unverkennbar aus dem Auto strömt. Wie gesagt, eine sehr unterhaltsame Fahrt. Wie gut, dass ich Nichtraucher bin und somit fast völlig frei jeglicher hirnumnebelnder Substanzen an der Bushaltestelle auf den stündlich nach Andorra la Vella, der andorranischen Hauptstadt, verkehrenden Bus warte. Bis der Bus in dreißig Minuten kommen wird, ist auch meine passiv-rauchende Benommenheit wieder verschwunden, ganz bestimmt!

Klein, aber (nicht immer) fein - Teil 2

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