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Mein Gott, Walter!

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Keine Bange, so ein armer Kerl wie DER Walter aus dem Lied von Mike Krüger (die Älteren mögen sich erinnern) ist der ehemalige Banker Walter aus Liechtenstein nicht. Ja, auch hier, im Fürstentum Liechtenstein, bin ich schon wieder mit einem Mann verabredet, der früher seine Brötchen in einer Bank verdient hat. Aber ein bisschen Pech hat er schon, der Walter. Kurz bevor er Anfang des Jahres in Rente ging, musste er wegen eines an dieser Stelle nicht weiter erwähnenswerten Leidens operiert werden. Dann stürzte er und brach sich die Hüfte. Zwar bekam er großzügigerweise recht schnell eine neue, aber seine Karriere als Kontrabassist im Orchester Liechtenstein Werdenberg muss er vorläufig ruhen lassen. So findet das heutige Frühjahrskonzert mit Werken von Felix Mendelsohn-Bartholdy, Edvard Grieg, Alexander Porfirjewitsch Borodin und Maurice Ravel leider ohne Walters aktive Mitwirkung statt.

Als ich mit Walter und seiner Lebensgefährtin Rita den Gemeindesaal Eschen betrete, wird Walter mit lautem Hallo von der Kontrabassistin Dorit begrüßt. Vielleicht sollte ich jetzt erwähnen, dass es sich bei dem Orchester Liechtenstein Werdenberg um ein Liechtenstein-Schweizerisches Ensemble handelt, in dem zusätzlich noch einige im nahen Österreich wohnende Musikerinnen und Musiker aktiv sind. Ein total internationales Orchester, denn einige Mitglieder stammen aus so exotischen Gegenden wie Persien (der Konzertmeister), Hawaii und Kolumbien (zwei weitere Geiger/innen) oder Berlin, Hauptstadt der DDR (die bereits erwähnte Kontrabassistin Dorit). Dorit ist eine der professionellen Musikerinnen, die das zum großen Teil aus Laien bestehende Orchester bei den Konzerten unterstützen. Stefan Susana, Musikalischer Leiter, Dirigent des Orchesters Kaltbrunn-Niederurnen, des Orchestervereins Widnau und eben des Orchesters Liechtenstein Werdenberg, ist natürlich ebenfalls ein Profi.

Die Kombination aus Gassenhauern (Teile der Peer-Gynt-Suite, Bolero) und eher unbekannteren Stücken (wie die Prinz Igor Polowetzer Tänze) kommt beim Publikum des Muttertags-Konzertes sehr gut an. Besser konnte mein erster Tag in Liechtenstein kaum beginnen. Überhaupt, so erfahre ich jetzt, ist das Kulturangebot für ein Land mit nur knapp 38.000 Einwohnern sehr beachtlich. So gibt es außer recht häufigen Musikveranstaltungen auch eine Vielzahl an Theatern, Museen und internationalen Kunstausstellungen. In dieser Hinsicht ist natürlich in erster Linie die „Schatzkammer“ mit Exponaten der Fürstlichen Sammlungen zu nennen, aber auch die Ausstellungen zeitgenössischer Kunst im Kunstmuseum und der Hilti Art Foundation sind weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt.

Hilti? Na, schon mal gehört? Passionierte Heimwerker und Bauprofis kennen natürlich diesen Namen (und haben mit Hilfe „einer Hilti“ schon so manche Wand aufgestemmt). Aber wer weiß schon, dass es der in Schaan geborene Martin Hilti war, der hier 1941 gemeinsam mit seinem Bruder Eugen die Firma „Maschinenbau Hilti oHG“ gegründet hat. Zwar war Martin Hilti zur Zeit des Nationalsozialismus an vorderster Front in der Volksdeutschen Bewegung in Liechtenstein (VDBL) aktiv, aber bei aller Sympathie für die Nazis, die bis in die Regierung hinein reichte, widersetzte sich diese 1939 einem Putschversuch und verhinderte durch eine diplomatische Intervention den Einmarsch von 600 Männern der SA und anderer deutscher Kampfverbände. Letztlich konnte die Neutralität und staatliche Integrität Liechtensteins gewahrt werden. 95,4 Prozent aller Stimmbürger sprachen sich für die Selbstständigkeit des Landes aus.

Liest sich doch auch heute noch ganz interessant, das „Volksblatt“ vom 31.Mai 1939: „Als am Montag nach tagelangem Unwetter endlich wieder einmal, wenn auch zögernd, Licht vom Himmel brach, da wollte auch das Herz des Volkes nicht mehr schweigen, es brach aus seinen Tiefen, wie heller, klarer Urquell unserer Berge aus übervollem Grunde zutage steigt, und sich der Stunde freut, da er frei und ungebunden seiner lange verhaltenen Kraft, dem Zuge seines Herzens folgen kann. Wer am Montag die Massen sah, die da spontan einfielen in den Treueschwur des Sprechers unseres Volkes, wer die Schwurfinger sah und die Resonanz der Tausenden und Abertausenden von Liechtensteiner Herzen im Gleichklang eines tiefen Ernstes und männlicher Festigkeit erklingen hörte, der weiss auch, was Treue heißt, der weiss auch, wie das Liechtensteiner Volk seinen Fürsten liebt und in tiefer Liebe zu seinem Vaterlande steht.“

Wahrscheinlich würde man sich heute ein wenig moderner ausdrücken, aber inhaltlich hat sich an der Einstellung der Liechtensteiner wohl kaum etwas geändert. Außer vielleicht an der „männlichen Festigkeit“, denn 1984 hat Liechtenstein dann doch endlich eingesehen, dass Frauen nicht nur in der Küche das Sagen haben wollen, sondern auch am politischen Leben teilhaben möchten: Bereits 16 Jahre vor der Jahrtausendwende wurde das allgemeine Frauenwahlrecht in Liechtenstein eingeführt, herzlichen Glückwunsch, liebe Frauen! Nun aber genug der alten Geschichten, zurück zur Gegenwart.

„Liechtenstein ist nicht nur ein Finanzplatz. Hilti ist nicht das einzige Unternehmen, das seinen Sitz in Liechtenstein hat. Und der größte Arbeitgeber in Liechtenstein ist nicht etwa eine Bank, sondern mit mehr als 2500 Mitarbeitern die Thyssenkrupp Presta AG in Eschen.“ Der gebürtige Schweizer Walter ist ein hervorragender Reiseführer für Liechtenstein. Da schon seine Großmutter aus Liechtenstein stammte, kennt er das Fürstentum nicht nur als hier tätiger Bankangestellter aus dem Effeff, sondern auch als glücklicher Besitzer eines Liechtensteiner Passes. „Seit 20 Jahren bin ich auch Liechtensteiner. Den Pass des Fürstentums bekam ich nur wegen der Herkunft meiner Großmutter.“ Da weltweit nicht allen Grenzern die geografische Lage geläufig ist, gibt es auf der Innenseite des Passes einen Kartenausschnitt Europas, mit einem Hinweis darauf, wo dieses kleine Ländchen liegt. „Das Reisen mit diesem Pass kann manchmal Probleme mit sich bringen. Ein Kollege von mir konnte damit zwar problemlos in die Fidschi-Inseln einreisen, bekam aber keinen Einreisestempel, da der Grenzer nichts mit dem Pass anfangen konnte. Die Ausreise war dann ohne Einreisestempel aber höchst kompliziert. Außerdem kann es in manchen Ländern passieren, dass man nach einem Visum gefragt wird, obwohl dieses für Liechtensteiner nicht erforderlich ist.“ Die Staatsangehörigkeit Liechtensteins ist aber ansonsten äußert begehrt, auch bei Schweizern, die in Liechtenstein arbeiten. „Als Ausländer ist es so gut wie unmöglich, eine Aufenthaltsbewilligung in Liechtenstein zu bekommen. Wie gut also, dass meine Oma Liechtensteinerin war!“

Nach dem Konzert fahren wir nach Vaduz, hoch zum Schloss. Gerne hätte ich das Staatsoberhaupt Fürst Hans-Adam II. von und zu Liechtenstein persönlich besucht, gilt doch die Fürstenfamilie als sehr volksnah. Erbprinz Alois und dessen Frau Sophie habe ich ja sogar vor einigen Tagen anlässlich der Beerdigung von Großherzog Jean in Luxemburg gesehen (von hinten). Außerdem ist seit meinen fidelen fünf Stunden mit Mme la Présidente Georgette Bertin-Pourchet in der République du Saugeais meine natürliche Hemmschwelle gegenüber den obersten Frauen und Männern im Staate deutlich gesunken. Aber leider ist das fürstliche Anwesen prinzipiell für Besucher nicht zu besichtigen, wofür ich hiermit mein vollstes Verständnis ausdrücken möchte. Sonst wäre es hier heute nämlich wahrscheinlich „wegen Überfüllung geschlossen“, denn im Zentrum von Vaduz treffe ich kurz darauf auf mehrere Hundertschaften Chinesen.

Glauben Sie mir, ich bin in meinem Reiseleben schon so einigen Reisegruppen aus dem Land der Mitte begegnet. Was sich derzeit in der Schweiz und Liechtenstein abspielt, toppt alle meine bisherigen Erfahrungen und ist absolut rekordverdächtig. Wie ich der Zeitung entnehme, hatte der US-Amerikanische Kosmetikhersteller Jeunesse seinen chinesischen Verkäufern im Falle hervorragender Umsatzzahlen eine ganz besondere Erfolgsprämie ausgelobt: eine Shopping- und Besichtigungstour in die Schweiz und nach Liechtenstein. Allerdings hatten die Amerikaner den Ehrgeiz ihrer chinesischen Mitarbeiter wohl heillos unterschätzt. Die fleißigen Chinesen jedenfalls verkauften und verkauften und verkauften, ja, wahrscheinlich verkaufen sie immer noch, sofern sie nicht gerade ihre Erfolgsprämie einlösen. Es sollen etwa 12.000 bis 14.000 Chinesen sein, die während dreier Wochen in drei Wellen mit je etwa 4.000 Personen angeblich einen hohen zweistelligen Millionenbetrag in die Kassen Schweizer und Liechtensteiner Geschäfte spülen. Es ist nicht überliefert, ob Fürst Hans-Adam II. inzwischen Chinesisch lernt. In Vaduz jedenfalls hängt heute an fast jedem Geschäft, Café und Restaurant ein Schild mit chinesischen Schriftzeichen.

Die fürstliche Familie residiert übrigens erst seit 1938 in Vaduz. Um die Unabhängigkeit des Fürstentums zu bewahren, verlegte im Zuge des Anschlusses Österreichs an Deutschland der damalige Fürst seinen Wohnsitz von Wien hierher. Fürst Hans-Adam II. ist daher auch das erste Staatsoberhaupt Liechtensteins, das innerhalb der seit 300 Jahren unverändert bestehenden Landesgrenzen geboren ist. Die volle staatliche Souveränität erlangte das Fürstentum Liechtenstein im Jahre 1806.


Schloss Vaduz

Klein, aber (nicht immer) fein - Teil 1

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