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Klein, aber fein?

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„Wanderer, kommst Du nach Liechtenstein, tritt nicht daneben, tritt mittenrein!“ Ach ja, als Kleinstaat hat man es nicht immer leicht, von den „Großen“ ernst genommen zu werden. Wenn sich doch sogar so ein liebenswerter (leider 2018 verstorbener) Zeitgenosse wie der gebürtige Ostpreuße Ingo Insterburg vor nunmehr bereits 50 Jahren in seinem berühmten Reim über die zugegebenermaßen recht überschaubare Größe Liechtensteins lustig machte. Sich scheinbar lustig machte, doch, gemach, gemach! Der studierte Kunstpädagoge Ingo Wetzker, so sein richtiger Name, kannte seinen Schiller: „Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du/habest/Uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl.“ Denken Sie, liebe Leserschaft, jetzt aber bitte nicht, dass Friedrich Schiller diesen Satz selbst gedichtet hat. Nein, Schiller hat in seiner Elegie „Der Spaziergang“ hier nur Ciceros „Dic, hospes, Spartae nos te hic vidisse iacentes,/Dum sanctis patriae legibus obsequimur“ ins Deutsche übersetzt. Und wie so oft im römischen Reich, stammte auch hier das Original aus Griechenland, in diesem Fall vom Lyriker Simonides von Keos, der – laut Herodot – diesen Vers zum Gedenken an die Gefallenen der Schlacht bei den Thermopylen verfasste, in der der Spartanerkönig Leonidas mit seinen Mannen heroisch gegen die Perser kämpfte (und schließlich mit all seinen Spartanern ums Leben kam). Letztlich handelt es sich bei diesem Vers wohl um die Aufforderung, nicht zu schweigen, wenn man etwas Bestimmtes gewahr wird, was anzuklagen ist.

Ingo Insterburg hatte sich mit Sicherheit nur einen Spaß erlaubt und war weit davon entfernt, Liechtenstein anzuklagen, weil er sich etwa beim Versuch, mitten hineinzutreten, den Fuß verknackst hätte. Und auch ich reise natürlich nicht als Ankläger zu den kleinsten Ländern Europas. Ich lerne auf meiner Reise großartige Menschen kennen, die in kleinen Ländern mit vielen liebenswerten Eigenheiten leben. Und ich besuche sie alle, die sechs europäischen Mikrostaaten („Zwergstaaten“) Andorra, Liechtenstein, Malta, Monaco, San Marino, Vatikan - und die vier europäischen Kleinstaaten Island, Luxemburg, Montenegro sowie Zypern. Und über alle diese souveränen Staaten hinaus auch noch die völkerrechtlich nicht anerkannten Kleinstaaten Nordzypern und Pridnestrowien/Transnistrien, die Exklaven Ceuta und Kaliningrad, die autonomen Gebiete Åland, Akrotiri, Athos, Färöer, Gibraltar, Jersey und Man, den besonderen Distrikt Brčko, sowie mit Christiania, Hay-on-Wye, Saugeais und Užupis noch einige der zahlreichen sogenannten Mikronationen. Allen diesen Ländern, Regionen, Gebieten und Örtchen ist gemein, dass in ihnen weniger als eine Million Menschen leben.

Klein, aber fein? Oder, in Anlehnung an einen alten Werbespruch – sauber, aber auch rein? Nun, bei aller Freude (Insterburg) über die vielen schönen Seiten dieser Länder, über ein paar Schmutzflecken muss ich doch berichten und bin somit wieder bei der oben genannten Aufforderung, nicht zu schweigen, angelangt (Sie erinnern sich: Simonides von Keos, Cicero, Schiller). Natürlich, schriebe ich hier über „große Länder“, dann wäre es so sicher wie das Amen in der Kirche, dass ich auch dort jede Menge Schmutzflecken entdecken würde. Aber das bedeutet ja nicht, dass große Länder „sauberer oder schmutziger“ sind als kleine Länder. Mal ehrlich, wir wissen sicherlich viel mehr über die Sonnen- und Schattenseiten der großen Länder Europas als über die entsprechenden Seiten der kleinen Länder. Wann und wo erfahren wir denn etwas über die kleinen Länder? Anders verhält es sich mit den „Großen“. Fast jeder Depp weiß, dass Paris die Hauptstadt Frankreichs ist und dass Madrid und Mailand in Italien liegen (ähm, sie wissen schon, wen ich hier zitiere!), aber wie heißen noch mal die Hauptstädte Andorras, Maltas oder Montenegros? Und in welche Länder muss man reisen, um nach Åland, Akrotiri oder Brčko zu gelangen? Nun, ich versichere Ihnen, dass es mir nicht darum geht, Sie mit Faktenwissen zuzuschütten. Die beiden Bücher über diese Reise sind ja keine Reiseführer. Natürlich geht es mir vor allem um die Geschichten der Menschen, die ich unterwegs treffe. Aber einige Daten und Fakten lasse ich Ihnen dann doch zukommen, und mitunter werden Sie sich darüber wundern, versprochen!

Sie, liebe Leserinnen und Leser, halten mit dem Buch „Klein, aber (nicht immer) fein – Teil 1“ (von Luxemburg bis Monaco), beileibe keine Schillersche Elegie in den Händen, und ein Spaziergang ist meine insgesamt fast halbjährige Reise auch nicht immer - eher eine lange Wanderung, auf der ich viele Geschichten sammeln und aufschreiben kann. Um von einem Ort zum nächsten zu gelangen, muss ich eine Vielzahl von Verkehrsmitteln benutzen. Ich will es nicht verschweigen: ab und an benutze ich auch das Flugzeug. Liebe Mutter Erde, verzeih mir. Wann immer es geht, reise ich per Bahn, Bus, Schiff oder auch mal auf Schusters Rappen. Unterwegs durchquere ich auch sehr viele Länder mit mehr als einer Million Einwohnern, doch über diese Transitländer berichte ich hier nicht. Mit drei Ausnahmen, denn drei Geschichten aus der Schweiz, aus Albanien und aus Kosovo möchte ich Ihnen, liebe Leserschaft, dann doch nicht vorenthalten.

Jetzt wird es aber Zeit, endlich loszufahren. Heute, am 1. Mai 2019. Die Reise beginnt mit einer Bahnfahrt von Hannover zum Großherzogtum Luxemburg. Zu dem Kleinstaat, der nach Zypern und Montenegro die drittmeisten Einwohner hat. Das bleibt vielleicht nicht mehr lange so, denn Luxemburgs Einwohnerzahl wächst stetig: zwischen 1980 und 2010 um 147.000 Menschen. Am 1.1.2018 wurde mit 602.005 Einwohnern erstmalig die 600.000-Marke überschritten und am 1.1.2019 ergab die statistische Erhebung, dass nunmehr 613.894 Menschen in Luxemburg leben. Legt man die Steigerung des letzten Jahres (ein Zuwachs von 11.889 Einwohnern) zugrunde, dann wird bei der Erhebung am 1.1.2052 Luxemburg erstmals mehr als eine Million Einwohner haben und somit die Berechtigung verlieren, an den Spielen der kleinen Staaten teilzunehmen. Zu diesen Spielen später mehr.

Klein, aber (nicht immer) fein - Teil 1

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