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Rückspiegel Andorra

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Hatte ich von zwei früheren Kurzbesuchen Andorra vor allem als eine große Anhäufung von Tax-free-Supermärkten, hässlichen Skihotels und erodierten Skipisten in Erinnerung, so bin ich jetzt eines Besseren belehrt. Das Fürstentum Andorra, dieses Unikat in den Pyrenäen, ist ein sehr schönes Land. Unikat deshalb, weil es außer Andorra kein weiteres Land auf diesem Globus gibt, welches zwei gleichberechtigte Staatsoberhäupter hat, die ihren Haupt-Amtssitz im Ausland haben. Andorra wird – zumindest symbolisch, gemeinsam vom französischen Präsidenten und vom spanisch-katalanischen Bischof von Urgell regiert. Bis zu einer Verfassungsänderung 1993 sah das noch etwas anders aus, denn erst mit der neuen Verfassung wurde die exekutive Gewalt einem Ministerpräsidenten übertragen, der dem Parlament verantwortlich ist. So gesehen, ist das bereits seit 1278 als Ko-Fürstentum bestehende Andorra erst seit 1993 ein souveräner Staat. Andorra ist zwar Mitglied der Europäischen Währungsunion, nicht aber der EU, so dass es sich empfiehlt, den mobilen Datenempfang des Smartphones auszuschalten, wenn man auf kostspielige Roaming-Gebühren verzichten möchte.

Es versteht sich fast von selbst, dass auch Andorra wegen einer äußerst laschen Kontrolle des Finanzmarktes als Steueroase galt. Hier wird gemeinhin Besserung gelobt und stattdessen versucht, den Devisenbringer Tourismus weiter zu entwickeln. Es bleibt abzuwarten, wie behutsam das gelingen wird. Und wie ist es um den Tax-free-Sektor bestellt? Um den Einzelhandel? Hierzu bekomme ich bei Tapas und Cerveza (Schinken- und Käsehäppchen mit Bier) höchst kompetente Auskunft vom Nachbartisch. „Unser Feind heißt Amazon. Ich hatte früher mehrere Geschäfte in der Stadt. Elektrowaren, Handys, auch alle Arten von Tax-free-Produkten. Die Läden musste ich nach und nach alle schließen. Die Leute kommen nur noch in die Geschäfte, um sich die Sachen anzuschauen. Dann gehen sie wieder und bestellen bei Amazon.“ Diese Informationen bekomme ich auf Englisch, denn der siebzigjährige Mann vom Nachbartisch stammt ursprünglich aus Indien. Er spricht allerdings ein nahezu perfektes britisches Englisch, also viel eher Oxford- als Kalkutta-Englisch. Einige Brocken Deutsch lässt er auch vernehmen. Mit seinem Tischnachbarn spricht er Spanisch, aber mit mir bevorzugt er Englisch. Ich glaube, er will vor seinem Freund auch ein wenig mit seinen Sprachkenntnissen prahlen.

„Jordi der Inder“ (aus naheliegenden Gründen verwende ich hier ein Pseudonym) „so nennen wir ihn hier“, erklärt mir sein Freund. „Er ist hier bekannt wie ein bunter Hund.“ „Und Du bist hier bekannt dafür, dass Du erfolgreich Toto spielst, obwohl Du vom Fußball keine Ahnung hast“, neckt Jordi seinen Freund. Jordi hat ein sehr bewegtes Leben hinter sich. Als er zwei Jahre alt war, starb sein Vater und er musste in ein Heim. Dann kam er in ein Internat und als junger Mann, in den frühen siebziger Jahren, nach Spanien. „Dort habe ich Filme ins Land geschmuggelt, Blue-Movies. Ich flog auf, da einer meiner Kunden ein verdeckter Ermittler war und wurde angeklagt. Ich zog es dann vor, nach Andorra zu ziehen. Inzwischen habe ich schon lange die Staatsbürgerschaft Andorras. Ich habe mit meinen Läden sehr gut verdient. Aber sehen Sie mal, wie hoch jetzt meine Rente ist.“

Jordi kramt in seinem Beutel und zeigt mir dann einen Zettel. Einen Auszahlungsbeleg über 572 Euro. „Das ist meine monatliche Rente. Davon kann ich nicht einmal meine Miete bezahlen. Also habe ich mir einen Weg ausgedacht, etwas dazu zu verdienen. Ich schmuggele Zigaretten. Genauer gesagt, organisiere ich den Schmuggel. Das bringt mir vier-, fünftausend Euro pro Monat.“ Will Jordi mich veräppeln? Nein, der Mann meint es ganz ernst. „Schon mein Vater war ein Schmuggler. Dann habe ich als junger Mann vom Schmuggel gelebt und jetzt als älterer Mann wieder. Das liegt mir in den Genen.“ Seine Kinder allerdings haben alle studiert und gehen wohl legalen Tätigkeiten nach. „Haben Sie denn keine Angst, dass Sie ertappt werden?“ Über meine Frage kann Jordi nur lachen. Wenn man mir was anhaben will, dann hole ich meinen Rentenbescheid raus und frage die Polizei, wie ich denn von so wenig Geld leben soll. Was soll mir dann passieren?“

Jordi ist mit sich und der Welt im Reinen. Besonders stolz ist er darauf, dass er mit einem Teil des Schmuggelgeldes die Ausbildung von drei Kindern finanziert. „Es ist schön, wenn man im Alter sagen kann, dass man etwas Gutes tut.“ Die drei Kinder sind übrigens die Kinder von seiner russischen Freundin, die er alle zwei Wochen in Spanien besucht. „Meine Frau weiß nichts von meiner Freundin. Sie denkt, dass ich auf Schmuggeltour bin und wundert sich nur, warum mir der Schmuggel so wenig einbringt.“ Mir als Mediziner vertraut er dann noch ein Geheimnis an. „Ich habe ja etwas erhöhten Blutdruck. Aber wenn ich nach Spanien fahre, dann setze ich meine Hochdrucktabletten ab. Der Blutdruck wird dann ja schon vom Viagra gesenkt.“ Jordi, der Inder, tippt dann noch meine Telefonnummer in sein altes Nokia-Handy. „Hiermit bin ich sicher. Das alte Teil kann nicht so gut nachverfolgt werden wie mein Smartphone.“ Sein Anruf landet dann aber auf meiner Mailbox, da ich in Andorra ja keine Anrufe empfange. (Nachtrag: von Spanien aus rufe ich zurück, aber da hat Jordi keine Zeit für ein Gespräch. Er verspricht, sich wieder zu melden. Darauf warte ich immer noch).

Amazon, wenn Du wüsstest, dass Du ältere Herren zwingst, einer illegalen Tätigkeit nachzugehen, würdest Du dann Dein Geschäftsmodell ändern? Hallo, Amazon, hörst Du mich nicht? Haaaalllooo! Keine Antwort. Na warte, ich komme auf meinem Weg nach Island ja auch kurz nach Irland. Ich werde nicht lockerlassen, Amazon, so schnell wirst Du mich nicht los. Äh, sag mal, Amazon, Du vertickst doch auch Bücher. Können wir da nicht irgendeinen Deal eingehen? Oh, Mist, jetzt hat Alexa mitgehört und alle meine Leser wissen jetzt, was ich gerade gesagt habe. Amazon, so geht das nicht. Das sehen Datenschützer übrigens genauso, wie ich gerade erfahren habe.

Noch eine Kuriosität aus Andorra. In den Orten gibt es stets zwei Postämter. Ein spanisches und ein französisches. Das war zu Zeiten der Peseta und des Francs ja vielleicht mal ganz sinnvoll. Aber jetzt? Ein Relikt aus der Zeit der beiden Ko-Fürsten. Und da es so kurios ist, sollte dieses Relikt auf jeden Fall auch erhalten bleiben. Wikipedia schließlich entnehme ich, dass Andorra versucht, im Zuge der Diversifizierung der Wirtschaft „in Zukunft leistungsstarke und spezialisierte kleine und mittlere Unternehmen, zum Beispiel im pharmazeutischen oder optischen Bereich (Glasaugen)“, ins Land zu holen. Hoffentlich haben Wikipedia und Andorra da den richtigen Durchblick behalten.

Klein, aber (nicht immer) fein - Teil 2

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