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Prolog

Eine scharfe Klinge glitt über die Kehle des Königs.

»Deine Hand zittert, Símiuk.«

»Verzeihen Sie, Majestät.«

»Pass auf, dass du mich nicht schneidest.«

»Ich bin vorsichtig, Majestät.« Símiuk ergriff die Klinge an beiden Seiten und zog sie ein paarmal sorgsam über einige besonders hartnäckige Stoppeln.

König Gerániuk beobachtete ihn prüfend.

»Wie lange bist du nun schon mein Barbier? Dreiundzwanzig Jahre, nicht?«

»Im Winter werden es vierundzwanzig, Majestät.«

»Und nie ist dabei Blut geflossen. Sieh zu, dass das so bleibt

– in deinem eigenen Interesse.«

»Machen Sie sich keine Sorgen, Majestät. Ich habe Erfahrung.« »Warum zitterst du dann so?«

»Mit Verlaub, Majestät, es fiele mir leichter, Ihnen den Bart zu schaben, wenn Sie dabei nicht ständig sprechen würden.«

»Gib dir Mühe. Wenn ich heute Mittag die Senatoren empfange, muss mein Äußeres tadellos sein.«

Sorgfältig reinigte Símiuk sein Messer in der Wasserschüssel, trat hinter den König und setzte die Klinge erneut an.

»Wissen Sie, was sich die oberste Köchin speziell für den Empfang der Senatoren als Nachtisch hat einfallen lassen?«, fragte er, um den König abzulenken.

»Spann mich nicht auf die Folter, Símiuk.«

Der Barbier zögerte einen Augenblick.

»Eigentlich hat mich die Köchin um strengstes Stillschweigen gebeten«, sagte er bedächtig, während er sich auf die Führung der Klinge konzentrierte. »Aber andererseits … wie könnte ich Ihnen etwas verheimlichen? Als Diener muss ich Ihnen bekanntlich stets die Wahrheit sagen.«

»Eben. Erzähl schon.«

»Sehen Sie die Zwillingsgipfel?« Mit dem Messer deutete Símiuk aus dem offenen Fenster, vor dem sich der König jeden Morgen von ihm hoffähig machen ließ.

König Gerániuk schielte aus seiner liegenden Position über seine Nase hinweg nach draußen. Die beiden schneebedeckten Berggipfel, die der Barbier meinte, gleißten in der Ferne unter den Strahlen der Morgensonne.

»Stellen Sie sich vor, Majestät …« Verschwörerisch senkte Símiuk die Stimme. »In den Palastküchen bilden sie gerade die Zwillingsgipfel maßstabsgetreu nach – in Form einer Meringentorte, die so riesenhaft ist, dass ein halbes Dutzend Köche sie später auf Rollen in die Empfangshalle wird fahren müssen!«

»Tatsächlich?«

»Ja, Majestät. Aber ich bitte Sie inständig: Wenn es so weit ist, lassen Sie sich nicht anmerken, dass Sie das alles schon von mir wussten!«

Ein kühler Wind wehte durch das Fenster herein.

»Das kommt darauf an, ob du dich heute früh gut um mich kümmerst«, entgegnete der König. »Mach schneller, sonst hole ich mir noch einen Schnupfen.«

Símiuk wollte etwas erwidern, doch ein Diener trat ein.

»Ihre Majestät! Ich bitte vielmals um Vergebung – die oberste Köchin schickt mich. Símiuk soll sofort zu ihr kommen, es sei dringend.«

»Zur Hölle mit dir!«, fuhr der König ihn an. »Símiuk ist mein Barbier, und er ist beschäftigt!«

»Mit Verlaub, Majestät«, beharrte der Diener, »ich fürchte, eine Hofdame steht unmittelbar vor der Niederkunft. Die Hebamme ist ohnmächtig geworden, heißt es, und wer außer dem Barbier soll sie vertreten?«

Símiuk zuckte die Achseln und schaute, die erhobene Klinge in der Hand, König Gerániuk fragend an.

»Es eilt, Majestät!«, sagte der Diener. »Ich bitte wirklich vielmals um Ver…«

»Halt die Klappe!« Der König machte eine wedelnde

Handbewegung. »Meinetwegen geh, Símiuk, aber gib mir vorher ein Trockentuch und meine Felldecke herüber. Hilf dem armen Wurm auf diese elende Welt und komm danach sofort zurück, verstanden?«

Der Barbier nickte, reichte dem König das Gewünschte und entledigte sich des Messers und seiner Schürze. Mit einer flüchtigen Verbeugung traten er und der Diener ab. Die raschen Schritte der beiden verklangen.

König Gerániuk mochte der Herrscher des hohen Nordens sein; die Herrscherin, die hier selbst im Sommer ebenso viel Macht besaß wie er, trug den Namen Kälte. Vor ihr schützte er sich nun mit der Decke aus edlem weißem Eisfuchsfell. Dann nahm er eine bequemere Lage ein und wischte sich den Seifenschaum aus dem Gesicht.

Bestünde nicht die große Hoffnung, dass die Hofdame seinen langerwarteten Sohn und einstigen Thronerben auf die Welt brachte, hätte der König seinen Barbier niemals gehen lassen. Hoffentlich dauerte der Wurf nicht allzu lange. In Gedanken verfluchte er die oberste Köchin – und die Hebamme. Wenn die Torte so gut war, wie Símiuk versprach, würden die nichtsnutzigen Weiber mit fünf Stockhieben davonkommen.

Ansonsten würden es jeweils zwanzig werden.

Wieder ging ein leichter Wind durchs Fenster. Irgendjemand musste in einem entfernten Korridor eine Tür geöffnet haben.

Fröstelnd zog der König sich ganz unter die Felldecke zurück. Vermaledeite Diener, was mussten sie jetzt auch durch den Palast latschen. Auf einmal hörte er Schritte hinter sich. Er setzte eine verdrossene Miene auf.

»Símiuk? Das wurde aber auch Zeit. Mach mich gefälligst fertig, damit ich das Tagesgeschäft beginnen kann.«

»Mach ich gerne, dich fertig!«, erwiderte eine seltsam raue, kehlige Stimme unmittelbar hinter ihm. Sie gehörte keinesfalls Símiuk.

Empört wollte der König sich umdrehen. Im selben Augenblick packte ihn eine Hand am Schopf und hielt ihn eisern auf dem Barbierstuhl fest. Ein Gesicht wie das eines Raubtiers erschien in seinem Blickfeld, mit spitzen Ohren, geifernden Lefzen und scharfen Reißzähnen.

König Gerániuk wollte um Hilfe schreien, doch zu spät. Blitzschnell zückte das Wesen ein gekrümmtes Messer und vollführte damit eine ruckartige Bewegung.

Der König fühlte, wie sich mit der Klinge ein flammender Schmerz quer durch seinen Hals zog, und sein eigenes Blut ergoss sich wie ein heißer Strom über seine Brust. Mit einem gurgelnden Röcheln trat und schlug er verzweifelt nach seinem Angreifer, doch das Raubtierwesen hatte sich unerreichbar hinter dem Barbierstuhl verschanzt und beide Arme fest um den Oberkörper des Königs geschlungen, so dass er nicht loskam. Wilde Panik übermannte König Gerániuk. Er bemerkte kaum noch, wie sein Licht allmählich erlosch.

Wenig später kam Símiuk zurück und wollte beim Eintreten melden, dass die Nachricht unerklärlicherweise falsch gewesen sei; Hebamme, Hofdame und Neugeborenes waren wohlauf und hatten seiner Hilfe nicht bedurft. Auf seine Frage hin hatte ihm die Köchin nur sagen können, dass ein junger Streunerbote ihr die Bitte um Hilfe übermittelt habe.

Die Worte blieben Símiuk im Halse stecken, als er das Unheil sah, das ihn erwartete. Der Barbierstuhl mit dem erschlafften Körper des Königs und der besudelten Felldecke darauf stand in einer riesigen Lache dunkelroten, in der kalten Morgenluft dampfenden Blutes. Mit dem hineingetauchten Barbierpinsel hatte jemand einen einzigen Buchstaben an die Wand geschmiert: S.

Das entschuldigende Lächeln, das Símiuk aufgesetzt hatte, gefror. Eine Weile schwieg er. Dann schrie er, ohne dass es menschlich klang. Allerdings rief sein Schreien die gesamte Dienerschaft, einen Teil des Hofstaates und den Scharfrichter auf den Plan. Das Gnadengesuch der obersten Köchin wurde abgelehnt. Noch am selben Abend wurde der königliche Barbier enthauptet.

Zu dieser Zeit hatte das Wesen, das König Gerániuk getötet hatte, die Stadt längst verlassen. Durch dunkle Wälder, enge Schluchten und lange Täler jagte es davon – nach Süden. Es musste seinem Auftraggeber melden, dass die Mission erfüllt war.

Streuner

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