Читать книгу Klein, aber (nicht immer) fein - Teil 1 - Manfred Stuhrmann-Spangenberg - Страница 17

Adressieren Sie Ihre Briefe nicht an „FL 9494 Schaan“, sie könnten in Florida landen!

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Am nächsten Tag mache ich mit Rita und Walter eine Rundfahrt mit dem Auto durch das 24,6 km lange und 12,4 km breite Fürstentum. Gut vollgetankt geht es auf die große Reise. Wir kommen noch einmal am Schloss in Vaduz vorbei und erreichen nach einigen Serpentinen Triesenberg. Unten im Westen liegt das Rheintal vor uns. Über der anderen Seite des Tals thronen die Schweizer Berge. Gestern dachte ich noch, dass hinter der Bergkette im Osten sofort Österreich beginnt. Was war ich doch für ein Ignorant. Hatte doch glatt nicht gewusst, dass die Hälfte des 160 km2 kleinen Landes in den Bergen liegt. Wir fahren durch einen Tunnel weiter Richtung Osten und erreichen das tief verschneite Örtchen Steg. Unfassbar. Wir schreiben den 13. Mai und Rita macht ein paar Fotos von Walter und mir mit einem Schneemann.

Walter zeigt mir das Haus seiner Verwandten, wo er so einige Ferien verbrachte. „Ich war immer lieber bei meiner Liechtensteiner als bei meiner Schweizer Verwandtschaft, denn hier war alles zwangloser und herzlicher, auch wenn die Menschen früher hier eher arm waren. In Triesenberg und hier in Steg leben viele Walser, die sind im 13. Jahrhundert nach Liechtenstein eingewandert und haben immer noch einen eigenen Dialekt.“ Als Migranten hatten es die Walser nicht leicht und mussten an den steilen Berghängen siedeln, deren wenige Wiesen und Felder wesentlich schwerer zu bewirtschaften und zu bestellen waren als das Land im Tal. „Die Häuser wurden fast kreisförmig um die Felder herum gebaut, das sieht man da vorne immer noch.“ Wir stapfen noch ein wenig durch den Schnee und fahren dann weiter nach oben auf rund 1600 Meter über dem Meeresspiegel und somit knapp 1200 Meter höher als unser Startpunkt, die Jugendherberge Schaan-Vaduz.

Wir sind im Wintersportort Malbun angekommen. Das höchste Dorf Liechtensteins liegt in einem schneesicheren Wintersportgebiet. Ist ja prima, aber auf Wintersport bin ich heute dann doch nicht eingestellt. Die Malbuner allerdings auch nicht, denn die Skilifte sind nicht mehr in Betrieb. Außer uns hat sich kaum jemand hierher verirrt. Das Dorf wirkt wie ausgestorben und den Parkplatz in der Mitte Malbuns („in der Saison ist alles voll geparkt, wenn sich die Autokolonnen hier hochschieben“) haben wir heute für uns ganz allein. Nein, mit einem, wenn auch frühlingsmüden, ja schlafenden Wintersportort in Liechtenstein hatte ich wirklich nicht gerechnet!

Ein wenig durchgefroren steigen wir wieder ins Auto und fahren runter ins Tal, über Triesen bis in die südlichste Ortschaft des Fürstentums, nach Balzers. Auch in Balzers gibt es ein Schloss, aber wie schon in Vaduz, so ist auch dieses Bauwerk nicht frei zugänglich (manchmal finden dort allerdings Konzerte statt). Schießen wir also vom Ort aus noch ein paar Fotos nach oben zum Schloss und laufen dann auf die Rheinbrücke Richtung Trübbach in der Schweiz. Auf der Mitte der Brücke drehen wir um, denn wir haben unser Ziel erreicht: Das Schild mit dem Staatsemblem von Liechtenstein. Ich hüpfe ein paarmal zwischen der Schweiz und Liechtenstein hin und her und frage mich, wie oft ich das wohl machen müsste, um einen Eintrag in das Guinnessbuch der Rekorde zu bekommen, Rubrik häufigste Ein- und Ausreisen. Bestimmt häufiger, als nur die wenigen Male, die mir die Zeit erlaubt. Unser Ausflug ist ja noch nicht beendet.

Rita hat mich daran erinnert, fast hätte ich es vergessen: In Vaduz wollte ich doch noch einen Blick in das Fußballstadion werfen. Hier beim FC Vaduz (der derzeit leider nur in der zweiten Liga der Schweiz spielt) hatte vor etlichen Jahren mein Freund Alpha aus Senegal als Fußballprofi brilliert, Spitzname Gullit. Ganz so erfolgreich wie der Holländer Ruud Gullit war Alpha dann doch nicht und auch das Probetraining bei Eintracht Braunschweig blieb erfolglos. Wir erklimmen den Damm am Rhein und schauen ins Stadion. „Früher konnte man von hier das Spielfeld sehen“, soweit Walter. Na gut, wenn ich die Kamera hoch recke, kann man das Spielfeld wenigstens über den jetzigen Sichtschutz hinweg fotografieren. Im Zeitalter der sozialen Medien sind ein paar Fotos vom Stadion und Schloss Vaduz schnell in Senegal angelangt, sehr zur Freude Alphas. Ob er die Fotomotive erkenne? „Jawohl, kenne ich gut und am 14/15 August ist big fest im Schloss, Transport gratis. Big Gruss an alle in Schaan, Balzers Vaduz und ein Bisou an Frau.“ Immer charmant und gut informiert, mein Freund im warmen (Wehmut und ein wenig Neid, ich gebe es zu) Senegal. Sogar an den Nationalfeiertag Liechtensteins hat er sich erinnert.

Wir fahren nach Schaan zurück. Rita und Walter haben mich zum Essen eingeladen. Während der Braten und die Kartoffeln im Ofen schmoren und der Spargel kocht, plaudern wir u. a. auch ein wenig über den Finanzplatz Liechtenstein. Walter hatte mich gestern bereits mit etlichen Zeitungsartikeln zum Thema versorgt, so dass ich meinen von Urs erworbenen Kenntnissen noch einige weitere Aspekte hinzufügen konnte. In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung hatte der Liechtensteiner Regierungschef Adrian Hasler Mitte April eigentlich schon alles gesagt: „Heute werden wir im Ausland als verlässlicher Partner wahrgenommen.“ Da Liechtenstein bestrebt ist, internationale Standards möglich rasch und konsequent umzusetzen, werden Konflikte mit der EU, der OECD und der Financial Action Task Force (FATF) vermieden. „Als Kleinstaat bringt es uns nichts, uns dem Druck dieser mächtigen Organisationen auszusetzen, nur um wenig später einknicken zu müssen.“

Als studierter Ökonom und ehemaliger Banker (VP Bank) ist der seit 2013 amtierende Hasler nicht nur Regierungschef, sondern tatsächlich ein Finanzexperte. „Der Finanzplatz hat seit der Steueraffäre um … Klaus Zumwinkel eine umfassende Transformation durchgemacht. Mit der Liechtenstein-Erklärung von 2009 hat sich Liechtenstein zur Steuerkonformität bekannt und die Weichen gestellt. Im Jahr 2013 folgte das Bekenntnis der Regierung zum automatischen Informationsaustausch… Das hat zu einer Veränderung der Geschäftsmodelle und der Kundenstruktur geführt.“ Walter und ich sind froh, dass Liechtenstein auf so einem guten Wege ist. „Ich hatte in der Liechtensteinischen Landesbank zum Glück nichts mit Kunden zu tun, da ich ausschließlich im Back Office beschäftigt war. Aber ich kann nicht ausschließen, dass so etwas wie die Affäre Zumwinkel auch unsere Bank hätte treffen können.“

Da Walter und ich die Leidenschaft fürs Reisen teilen, haben wir noch viel Gesprächsstoff für den Rest des Tages. „Ich bin da etwas untypisch für Liechtenstein, denn unser Land ist sehr konservativ und meine Landsleute haben eine andere Art zu reisen, als ich.“ Walter spielt darauf an, dass auch er in der Regel nicht in 5-Sterne-Hotels übernachtet und es so wie ich sehr schätzt, in Hostels mit Mitreisenden in Kontakt zu kommen. Walter war u. a. auch in Russland und Afrika unterwegs, nicht unbedingt die bevorzugten Reiseziele der Liechtensteiner. Über unsere gemeinsame Russischlehrerin Marina aus Kaliningrad haben Walter und ich uns kennengelernt. Und deswegen gibt es jetzt auch noch ein Erinnerungsfoto von uns vor der Matrjoschka-Sammlung Walters. Man muss nicht bis nach Russland reisen, um diese buntbemalten, ineinander schachtelbaren russischen Holzpuppen zu kennen.

Walter, ich hoffe, dass Du bald wieder Kontrabass spielen und reisen kannst. Solche Leute wie Dich braucht Liechtenstein und die Welt. Ich danke Dir und Rita für Eure Gastfreundschaft. Jetzt kenne ich so einiges vom Fürstentum Liechtenstein (FL). „Wenn Du einen Brief nach Schaan adressierst, dann bitte nicht mit FL 9494 Schaan, denn sonst könnte es passieren, dass er nicht in Liechtenstein, sondern in Florida landet. Das haben wir alles schon erlebt.“ Danke für den Tipp, Walter, den ich hiermit an meine Leserschaft weitergebe. Den Norden Liechtensteins, d. h. die Orte Bendern, Eschen, Mauren und Schaanwald, werde ich übrigens bei meiner Ausreise mit dem Bus ins österreichische Feldkirch noch durchqueren. Durch Nendeln sind wir bereits gestern gefahren. Dann werde ich außer Planken, Gamprin, Schellenberg und Ruggell alle Ortschaften des Landes bereist haben. Ist doch keine schlechte Leistung, für nur drei Tage im Fürstentum.


mit Walter und einigen seiner Matrjoschkas

Klein, aber (nicht immer) fein - Teil 1

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